15.12.2004 · IWW-Abrufnummer 043160
Oberlandesgericht Dresden: Urteil vom 01.04.2004 – 7 U 1994/03
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Dresden
Aktenzeichen: 7 U 1994/03
7 O 2300/03 LG Dresden
Verkündet am 01.04.2004
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit XXX
wegen Schadensersatzes
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.03.2004 durch
Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Wxxxxx,
Richter am Oberlandesgericht Dr. Mxxxxxx und
Richter am Landgericht Kxxx
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 30.10.2003 teilweise abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.851,96 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2003 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites tragen der Beklagte zu 6/7 und der Kläger zu 1/7.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Von der Abfassung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist überwiegend begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte materielle Schadensersatzanspruch i.H.v. 3.851,96 Euro zu. Des Weiteren hat er Anspruch auf Schmerzensgeld, welches allerdings mit 2.000,00 Euro niedriger zu bemessen ist, als vom Kläger begehrt.
1. Der Beklagte hat den Skiunfall vom 23.11.2002 in Hochgurgel fahrlässig verursacht und ist dem Kläger deshalb gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet.
a) Zu Recht hat das Landgericht auf die Rechtsbeziehungen der Parteien infolge des sich in Österreich ereignenden Skiunfalls deutsches Recht angewendet. Die Voraussetzungen des Art. 40 Abs. 2 Satz 1 EGBGB - gewöhnlicher Aufenthalt von Verletztem und Ersatzpflichtigem in Deutschland - sind vorliegend gegeben.
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Kläger den Tatbestand einer fahrlässigen Körperverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB ausreichend substantiiert dargetan. Soweit aus Sicht des Landgerichts noch Unklarheiten im Hinblick auf den konkreten Unfallhergang bestanden haben, hätte es die auch erstinstanzlich persönlich zum Termin erschienen Parteien gemäß § 141 Abs. 1 ZPO zur Aufklärung des Sachverhaltes persönlich anhören können und müssen. Nachdem der Senat die informatorische Anhörung der Parteien nachgeholt hat, ergibt sich aus den inhaltlich kaum differierenden Schilderungen beider Parteien, dass der Unfall auf einer Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten bei der Abfahrt zurückzuführen ist. Gemäß den nach übereinstimmendem Vortrag beider Parteien für die Abfahrt im Skigebiet Hochgurgel maßgeblichen Verhaltensregeln des internationalen Skiverbandes (FIS) muss jeder Skifahrer auf Sicht fahren. Er muss seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anpassen (FIS-Regel 2). Hiergegen hat der Beklagte verstoßen, indem er trotz nach eigenem Bekunden fehlender Einsicht in den unteren Teil des Hanges am Übergang vom Flachhang zum Steilhang mit unverminderter Geschwindigkeit gefahren ist, obwohl er wusste, dass kurz vor ihm weitere Fahrer diese Stelle passiert hatten. Es musste ihm als nach eigenem Bekunden sehr gutem und erfahrenem Skifahrer bewusst gewesen sein, dass an dem von ihm noch nicht einsehbaren Steilhang andere Skifahrer stehen oder vielleicht auch zu Fall gekommen sein könnten, so dass er seine Fahrgeschwindigkeit so hätte wählen müssen, dass er an der kritischen Stelle des Übergangs zum Steilhang vor solchen Hindernissen noch rechtzeitig hätte anhalten oder ausweichen können. Den Vortrag in der Berufungserwiderung, sein Sturz und der Zusammenprall mit dem Kläger sei ausschließlich auf eine für ihn nicht erkennbare Eisplatte unter der Schneeauflage zurückzuführen, hat der Beklagte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung nicht bestätigt. Er hat vielmehr erklärt, den Kläger "relativ spät gesehen" zu haben und bei dem anschließenden Bremsversuch das Gleichgewicht verloren zu haben. Zum Vorhandensein von Eis konnte der Beklagte aus eigener Erinnerung nichts sagen.
c) Zu Recht wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Landgerichts, er selbst habe den Skiunfall durch Verletzung der FIS-Regel 8 (gemeint ist offenbar FIS-Regel 6) schuldhaft mitverursacht. Die FIS-Regel 6 besagt nicht, dass abfahrende Skifahrer auf der Piste nicht anhalten dürften. Danach ist es nur unzulässig, "sich ohne Not an engen oder unübersichtlichen Stellen einer Abfahrt aufzuhalten". Dafür, dass es sich bei der Stelle, an der der Kläger angehalten hat, um eine unübersichtliche Stelle gehandelt hat, an der der Abfahrer auch nicht zu dem Zweck anhalten darf, sich vor Beginn des eigentlichen Steilhangs einen Überblick über das kommende Gelände zu verschaffen, hat der für die Voraussetzungen des Mitverschuldens darlegungs- und beweispflichtge Beklagte keine ausreichenden Anhaltspunkte dargetan. Ein solches Anhalten vor steileren Streckenabschnitten erscheint durchaus zweckmäßig, denn im Steilhang selbst ist ein Anhalten naturgemäß erheblich schwerer. Es war auch nicht so, dass der Kläger damit rechnen musste, dass der Beklagte infolge des Anhaltens zu einem Bremsmanöver gezwungen sein würde, denn der Beklagte fuhr nicht direkt hinter ihm her. Der Kläger hat vielmehr bekundet, ungefähr eine halbe Minute gestanden zu haben, bevor der Beklagte in ihn hineingestürzt sei.
