29.04.2005 · IWW-Abrufnummer 051226
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 22.02.2005 – 7 A 11002/04.OVG
1. Zu den Grundsätzen für die Ermessensausübung der Gemeinde bei einer Änderung der Straßenanschrift und Hausnummer.
2. Änderungen der Sachlage im Widerspruchsverfahren sind für den Erfolg einer Anfechtungsklage des Anliegers ohne Bedeutung, weil nach § 6 Abs. 2 AGVwGO die Ermessenausübung der Gemeinde in Selbstverwaltungsangelegenheiten nur auf die Rechtmäßigkeit hin überprüft werden kann.
7 A 11002/04.OVG
6 K 817/03.MZ
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verwaltungsrechtsstreit XXX
wegen Kommunalrechts
hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2005, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hoffmann
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Holl
Richter im Nebenamt Prof. Dr. Schröder
ehrenamtliche Richterin Hauswirtschaftsmeisterin Kämmerer
ehrenamtlicher Richter Kaufmann Geiger
für Recht erkannt:
Unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2004 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Änderung der Straßenanschrift und Hausnummer seines Grundstücks. Er ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Flur 1 Nr. 314 in A... . Bei dem Grundstück handelt es sich um ein Eckgrundstück, das sowohl an die G..., die Ortsdurchfahrt der L 414, als auch an die Straße A... angrenzt. Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens hatte die Straßenverwaltung seinerzeit eine unmittelbare Zuwegung zu der Landesstraße verwehrt, weil der Bereich außerhalb der geschlossenen Ortslage lag. Dennoch lautete die bisherige postalische Anschrift des Klägers seit 1976 ?G... 2?.
Am 6. März 2001 beschloss die Beklagte eine Neuordnung der Hausnummern. Anlass war allgemein die bauliche Entwicklung in der Ortsgemeinde, wobei besonders im Ortskern durch den Ausbau von Scheunen Engpässe in der Hausnummerierung entstanden waren. Im Amtsblatt der Verbandsgemeinde S... vom 29. Januar 2003 wurde die Neuordnung der Anschriften mit Hausnummern bekannt gemacht. Hinsichtlich des Wohngrundstücks des Klägers findet sich in der Bekanntmachung als alte und neue Anschrift ?A... 2?. Zu diesem ehemaligen Wirtschaftsweg hin hatte das Anwesen seit der Erteilung der Baugenehmigung seine Zuwegung genommen; der Giebel mit dem Hauseingang ist nach dorthin ausgerichtet.
Gegen die Zuteilung der Anschrift A... 2 legte der Kläger mit Schreiben vom 7. Februar 2003 Widerspruch ein, den er im Wesentlichen damit begründete, dass es sich bei ihm nicht lediglich um eine Änderung der Hausnummer, sondern um eine Änderung der kompletten Straßenbezeichnung handele. Die Änderung der Straßenanschrift bedeute für ihn als Selbstvermarkter von landwirtschaftlichen Produkten einen hohen finanziellen Aufwand. So m üsse er zum wiederholten Mal seine Adresse im Schriftverkehr, auf allen Wurstkonserven und Honigetiketten sowie auf den Visitenkarten ändern lassen.
Die Beklagte machte demgegenüber geltend, dass die Adresse G... 2 bereits seit langer Zeit geführt werde. Voraussetzung für die Vergabe einer Hausnummer sei indessen ein tatsächlicher Zugang zu der betreffenden Erschließungsstraße. Sofern kein Zugang vorhanden, aber rechtlich zulässig sei, könne ebenfalls vorsorglich eine Hausnummer vergeben werden. Einen Zugang und eine Zufahrt zur G... besitze das Anwesen indessen nicht. Die Anlage einer unmittelbaren Zuwegung zur G... sei im Zuge des Baugenehmigungsverfahrens verwehrt worden, so dass die Erschließung des Grundstücks über die Gemeindestraße erfolgt sei. Im Rahmen der Neuordnung der Hausnummern seien auch solche fehlerhaften Straßenbezeichnungen festgestellt und korrigiert worden. Eine Adressenänderung löse nach einem Zeitraum von 30 Jahren keine besonderen Schadensersatzansprüche aus, vielmehr müsse sich der Anlieger auf eine berechtigte Neuordnung einstellen.
Nach Ablehnung des Widerspruchs durch Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses M... vom 24. Juli 2003 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt: Die Anschriftenänderung sei rechtswidrig. Die Änderung sei mit seinen berechtigten Interessen nicht vereinbar. Er müsse nun erneut seine Kunden auf die Änderung des Straßennamens aufmerksam machen sowie Etiketten und andere schriftliche Unterlagen ändern lassen. Sein Eckgrundstück werde nach wie vor auch von der G... aus erschlossen. Seit 1976 sei durchgehend bis heute seine postalische Anschrift G... 2 gewesen. Der Landesbetrieb Straßen und Verkehr in Worms habe ihm mittlerweile auch bestätigt, dass er berechtigt sei, einen Zugang/Ausgang zur G... zu errichten, weshalb er auch umgehend einen solchen Zugang angelegt habe. Dies sei im Rahmen des Widerspruchsverfahrens fälschlich nicht berücksichtigt worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Änderung seiner Anschrift auf der Grundlage der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 29. Januar 2003 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren bezogen.
