22.08.2014 · IWW-Abrufnummer 172004
Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 26.02.2014 – 18 Sa 825/13
Arbeiten im Schiffsbau werden von § 1 Abs. 2 Abschn. I bis IV VTV-Bau nicht erfasst, eine Ausnahme bilden Dämm- (Isolier-) Arbeiten nach § 1 Abs. 1 Abschn. IV Nr. 3 VTV-Bau.
Schiffe sind keine Bauwerke im Sinne des VTV-Bau (vgl. BAG 27.11.1963 - 4 AZR 286/62).
Tenor: Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. Januar 2013 - 1 Ca 135/12 - abgeändert. Die Klage wird - soweit die Berufung nicht zurückgenommen wurde - abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 61%, der Beklagte 39% zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand: Die Parteien streiten in der Berufung noch um die Beitragspflicht des Beklagten nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes für die Jahre 2008 und 2009. Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes (Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe [BRTV-Bau], Tarifvertrag für das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe [VTV]) insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütungen zu sichern. Zu diesem Zweck haben die den Bautarifverträgen unterfallenden Arbeitgeber monatliche Beiträge in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Bruttolohnsumme der beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer an den Kläger zu zahlen. Der Beklagte unterhält in A/B seit 1999 einen Betrieb. Bei der Handwerkskammer der Stadt A meldete er mit Wirkung ab 09. November 2006 als ausgeübte Tätigkeiten an: "Dienstleistungen aller Art wie Entrümpelungen, Umzüge, Kurierfahrten (keine handwerksrollenpflichtige Tätigkeiten), Bautentrocknung, Bodenleger, Einbau von genormten Baufertigteilen, Trockenbau" (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 15. November 2012, Bl. 39 d.A.). In das ihm durch den Kläger übersandte Formular "Stammblatt" trug der Beklagte am 29. Oktober 2006 "Trockenbau" als betriebliche Tätigkeit ein (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 15. November 2012, Bl. 38 d.A.). Der Kläger hat den Beklagten auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 [VTV] ursprünglich durch Mahnbescheid auf Beiträge wegen der wiederkehrenden Beschäftigung gewerblicher Arbeitnehmer in einer Zeitspanne von Dezember 2006 bis November 2009 in Anspruch genommen. Zwischen den Parteien besteht nach einer teilweisen Rücknahme der Berufung durch den Beklagten kein Streit mehr darüber, dass dieser in den Kalenderjahren 2006 und 2007 - soweit er gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigte - mit seinem Betrieb dem VTV unterlag. Dafür hat der Kläger Beiträge in Höhe von 2.764,80 EUR gefordert (vgl. Sitzungsniederschrift Bl. 153 d.A.). Im Jahr 2008 beschäftigte der Beklagte insgesamt 4 Arbeitnehmer. Davon setzte er die Arbeitnehmer C und D auf der E in folgendem Umfang ein: Stunden/Monat|C|D April|64| Mai|130| Juni|132,5| Juli|132| August|104| September|153,5|116,5 Oktober|109|116,5 November|112|116,5 Summe|937|349,5 Im Berufungsverfahren ist unstreitig geworden, dass diese Arbeitnehmer Hilfsarbeiten im Schiffsbau an und auf Schiffen ausführten. Sie erledigten allgemeine Besorgungen, richteten Baustellen ein, verteilten Material und verrichteten Hilfstätigkeiten bei Schweißarbeiten. Außerdem beschäftigte der Beklagte 2008 die Arbeitnehmer F und G in folgendem Umfang mit Entrümpelungsarbeiten: Stunden/Monat|F|G August|37,5|37,5 September|87,5|87,5 Oktober|30| Summe|155|125 Im Kalenderjahr 2009 beschäftigte der Beklagte nur den Arbeitnehmer D, den er ausschließlich auf der E einsetzte. Seine Aufgaben waren die Einrichtung von Baustellen, die Verteilung von Material auf den verschiedenen Decks sowie Helferarbeiten beim Schweißen und Spachtelarbeiten. Der Kläger hat - soweit für die Berufung noch erheblich - geltend gemacht, der Betrieb des Beklagten unterfalle dem VTV. Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 7.162,79 EUR zu zahlen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beklagte hat behauptet, in seinem Betrieb hätten baufremde Tätigkeiten überwogen. Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 15. Januar 2013 in vollem Umfang stattgegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten der Entscheidung sowie wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 66-79 d.A.) Bezug genommen. Gegen dieses Urteil, welches ihm am 13. Juni 2013 zugestellt worden ist, hat der Beklagte mit am 09. Juli 2013 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingereichtem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 13. August 2013 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz begründet. Der Beklagte wiederholt für die Kalenderjahre 2008 und 2009 seinen Vortrag aus erster Instanz. Er macht geltend, dass Arbeiten auf und an Schiffen nicht vom VTV erfasst würden. Außerdem behauptet er, die Entrümpelungsarbeiten der Arbeitnehmer F und G seien nicht in Zusammenhang mit Trockenbauarbeiten erfolgt. Der Beklagte beantragt zuletzt, das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. Januar 2013 - 1 Ca 135/12 - teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Berufung in Bezug auf Beitragsforderungen für die Kalenderjahre 2006 und 2007 nicht zurückgenommen wurde. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil. Er vertritt die Rechtsaufassung, dass die von dem Beklagten geschilderten Tätigkeiten seiner Arbeitnehmer im Schiffsbau auf der E von dem VTV erfasst würden. Er behauptet, die Arbeitnehmer F und G hätten die Entrümpelungsarbeiten in Zusammenhang und zur Vorbereitung von Trockenbauarbeiten ausgeführt. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf das Protokoll der Verhandlung vom 26. Februar 2014 (Sitzungsniederschrift Bl. 153 d.A.) Bezug genommen. Entscheidungsgründe: Die gem. §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 b ArbGG) keinerlei Bedenken. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Berufung hat in dem Umfang, in welchem sie noch aufrechterhalten wurde, Erfolg. Der Beklagte war in den Jahren 2008 und 2009 nicht zur Zahlung von Beiträgen nach § 18 VTV verpflichtet. 1. Für die Frage, ob der Beklagte 2008 und 2009 einen Betrieb unterhalten hat, welcher nach § 1 Abs. 2 VTV iVm. § 5 Abs. 4 TVG dem Geltungsbereich des Sozialkassentarifvertrages für das Baugewerbe unterfiel, kommt es darauf an, ob seine Arbeitnehmer in diesen Kalenderjahren arbeitszeitlich überwiegend von dem Tarifvertrag erfasste Tätigkeiten verrichtet haben. Dabei ist nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst, aber auch nicht auf handels- und gewerberechtliche Kriterien abzustellen, sondern auf die Arbeitszeit der Arbeitnehmer (BAG Urteil vom 19. Juli 2000 - 10 AZR 918/98 - AP Nr. 232 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Ein Betrieb ist dann dem Baugewerbe im tariflichen Sinne zuzuordnen, wenn seine betrieblichen Tätigkeiten entweder in den Einzelaufstellungen (§ 1 Abs. 2 Abschn. IV und Abschn. V) genannt sind oder unter die allgemeinen Bestimmungen der Abschn. I bis III des § 1 Abs. 2 VTV fallen. 2. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, obliegt der klagenden Urlaubskasse. Der Sachvortrag des Klägers ist schlüssig, wenn er Tatsachen vorträgt, die den Schluss zulassen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst. Dazu gehört neben der Darlegung von Arbeiten, die sich § 1 Abs. 2 VTV zuordnen lassen, auch die Darlegung, dass diese Tätigkeiten insgesamt arbeitszeitlich überwiegen. Nach diesem Maßstab ist die Klage unbegründet. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die Tätigkeiten der Arbeitnehmer in der E § 1 Abs. 2 VTV unterfielen. a) Die von dem Beklagten geschilderten und durch den Kläger nicht bestrittenen Tätigkeiten der Arbeitnehmer C und D werden nicht von einer der in nach § 1 Abs. 2 Abschn. IV VTV oder § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 1 bis Nr. 42 VTV genannten Regelbeispiele erfasst. Nach § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 3 VTV fallen bestimmte Arbeiten auch dann in den tariflichen Geltungsbereich, wenn sie an Wasserfahrzeugen, d.h. Schiffen, oder Land- bzw. Luftfahrzeugen ausgeführt werden. Es muss sich dabei aber um technische Dämm- (Isolier-)Arbeiten handeln. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass solche Arbeiten von den Arbeitnehmern des Beklagten ausgeführt wurden. In Bezug auf die in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 1 bis Nr. 42 VTV bestimmten Regelbeispiele darf ausdrücklich offen bleiben, ob ihre Ausübung auch dann zur Tarifunterworfenheit führen, wenn sie zeitlich überwiegend an Schiffen und nicht an Bauwerken ausgeführt werden. Die Voraussetzungen eines Regelbeispiels sind nicht erfüllt. Der Kläger hat nicht behauptet, dass die Arbeitnehmer des Beklagten 2008 und 2009 zu mehr als 50% ihrer Arbeitszeit z.B. Trockenbauarbeiten (Nr. 37) beim Innenausbau von Schiffen erledigten. b) Die Arbeiten werden auch nicht von § 1 Abs. 2 Abschn. I bis III VTV erfasst, denn Schiffe sind keine Bauwerke. Abschn. I bis III setzen voraus, dass Bauten erstellt werden bzw. bauliche Leistungen erbracht werden, die der Erstellung, Instandsetzung Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Außerdem wird erfasst, dass sonstige bauliche Leistungen erbracht werden. Ein Bauwerk ist eine mit dem Erdboden verbundene oder infolge ihrer eigenen Schwere auf ihm ruhende, aus Baustoffen oder Bauteilen mit baulichem Gerät gestellte Anlage (BAG Urteil vom 28. Mai 2008 - 10 AZR 358/07 - NZA-RR 2008, 639; BAG Urteil vom 16. Juni 1982 - 4 AZR 827/79 - veröffentlicht in [...]). Ein Schiff ist danach kein Bauwerk. Es zählt auch nicht zu den "Bauten" im Tarifsinne (Abschn. I). Die Tätigkeiten im Schiffsbau können außerdem nicht als "sonstige bauliche Leistungen" iSd § 1 Abs. 2 Abschn. III VTV qualifiziert werden. Die Begriffe "Bauten" und "bauliche Leistungen" sind nicht im weitesten Wortsinne auszulegen, sondern erstrecken sich nur auf den mit der Erde verbundenen bzw. auf ihm ruhenden Bau. Der Großgewerbezweig "Baugewerbe" ist nach Sprachgebrauch und herkömmlicher Bedeutung ein Begriff, der den Schiffsbau nicht einschließt (vgl. BAG Urteil vom 27. November 1963 - 4 AZR 286/62 - AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Hierfür ist auch die Regelung in § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 3, 2. Halbs. VTV anzuführen. Würden Schiffe (Wasserfahrzeuge) von einem extensiven Bauwerksbegriff erfasst, wäre die Bestimmung nicht notwendig, da Dämm- (Isolier-) Arbeiten auch in Abschn. V Nr. 9 VTV als Regelbeispiel angeführt sind. Die Regelung in § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 3 VTV ist auch nicht verallgemeinerungsfähig, sondern als Ausnahme zu verstehen. Sie erweitert nicht nur den Anwendungsbereich für das Isoliergewerbe um Arbeiten an Anlagen (1. Halbs., vgl. BAG Urteil vom 15. Juni 2011 - 10 AZR 861/09 - AP Nr. 334 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau), sondern scheint auch als Reaktion der Tarifpartner auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27. November 1963 (- 4 AZR 286/62 - AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) in den oder die vorhergehenden Tarifverträge zum Sozialkassenverfahren aufgenommen und seitdem beibehalten worden zu sein. Das Bundesarbeitsgericht hatte die Geltung verschiedener Tarifverträge des Baugewerbes für ein Unternehmen abgelehnt, welches Feuerschutz-, Schall- und Wärmeisolierungen ausführte, jedoch zu ca. 90% im Schiffs- und Waggonbau, nicht an Bauwerken. Eine Geltung des VTV für Arbeiten an Schiffen, Fahrzeugen und Flugzeugen nach § 1 Abs. 2 Abschn. I bis Abschn. IV ist danach ausgeschlossen, wenn es sich bei den ausgeführten Tätigkeiten nicht um die in Nr. 3 angeführten technischen Dämm- (Isolier-)Arbeiten handelt. Damit ist unerheblich, dass beim Bau oder der Überholung eines Schiffs auf einer Werft auch eine "Baustelle" einzurichten ist und Helfertätigkeiten anfallen. Die "Baustelle" ist eine des Schiffsbaus, auf ihr wird kein "Bauwerk" iSd. VTV errichtet. 3. Es braucht danach nicht entschieden zu werden, ob die Entrümpelungsarbeiten, welche 2008 durch die Arbeitnehmer F und G ausgeführt wurden, als Trocken- und Montagebauarbeiten zu qualifizieren sind oder von § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV erfasst wurden. Die von diesen Arbeitnehmern insgesamt geleisteten 280 Stunden überwiegen nicht gegenüber der auf der E angefallenen Arbeitszeit, dies waren 1.286,5 Stunden. Im Jahr 2009 hatte der Beklagte nur einen Arbeitnehmer, der ausschließlich auf der Werft arbeitete. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Eine Zulassung der Revision ist nach dem Maßstab des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht geboten.