17.02.2015 · IWW-Abrufnummer 143831
Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 12.06.2012 – 11 U 102/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Frankfurt
11. Zivilsenat
11 U 102/10
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hanau vom 9. Juli 2010 - 2. Kammer für Handelssachen - wird zurückgewiesen, soweit das Landgericht die Klage abgewiesen hat.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
2
Die Klägerin erhielt von der Beklagten, die das Klinikum O1 betreibt, nach öffentlicher Ausschreibung den Auftrag für die Roh- und Ausbauarbeiten eines Erweiterungsbaus des Klinikums (N-Bau). Mit der Klage hat sie zunächst einen Ausgleichsanspruch wegen Verschiebung des Baubeginns geltend gemacht.
3
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 167.627,24 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Es hat gemeint, der Termin zur Bauausführung sei nicht entgegen den vertraglichen Vereinbarungen verschoben worden; ein konkreter Termin für den Baubeginn sei zwischen den Parteien nicht vereinbart gewesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
4
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt: Das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass ein Baubeginn zwischen den Parteien nicht verbindlich festgelegt worden sei. Es habe den Einfluss des formellen Vergaberechts auf die Auslegung der vertraglichen Vereinbarung verkannt. Das Angebot der Klägerin beinhalte einen Baubeginn vom 16.03.2009, der durch Zuschlagserteilung zum Vertragsinhalt gemacht worden sei. Dementsprechend ergäben sich aus den nachfolgend angeordneten Verschiebungen der Bauausführung die geltend gemachten Mehrvergütungsansprüche. Die Beklagte habe durch ihre Anordnungen nach Vertragsschluss eine geänderte Bauausführung veranlasst. Aus Ziffer 10.4.2 der Weiteren Besonderen Vertragsbedingungen (WBV) folge bereits, dass die unter Ziffer 1 der Besonderen Vertragsbedingungen enthaltenen Ausführungsfristen bindend sein sollten. Eine Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ergebe, dass vertraglich ein verbindlicher Termin für den Baubeginn vereinbart worden sei, nämlich 12 Werktage nach dem 03.02.2010.
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Zu dem gleichen Ergebnis führe die Auslegung der Ausschreibungsunterlagen nach dem objektiven Bieterhorizont. Etwaige Unklarheiten oder Ungenauigkeiten in den Ausschreibungsunterlagen müssten im Zweifel zu Lasten des Auftraggebers ausgelegt werden. Gehe man von einer unverbindlichen Terminangabe aus, ergäbe sich daraus für die Klägerin ein ungewöhnliches Wagnis, wenn sie sich mehrere Monate bereithalten müsste, um innerhalb von 12 Werktagen mit der Bauausführung zu beginnen. Der Inhalt, den die Beklagte und das Landgericht den Ausschreibungsunterlagen geben möchten, führe dazu, dass die Bauzeit allein an einen noch nicht feststehenden tatsächlichen Abruftermin anknüpfe. Eine solche Auslegung verstoße gegen § 9 Nr. 2 VOB/A, weil der Bieter dann ein Angebot nur auf der Grundlage von Mutmaßungen zum Baubeginn erstellen könne. Die Berufung verweist insoweit auf § 11 Nr. 1 Abs. 3 VOB/A (jetzt § 9 Abs. 3 VOB/A), wonach die Frist, innerhalb derer die Aufforderung ausgesprochen werden könne, in den Vergabeunterlagen festzulegen ist. Da ein Termin für den spätesten Abruf entgegen dieser Regelung nicht angegeben sei, sei für jeden Bieter klar, dass das Wort „voraussichtlich“ unbeachtlich sei, weil nur dann für ihn kein ungewöhnliches Risiko bestehe. Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass dieses Datum das Ende der Zuschlagsfrist markiere und die Klausel somit nichts anderes beinhalte, als einen Baubeginn 12 Werktage nach Zuschlagserteilung.