Das Verwaltungsgericht Mainz hat der Klage mit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2004 ergangenem Urteil stattgegeben und die das Grundstück des Klägers betreffende Adressänderung aufgehoben. Zur Begründung hat es in seinem Urteil ausgeführt, die angegriffene Allgemeinverfügung leide insoweit unter einem Ermessensfehler zulasten des Klägers. Zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheids habe das Grundstück einen Zugang nicht nur zu der Straße A..., sondern auch zur G... aufgewiesen. Der von der Gemeinde angeführte Ordnungsgesichtspunkt habe deshalb die Entscheidung nicht alleine tragen können. Bei der Situation, in der das Grundstück zwei Zuwegungen habe, sei es nicht angemessen, die Aufgabe der bereits 30 Jahre innegehabten Anschrift G... 2 zu verlangen. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, dass diese Anschrift in der Vergangenheit zu Ordnungsproblemen in Bezug auf die Auffindbarkeit des Grundstücks geführt hätte. Angesichts dessen seien die Umstellungslasten dem Kläger nicht zuzumuten.
Dagegen hat die Beklagte die vom Senat mit Beschluss vom 1. Juli 2004 zugelassene Berufung eingelegt, mit der sie den Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Sie macht gegenüber ihrem erstinstanzlichen Vorbringen ergänzend geltend, das Verwaltungsgericht habe fälschlich nicht berücksichtigt, dass die ergangene Allgemeinverfügung gegenüber denjenigen, die keinen Widerspruch eingelegt hätten, bereits verbindlich geworden sei, so dass nicht auf die Änderung der Verhältnisse im Verlauf des Widerspruchsverfahrens des Klägers habe abgestellt werden können. Zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt sei eine eindeutige Orientierung des Anwesens mit seiner Erschließung zu der Straße A... hier feststellbar gewesen, so dass die Ortsgemeinde dies im Rahmen der Organisationsmaßnahme habe berücksichtigen dürfen. Zu diesem Zeitpunkt habe sich zur G... hin nur ein Vorgarten befunden, sonst aber nichts. Die Kunden hätten nur über die Straße A... zu dem Anwesen gelangen können. Sie hätten auch auf der Ortsdurchfahrt der Landesstraße kurz vor dem Ortsende nicht vernünftig halten oder parken können. Den Hofverkauf führe der Kläger auch in erster Linie von seinem Anwesen G... 9 aus durch und nicht von seinem Privatanwesen A... 2. Die Ordnungsmaßnahme der Beklagten sei deshalb sachgerecht und nicht willkürlich, die durch die Umnummerierung entstehenden Nachteile seien dem Anlieger zumutbar.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend sei im Hinblick auf den tatsächlichen Zugang zu dem Hausanwesen anzuführen, dass die Hauseingangstür sich zwar in der Giebelseite des Hauses zur der Straße A... hin befinde, dies aber nichts daran ändere, dass ein doppelter Zugang und eine doppelte Zuwegung vorlägen. Die Hinweisschilder zu dem Selbstvermarktungsbetrieb seien so aufgestellt, dass sie von der G... aus zu sehen seien. Ort der Leistung sei die streitgegenständliche Liegenschaft und nicht der untergeordnete Ökonomiebetrieb auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitsstands wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsakten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Anders als das Verwaltungsgericht kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die angegriffene Allgemeinverfügung der Beklagten, mit der die Anschrift des Klägers geändert worden ist, nicht gegen dessen Rechte im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO verstößt.
Die Maßnahme findet ihre allgemeine rechtliche Grundlage als Organisationsmaßnahme im Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung in § 2 Abs. 1 der Gemeindeordnung GemO ; zu den dort bezeichneten ?öffentlichen Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft? zählen auch die Vergabe von Straßennamen und die Zuteilung von Hausnummern. Nach § 126 Abs. 3 Baugesetzbuch BauGB haben die Eigentümer von Grundstücken diese mit der von der Gemeinde festgesetzten Nummer zu versehen. Ggf. ist diese Pflicht ortspolizeibehördlich durchzusetzen.
Die dieser Pflicht zugrunde liegende gemeindliche Organisationsmaßnahme ist zwar nach ständiger Rechtsprechung ein sog. dinglicher Verwaltungsakt, der für sich genommen nicht auf eine Belastung oder Begünstigung Dritter zielt und gleichsam adressatlos ist (vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 19. Februar 1988, Bay.VwBl 1988, 496). Ein Anlieger kann indessen gegenüber einer solchen Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 2. Alternative Verwaltungsverfahrensgesetz geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein, wenn die Gemeinde ihm gegenüber ihr planerisches Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (vgl. dazu auch Senat, Urteil vom 4. August 1981, 7 A 37/81, Gemeinde- und Städtebund 1981, 171; VGH Baden Württemberg, NJW 1979, 1670; VGH Kassel, NVwZ 1983, 551).
