10.02.2015 · IWW-Abrufnummer 174730
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 11.12.2014 – 5 Sa 497/14
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 31. Juli 2014, Az. 10 Ca 602/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von insgesamt neun Arbeitgeberkündigungen; drei fristlosen Kündigungen vom 23.01.2014, drei (hilfsweise) ordentlichen Kündigungen vom 23.01.2014 und drei ordentlichen Kündigungen vom 06.03.2014. Damit im Zusammenhang macht der Kläger Annahmeverzugslohn und seine Weiterbeschäftigung geltend.
Der 1958 geborene Kläger ist seit 01.07.2011 bei der Beklagten als Head of Sales Germany zu einem Bruttomonatsgehalt von € 10.600,- beschäftigt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, einen jährlichen Bonus von € 11.000,- zu erhalten. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in N. 410 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.
Vom 23.12.2013 bis 01.01.2014 war über die Feiertage Betriebsruhe. Mit drei gesonderten Schreiben vom 17.01.2014 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu drei beabsichtigten außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigungen des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Sie informierte den Betriebsrat über -zusammengefasst - drei Kündigungsgründe:
1. "Spesenbetrug vier Hotelrechnungen"Der Kläger habe in seinen Reisekostenabrechnungen im Jahr 2013 vier Hotelrechnungen (vom 05.02., 22.05., 09.08. und 20.08.2013) in einer Gesamthöhe von € 359,70 zur Erstattung geltend gemacht, obwohl diese Rechnungen bereits im Voraus über die Firmenkreditkarte beglichen worden seien. Er habe damit einen Reisekostenbetrug begangen. Der Kläger sei am 13.01.2014 von der Personalleiterin und dem Leiter Business Unit (BU-Leiter) zu den Vorfällen befragt und angehört worden.
2. "Verdacht des Spesenbetrugs vier Hotelrechnungen"Das Verhalten des Klägers begründe den dringenden Verdacht auf einen Reisekostenbetrug in vier Fällen. Er sei am 13.01.2014 von der Personalleiterin und dem BU-Leiter zu den Vorfällen befragt und angehört worden.
3. "Täuschung über einen Urlaubstag"Der Kläger habe im Rahmen der Abstimmung seines Urlaubskontos für das Jahr 2013 wahrheitswidrig behauptet, dass er am 12.02.2013 keinen Urlaub gehabt habe, obwohl die Überprüfung der Verbindungsnachweise seines Mobiltelefons ergeben habe, dass er in Österreich gewesen sei. Er habe damit versucht, die Firma über die Höhe seiner Urlaubsansprüche zu täuschen.
Der Betriebsrat nahm mit drei Schreiben vom 20.01.2014 zu den drei beabsichtigten außerordentlichen, fristlosen Kündigungen Stellung und meldete Bedenken an. Daraufhin kündigte die Beklagte mit drei Schreiben vom 23.01.2014, die dem Kläger am selben Tag zugegangen sind, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30.06.2014. Mit drei weiteren Schreiben vom 24.01.2014 widersprach der Betriebsrat den drei (beabsichtigten) ordentlichen Kündigungen der Beklagten, die diese bereits erklärt hatte. Mit drei Schreiben vom 06.03.2014, dem Kläger am 21.03.2014 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wegen derselben Sachverhalte ordentlich zum 30.06.2014, ohne eine erneute Anhörung des Betriebsrats durchzuführen.
Der Kläger wendet sich gegen sämtliche Kündigungen mit seiner am 11.02.2014 erhobenen und am 09.04.2014 erweiterten Klage. Außerdem macht er Annahmeverzugslohn für die Zeit von Februar bis Juni 2014 und seine Weiterbeschäftigung geltend. Über den Bonusanspruch für 2013 iHv. € 11.000,- brutto streiten die Parteien zweitinstanzlich nicht mehr.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 31.07.2014 (dort Seite 2 bis 8) Bezug genommen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Das Arbeitsgericht hat der Klage - bis auf einen Teilbetrag iHv. € 1.400,- - stattgegeben. Die drei außerordentlichen Kündigungen vom 23.01.2014 seien unwirksam, weil die Beklagte die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten habe. Die drei ordentlichen Kündigungen vom 23.01.2014 seien unwirksam, weil sie die Beklagte bereits vor Ablauf der dem Betriebsrat eingeräumten Äußerungsfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG ausgesprochen habe. Die drei ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 06.03.2014 seien gem. § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam, weil die notwendige erneute Anhörung des Betriebsrats unterblieben sei. Da das Arbeitsverhältnis fortbestehe, könne der Kläger seine Weiterbeschäftigung und Annahmeverzugslohn iHv. € 53.000,- brutto (statt € 54.400,-) beanspruchen. Außerdem hat das Arbeitsgericht (Ziff. 5 des Tenors) dem Kläger einen Bonus für 2013 iHv. € 11.000,- brutto zugesprochen. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 8 bis 15 des erstinstanzlichen Urteils vom 31.07.2014 Bezug genommen.