6
Ein vollkommen ungewisser Beginn der Bauausführung, der von einem unbestimmten Abruf der Bauleistung durch den Auftraggeber abhänge, stelle geradezu das Paradebeispiel eines ungewöhnlichen Wagnisses dar. Damit komme die Auslegung des Vertrages nach den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof für die Auslegung einer Ausschreibung nach VOB/A aufgestellt habe, ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Parteien einen Beginn der Bauausführung verbindlich vereinbart hätten. Nur so habe sie, die Klägerin, die Ausschreibung verstehen können, weil ihr nur dieser Vertragsinhalt kein ungewöhnliches Wagnis auferlege. Schließlich seien für die Vertragsauslegung die Maßgaben der §§ 305 ff BGB zu beachten und wäre die Abrufregelung der Beklagten nach dem Verständnis des Landgerichts und der Beklagten aufgrund eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, weil die Klausel dann sie, die Klägerin, unangemessen benachteilige.
7
Sie besitze auch einen Anspruch gem. § 642 BGB, weil die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die Leistung spätestens am 16.03.2009 abzurufen.
8
Mit Schriftsatz vom 23.11.2011 hat die Klägerin die Klage erweitert, nachdem sie ihre Schlussrechnung gelegt und die Beklagte die Schlussrechnung geprüft hat. Die Beklagte hat in der Schlussrechnung diverse Kürzungen vorgenommen, die Gegenstand der Klageerweiterung sind. Im Einzelnen streiten die Parteien über Tagelohnarbeiten im Stundenlohn, Kürzungen bei für die Stundenarbeiten eingesetzten Geräten, Kosten für angeordneten Stillstand, Kosten für Vorhaltezeit der Baustelleneinrichtung sowie weitere Nachträge. Schließlich wendet sich die Klägerin gegen seitens der Beklagten vorgenommenen Abzüge von der Schlussrechnung wegen eines behaupteten Schadensersatzanspruches.
9
Die Klägerin beantragt nunmehr,
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unter Abänderung des am 09.07.2010 verkündeten und am 4.08.2010 zugestellten Urteils des Landgerichts Hanau, Az. 6 O 30/10, die Beklagte zu verurteilen, einen Betrag in Höhe von brutto € 1.362.833,90 zzgl. 8 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz
11
aus € 101.836,97 seit dem 14.11.2009,
aus € 153.680,89 seit dem 19.12.2009,
aus € 249.513,20 seit dem 16.01.2010,
aus € 248.467,25 seit dem 19.02.2010,
aus € 265.881,74 seit dem 08.03.2010,
aus € 291.758,80 seit dem 20.04.2010,
aus € 531.040,82 seit dem 11.05.2010,
aus € 538.395,80 seit dem 19.06.2010,
aus € 514.669,16 seit dem 10.07.2010,
aus € 532.524,87 seit dem 13.08.2010,
aus € 546.321,62 seit dem 07.09.2010,
aus € 562.956,89 seit dem 12.10.2010,
aus € 564.168,90 seit dem 09.11.2010,
aus € 571,941,59 seit dem 04.12.2010,
aus € 553.652,01 seit dem 07.01.2011,
aus € 596.051,41 seit dem 26.02.2011,
aus € 814.737,84 seit dem 12.03.2011,
aus € 855.339,89 seit dem 12.04.2011,
aus € 1.470.463,12 seit dem 09.06.2011 bis zum 20.12.2011,
aus € 1.403.149,70 seit dem 21.12.2011 bis zum 10.01.2012 sowie
aus € 1.362.833,90 seit dem 11.01.2012
12
zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragt,
14
die Klageerweiterung und die weitere Berufung zurückzuweisen.
15
Sie tritt der Berufung und der erweiterten Klage im Einzelnen entgegen.
II.
16
Die Berufung einschließlich der Klageerweiterung ist zulässig.
A.
17
Soweit mit der Berufung die erstinstanzlich bereits geltend gemachten Vergütungsansprüche wegen Unterdeckung der kalkulierten Baustellengemeinkosten und allgemeinen Geschäftskosten sowie entgangenen Gewinns wegen Verschiebung des Baubeginns weiterverfolgt werden, hat sie keinen Erfolg. Da die Sache insoweit entscheidungsreif ist, konnte der Senat die Berufung in diesem Umfang - durch Teilurteil - zurückweisen.
