09.06.2015 · IWW-Abrufnummer 177333
Landesarbeitsgericht München: Urteil vom 25.03.2015 – 8 Sa 851/14
Ein Anspruch auf Entgeltausgleich gem. § 17 MTV besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer "lediglich" gehindert ist, seine Tätigkeit weiter (auch) in der Nacht auszuüben.
In dem Rechtsstreit
A. A-Straße, A-Stadt
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B. B-Straße, B-Stadt
gegen
Firma C. C-Straße, C-Stadt
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Syndizi D. D-Straße, D-Stadt
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. März 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dyszak und die ehrenamtlichen Richter Kastner und Berger
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 07.10.2014 - 2 Ca 209/14 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger nach § 17 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie (im folgendem: "MTV") ein Entgeltausgleich bei Leistungsminderung zusteht, nachdem er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Nachtschicht arbeiten kann.
Der am 0.0.1961 geborene Kläger ist seit dem 15.04.1985 bei der Beklagten beschäftigt. Nachdem er im September 2013 eine ärztliche Bescheinigung über seine Untauglichkeit zur Nachtschichtarbeit vorgelegt hatte, nahm ihn die Beklagte aus der Nachtschicht heraus und beschäftigt ihn seither nur noch in Tagschicht. Mit Schreiben vom 20.01.2014 (vgl. Bl. 10 d.A.) beantragte der Kläger den tariflichen Entgeltausgleich wegen Leistungsminderung.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für die Bayerische Metall- und Elektroindustrie Anwendung.
Der MTV lautet, soweit hier von Bedeutung:
"§ 17 Entgeltausgleich bei Leistungsminderung
A.
1. Arbeitnehmer,
- die ... das 50 Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mindestens 20 Jahre angehört haben
- und die aufgrund gesundheitlicher Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage sind, ihre bisherige Tätigkeit auszuüben oder in dieser die bisherige Leistung zu erbringen
- und bei denen hierdurch eine Verdienstminderung eingetreten ist oder eintreten würde
haben auf schriftlichen Antrag Anspruch auf einen Entgeltausgleich.
2. Voraussetzung ist ferner die Vorlage eines ärztlichen Attestes, wonach aus gesundheitlichen Gründen die bisherige Tätigkeit nicht mehr zumutbar oder in diesem die Leistungsminderung bedingt ist
...
3. Die Antragstellung schließt die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Versetzung an einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz, zum Wechsel des Entgeltgrundsatzes und ggf. zur Umgruppierung ein. Die betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen bleiben hiervon unberührt.
...
4. Anstelle des Entgeltausgleichs kann - unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen - eine Versetzung auf einen anderen zumutbaren, die bisherige Entgelthöhe sichernden Arbeitsplatz erfolgen, der der geminderten Leistungsfähigkeit Rechnung trägt.
B.
1. Der Entgeltausgleich entspricht der jeweiligen Differenz zwischen dem bisherigen Durchschnittsverdienst und dem erzielten neuen Durchschnittsverdienst, jeweils bezogen auf regelmäßige tarifliche Arbeitszeit, bei Kurzarbeit bezogen auf die gekürzte Arbeitszeit
...
2. Für die Berechnung des bisherigen Durchschnittsverdienstes gelten als Berechnungsgrundlage die letzten 12 abgerechneten Monate vor Antragstellung.
Dabei sind zugrunde zu legen:
Tarifliches Grundentgelt, leistungsabhängiges variables Entgelt und laufend zum Entgelt gewährte außertarifliche Zulagen.
Zuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit gemäß § 6 Ziff. 2 und 3 bei Arbeitnehmern, die zuletzt in der Regel mindestens 5 Jahre ununterbrochen im Mehrschichtbetrieb tätig waren ..."
Unstreitig würde die Höhe eines etwa geschuldeten Entgeltausgleichs € 483,84 brutto pro Monat betragen. Streitig ist jedoch, ob dieser Anspruch dem Grunde nach besteht.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht die Auffassung vertreten, er sei aufgrund gesundheitlicher Minderung seiner Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Zur bisherigen Tätigkeit zähle auch die Nachtarbeit.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht zuletzt beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 2.903,04 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu bezahlen
ab 01.10.2013 aus EUR 483,84,
ab 01.11.2013 aus EUR 967,68,
ab 01.12.2013 aus EUR 1.451,52,
ab 01.01.2014 aus EUR 1.936,36,
ab 01.02.2014 aus EUR 2.419,20,
ab 01.03.2014 aus EUR 2.903,04.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt:
Klageabweisung.