Gegen das am 15.08.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 22.08.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz teilweise Berufung eingelegt und diese mit am 15.09.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet. Gegen die Verurteilung zur Zahlung des Bonus 2013 (Ziff. 5 des Tenors) richtet sich die Berufung nicht.
Die Beklagte macht zur Begründung der Berufung geltend, die drei fristlosen Kündigungen vom 23.01.2014 seien wirksam. Sie habe zu den Kündigungsgründen "Spesenbetrug vier Hotelrechnungen" bzw. "Verdacht des Spesenbetrugs vier Hotelrechnungen" die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt, denn die Frist habe frühestens am 13.01.2014 zu laufen begonnen. Kündigungsberechtigt seien ihre Geschäftsführer. Die einzige Person, die aufgrund ihrer Position und Kenntnisse in der Lage sei, zu klären, ob ein kündigungsrelevanter Sachverhalt vorliege, sei die Personalleiterin (Frau H.). Die Kenntnis der Bereichssekretärin (Frau St.) oder der Buchhalterin (Frau P.) sei unbeachtlich. Auch die Kenntnis des unmittelbaren Vorgesetzten des Klägers (Herrn T.) oder des BU-Leiters (Herrn Dr. M.) müsse sie sich nicht zurechnen lassen. Die beiden Herren seien dem Kläger zwar organisatorisch vorgesetzt, allerdings nicht für arbeitsrechtliche Maßnahmen, insb. Sanktionen, zuständig. Der E-Mail vom 12.12.2013, die von der Buchhalterin an die Bereichssekretärin versandt worden sei, lasse sich entnehmen, dass von diesen Mitarbeiterinnen die maßgeblichen Hotelabrechnungen herausgefunden worden seien. Die Personalleiterin sei erstmals am 19.12.2013, um 12:50 Uhr vom BU-Leiter per E-Mail über den Vorgang informiert worden. Sie habe mit ihm die weitere Vorgehensweise erörtert und sich darauf verständigt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, sondern zu recherchieren. Deshalb habe die Personalleiterin den Leiter des Controllings (Herrn H.) beauftragt, die Firmenkreditkarte für die Jahre 2012 und 2013 vollständig zu prüfen und alle Hotelrechnungen abzugleichen. In diese Prüfung habe er auch die Tankkarte des Klägers und die Handyrechnungen einbeziehen sollen. Gleichzeitig habe die Personalleiterin den Betriebsratsvorsitzenden über die Vorgehensweise informiert. Allein wegen der Feiertage und der Betriebsruhe sei eine kurzfristige Erledigung nicht möglich gewesen. Der Leiter des Controllings habe die Personalleiterin am 09.01.2014 über das (befundlose) Ergebnis seiner weiteren Prüfung unterrichtet. Am 13.01.2013 habe sich die Personalleiterin abschließend mit dem BU-Leiter besprochen, danach sei die Anhörung des Klägers erfolgt.
Auch zum dritten Kündigungsgrund "Täuschung über einen Urlaubstag" habe sie die Zwei-Wochen-Frist gewahrt. Von diesem Sachverhalt sei die Personalleiterin vom unmittelbaren Vorgesetzten des Klägers durch Schreiben vom 17.01.2014, 14:12 Uhr, informiert worden.
