24.01.2014 · IWW-Abrufnummer 140251
Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 12.04.2013 – 5 U 4/13
1.
Sind medizinische Befundträger (hier: MRT - Aufnahmen der Hand) nicht mehr auffindbar, führt das nicht zu einer Beweislastumkehr, wenn nach sachverständiger Einschätzung ein auf einen groben Behandlungsfehler deutendes Befundergebnis nicht wahrscheinlich ist und zudem kein Anhalt besteht, dass die Behandlungsseite die Unaufklärbarkeit schuldhaft herbeigeführt hat.
2.
3.500 EUR Schmerzensgeld für Sehnenverletzungen der Hand durch eine mangels Aufklärung über dieses Risiko rechtswidrige und zudem arthroskopisch statt offen durchgeführte Operation eines erheblich vorgeschädigten Berufskraftfahrers, dessen Grundbeeinträchtigung durch den ärztlichen Eingriff insofern abgrenzbar verschlimmert ist, als Mittel- und Ringfinger der rechten Hand nicht vollumfänglich gestreckt werden können (Rechtshänder).
OLG Koblenz
12.04.2013 - 5 U 4/13
In dem Rechtsstreit
wegen Arzthaftung
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach, den Richter am Oberlandesgericht Goebel und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel
am 12.04.2013
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 28.11.2012 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind grundsätzlich ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung aber durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags gestellt wird.
Gründe
Die Entscheidung ergeht gemäß §§ 522 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils, dem Senatsbeschluss vom 13.03.2013 und ergänzend aus dem Inhalt der Gerichtsakten im Übrigen. In dem vorgenannten Beschluss sind die maßgeblichen rechtlichen Erwägungen wie folgt niedergelegt worden:
1. Der Kläger, der als Lkw-Fahrer tätig war, erlitt am 18. November 2003 einen Arbeitsunfall, bei dem das rechte Handgelenk gequetscht wurde. Da er anhaltend Schmerzen hatte und eine Kraftminderung verspürte, wurde schließlich am 19. August 2004 im Krankenhaus der Beklagten ein arthroskopischer Eingriff vorgenommen. Die Indikation für eine Behandlung hatte sich aus mehreren MRTs ergeben, die im Verlauf des Jahres 2004, dabei zuletzt am 9. August 2004 im Haus der Beklagten, gefertigt worden waren: Die Sehne des für die Handstreckung mit zuständigen Extensor carpi ulnaris war verletzt, und es bestand der Verdacht auf eine Schädigung des Discus triangularis im Handgelenk.
Im Anschluss an die Arthroskopie vom 19. August 2004 zeigte sich eine Schwäche in der Streckung des Ringfingers. Man entschloss sich zu einer operativen Revision, die am Folgetag stattfand und die Durchtrennung der Ringfingerstrecksehne und zudem eine Läsion der Sehne für den kleinen Finger offenbarte. Beide Sehnen wurden mit einer Naht versorgt. Der Kläger erhielt eine Gipsschiene und wurde in die ambulante Weiterbehandlung entlassen.
In der Folge befand er sich - nach einem letzten Kontrolltermin bei der Beklagten am 27. Oktober 2004 - wiederholt in der Betreuung einer BG-Unfallklinik. Dort wurde am 15. Februar 2005 eine Tenolyse am Ringfinger vorgenommen und anlässlich einer Untersuchung vom 26. April 2005 die Fähigkeit zum Faustschluss sowie zur Fingerstreckung bei intakter Sensibilität und Motorik attestiert.
Gleichwohl sieht sich der Kläger weiterhin beeinträchtigt. Er hat vorgetragen, sein Handgelenk nur schlecht beugen zu können und dort Schmerzen zu haben. Außerdem sei die Beweglichkeit von Mittel- und Ringfinger eingeschränkt, und an der durch die Operation vom 20. August 2004 hervorgerufenen Narbe, die sich als wulstig darstelle, habe er ein Taubheitsgefühl. Die rechte Hand habe ihre Greiffunktion eingebüßt und sei nicht mehr belastbar. Deshalb sei die Ausübung des angestammten Berufs als Lkw-Fahrer dauerhaft unmöglich.