Die Beklagte hat sich im Wesentlichen auf die Erwägungen des LAG Saarbrücken in seinem Urteil vom 14.11.2012 - 1 Sa 13/12 - berufen und die Auffassung vertreten, diese würden für die hier in Rede stehende bayerische Tarifnorm entsprechend gelten.
Mit Endurteil vom 07.10.2014 - 2 Ca 209/14 - hat das Arbeitsgericht Augsburg die Klage als unbegründet abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es schließe sich weitestgehend der genannten Entscheidung des LAG Saarbrücken an. Die dieser Entscheidung zu Grunde liegende Tarifnorm aus dem Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie im Saarland stelle, wie die hier maßgebliche Regelung, darauf ab, ob eine Leistungsminderung dazu führe, dass die "bisherige Tätigkeit" nicht mehr ausgeübt werden könne. Das LAG Saarbrücken habe angenommen, eine aus gesundheitlichen Gründen durchgeführte Veränderung der Lage der täglichen Arbeitszeit (Herausnahme aus der Dauernachtschicht) führe nicht zu einem Anspruch auf Verdienstsicherung. Dies gelte auch für die hier maßgebliche Tarifnorm. Die Erwägungen des LAG Saarbrücken zur Begrifflichkeit würden auch auf die bayerische Regelung zutreffen. Auch aus ihrem tariflichen Gesamtzusammenhang ergebe sich nicht, dass die Tarifvertragsparteien den Willen gehabt hätten, die gesundheitsbedingte Herausnahme aus der Nachtschicht als einen Fall des tariflichen Entgeltausgleichs anzusehen. Für das Gegenteil spreche, dass in § 17 A.I.3 MTV die Bereitschaft des Arbeitnehmers zu einer Versetzung unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen erwähnt werde. Sie hätten erkennbar den betriebsverfassungsrechtlichen Begriff der Versetzung verwenden wollen. Die Tageszeit, zu der die Arbeit ausgeübt werde, sei damit nicht zwingend erfasst. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 17 B Ziffer 2 MTV. Diese Regelung der Rechtsfolgen setze für die Ber ücksichtigung der Zuschläge für Nachtarbeit voraus, dass eine mindestens 5-jährige Tätigkeit im Mehrschichtbetrieb vorgelegen habe. Dies betreffe aber nur einen Berechnungsmodus, der sich auf einen Einsatz in unterschiedlichen Schichten eines Mehrschichtbetriebes beziehe. Es könne nicht der Schluss gezogen werden, dass die Tarifvertragsparteien an dieser Stelle eine gesonderte anspruchsbegründende Regelung hätten schaffen wollen.
Ergänzend wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Ersturteils Bezug genommen.
Gegen diese Entscheidung, die ihm am 15.10.2014 zugestellt wurde, wendet sich der Kläger mit seiner am 05.11.2014 eingelegten und mit seinen Schriftsätzen vom 07.01.2015, vom 12.01.2015 und vom 14.01.2015 innerhalb der bis zum 15.01.2015 verlängerten Frist begründeten Berufung.
Der Kläger hält auch in zweiter Instanz an seiner Auffassung fest, dass die Beklagte ihm Entgeltausgleich bei Leistungsminderung gemäß § 17 MTV schulde, da er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, in Nachtschicht zu arbeiten.
Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, er könne seine "bisherige Tätigkeit" weiter ausüben. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts sei der Begriff der "bisherigen Tätigkeit" nicht unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem die Arbeitsaufgabe erfüllt werde. "Tätigkeit" bezeichne nicht nur die konkrete Verrichtung oder Handlung zur Erfüllung der Arbeitsaufgabe. Die eingeschränkte Auslegung des Begriffs durch das Arbeitsgericht widerspreche auch der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 09.04.2014 - 10 AZR 637/13). Diese Entscheidung sei vorliegend deshalb von Bedeutung, weil dort der Begriff der "Tätigkeit", wie er für das Arbeitsleben prägend sei, vom BAG verwendet worden sei. Dieser Begriff unterscheide sich von dem allgemeinen Sprachgebrauch auch außerhalb des Arbeitslebens, wie ihn das LAG Saarbrücken der herangezogenen Entscheidung zugrunde gelegt habe, und zwar zu Unrecht, weil er im Arbeitsleben nicht einschlägig sei.
