03.07.2014 · IWW-Abrufnummer 141982
Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 15.05.2013 – 5 U 423/13
(Therapeutische Aufklärungspflicht des Zahnarztes; Beweisfolgen des Verlusts von Röntgenbildern)
1.
Eine deutlich über 40 Jahre alte Patientin mit einer nur optisch beeinträchtigenden Fehlstellung der Scheidezähne muss der Zahnarzt nicht über die Möglichkeit der Zahnkorrektur durch eine Spange aufklären, weil es sich nicht um eine ernsthaft in Betracht kommende, zahnmedizinisch erfolgversprechende Behandlungsalternative handelt.
2.
Ist der entscheidungsrelevante Zahnbefund in sonstiger Weise hinreichend gesichert (hier: Karies), ergibt sich für den Patient keine Beweiserleichterung aus der Nichtauffindbarkeit von Röntgenbildern, wenn kein Anhalt besteht, dass der Verlust auf einem grob fahrlässigen oder gar vorsätzlichen Fehlverhalten des Zahnarztes beruht.
OLG Koblenz
15.05.2013 - 5 U 423/13
In dem Rechtsstreit
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
Dr. med. dent.
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach, den Richter am Oberlandesgericht Weller und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel am 15.05.2013
beschlossen:
[Gründe]
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie offensichtlich ohne Erfolgsaussicht ist, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Urteil erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Die von der Klägerin für das Rechtsmittelverfahren beantragte Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Im Einzelnen ist zur Sach- und Rechtslage zu bemerken:
1. Die Klägerin befand sich vom 06.06.2006 bis zum 27.05.2008 in der zahnärztlichen Betreuung der Beklagten. Dabei kam es zu einer weitreichenden Kariesbehandlung unter Erneuerung defekter Füllungen und dem Einsatz von Kronen, einer Formveränderung der Frontzähne aus kosmetischen Gründen und einer Lückenversorgung.
Nach dem Vorbringen der Klägerin war die Kariesbehandlung nicht indiziert. Außerdem sei die Beklagte technisch fehlerhaft verfahren. Namentlich habe sie die Zahnsubstanz unfachmännisch abgeschliffen. In der Folge ihres Vorgehens sei die Okklusion - auch durch eine Mittellinienverschiebung - beeinträchtigt worden. Darüber hinaus passten sich die implantierten Kronen farblich nicht ein. Die Eingriffe der Beklagten hätten zu anhaltenden, auf weite Körperbereiche übergreifenden Schmerzen und zu Zahnfleischschwund geführt. Die Nahrungsaufnahme sei stark behindert.
Bei alledem sei die Aufklärung der Beklagten mangelhaft gewesen. Die mit der Behandlung verbundenen Risiken seien ebenso wenig wie die Möglichkeit, die Zahnstellung durch den Einsatz einer Spange zu korrigieren, zur Sprache gebracht worden.
Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines mit mindestens 10.000 € zu beziffernden Schmerzensgeldes und die Freistellung von den Kosten einer zahnmedizinischen Revision sowie die Feststellung weitergehender Ersatzansprüche begehrt. Das Landgericht hat dieses Verlangen nach der Befragung eines Sachverständigen, der Vernehmung von Zeugen und der Anhörung der Beklagten abgewiesen. Aus seiner Sicht gab es weder Aufklärungsmängel noch Behandlungsfehler. Auch die von der Klägerin geltend gemachten Schmerzen seien der Beklagten nicht anzulasten. Soweit Defizite bestünden, sei deren Tätigkeit noch nicht abgeschlossen gewesen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie erneuert ihr erstinstanzliches Begehren und beantragt hilfsweise die Zurückverweisung des Rechtsstreits in die erste Instanz. Außerdem bittet sie für das Rechtsmittelverfahren um die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Sie hält daran fest, dass die streitige Behandlung in ihrem Ansatz und in ihrer Durchführung verfehlt gewesen sei.
2. Damit vermag die Klägerin nicht durchzudringen. Für die reklamierte Einstandspflicht der Beklagten gibt es keine tragfähige Grundlage. Das Rechtsmittel hat weder in seinem Haupt- noch in seinem Hilfsantrag eine Erfolgsaussicht, so dass seine Zurückweisung im Beschlussweg in Aussicht steht und die erstrebte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden kann.
a) Es ist nicht zu ersehen, dass die streitige Zahnbehandlung nicht indiziert gewesen wäre. Für ihre Behauptung, sie habe keine Karies gehabt, hat die Klägerin keinen Beweis erbracht. Die von der Beklagten gefertigten Röntgenaufnahmen, die nach der Darstellung der Klägerin eine entsprechende Beweisführung ermöglicht hätten, stehen nicht mehr zur Verfügung. Selbst wenn sie entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht bei dem Gutachter Dr. K., sondern in deren Praxis zerstört worden sein sollten, resultiert daraus kein relevanter Beweisvorteil für die Klägerin, der erlaubte, den von der Beklagten dokumentierten klinischen Kariesbefund zu falsifizieren (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl.,. § 286 Rndr. 14 a); ein grob schuldhaftes oder vorsätzliches Verhalten der Beklagten, das eine andere Sicht der Dinge erlauben könnte, steht nicht im Raum.