1)
18
Das Landgericht hat die vertragliche Regelung hinsichtlich des Baubeginns zutreffend und überzeugend ausgelegt und seine Entscheidung sorgfältig und umfassend begründet. Der Senat schließt sich den Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen darauf. Die Berufung gibt keinen Anlass zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Sie verschließt sich weiterhin der Erkenntnis, dass es angesichts der vollkommen eindeutigen vertraglichen Regelung auslegungsbedürftige Zweifel am Vertragsinhalt nicht gibt. Deshalb ist hier lediglich ergänzend nochmals auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen:
a)
19
In Ziffer 1.1 der Besonderen Vertragsbedingungen (BVB, Bl. 31 d.A.) sind unter der Überschrift „Fristen für den Beginn und die Vollendung der Leistung (Ausführungsfristen) formularmäßig mehrere Alternativen für eine verbindliche Vereinbarung des Ausführungsbeginns vorgesehen, nämlich
20
„Mit der Ausführung ist zu beginnen
21
[ ]
am…
[ ]
spätestens…… Werktage nach Zugang des Auftragsschreibens
[ ]
in der…..KW…., spätestens am letzten Werktag dieser KW.
[ ]
nach der im beigefügten Bauzeitenplan ausgewiesenen Frist für den Ausführungsbeginn.“
22
Die Parteien haben keine dieser Optionen gewählt, sondern die Alternative „innerhalb von 12 Werktagen nach Zugang der Aufforderung durch den Auftraggeber (§ 5 Nr. 2 Satz 2 VOB/B); die Aufforderung wird Ihnen voraussichtlich bis zum 03.02.2009 zugehen.“ angekreuzt. Das von den Parteien Gewollte ist damit so klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht worden, dass sich die Frage der Auslegungsbedürftigkeit - worauf die Beklagte zu Recht hinweist und wovon auch das Landgericht zutreffend ausgegangen ist - schon nicht stellt. Hätten die Parteien, die beide über erhebliche Erfahrungen mit der Vertragsgestaltung und dem Abschluss von Bauaufträgen verfügen, einen verbindlichen Termin für den Ausführungsbeginn festlegen wollen, so hätten sie dies durch Ankreuzen einer der anderen, hierfür vorgesehenen Alternativen in Ziff. 1.1 tun können und zur Überzeugung des Senats auch getan. Wenn sie stattdessen auf § 5 Abs. 2 VOB/B Bezug nehmen, der den Fall regelt, dass für den Beginn der Ausführung keine Frist vereinbart ist und eine dieser Bestimmung entsprechende Formulierung in den Vertrag aufnehmen, verbietet es sich, diese Vereinbarung nach Vertragsabschluss als verbindlichen Ausführungstermin umzuinterpretieren.
23
Die Klausel nimmt - ausdrücklich - Bezug auf § 5 Abs. 2 Satz 2 VOB/B und entspricht dessen Wortlaut, so dass Zweifel darüber, was die Parteien vereinbaren wollten und vereinbart haben, vernünftigerweise nicht aufkommen können.
24
Aus der Festlegung des Ausführungsbeginns "innerhalb von 12 Tagen nach Zugang der Aufforderung", für die ein Termin nur „voraussichtlich“ angegeben wurde sowie der Bezugnahme auf § 5 Abs. 2 Satz 2 VOB/B ergibt sich, dass ein verbindlicher Ausführungsbeginn gerade nicht vereinbart werden sollte. Bei einer solchen Vertragsgestaltung hat der Auftraggeber dem Auftragnehmer auf Verlangen Auskunft über den voraussichtlichen Beginn der Bauarbeiten zu erteilen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 VOB/B). Mit dem Zusatz, wonach die Aufforderung voraussichtlich bis zum 03.02.2009 zugehen werde, hat der Auftraggeber seiner Obliegenheit, dem Auftragnehmer auf Verlangen Auskunft über den voraussichtlichen Beginn zu erteilen, schon vorab Rechnung getragen.
b)
25
Die für sich genommen eindeutige und klare Regelung wird auch nicht durch andere (widersprechende) Vertragsbestimmungen unklar und auslegungsbedürftig. Insbesondere folgt aus Ziffer 10.4.2 Weitere Besondere Vertragsbedingungen (WBV) nichts anderes. Darin ist u.a. bestimmt:
26
„…
27
Für das Angebot gelten die Ausführungsfristen wie unter Ziff. 1 der BVB beschrieben als bindend. Der Bieter erklärt ausdrücklich, dass er aufgrund seines derzeitigen Auftragsbestands sowie seiner betrieblichen Leistungsfähigkeit (Personal- und Geräteeinsatz) in der Lage ist, zu o. Termin mit den Arbeiten zu beginnen.“
28
Die Regelung geht inhaltlich nicht über die Bestimmung in Ziffer 1.2 BVB hinaus, wonach „die vorstehende Frist (Ziffer 1.1) für den Ausführungsbeginn eine verbindliche Frist“ gem. § 5 Abs. 1 VOB/B sein soll. Gemeint ist damit ersichtlich die Frist von 12 Werktagen nach Zugang der Aufforderung durch den Auftraggeber, innerhalb derer mit der Ausführung zu beginnen ist. Die in § 5 Abs. 2 Satz 2 VOB/B genannte Frist ist ebenfalls eine Vertragsfrist, soweit es den Beginn der Ausführung angeht. Ihre Berechnung ist von dem Zugang einer eindeutigen und inhaltlich zweifelsfreien Erklärung des Auftraggebers an den Auftragnehmer, mit der Ausführung der vertraglichen Leistung zu beginnen, abhängig (Döring in: Ingenstau/Korbion, VOB, 17. Aufl., § 5 VOB/B, Rn. 12). Eine weitergehende verbindliche Frist (Vertragsfrist) ist dieser Bestimmung indes nicht zu entnehmen, da es insoweit an einer Fristbestimmung in Ziff. 1.1 gerade fehlt. Der Hinweis darauf, dass die Aufforderung „voraussichtlich“ bis zum 03.02.2009 zugehe, dient der geschuldeten Auskunft nach § 5 Abs. 2 Satz 1 VOB/B und hat keinen verbindlichen Charakter. Da die Parteien in Ziff. 1.1 ausdrücklich und bewusst offen gelassen haben, wann die Aufforderung zum Baubeginn zugeht, widerspräche es dem eindeutigen Parteiwillen, wenn Ziff. 1.1 über Ziff. 1.2 BVB, 10.4.2.BVB Verbindlichkeit beigemessen würde. Es kann den in baurechtlichen Vertragsangelegenheiten erfahrenen Parteien nicht unterstellt werden, dass sie im Vertrag eine Formulierung wählen, die den Ausführungsbeginn offen lässt und dieser Regelung sodann durch eine weitere Bestimmung mittelbar verbindlichen Charakter verleihen, statt gleich eine der im Formular vorgegebenen Alternativen für eine verbindliche Vereinbarung anzukreuzen.
c)
29
Selbst wenn man eine auslegungsbedürftige Unklarheit unterstellen würde, verstößt die Auslegung des Landgerichts weder gegen Treu und Glauben noch gegen das Verständnis des objektiven Bieterhorizontes oder §§ 307 ff. BGB.
aa)
30
Warum es eine „denklogische Unmöglichkeit“ sein soll, dass ein Bieter seinem Angebot einen Termin zugrunde legen kann, der 12 Werktage nach einem ausdrücklichen Leistungsabruf liegt, vermag die Berufung nicht überzeugend darzulegen, zumal nach § 5 Abs. 2 VOB/B ein verbindlicher Abruftermin nicht vereinbart werden muss. Die Kalkulation eines Bauvorhabens mag schwieriger sein und nicht unerhebliche Risiken bergen, wenn der Beginn der Ausführung nicht bekannt und verbindlich festgelegt ist. Das schließt es indes nicht aus, eine entsprechende vertragliche Regelung zu treffen, zumal eine solche Vertragsgestaltung zumindest im Interesse des Auftraggebers liegen kann, welches nicht von vornherein unbeachtlich ist. Die Klägerin als erfahrenes Bauunternehmen hat ohne Zweifel die jetzt erhobenen Bedenken und mit der Vertragsregelung verbundene Kalkulationsrisiken erkannt. Wenn sie sich darauf einlässt, ist es ihre Sache, das vertraglich übernommene Risiko zu tragen und nicht Aufgabe der Vertragsauslegung, dem Vertrag nachträglich einen Inhalt beizulegen, nach dem die Klägerin dieses Risiko auf die Beklagte übertragen könnte.
bb)
31
Ebenso wenig ergibt eine Auslegung der Ausschreibungsunterlagen nach dem objektiven Bieterhorizont etwas zugunsten der Klägerin. Soweit sie meint, Unklarheiten oder Ungenauigkeiten der Vertragsunterlagen seien bei Auslegungszweifeln so zu interpretieren, dass sie einer den Anforderungen der VOB/A gerecht werdenden Ausschreibung entsprechen, ist zunächst daran zu erinnern, dass derartige Unklarheiten hier nicht bestehen.