Seine, des Klägers, Auslegung sei auch sachgerecht. Eine gesundheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit könne sich etwa auf die Fähigkeit auswirken, bestimmte Verrichtungen auszuführen; bei Wirbelsäulenbeschwerden sei z.B. das Heben und Tragen schwerer Lasten unmöglich. Eine gesundheitsbedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit könne sich jedoch auch daraus ergeben, dass der Arbeitnehmer gewissen, mit der Arbeit verbundenen Belastungen nicht mehr gewachsen sei; eine Erkrankung der Atemwege stehe z.B. regelmäßig Tätigkeiten entgegen, die unter erheblicher Einwirkung von Rauch, Ruß oder Staub ausgeführt werden müssen. Die Nachtarbeit sei eine besondere Form der belastenden Tätigkeit, die der Gesetzgeber in § 6 AZG speziell geregelt habe. Von Sinn und Zweck der Tarifnorm her gebe es keinen Anlass, zwischen den vorgenannten Fallgestaltungen zu unterscheiden. Die Tarifnorm solle erkennbar langjährige Mitarbeiter vor finanziellen Nachteilen aufgrund gesundheitlicher Leistungsminderung schützen. Es bestehe überhaupt kein Anlass zur differenzieren, ob sich die gesundheitlichen Probleme aufgrund der konkreten Verrichtungen oder Handlungen zur Erfüllung der konkreten Arbeitsaufgabe ergeben oder ob sie sich auf die Arbeitsumstände beziehen, unter denen die Arbeit zu leisten ist, wie z.B. Lärm- und Staubbelastungen, Kälte/Hitze etc., die der Mitarbeiter gesundheitsbedingt nicht mehr ertragen könne. Diese prägten die Tätigkeit ebenso, wenn nicht mehr, wie die eigentliche manuelle Verrichtung.
Der Begriff "bisherige Tätigkeit" rechtfertige die vom Arbeitsgericht vorgenommene Differenzierung nicht. Es sei dem Sinn der Tarifnorm nicht zu entnehmen, dass nur gesundheitliche Probleme bezüglich der eigentlichen manuellen Verrichtung die Verdienstsicherung auslösen sollten. Die Frage sei vielmehr, ob die Tarifnorm zwingend regle, die Nachtarbeit als "bisherige Tätigkeit" nicht anzuerkennen. Hätten die Tarifvertragsparteien nur bestimmte gesundheitliche Einschränkungen für ausgleichspflichtig angesehen, so hätten sie dies in der Tarifregelung deutlich zum Ausdruck bringen müssen.
Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang rechtfertige nicht die Auslegung des Arbeitsgerichts. Die Regelung in § 17 A. Nr. 3 MTV gebiete keine Auslegung des Inhalts, dass eine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG zwingende Voraussetzung für die tarifliche Entgeltsicherung sei.
Der Umstand, dass bei der Berechnung des Verdienstausgleichs auch Nachtschichtzuschläge zu berücksichtigen seien, sei ein Indiz für die Richtigkeit der klägerischen Auslegung des Begriffs der "bisherigen Tätigkeit".
Schließlich habe die Beklagte bis zum Bekanntwerden der vom Arbeitsgericht herangezogenen Entscheidung des LAG Saarbrücken vom 14.11.2012 Verdienstausgleich auch in den Fällen der vorliegenden Art (Herausnahme aus der Nachtschicht) bezahlt, was weiter die Richtigkeit der klägerischen Auslegung belege.
Der Kläger beantragt:
In Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Augsburg vom 07.10.2014 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 2.903,04 brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu bezahlen
ab 01.10.2013 aus EUR 483,84,
ab 01.11.2013 aus EUR 967,68,
ab 01.12.2013 aus EUR 1.451,52,
ab 01.01.2014 aus EUR 1.936,36,
ab 01.02.2014 aus EUR 2.419,20,
ab 01.03.2014 aus EUR 2.903,04.