Die drei ordentlichen Kündigungen vom 06.03.2014 seien wirksam. Sie habe den Betriebsrat mit Schreiben vom 17.01.2014 ordnungsgemäß angehört. Durch den Ausspruch der drei hilfsweise ordentlichen Kündigungen vom 23.01.2014 sei die Betriebsratsanhörung nicht "verbraucht" worden, weil die Wochenfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Sie habe in der Folge keinen neuen Kündigungsentschluss gefasst, sondern lediglich auf der Basis des am 24.01.2014 abgeschlossenen Anhörungsverfahrens die ordentlichen Kündigungen wiederholt. Eine Wiederholung der Anhörungen wäre bei diesem Sachverhalt lediglich eine sinnentleerte "Förmelei" gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 10.09.2014 und vom 05.11.2014 Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
Der Kläger beantragt,
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 24.10.2014 und des Schriftsatzes vom 18.11.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Die Beklagte habe zu den Kündigungsgründen "Spesenbetrug vier Hotelrechnungen" bzw. "Verdacht des Spesenbetrugs" die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Die Beklagte müsse sich die Kenntnis des BU-Leiters zurechnen lassen, der bereits am 12.12.2013 von der Buchhalterin informiert worden sei. Die Beklagte habe in ihrer Berufungsbegründung zugegeben, dass die Personalleiterin bereits am 19.12.2013 vom BU-Leiter über den Sachverhalt unterrichtet worden sei. Es sei unerheblich, ob sich diese Personen am 19.12.2013 entschlossen haben, weiter zu recherchieren, denn der Prüfungsauftrag an den Leiter des Controllings habe sich nicht auf die Sachverhalte bezogen, auf die die Beklagte ihre drei fristlosen Kündigungen stütze. Der Controller sei vielmehr beauftragt worden, nach weiteren Vertragsverstößen zu forschen. Dieser Prüfauftrag sei für den Kündigungsentschluss unerheblich gewesen, weil die Beklagte das Arbeitsverhältnis gekündigt habe, obwohl die Ermittlungen keine weiteren Verdachtsmomente erbracht haben. Damit sei der Kenntnisstand vom 19.12.2013 für die Beklagte ausreichend gewesen, um den aus ihrer Sicht bestehenden Vertrauensverlust als Grundlage der fristlosen Kündigungen zu bejahen. Mit Beauftragung zusätzlicher Ermittlungen könne der Arbeitgeber die Zwei-Wochen-Frist nicht beliebig verlängern. Durch die am 13.01.2014 mit ihm durchgeführte Besprechung sei die Zwei-Wochen-Frist nicht gehemmt worden. Der Betrieb habe vom 21.12.2013 bis zum 01.01.2014 geruht. Am 20.12.2013 sei (unstreitig) noch gearbeitet worden. Es sei daher möglich gewesen, ihn am 19. oder am 20.12.2013 zu den Vorwürfen anzuhören. Nach den Feiertagen habe er ab dem 06.01.2014 wieder gearbeitet. Wenn sich die Beklagte zwischen der vollständigen Klärung des Sachverhalts am 19.12.2013 und der Besprechung mit ihm am 13.01.2014 fast vier Wochen Zeit lasse, werde die Frist nicht gehemmt. Darüber hinaus habe es sich bei der Besprechung vom 13.01.2014 um keine Anhörung iSd. § 626 BGB gehandelt. Er sei zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden, dass die Besprechung im Zusammenhang mit einer möglichen fristlosen oder fristgerechten Kündigung stehe. Vielmehr habe der BU-Leiter am Morgen des 13.01.2014 einen Termin für 16:00 Uhr zum Thema Spesenabrechnung in Outlook eingestellt.
Zum Kündigungsgrund "Täuschung über einen Urlaubstag" behaupte die Beklagte, dass die Personalleiterin über diesen Sachverhalt erst durch E-Mail seines Vorgesetzten (Herrn T.) vom 17.01.2014 informiert worden sei. Ausweislich der Anlage B7 habe die Zeugin dessen E-Mail am 17.01.2014, um 14:12 Uhr, erhalten. Zu diesem Zeitpunkt sei die Betriebsratsanhörung bereits eingeleitet gewesen, weil der Betriebsrat am 17.01.2014, vor 14:00 Uhr, durch die Personalleiterin unterrichtet worden sei. Bei der Besprechung vom 13.01.2014 sei über den angeblich erschlichenen Urlaubstag überhaupt nicht geredet worden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und inhaltlich ausreichend begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Kündigungsschutzklagen gegen die insgesamt neun Kündigungen der Beklagten zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist weder durch die drei fristlosen Kündigungen vom 23.01.2014 noch durch die drei hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen vom 23.01.2014 noch durch die drei ordentlichen Kündigungen vom 06.03.2014 aufgelöst worden. Der Kläger kann deshalb seine Weiterbeschäftigung und den geltend gemachten Annahmeverzugslohn für die Monate Februar bis Juni 2014 beanspruchen.
Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und sorgfältigen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen der Beklagten veranlasst lediglich folgende Ausführungen:
1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die drei außerordentlichen Kündigungen vom 23.01.2014 unwirksam sind, weil die Beklagte die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten hat.
a) Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen. Bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie auch überschritten werden. Unerheblich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht (vgl. BAG 20.03.2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 14 mwN, NZA 2014, 1015 [BAG 20.03.2014 - 2 AZR 1037/12]).
Für eine Kündigung, die wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ausgesprochen wird, gelten mit Blick auf § 626 Abs. 2 BGB grundsätzlich dieselben Erwägungen wie für eine Kündigung wegen einer als erwiesen angesehenen Straftat (vgl. BAG 22.11.2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 33 mwN, NZA 2013, 665 [BAG 22.11.2012 - 2 AZR 732/11]).
b) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB für keinen Kündigungssachverhalt gewahrt.
aa) Zu den Kündigungssachverhalten "Spesenbetrug vier Hotelrechnungen" bzw. "Verdacht des Spesenbetrugs vier Hotelrechnungen" hat die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB spätestens mit dem auf den 19.12.2013 folgenden Tag zu laufen begonnen. Am 19.12.2013 ist die Personalleiterin, deren Kenntnis sich die Beklagte aufgrund ihrer Stellung im Betrieb zurechnen lassen muss, vom BU-Leiter über die Feststellung der Buchhalterin unterrichtet worden, dass der Kläger im Jahr 2013 bei seinen Reisekostenabrechnungen insgesamt vier Hotelrechnungen über einen Gesamtbetrag iHv. € 359,70 geltend gemacht hat, die bereits im Voraus über die Firmenkreditkarte bezahlt worden waren. Dem BU-Leiter selbst ist am 19.12.2013 von der Bereichssekretärin eine E-Mail der Buchhalterin vom 12.12.2013 zugeleitet worden, die folgenden Wortlaut hat:
Die Personalleiterin war damit am 19.12.2013 in der Lage, sich ein Bild darüber zu machen, ob der von der Buchhalterin in ihrer E-Mail vom 12.12.2013 aufgeführte Sachverhalt Grundlage für die Überzeugung sein konnte, es bestehe der "dringende Verdacht auf Reisekostenbetrug in vier Fällen" bzw. der Kläger habe "in vier Fällen einen Reisekostenbetrug" begangen. Um auf diesen Sachverhalt eine fristlose - sowohl auf einen bloßen Tatverdacht als auch den Tatvorwurf - gestützte Kündigung zu stützen, bedurfte es keiner weiteren Aufklärung.
Die Personalleiterin hat diesen Sachverhalt (vier Hotelrechnungen vom 05.02., 22.05., 09.08 und 20.08.2013 über € 359,70, die bereits mit der Firmenkreditkarte bezahlt worden waren) auch nicht weiter aufgeklärt. Ihre Anweisung an den Leiter des Controllings bezog sich vielmehr darauf, die Firmenkreditkarte für die Jahre 2012 und 2013 vollständig zu prüfen und mit allen Hotelrechnungen abzugleichen. Außerdem sollte der Leiter des Controllings auch die Tankkarte des Klägers und die Handyrechnungen prüfen. Die Personalleiterin hat mit diesem Prüfauftrag noch nach weiteren Kündigungsgründen "gesucht", die sie ggf. zum Anlass genommen hätte, noch weitere Kündigungen zu erklären. Der Kündigungssachverhalt selbst war bekannt und ausermittelt.
Die Beklagte war zwar verpflichtet, den Kläger vor Ausspruch der Verdachtskündigung anzuhören, weil die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist (vgl. BAG 20.03.2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 23, aaO). Es lag auch in ihrem pflichtgemäßen Ermessen, dem Kläger vor Ausspruch der Tatkündigung Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Anschuldigungen zu geben. Weshalb seit dem 19.12.2014, dem Tag der fristauslösenden Kenntniserlangung durch die Personalleiterin, bis zur Anhörung des Klägers am 13.01.2014 über drei Wochen, bis zur Anhörung des Betriebsrats am 17.01.2014 über vier Wochen und bis zur Zustellung der Kündigungen am 23.01.2014 fünf Wochen vergingen, ist nicht nachvollziehbar.
Zwar kann die Betriebsruhe über Weihnachten - hier vom 23.12.2013 bis 01.01.2014 - ein Umstand sein, der für die Anhörung des Arbeitnehmers ein Überschreiten der Regelfrist von einer Woche rechtfertigt. Vorliegend kommt hinzu, dass der Kläger vom 23.12.2013 bis einschließlich 03.01.2014 in Urlaub war. Der erste Arbeitstag des Klägers im neuen Jahr war allerdings am 06.01.2014. Es ist nichts dafür ersichtlich, weshalb die Beklagte seit der ersten Erlangung von Kenntnissen am 19.12.2013 noch bis zum 13.01.2014 zugewartet hat, um den Kläger anzuhören. Mit der Einladung vom 13.01.2014 zu einem Anhörungstermin am selben Tag ging die Beklagte nicht mit der gebotenen Eile vor. Der Kläger war ab 06.01.2014 wieder im Betrieb. Der Beklagten ist vorzuhalten, dass sie noch eine Woche abwartete, um den Kläger am 13.01.2014 zu einem Gespräch einzuladen, das noch am selben Tag stattfand.
Durch die Betriebsruhe über Weihnachten/Neujahr und den Urlaub des Klägers war der Beginn der Ausschlussfrist nach den vorliegenden Umständen allenfalls bis zum 06.01.2014 gehemmt. Die Beklagte hätte den Kläger bei der gebotenen Eile noch an diesem Tag oder am Folgetag anhören können und müssen. Die Anhörung des Klägers erst am 13.01.2014 war verspätet und nicht geeignet, den Ablauf der Zwei-Wochen-Frist bis zum Zugang der Kündigungen am 23.01.2014 hinauszuschieben.
bb) Zum Kündigungssachverhalt "Täuschung über einen Urlaubstag" hat der Kläger bereits erstinstanzlich die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist bestritten und hierzu vorgetragen, dass die "Abstimmung des Urlaubskontos 2013" bereits im Oktober 2013 durch seinen unmittelbaren Vorgesetzten (Herrn T.) durchgeführt worden sei. Er habe sich geweigert, für den 12.02.2013 nachträglich einen neuen Urlaubsantrag zu unterzeichnen, weil er bereits für den 11. und 12.02.2013 einen unterschriebenen Urlaubsantrag eingereicht habe, der ihm auch bewilligt worden seien. Auf diesen erheblichen Vortrag des Klägers ist die Beklagte erstinstanzlich nicht eingegangen. Sie behauptete unter Benennung derselben als Zeugin vielmehr pauschal, ihre Personalleiterin sei am 09.01.2014 über den Sachstand informiert worden. Mit diesem Vortrag hat die Beklagte ihre Darlegungspflicht nicht ansatzweise erfüllt, denn es genügt nicht, wenn der Kündigende lediglich allgemein vorträgt, er kenne die Kündigungsgründe nicht länger als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung (vgl. BAG 01.02.2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 21, NZA 2007, 744 [BAG 01.02.2007 - 2 AZR 333/06]).