2. Der Schadensersatzanspruch des Klägers umfasst die in den vorgelegten Heil- und Kostenplänen der Zahnärzte Uxx Kxxxxxx und Dr. Rxxx Rxxxxxxxx veranschlagten Kosten in der Gesamthöhe von 3.826,96 Euro. Gemäß § 249 Satz 2 BGB kann der Gläubiger im Falle der Verletzung seiner Person den zur Heilung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Dass der Kläger die Behandlung noch nicht hat durchführen lassen, ändert daran nichts. Da kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, dass der Kläger die angekündigte Heilbehandlung nicht auch tatsächlich durchzuführen beabsichtigt, hat er Anspruch auf die voraussichtlich erforderlichen Kosten (vgl. BGHZ 97, 510).
Von der Schadensersatzpflicht sind auch diejenigen Kosten umfasst, die über den von der gesetzlichen Krankenkasse des Klägers übernommenen Teil hinausgehen. Da die gesetzlichen Krankenkassen bei Zahnbehandlungen und insbesondere Zahnersatz - wenn überhaupt - nur den untersten Standard ersetzen, ist es unter dem Schadensminderungsaspekt nicht zu beanstanden, dass der Kläger eine Behandlungsweise wählt, die nicht vollständig von der gesetzlichen Krankenkasse ersetzt wird. Der Einsatz von Zahnimplantaten anstatt einer möglicherweise kostengünstigeren Brücke ist eine angemessene Heilbehandlung und keine Luxusaufwendung, die den Rahmen des erstattungsfähigen Schadens überschreiten würde.
Die darüber hinaus geltend gemachte allgemeine Schadenspauschale in Höhe von 25,00 Euro ist ebenfalls angemessen und steht dem Kläger für die weiteren unfallbedingten Aufwendungen zu.
3. Der Kläger hat gemäß § 253 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Schmerzensgeld, der mit 2.000,00 Euro angemessen bewertet ist. Der Kläger hat die beiden vorderen oberen Schneidezähne verloren sowie eine leichte Gehirnerschütterung und Prellungen erlitten. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass er bis zum Einsatz des Provisoriums durch die in der Öffentlichkeit sichtbare Zahnlücke beeinträchtigt war. Außerdem sind die bereits erlittenen und noch zu erwartenden körperlichen Schmerzen im Rahmen der diversen Zahnbehandlungen zu berücksichtigen, denen der Kläger unterworfen war bzw. sein wird. Schließlich fällt auch noch ins Gewicht, dass der Beklagte - bzw. dessen Haftpflichtversicherung - bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal einen kleinen Teilbetrag an den Kläger gezahlt haben, obwohl die Angaben des Beklagten in seiner Schadensanzeige bereits einen gewissen Anhaltspunkt dafür geliefert haben, dass der Beklagte jedenfalls nicht vollständig schuldlos an der Entstehung des Unfalls war. Nicht berücksichtigt werden kann demgegenüber die vom Kläger ins Feld geführte Heimreise aus dem Skiurlaub. Da der Unfalltag ohnehin der letzte Tag des Skiurlaubs gewesen wäre, wurde der Urlaub dadurch nicht verkürzt.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände erscheint ein Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 2.000,00 Euro gerechtfertigt. Vergleicht man die immateriellen Beeinträchtigungen des Klägers mit ähnlichen Fällen aus der Schmerzensgeldtabelle von Hacks/Ring/Böhm, 21. Aufl., so bewegt sich das Schmerzensgeld für den Verlust von vorderen Schneidezähnen meist bei bzw. etwas unter 2.000,00 Euro (Nr. 507: 1.000,00 Euro bei Verlust eines Schneidezahnes - LG Essen 1987; Nr. 551: 1.000,00 Euro für den Abbruch zweier vorderer Schneidezähne bei 50 % Mitverschulden - OLG Jena 2000; Nr. 722: 1.500,00 Euro für den Verlust dreier Zähne bei einem 3½-jährigen Mädchen - LG Lübeck 1998). Soweit höhere Beträge als 2.000,00 Euro zugesprochen wurden, handelt es sich meist um Fälle, in denen entweder vorsätzliches Handeln des Schädigers vorlag oder außer dem Verlust der Zähne noch weitere Beeinträchtigungen hinzu kamen (Nr. 995: 2.500,00 Euro für den Verlust von drei Vorderzähnen durch Faustschlag - LG München II 2000; Nr. 1016: 2.500,00 Euro für einen dreifachen Kieferbruch mit Abbruch von Schneidezähnen - OLG Hamm 1996; Nr. 1021: 2.500,00 Euro für die Extraktion von vier Frontzähnen durch ärztlichen Kunstfehler - OLG Köln 1984). Berücksichtigt man, dass der Beklagte vorliegend zwar fahrlässig, nicht aber grob rücksichtslos gehandelt hat, ist nach allem ein höheres Schmerzensgeld als 2.000,00 Euro nicht gerechtfertigt.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 707 Nr. 10, 713 ZPO.
5. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichtes zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich.