17.06.2015 · IWW-Abrufnummer 144682
Verwaltungsgericht Arnsberg: Urteil vom 16.04.2015 – 5 K 482/14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Verwaltungsgericht Arnsberg
Urt. v. 16.04.2015
Az.: 5 K 482/14
Tenor:
Der Haftungsbescheid des Bürgermeisters der Beklagten vom 24. Januar 2014 wird aufgehoben, soweit der Kläger zu mehr als 28.776,15 EUR herangezogen worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 97 %, die Beklagte zu 3 %.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger war seit 3. März 2006 als Geschäftsführer der H. B. GmbH, M. , im Handelsregister des B1. Q. , I. 8135 eingetragen.
Am 27. Februar 2009 setzte das Finanzamt M. den Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 2007 für die GmbH mit 8.195,00 EUR fest und legte dabei einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von 163.901,00 EUR zugrunde. Daraufhin erließ der Bürgermeister der Beklagten einen Gewerbesteuerbescheid vom 4. März 2009, mit dem u.a. für das Jahr 2008 eine Gewerbesteuervorauszahlung von 33.025,85 EUR festgesetzt wurde.
Mit Schreiben vom 29. April 2009 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers als Vertreter der GmbH an die Beklagte und teilte mit, der Gewinn habe im Jahr 2007 163.901,00 EUR betragen; allerdings sei für das Jahr 2008 die Vorauszahlung herabzusetzen. Mit weiteren Schreiben vom 12. Mai 2009 bezifferte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Gewinn für 2008 auf ca. 71.000,00 EUR. Dementsprechend setzte das Finanzamt M. unter dem 26. Mai 2009 den Gewerbesteuermessbetrag für Vorauszahlungszwecke ab 2008 auf 2.485,00 EUR fest. Ab 2009 wurde der Gewerbesteuermessbetrag für Zwecke der Vorauszahlung mit Bescheid vom selben Tage auf 0,00 EUR festgesetzt.
Am 29. Mai 2009 setzte der Bürgermeister der Beklagten die Vorauszahlung für Gewerbesteuer 2008 unter Berücksichtigung dieses Messbetrages auf 10.014,55 EUR fest.
Mit Schreiben, datiert unter dem 18. Mai 2009, beantragte die H. B. GmbH Aussetzung und Stundung der Steuerschuld. Daraufhin forderte der Bürgermeister der Beklagten die Firma am 8. Juni 2009 auf, aktuelle Verbindlichkeiten der GmbH darzulegen, nachzuweisen, ob eine Darlehensaufnahme zur Steuerschuldtilgung möglich ist, ob Sicherheiten angeboten werden könnten und welche Raten zahlbar seien. Mit Schreiben vom 31. Juli 2009 bot die H. B. GmbH nochmals Ratenzahlung an, woraufhin die Beklagte ihre Anfrage am 11. August 2009 an die GmbH wiederholte.
Am 3. Dezember 2009 regte das Finanzamt M. an, der GmbH das Gewerbe wegen steuerlicher Unzuverlässigkeit zu untersagen. Nach Auskunft des Finanzamtes M. vom 26. Mai 2010 beliefen sich die dortigen Steuerrückstände der GmbH zu diesem Zeitpunkt auf 13.111,42 EUR. Mit Ordnungsverfügung vom 15. Mai 2010 untersagte der Bürgermeister der Beklagten die Gewerbeausübung. Mit Gerichtsbescheid vom 28. Juli 2011 - 1 K 1979/10 - wies das Verwaltungsgericht Arnsberg die hiergegen erhobene Klage ab.