Diese Schäden hat er auf den arthroskopischen Eingriff vom 19. August 2004 zurückgeführt. Die - ihm vorab nicht als mögliches Risiko mitgeteilte - Schädigung der Fingersehnen, zu der es damals kam, sei als grob fehlerhaft einzustufen. Im Hinblick darauf hat er beantragt, die Beklagte zur Zahlung eines mit mindestens 40.000 EUR zu beziffernden Schmerzensgelds, einer Schmerzensgeldrente von monatlich 150 EUR und zum Ausgleich eines in der Vergangenheit aufgelaufenen Verdienstausfallschadens von 15.856,15 EUR zu verurteilen, sowie die Feststellung deren weitergehender Haftung begehrt.
Dem hat das Landgericht nach der Befragung eines Sachverständigen insoweit entsprochen, als es - unter Abweisung der Klage im Übrigen - ein Schmerzensgeld von 3.500 EUR zuerkannt hat. Es hat der Beklagten deshalb einen Fehler angelastet, weil am 19. August 2004 nicht offen operiert und stattdessen ein arthroskopischer Eingriff vorgenommen worden sei, der keine klare Sicht des Situs erlaubt und so die Sehnenverletzung ermöglicht habe. Deren Folgen seien indessen auf eine geringfügige Einschränkung der Fingerbeweglichkeit beschränkt. Alle weiteren Schäden des Klägers beruhten allein auf dem ursprünglichen Arbeitsunfall. Daher sei für eine Schmerzensgeldrente ebenso wenig Raum, wie eine Haftung der Beklagten für Verdiensteinbußen in Betracht komme. Ihr zurechenbare zukünftige Beeinträchtigungen des Klägers zeichneten sich in keiner Weise ab.
Dagegen wendet sich der Kläger in Erneuerung seines Begehrens mit der Berufung. Er erachtet die Beklagte für umfassend einstandspflichtig, weil ihr ein grober Fehler unterlaufen sei, der zu seiner Berufsunfähigkeit geführt habe. Im Haus der Beklagten gefertigte MRTs - die unstreitig nicht mehr zur Verfügung stehen - belegten, dass es von vornherein verfehlt gewesen sei, ihn arthroskopisch zu behandeln. Da die Beklagte den Verlust der Aufnahmen zu vertreten habe, komme ihm eine Beweislastumkehr zugute.
2. Damit vermag der Kläger nicht durchzudringen. Das angefochtene Urteil hat Bestand.
a) Es trifft zu, dass der Beklagten die am 19. August 2004 eingetretene Sehnenverletzung haftungsrechtlich zugerechnet werden muss, weil sie Folge eines in einem unübersichtlichen Feld durchgeführten arthroskopischen Eingriffs war; die nach Lage der Dinge angezeigte offene Operation unterblieb. Darüber hinaus spricht für eine Schadensverantwortlichkeit, dass der Kläger nicht über das Risiko einer Sehnenläsion aufgeklärt worden war, obwohl es sich dabei nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten um eine "verfahrenstypische Komplikation" handelte.
b) Die daraus entspringende Haftung ist jedoch beschränkt. Das Landgericht hat sie zutreffend eingegrenzt, indem es zwischen den Auswirkungen des Eingriffs vom 19. August 2004 und den davon unabhängigen Folgen des am 18. November 2003 erlittenen Arbeitsunfalls unterschieden hat. Dabei hat es richtig gesehen, dass die Sehnenverletzung den Kläger lediglich insoweit behindert, als die Streckfähigkeit vom Mittel- und Ringfinger der rechten Hand nicht vollumfänglich gewährleistet ist. Defizite in der Beweglichkeit des Handgelenks, dortige Schwellungen und Schmerzen sowie der vom Kläger geklagte Kraftverlust beruhen dagegen auf der primären Quetschung. Auch die lästige, am 20. August 2004 entstandene Narbe ist nicht auf den am Vortag unterlaufenen Fehler zurückzuführen. Denn sie erklärt sich aus der Notwendigkeit einer offenen Operation, die - aufgrund der bei der Arthroskopie vorgefundenen Situation oder, wenn man dem Kläger folgt, bereits von vornherein - angezeigt war. Mithin wäre es auch bei einem in jeder Hinsicht regelgerechten Vorgehen zu der Narbenbildung gekommen.
Die vom Landgericht mit Blick auf die Schädigung des Klägers vorgenommene Differenzierung entspricht den Erkenntnissen des Sachverständigen Prof. Dr. A., die durchweg überzeugen. Ein Widerspruch zu den Ausführungen im Rentengutachten Dr. R., die den Zustand des Klägers ohne spezifizierende Ursachenforschung beschrieben haben, tut sich nicht auf. Damit kann keine Veranlassung zur Einholung eines Zusatzgutachtens (§ 412 ZPO) bestehen, und die Feststellungen des Landgerichts sind, weil es keinen greifbaren Anhalt dafür gibt, an ihrer Richtigkeit zu zweifeln, auch im Berufungsverfahren zugrunde zulegen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
c) Infolge dessen ist lediglich Raum für die Zuerkennung eines Schmerzensgeldkapitals, dass das Landgericht angemessen festgesetzt hat. Materiellen Schadensersatz schuldet die Beklagte nicht. Die vom Kläger geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit als Kraftfahrer steht außer Zusammenhang mit der mangelnden Streckfähigkeit von Mittel- und Ringfinger an der rechten Hand. Das Manko, keine Lade- und Entladearbeiten ausführen zu können, erklärt sich allein aus den durch die Primärverletzung vom 18. November 2003 hervorgerufenen Knorpelschäden (Anhörung Prof. Dr. A. vom 6. Oktober 2010, Protokoll S. 4). Darüber hinaus dürfte die bloße Möglichkeit, einen Wagen zu steuern, selbst dadurch nicht ausgeschlossen sein (Gutachten Prof. A. vom 14. Okober 2009 S. 17 sowie vom 5. Mai 2010 S. 4). Da die Auswirkungen der Sehnenverletzung begrenzt sind und überschaut werden können, fehlt für eine Schmerzensgeldrente und für die Feststellung einer zukünftigen Haftung der Beklagten gleichermaßen die Grundlage.
d) Die Inanspruchnahme der Beklagten lässt sich nicht aus einer Beweislastumkehr herleiten, wie sie vom Kläger angemahnt und vom Landgericht erörtert worden ist. Der Kläger reklamiert sie unter dem Gesichtspunkt, dass am 19. August 2004 ein grober Behandlungsfehler unterlaufen sei, weil sich eine Arthroskopie nach zuvor gefertigten und heute nicht mehr vorhandenen MRT-Aufnahmen von vornherein verboten habe. Ob die vorgegebene Befundlage tatsächlich so war, ist jedoch ungewiss. Einen Beleg für seine - von der Beklagten bestrittene und von dem Sachverständigen Prof. Dr. Ahlers unter Auswertung anderer Bilder ebenfalls dementierte (Anhörung vom 6. Oktober 2010, Protokoll S. 4) - Behauptung hat der Kläger nicht geliefert.
Der Umstand, dass die Beklagte die streitigen Aufnahmen aus der Hand gegeben hat und sie heute nicht mehr zur Verfügung stehen, würde einen solchen Beleg nur dann entbehrlich machen, wenn das Vorbringen des Klägers zum Aussagegehalt der Aufnahmen mit Wahrscheinlichkeit richtig wäre (BGHZ 132, 47) oder wenn sich die Beklagte dem Vorwurf einer missbilligenswerten Beweisvereitelung ausgesetzt hätte (BGH NJW 1963, 389 [BGH 06.11.1962 - VI ZR 29/62]). Die erste der beiden Alternativen hat das Landgericht unter Bezug auf die Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. überzeugend verneint (LGU S. 11), und gegen die Bejahung der zweiten Alternative spricht, dass die Beklagte plausible Gründe zur Erklärung ihres Verhaltens angeführt hat; jedenfalls reichen diese Gründe aus, den prozessualen Vorteil des Klägers auf eine bloße Beweiserleichterung zu begrenzen (BGH NJW 2008, 982 [BGH 17.01.2008 - III ZR 239/06]; Laumen MDR 2009, 177), die angesichts der seiner Behauptung zuwiderlaufenden Erkenntnisse des Sachverständigen Prof. Dr. A. am Ende nicht weiterhilft.
Selbst wenn die vom Kläger reklamierte Beweislastumkehr zum Zuge käme, würde das nur bedeuten, dass Zweifelsfragen hinsichtlich des Kausalverlaufs zu seinen Gunsten zu beantworten wären. Derartige Zweifel gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind die Schadensursächlichkeiten geklärt oder zumindest - was beweisrechtlich gleichzustellen ist (BGHZ 159, 48) - mit größter Wahrscheinlichkeit gesichert."
Dagegen hat der Kläger nichts erinnert.
Rechtsmittelstreitwert: 62.356,15 EUR (= 65.856,15 EUR abzüglich 3.500 EUR).