Die Beklagte behauptet in zweiter Instanz, die Personalleiterin sei erst am 17.01.2014, um 14:12 Uhr, vom unmittelbaren Vorgesetzten des Klägers (Herrn T.) per E-Mail vom genauen Sachverhalt unterrichtet worden. Es kann dahinstehen, ob der Vortrag des Klägers zutrifft, dass beim Empfang der E-Mail um 14:12 Uhr bereits die Unterrichtung des Betriebsrats durch die Personalleiterin erfolgt sei. Denn der Inhalt der E-Mail ist nicht geeignet, eine Kenntniserlangung durch die Personalleiterin am 17.01.2014 plausibel zu begründen. Die E-Mail beginnt mit dem Einleitungssatz:
und enthält folgenden Absatz:
Die Beklagte verschweigt, wann die eingangs der E-Mail erwähnte "Besprechung" stattgefunden hat. Auch der Absatz über die Kenntniserlangung durch den BU-Leiter und die Prüfung durch die Personalleiterin und den Betriebsrat legt nahe, dass die Personalleiterin, auf deren Kenntnis es ankommt, bereits vor dem 17.01.2014 über den Kündigungssachverhalt "Täuschung über einen Urlaubstag" Kenntnis erlangt hatte. Damit hat die Beklagte mit ihrem pauschalen Hinweis auf die E-Mail vom 17.01.2014 ihre Substantiierungspflicht nicht genügt.
c) Ob ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für eine Tat- oder Verdachtskündigung vorgelegen hat, kann dahinstehen. Dafür spricht wenig.
aa) Zwar verletzt ein Arbeitnehmer, der bei Spesenabrechnungen bewusst falsche Angaben macht oder deren Unrichtigkeit zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, in erheblicher Weise seine vertraglichen Pflichten. Unkorrektheiten können selbst dann geeignet sein, eine - ggf. außerordentliche - Kündigung zu rechtfertigen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall und einen geringen Erstattungsbetrag handelt. Jedoch ist bewusstes und damit vorsätzliches Handeln von der Erklärung versehentlich falscher Angaben zu unterscheiden (vgl. BAG 11.07.2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 22 mwN; LAG Rheinland-Pfalz 03.07.2014 - 2 Sa 556/13 - Rn. 22, 24, [...]).
Die Darlegungs- und Beweislast für einen "Spesenbetrug" oder den "dringenden Betrugsverdacht", dh. für das vorsätzliche Erstellen falscher Reisekostenabrechnungen in Täuschungs- und Bereicherungsabsicht, trägt der Arbeitgeber. Falsche Reisekostenabrechnungen beruhen nicht selten auf bloßer Nachlässigkeit oder Gedankenlosigkeit. Hier hat die Beklagte automatisch auf Vorsatz geschlossen, ohne überhaupt zu prüfen, ob ggf. ein Irrtum des Klägers vorlag, wofür nach dem Inhalt der E-Mail der Buchhalterin vom 12.12.2013 ausreichende Anhaltspunkte bestanden. Läge keine vorsätzliche, sondern (nur) eine fahrlässige Pflichtverletzung vor, könnte auf eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung nicht verzichtet werden (vgl. APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 278 mwN).
bb) Im Streitfall kann auch dahinstehen, ob der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe sie vorsätzlich über einen Urlaubstag am 12.02.2013 getäuscht, berechtigt ist. Dagegen spricht das substantiierte Vorbringen des Klägers, er habe zwei Tage Urlaub für den 11. und 12.02.2013 beantragt, der ihm genehmigt worden sei, deshalb habe er sich im Oktober 2013 geweigert, für den 12.02.2013 nachträglich einen Urlaubsantrag zu stellen. Soweit der Kläger bei der Beantragung des Urlaubs seine Vertragspflichten fahrlässig verletzt haben sollte, hätte die darin liegende Pflichtverletzung nicht das erforderliche Gewicht erreicht, um eine fristlose Kündigung, zumal ohne vorausgehende Abmahnung, zu rechtfertigen. Es bedarf deshalb auch keines Eingehens auf die Frage, ob die ohne Einwilligung des Klägers durchgeführte Kontrolle der Verbindungsdaten seines dienstlichen Mobiltelefons rechtmäßig war (§ 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG).
2. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die drei hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen vom 23.01.2014 unwirksam sind, weil sie die Beklagte vor Ablauf der dem Betriebsrat eingeräumten Äußerungsfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG ausgesprochen hat. Das stellt die Berufung nicht in Abrede.
Die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist mit der Anhörung des Betriebsrats am 17.01.2014 in Gang gesetzt und damit gem. § 187 Abs. 1 BGB iVm. § 188 Abs. 2 BGB am 24.01.2014 abgelaufen. Die Beklagte hat bereits vor Ablauf der Frist am 23.01.2014 gekündigt. Eine fristverkürzende abschließende Stellungnahme des Betriebsrats lag nicht vor, denn er hat sich in seinen drei ablehnenden Stellungnahmen vom 20.01.2014 ausdrücklich nur zu den drei beabsichtigten fristlosen Kündigungen erklärt. Die Beklagte hätte deshalb die für die drei ordentlichen Kündigungen maßgebliche Wochenfrist abwarten müssen.
3. Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die drei ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 06.03.2014 gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam sind, weil die notwendige erneute Anhörung des Betriebsrats unterblieben ist.
Entgegen der Ansicht der Berufung macht die zuvor erfolgte Anhörung des Betriebsrats vom 17.01.2014 zu den drei außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigungen vom 23.01.2014 eine erneute Anhörung nicht entbehrlich. Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG entfaltet nur für die Kündigung Wirksamkeit, für die es eingeleitet worden ist. Der Arbeitgeber hat demnach grundsätzlich für jede Kündigung ein Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG durchzuführen. Einer erneuten Anhörung des Betriebsrats bedarf es immer, wenn der Arbeitgeber - wie hier - bereits nach Anhörung des Betriebsrats eine Kündigung erklärt hat, dh., wenn die erste Kündigung dem Arbeitnehmer zugegangen ist und der Arbeitgeber damit seinen Kündigungswillen bereits verwirklicht hat und nunmehr eine neue (weitere) Kündigung aussprechen will. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf den gleichen Sachverhalt stützt. Dieses Gestaltungsrecht und die damit im Zusammenhang stehende Betriebsratsanhörung ist mit dem Zugang der Kündigungserklärung verbraucht (so ausdrücklich BAG 10.11.2005 - 2 AZR 623/04 - NZA 2006, 491).
Eine ausdrückliche Anhörung des Betriebsrats zu den drei ordentlichen Kündigungen vom 06.03.2014 ist unstreitig nicht erfolgt. Nach den dargelegten Grundsätzen hätte es aber einer erneuten Anhörung des Betriebsrats bedurft. Durch den Ausspruch der drei außerordentlichen Kündigungen und der drei hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen vom 23.01.2014 hatte die Beklagte ihren Kündigungswillen bereits verwirklicht. Damit waren die drei Betriebsratsanhörungen vom 17.01.2014 verbraucht.
Entgegen der Ansicht der Berufung liegt kein Ausnahmefall vor, in dem eine erneute Anhörung des Betriebsrats überflüssig wäre. Dies gilt schon deshalb, weil die Beklagte nach der Anhörung des Betriebsrats zu den beabsichtigten Kündigungen vom 17.01.2014 die Kündigungen am 23.01.2014 ausgesprochen hatte und diese Kündigungserklärungen dem Kläger zugegangen sind. Der Betriebsrat hatte den Kündigungen nicht vorbehaltlos zugestimmt, sondern im Gegenteil Bedenken angemeldet. Entgegen der Auffassung der Berufung stellt sich deshalb eine erneute Anhörung des Betriebsrats auch nicht als eine "bloße überflüssige Förmelei" dar.
4. Die Beklagte ist nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG GS 27.02.1985 - GS 1/84 - BAGE 48, 122) verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
5. Da die neun streitgegenständlichen Kündigungen der Beklagten vom 23.01.2014 und vom 06.03.2014 das Arbeitsverhältnis nicht beendet haben, ist die Beklagte gem. § 615 Satz 1 BGB verpflichtet, dem Kläger die Vergütung für die eingeklagten Monate Februar bis Juni 2014 zu zahlen. Die Höhe des Anspruchs nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 BGB (5 x € 10.600,- brutto) ist ebenso unstreitig wie der Betrag des gem. § 615 Satz 2 BGB anzurechnenden Arbeitslosengeldes (€ 10.669,50).
Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 291 BGB. Der Tenor des Arbeitsgerichts (Ziff. 4) ist dabei in der Weise auszulegen, dass das Arbeitsgericht die Beklagte nur zur Zinszahlung aus dem sich nach Abzug des Arbeitslosengeldes ergebenden Nettobetrags verurteilt hat. In Höhe des erhaltenen Arbeitslosengeldes kann der Kläger von der Beklagten keine Zinsen fordern (vgl. BAG 20.12.2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 52 mwN, [...]).
III. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Berufung fallen der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.
Verkündet am: 11.12.2014