(a)
32
Die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung zur Auslegung von Unklarheiten des Leistungsverzeichnisses (BGH, BauR 1999, 897; BGH Urteil v. 13.3.2008, VII ZR 194/06) ist auf den vorliegenden Vertrag nicht übertragbar. Sie betrifft die Bestimmung des vertraglichen Leistungsumfangs bei unklarem Leistungsverzeichnis, wenn streitig ist, ob ein Anspruch auf Mehrvergütung wegen einer Änderungsanordnung besteht oder die ausgeführte Leistung vom ursprünglichen Vertragsinhalt umfasst war. Insoweit darf der Bieter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf vertrauen, dass die Leistungsbeschreibung den Anforderungen an eine öffentliche Ausschreibung entspricht, also eindeutig und widerspruchsfrei die konkrete Leistung erschöpfend beschreibt. Die Rechtsprechung gilt indes nur bei unklaren Leistungsbeschreibungen und besagt nicht, dass aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung zustande gekommene Verträge generell so auszulegen sind, dass das Ergebnis den Vorgaben des Vergaberechts in jedem Fall entspricht.
(b)
33
Soweit sich die Klägerin auf die Entscheidung BGHZ 124, 64 beruft, führt auch dies nicht zu der von ihr gewünschten Auslegung. Zwar darf dem Auftragnehmer gem. § 9 Nr. 2 VOB/A (2006) kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. Aus diesem Grund soll gem. § 11 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A (2006; jetzt § 9 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A) die Frist, innerhalb derer die Aufforderung ausgesprochen werden kann, unter Berücksichtigung der für die Ausführung maßgebenden Verhältnisse zumutbar sein und in den Verdingungsunterlagen festgelegt werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009). § 9 VOB/A enthält jedoch kein zwingendes Vertragsrecht. Eine mit § 9 VOB/A unvereinbare Ausschreibungstechnik führt nicht dazu, dass anstelle der ausgeschriebenen Leistung eine mit § 9 VOB/A übereinstimmende Leistung Vertragsinhalt wird (BGH, NJW 1997, 61).
34
Selbst im Fall der Überwälzung eines ungewöhnlich hohen Risikos ergeben sich unmittelbar aus der VOB/A keine Ansprüche (BGH BauR 1992, 759). Daraus folgt, dass - selbst wenn hier der eindeutige Vertragsinhalt und die vergaberechtlichen Anforderungen auseinanderfielen - erst Recht eine Anpassung des Vertrages an die Bestimmungen der Verdingungsordnungen nicht in Betracht käme.
(c)
35
Ebenso wenig ergibt sich für den hier zu entscheidenden Fall etwas aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Mehrvergütungsanspruch bei verzögertem Zuschlag. Diese Rechtsprechung beruht darauf, dass sich durch die Verzögerung des Zuschlags eine Änderung der vertraglich vorgesehenen Bauzeit ergibt. Eine Bauzeitverschiebung kann sich in diesen Fällen dadurch ergeben, dass ein ( frühester oder spätester) Baubeginn vertraglich in Abhängigkeit von der (ursprünglich) vorgesehenen Zuschlagserteilung vorgesehen war, der durch die Verzögerung des Zuschlags nicht mehr gehalten werden kann, weil der Zuschlag erst nach Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Frist für den Zuschlag liegt (BGH MDR 2012, 577).
36
Im vorliegenden Fall fehlt es dagegen an einer Bauzeitverschiebung, weil ein verbindlicher Termin im Vertrag nicht - auch nicht im Sinne eines frühest- oder spätestmöglichen Termins - festgelegt war, sondern der Ausführungsbeginn bzw. der Leistungsabruf nur als voraussichtlich bezeichnet wurde.
cc)
37
Die vertragliche Regelung verstößt nicht gegen §§ 307ff. BGB.