Die Beklagte beantragt,
die Zurückweisung der Berufung.
Die Beklagte verteidigt das Ersturteil. Das Arbeitsgericht habe zutreffend erkannt, dass die Befreiung von der Nachtschicht kein Fall des § 17 MTV sei. Für die Tätigkeit am bisherigen Arbeitsplatz komme es nach richtiger Auffassung des Arbeitsgerichts in Anlehnung an das LAG Saarbrücken nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt sie ausgeübt werde. Unter einer Tätigkeit verstehe man nach allgemeinem Sprachgebrauch die Gesamtheit derjenigen Verrichtungen, mit denen jemand in Ausübung seines Berufs zu tun habe. Angeknüpft werde an die konkrete Arbeitsaufgabe des Beschäftigten. Vom Zeitpunkt, zu dem die Arbeitsaufgabe erfüllt werde, sei der Begriff unabhängig.
Auf die Entscheidung des BAG vom 09.04.2014 - 10 AZR 667/13 - berufe sich der Kläger zu Unrecht. Das BAG habe die Tätigkeit der Arbeitnehmerin von dem Zeitpunkt, in dem sie die Tätigkeit üblicherweise erbringe, gerade differenziert.
Ob es sinnvoll wäre, Mitarbeitern wie dem Kläger, einen Verdienstausfall zu gewähren, sei unerheblich; eine möglicherweise wünschenswerte, tatsächlich aber nicht geregelte, Rechtfolge dürfe nicht in eine Tarifnorm hineingelesen werden.
Zu Unrecht meine der Kläger auch, die Nacharbeit sei etwa der Exposition von Stäuben und Gerüchen etc. gleichzusetzen. Die Unfähigkeit zur Nachtarbeit sei nichts, was dem Arbeitsplatz als solchem anhafte. Dies sei die maßgebliche Trennungslinie im Sinne der einschlägigen tariflichen Vorschrift.
Ergänzend wird wegen des Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren auf die Schriftsätze des Klägers vom 09.12.2014, vom 12.01.2015 und vom 14.01.2015, auf den Schriftsatz der Beklagten vom 12.02.2015 und auf die Sitzungsniederschrift vom 11.03.2015 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 b) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht für unbegründet erachtet.
Die Voraussetzungen des § 17 MTV, der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, sind nicht erfüllt. Den dazu zählt u.a., dass der Arbeitnehmer, der den Entgeltausgleich begehrt, aufgrund gesundheitlicher Minderung seiner Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Tätigkeit auszuüben, oder - alternativ - in dieser die bisherige Leistung zu erbringen (§ 17 A. Nr. 1, 2. Spiegelstrich MTV); keine dieser beiden Alternativen ist hier aber gegeben. Die "bloße" Unfähigkeit zur Ableistung von Nachtdienst ist weder als fehlende Möglichkeit der Ausübung der bisherigen Tätigkeit noch der Erbringung der bisherigen Leistung in dieser Tätigkeit anzusehen; dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm.
1. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist danach zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist bei nicht eindeutigem Wortlaut zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist stets abzustellen, um den wirklichen Willen zu erforschen, weil dieser Anhaltspunkte für diesen liefert, und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Verbleiben Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (vgl. nur BAG, Urteil vom 18.04.2007 - 4 AZR 661/05; Urteil vom 23.04.2008 - 10 AZR 258/07; Urteil vom 24.02.2010 - 10 AZR 1035/08; alle Juris).
2. Die Anwendung dieser Grundsätze führt zum oben genannten Ergebnis.
2.1 Die "bloße" Unfähigkeit zur Nachtarbeit setzt den Kläger zunächst nicht im Sinne der Tarifnorm außer Stande, seine "bisherige Tätigkeit auszuüben".
a) aa) Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird eine "Tätigkeit" durch die zu verrichtenden Handlungen und die hierdurch zu erfüllenden Aufgaben gekennzeichnet. Es geht um die Fragen, "was" zu tun ist, ggf. "wie" und "wozu". Nicht zur Definition einer Tätigkeit zählt danach dagegen grd. die Zeit, zu der sie zu erbringen ist; die Frage nach dem "wann" wird also nicht mitumfasst.