Des weiteren gab es unstreitig Zahnlücken, die gefüllt werden mussten. Zudem ist außer Frage, dass die kosmetische Versorgung der Schneidezähne von der Klägerin gewollt war.
b) Die Feststellung des Landgerichts, die gebotene Okklusion sei durchweg erreicht worden, wird durch die Darlegungen des Sachverständigen Dr. M. gestützt. Auch Dr. K. hat insoweit nichts beanstandet. Die gegenläufige Beurteilung des Zahnarztes G. entkräftet das nicht. Selbst wenn man G. folgte, ergäbe sich nichts dafür, dass die Okklusion unter der Behandlung der Beklagten verschlechtert worden wäre.
Aus dem mangelnden Approximalkontakt der Zähne 34 und 35 und der Stellung des Zahnes 47 kann die Klägerin nichts für sich herleiten, weil die Behandlung hier unvollendet geblieben ist. Die Klägerin suchte die Beklagte nicht mehr auf.
c) Dafür dass die Beklagten die zahlreichen von der Klägerin beschriebenen funktionellen und sensitiven Beschwerden zu verantworten hätte, gibt es keinen greifbaren Anhalt. Eine Verschiebung der Mittellinie durch die Beklagte lässt sich nicht feststellen. Das hat der Sachverständige Dr. M. nach einem Abgleich mit den ihm vorliegenden Kiefermodellen aus dem Jahr 2005 mitgeteilt. Genauso wenig ist es nach seinen Erkenntnissen wegen der Einschleifmaßnahmen zu einer Verminderung der Schneidekraft der Zähne oder zu einer Zahnfleischschädigung gekommen. Auch die für die prothetische Versorgung verwandte Zahnfarbe ist insgesamt stimmig; eine Abweichung findet sich nur bei dem alten Zahn 21 und ist nicht von der Beklagten zu verantworten.
d) Defizite in der Information der Klägerin, die die Wirksamkeit der von ihr erteilten Einwilligung in Frage stellen könnten, fehlen. Den Zeugenaussagen H., R. und S. lässt sich eine hinreichende Eingriffs- und Risikoaufklärung entnehmen. Die Rüge, es sei pflichtwidrig versäumt worden, auf die Möglichkeit einer Zahnkorrektur durch eine Spange hinzuweisen, trifft nicht. Ein Arzt oder Zahnarzt braucht dem Patienten grundsätzlich nicht ungefragt zu erläutern, welche verschiedenen Behandungsmethoden in Betracht kommen, so lange er eine Therapie anwendet, die dem Standard genügt (BGHZ 102, 17). Allerdings ist er gehalten, auf adäquate zielführende Alternativen aufmerksam zu machen, die sich in ihren Belastungen, Risiken und Erfolgschancen wesentlich unterscheiden (BGH VersR 1988, 190 [BGH 24.11.1987 - VI ZR 65/87]; OLG Naumburg VersR 2004, 1460). Dass die Spangenbehandlung eine solche Alternative darstellte, ist nicht erkennen. Das ist schon in dem angefochtenen Urteil bemerkt worden. Die - im Zeitpunkt der Konsultation der Beklagten deutlich über 40 Jahre alte - Klägerin hat nicht dargetan, inwieweit der Einsatz einer Spange überhaupt erfolgversprechend hätte sein können. Er schied von vornherein aus, soweit es um die Kariesversorgung und den Zahnersatz ging. Ob er zur Richtung der Schneidezähne geeignet gewesen wäre, ist nicht nachvollziehbar, weil die Verhältnisse nicht näher beschrieben worden sind.
e) Vor diesem Hintergrund besteht für den Senat kein genügender Grund zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens (§ 412 BGB). Die Feststellungen des Landgerichts begegnen zwar in zahlreichen Punkten einer ernst zu nehmenden Kritik der Klägerin, geben aber gleichwohl keinen Anhalt für rechtserhebliche Zweifel (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Auch eine Anhörung der Klägerin, die vom Landgericht ins Auge gefasst worden und dann an deren Unabkömmlichkeit gescheitert war, ist nicht veranlasst. Freilich hatte die Beklagte in erster Instanz Gelegenheit, sich zu äußern. Aber ihre Bekundungen sind nicht streitentscheidend, so dass eine - die prozessuale Waffengleichheit möglicherweise beeinträchtigende - Benachteiligung der Klägerin nicht eingetreten ist.
f) Mithin ist für eine immaterielle oder materielle Ersatzhaftung der Beklagten kein Raum. Ausgleich für die Aufwendungen einer Revisionsbehandlung konnte die Klägerin ohnehin nur dann verlangen, wenn es zu einem erheblichen Fehlverhalten der Beklagten gekommen wäre (vgl. dazu BGH NJW 2011, 1674 [BGH 29.03.2011 - VI ZR 133/10] und Preis in Staudinger, BGB, 2012, § 628 Rndr. 49). Überdies ist den Aufwendungen für die Ersatzvornahme eine etwaige Honorarersparnis im Verhältnis der Beklagten gegenzurechnen (Schellenberg VersR 2007, 1343).
3. Nach alledem sollte die Klägerin erwägen, ihr Rechtsmittel aus Kostengründen zurückzunehmen. Bis zum 13.06.2013 besteht Gelegenheit zur Stellungnahme.
die Berufung wurde aufgrund des Hinweises zurückgenommen