38
Die getroffene Vereinbarung führt nicht per se zu einem ungewöhnlichen Wagnis. Auch bei einer Leistung „auf Abruf“ darf der Auftraggeber den Abruf der Leistung nicht auf unbestimmte Zeit hinausschieben, sondern muss dem Auftragnehmer die Möglichkeit geben, die Leistung zu bewirken. Ein zu langes Hinauszögern der Aufforderung zum Beginn der Ausführung ist für eine rationelle Betriebsführung des Auftragnehmers unzumutbar und würde ihm zudem in preislicher Hinsicht unzumutbare Wagnisse auferlegen. Die Frage der Zumutbarkeit richtet sich aber nach den Gegebenheiten des Einzelfalles und ist unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf Seiten des Auftraggebers zu erwartenden Voraussehbarkeit des Beginns der Durchführung der Leistung des betreffenden Auftragnehmers als durchweg kurz - unter normalen Umständen einige Wochen oder höchstens wenige Monate - zu bewerten ( Sienz in: Ingenstau/Korbion, a.a.O. § 9 VOB/A Rn. 13). Entscheidend ist, dass der Auftraggeber den Abruf für einen Zeitpunkt sicherstellt, zu dem die dem Vertrag zugrunde gelegte Vergütung des Auftragnehmers noch dem für ihn bei Angebotsabgabe vorhersehbaren Wagnis entspricht und zu dem der Auftragnehmer im Rahmen seiner betrieblichen Dispositionen im Hinblick auf die Erfüllung anderer Bauverträge nicht in unüberwindliche oder nur mit unzumutbarem Verlust verbundene Schwierigkeiten gerät. Im Falle von Verstößen gegen diese Grundsätze kann eine § 9 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A in beachtlichem Maße widersprechende Regelung gegen § 242 BGB oder § 307 BGB verstoßen. Daraus folgt umgekehrt, dass eine vertragliche Vereinbarung, die einen verbindlichen Beginn der Ausführungsfrist nicht enthält, nicht ohne Weiteres und von vornherein ein ungewöhnliches Wagnis darstellt. Denn ein vollkommen ungewisser Beginn der Bauausführung ergibt sich daraus gerade nicht. Unterlässt der Auftraggeber die ihm im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 VOB/B obliegende Aufforderung, so handelt es sich um die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht, so dass dem Auftragnehmer bei schuldhafter Verzögerung ein Schadensersatzanspruch bzw. ein Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB zustehen kann (D öring a.a.O. § 5 VOB/B Rn. 13).
2.
39
Der Klägerin steht ein Anspruch auch nicht auf der Grundlage des § 642 BGB zu.
40
Zwar kommt grds. ein Anspruch gem. §§ 642, 643 BGB in Betracht, wenn der Gläubiger mit seiner Pflicht zum Abruf in Annahmeverzug gerät. Ein Annahmeverzug liegt indes nicht vor, weil nach der vertraglichen Vereinbarung eine Zeit für die Leistung nicht bestimmt war, sondern die Beklagte das Bestimmungsrecht hinsichtlich der Erfüllbarkeit haben sollte (§ 271 BGB). Im Zweifel hat sie das Bestimmungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. Danach fehlt es vorliegend an der Erfüllbarkeit, so dass kein Annahmeverzug vorgelegen hat, jedenfalls scheidet dieser gem. § 299 BGB wegen vorübergehender Annahmeverhinderung aus.
41
Die auf eine Mehrvergütung wegen Änderungsanordnung gerichtete Klage hat das Landgericht nach allem zu Recht abgewiesen.
42
Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten.
43
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der Senat weicht entgegen der Behauptung der Klägerin auch nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung von Vertragsunterlagen nach dem objektiven Bieterhorizont ab. Er hat bei der Auslegung des konkreten Vertrages lediglich anerkannte Rechtssätze auf den Einzelfall angewendet.
3.
44
Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz die Klage mit Schriftsatz vom 22.07.2011 erweitert und auf den Saldo der Schlussrechnung umgestellt hat, ist die Sache nicht entscheidungsreif.