bb) Es mag zwar in Ausnahmefällen in Betracht kommen, dass der zeitliche Aspekt die zu verrichtenden Aufgaben mit prägt; so mögen sich die Tätigkeiten eines "Nachtportiers" oder einer "Nachtschwester" von denen ihrer am Tag eingesetzten Kollegen und Kolleginnen unterscheiden. Dies bedarf hier aber keiner Vertiefung, weil solche Abweichungen hinsichtlich der zu verrichtenden Arbeitsaufgaben hier in keiner Weise gegeben sind, der Kläger vielmehr dieselbe Maschine in unveränderter Weise zu bedienen hat, nur eben zu anderer Zeit.
cc) Ein - vom allgemeinen abweichender - besonderer Sprachgebrauch der Tarifvertragsparteien des MTV besteht nicht. Hierfür fehlt jeglicher Anhaltspunkt; insbesondere gibt es im MTV keine Legaldefinition der "Tätigkeit".
dd) Zu Unrecht meint der Kläger, dem Urteil des BAG vom 09.04.2014 - 10 AZR 637/13 - entnehmen zu können, dass im Arbeitsleben der Begriff der "Tätigkeit" in Abweichung vom allgemeinem Sprachgebrauch Verwendung finde, und zwar in einer Art, dass der Aspekt der Arbeitszeit mitumfasst werde. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der herangezogenen Entscheidung ist keine generelle Aussage über die Definition des Begriffs im Arbeitsleben zu entnehmen.
Auch für den konkreten, der Entscheidung zugrunde liegenden Kontext wird keine derartige Definition vorgenommen oder zugrunde gelegt. Dies ergibt sich schon daraus, dass das BAG, aaO., zwischen der (arbeitsvertraglich geschuldeten) Tätigkeit (als Krankenschwester) und (ihrer eingeschränkten Verwendbarkeit hinsichtlich) der Lage der Arbeitszeit (Rn. 22) und nachfolgend (Rn. 23) zwischen Art, Ort, zeitlicher Dauer der Arbeit einerseits und Lage der Arbeit andererseits gerade differenziert. Auch aus der Bezeichnung der Nachtarbeit als untergeordneter Modalität der Arbeitsleistung (Rn. 27), auf die der Kläger wohl entscheidend abstellen möchte, ergibt sich keine Bestätigung seiner Auffassung. Davon abgesehen, dass an dieser Stelle nicht von "Tätigkeit", sondern von "vertraglicher Arbeit" die Rede ist, differenziert das BAG auch hier der Sache nach zwischen der Art der zu erbringenden Arbeiten und dem zeitlichen Umfang einerseits und der zeitlichen Lage der Aufgabenerfüllung andererseits. Aus der Entscheidung ist mithin insgesamt nichts dem Kläger günstiges herzuleiten.
b) Es mag zwar der - insoweit übereinstimmenden - Auffassung der Parteien zuzustimmen sein, dass aufgrund des Kontextes, in den die Formulierung eingebettet ist, zur "bisherigen Tätigkeit" auch die äußeren Umstände (wie Dämpfe, Stäube, Lärm, Hitze/Kälte) zu rechnen sind, die mit der Erfüllung der Arbeitsaufgaben zwingend verbunden sind. Dies hilft dem Kläger hier jedoch nicht, da diese zwingende Verbindung zwischen den von ihm zu erfüllenden Arbeiten und ihrer zeitlichen Lage nicht gegeben ist. Wie ausgeführt, bedient der Kläger vielmehr dieselbe Maschine, nur eben nicht mehr in der Nacht.
c) Es ist zwar in Betracht zu ziehen, dass der Wille der Tarifvertragsparteien darauf gerichtet gewesen sein könnte, auch "nur" Nachtdienst untaugliche Beschäftigte in den Schutzbereich der Tarifnorm einzubeziehen, weil sie in ähnlicher Weise schutzbedürftig erscheinen, und dass sie hierzu dem Begriff der "bisherigen Tätigkeit" auch - in Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch - Bedeutung hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit zumessen wollten. Es fehlt jedoch für einen entsprechenden Willen der Tarifvertragsparteien an den erforderlichen Anhaltspunkten.