Einen solchen Ermessensfehler vermag der Kläger indessen entgegen der Auffassung der Vorinstanz hier nicht aufzuzeigen. Das von der Beklagten allgemein verfolgte Konzept der Neuordnung von Anschriften und Hausnummern beruht auf einem sachgerechten Ansatz, soweit darauf abgestellt wird, dass die Entwicklung der baulichen Verhältnisse verschiedentlich zu einer zu engen Hausnummernvergabe geführt hat, die die Übersichtlichkeit erschwert und das Auffinden der Anwesen, insbesondere auch im Notfall behindern kann. In diesem Ansatz liegt als Ordnungsvorstellung unausgesprochen zugleich inbegriffen, dass die Zuordnung bei der Neuorganisation auf Fehler in dem Sinne überprüft wird, ob die Zuordnung in der Erschließungsstraße überhaupt plausibel erscheint. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinde insoweit wie im vorliegenden Fall Fehler korrigiert und darauf aufbauend ihre Neuordnung gründet und fortschreibt. Die Zuordnung des Anwesens des Klägers zur G... war insoweit gemessen an den konzeptionellen Ordnungsvorstellungen bei der Zuordnung der Anschriften fehlerhaft, da seit der Baugenehmigung eine Erschließung lediglich zur Gemeindestraße A... möglich war, aufgrund der Vorbehalte der Straßenverwaltung indessen nicht zu der G..., die eine klassifizierte Straße darstellt und seinerzeit am Anwesen des Klägers noch außerhalb der geschlossenen Ortslage verlief.
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Ermessensentscheidung liegt hier entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht im Zeitpunkt des Abschlusses des Widerspruchsverfahrens, so dass es nicht darauf ankommt, zu beurteilen, ob die Beibehaltung der alten Adresse verlangt werden könnte, wenn die Erschließung des Grundstücks sowohl von der G.... wie auch von der Straße A... her erfolgte. Bei dieser Fallgestaltung hätte allerdings die Auffassung des Verwaltungsgerichts einiges für sich, weil nämlich bei einer gleichwertigen Ordnungslösung dem Gesichtspunkt besonders Rechnung zu tragen wäre, dass bei der Umstellung für den Anlieger erhebliche faktische Nachteile eintreten (vgl. dazu auch Senat, a.a.O.). Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens bei der Gemeinde schon deshalb abgestellt werden müsste, weil die Maßnahme den Charakter einer Allgemeinverfügung hat, die auch anderen Anliegern gegenüber Wirkungen zeitigt, soweit sie von diesen nicht angegriffen wird. Im Hinblick auf die Ausübung des gemeindlichen Ermessens ist das Verwaltungsverfahren nämlich schon mit der Bekanntmachung der Verfügung abgeschlossen, weil nach § 6 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) Verwaltungsakte, die von einer Gemeindeverwaltung in Selbstverwaltungsangelegenheiten erlassen worden sind, vom Rechtsausschuss nur auf ihre Rechtmäßigkeit hin nachgeprüft werden. Dies bedeutet gleichzeitig, dass das Widerspruchsverfahren nicht mehr der Ausübung des planerischen Ermessens offen steht. Es muss daher hier auf die Verhältnisse abgestellt werden, wie sie sich zum Zeitpunkt der Entscheidung der Gemeinde darstellten. Zu jenem Zeitpunkt indessen lag eine Erlaubnis der Straßenverwaltung für den Zugang zur G... noch nicht vor und war ein solcher Zugang auch noch nicht angelegt.
War die Ordnungsmaßnahme der Gemeinde daher sachgerecht, so sind auch die den Anliegern durch die Notwendigkeit der Umbenennung verursachten faktischen Nachteile in aller Regel gerechtfertigt, namentlich wenn eine Neuordnung nach so langer Zeit erfolgt, wie dies hier der Fall ist. Der Anlieger muss mit einer Aktualisierung seiner Pflichtenstellung nach so langer Zeit rechnen, wenn sich für die Neuordnung die angeführten sachlichen Gesichtspunkte ergeben. Auch das Ausmaß der Umstellungsfolgen ist vorliegend nicht derart gravierend, dass die Gemeinde darauf hätte besonders Rücksicht nehmen müssen. Der Aufwand für einen Gewerbetreibenden für die Umstellung seiner Geschäftspapiere (Beschriftungen etc.) und die Information seiner Kunden liegt noch im Rahmen des insoweit Typischen und Zumutbaren. Soweit der Kläger wegen der neu eingetretenen Zugangsverhältnisse eine Abhilfe erstreben sollte, steht der Durchsetzbarkeit eines Anspruchs entgegen, dass die Gemeinde sich auf die Folgewirkungen für eine Änderungsmaßnahme berufen kann, weil sich andere Betroffene auf eine so kurz nach der Maßnahme erfolgte Änderung nicht einzulassen brauchten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die zur Vollstreckbarkeit wegen der Kosten auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
...
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 4.000,-- ? festgesetzt (§§ 14, 13 Abs. 1 GKG a.F.).