Die Erwägungen des Klägers hierzu greifen nicht durch. Wenn er auf die - auch § 6 ArbZG zugrunde liegende - besondere Schutzbedürftigkeit von Nachtarbeitnehmern verweist und keinen Anlass sieht, zwischen der "bloßen" Nachtarbeitsunfähigkeit und anderen, auf gesundheitlichen Problemen beruhenden Einschränkungen zu differenzieren, zeigt er keinen Anhaltspunkt für einen entsprechenden Willen der Tarifvertragsparteien auf. Er negiert vielmehr den Grundsatz, dass bei der Tarifauslegung an den Wortlaut anzuknüpfen ist und abweichende Auslegungen der Begründung bedürfen; er unterliegt im Übrigen einer petitio principii, denn er setzt den - gerade zu belegenden - Willen der Tarifvertragsparteien zu einem umfassenden Schutz als gegeben voraus. Seine Überlegungen erschöpfen sich damit letztlich in der Annahme, tarifliche Normen würden stets auf die Realisierung des denkbar besten Schutzes zielen. Ein entsprechender Erfahrungssatz besteht jedoch nicht; im Gegenteil ist zu beachten, dass Tarifverträge neben den Arbeitnehmer- auch die Arbeitgeberinteressen berücksichtigen.
d) Die Gestaltung der Rechtsfolgenseite des Entgeltausgleichs spricht gegen den vom Kläger postulierten umfassenden Anwendungsbereich. Denn in § 17 B. Nr. 2 MTV wird zwar bestimmt, dass auch Zuschläge für Nachtarbeit bei der Berechnung des bisherigen Durchschnittsverdienstes zugrunde zu legen sind, dies jedoch nur bei Arbeitnehmern, die zuletzt in der Regel mindestens 5 Jahre ununterbrochen im Mehrschichtbetrieb tätig gewesen sind. Diese Einschränkung der Berücksichtigung (u.a.) der Nachtzuschläge spricht dagegen, dass die Tarifvertragsparteien ein besonderes Augenmerk auf die Gruppe der "lediglich" zur Leistung von Nachtarbeit unfähigen Arbeitnehmer gerichtet hätten, was wiederum gegen die Annahme spricht, sie hätten die "bisherige Tätigkeit" in einem erweiterten Sinne verstanden. Da im Übrigen der Nachtzuschlag nicht nur infolge "bloßer" Nachtarbeitsuntauglichkeit entfallen kann, sondern auch aufgrund anderer gesundheitlicher Einschränkungen, die die Erfüllung aller im Betrieb zur Nachtzeit anfallenden Arbeiten unmöglich machen, kann der Kläger aus der genannten tariflichen Regelung nichts für ihn Günstiges herleiten.
e) Da dieses Auslegungsergebnis keinen Zweifeln begegnet, kommt Kriterien wie der praktischen Tarifübung keine Bedeutung mehr zu, so dass es unerheblich ist, ob die Beklagte in früherer Zeit an "nur" Nachtdienstuntaugliche den Entgeltausgleich bezahlt hat.
2.2 Der Kläger ist im Sinne der Tarifnorm auch nicht außer Stande, in seiner bisherigen Tätigkeit die "bisherige Leistung zu erbringen".
a) Die Leistung eines Arbeitnehmers wird nach allgemeinem Verständnis regelmäßig an den Kriterien der Qualität der Aufgabenerfüllung und ihrer Quantität gemessen ("wie gut", "wieviel"). Dem zeitlichen Aspekt ("wann") kommt demgegenüber grd. keine Bedeutung zu.
Eine abweichende Definition der "Leistung" im Sinne des MTV findet sich nicht.
b) Ein dem Wortlaut gegenüber erweitertes Verständnis des Begriffs ist weder nach dem Kontext noch nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien oder dem tariflichem Gesamtzusammenhang gerechtfertigt. Die Erwägungen unter 2.1 gelten entsprechend; hierauf wird Bezug genommen.
3. Der Berufung des Klägers musste somit der Erfolg versagt bleiben. Ob seine Klage auch mit der Begründung des Arbeitsgerichts abgewiesen werden konnte, kann dahinstehen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
III.
Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Der Beklagten steht dieses Rechtsmittel jedoch nicht zur Verfügung, weil sie durch die vorliegende Entscheidung nicht beschwert ist.
Der Kläger kann Revision nach Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrung einlegen.