Mit Datum vom 20. Mai 2010 setzte der Bürgermeister der Beklagten die Gewerbesteuer für die H. B. GmbH im Jahr 2008 auf 38.647,70 EUR fest und verfügte - unter Anrechnung der bereits festgesetzten Gewerbesteuer in Höhe von 10.014,55 EUR - eine Gewerbesteuerzahlung von 28.633,15 EUR. Zugleich erließ er einen Gewerbesteuerzinsbescheid über 143,00 EUR. Nachdem das Finanzamt M. für das Jahr 2009 den Gewerbesteuermessbetrag festgesetzt hatte, erließ der Bürgermeister der Beklagten unter dem 21. Juli 2010 einen weiteren Gewerbesteuerbescheid über 705,25 EUR und - nach weiterer Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags - am 15. März 2012 über 73,10 EUR für das Jahr 2010.
Den am 23. Februar 2011 gestellten Antrag auf Insolvenzeröffnung lehnte das Amtsgericht Q. mit Beschluss vom 10. Oktober 2011 - 2 IN 89/11 - mangels Masse ab.
Am 28. November 2013 hörte der Bürgermeister der Beklagten den Kläger zu der beabsichtigten Heranziehung im Haftungswege an und bat um Stellungnahme dazu, warum in den Jahren 2009 und 2010 keine Gewerbesteuererklärungen beim Finanzamt eingereicht worden seien, welche Mittel der Firma während ihres Tätigkeitszeitraums und zur Fälligkeit der Steuerforderungen zur Verfügung gestanden hätten, aus welchen Gründen Steuerforderungen nicht gezahlt worden seien und ob und in welcher Höhe auf Verbindlichkeiten oder Forderungen anderer Gläubiger gezahlt worden sei.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 teilte der Kläger mit, für die Jahre 2009 und 2010 seien keine Abschlüsse mehr gefertigt worden, weil man den Steuerberater nicht habe bezahlen k önnen. Außerdem seien die Buchführungsunterlagen vom Insolvenzverwalter bzw. Gerichtsvollzieher eingelagert und später vernichtet worden. 2009 und 2010 sei ein deutlicher Verlust der Gesellschaft gegeben gewesen. Kreditlinien hätten nicht zur Verfügung gestanden.
Mit Haftungsbescheid vom 24. Januar 2014 zog der Bürgermeister der Beklagten den Kläger zur Haftung wegen Gewerbesteuerrückständen in Höhe von insgesamt 29.555,00 EUR heran. Dabei teilte er die Forderung auf in Gewerbesteuer 2008: 28.633,15 EUR, Nachforderungszinsen 2008: 143,00 EUR, Gewerbesteuer 2009: 705,25 EUR, Gewerbesteuer 2010: 73,10 EUR und einen Säumniszuschlag von 0,50 EUR. Zur Begründung machte er u.a. geltend: Am 23. Juni 2010 sei die Forderung für das Jahr 2008 fällig gewesen. Schon zu diesem Zeitpunkt hätten Rückstände bei unterschiedlichen Stellen bestanden. Am 3. Dezember 2009 sei wegen Steuerrückständen und steuerlicher Unzuverlässigkeit eine Gewerbeuntersagung angeregt worden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger sich um eine Insolvenz des Unternehmens bemühen müssen. Für die Jahre 2009 und 2010 seien keine Erklärungen beim Finanzamt eingereicht worden. Insgesamt habe der Kläger in Erkenntnis dieser Tatsachen grob fahrlässig gehandelt. Demgemäß sei es ermessensgerecht, ihn auf den gesamten Haftungsschaden in Anspruch zu nehmen.
Am 20. Februar 2014 hat der Kläger Klage erhoben. Zu deren Begründung macht er u.a. geltend: Zum Fälligkeitszeitpunkt der Gewerbesteuer 2008 am 23. Juni 2010 hätten keine Mittel zur Begleichung der Steuerschulden mehr zur Verfügung gestanden. Es seien keine anderen Gläubiger vorrangig befriedigt worden, auch sei nicht den Grundsätzen der anteiligen Tilgung widersprechend vorgegangen worden. Ein Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden sei ebenfalls nicht festzustellen. In den Jahren 2009 und 2010 seien keine Erklärungen zur Gewerbesteuer abgegeben worden, weil keine Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Er - der Kl äger - sei noch bis kurz vor Anmeldung der Insolvenz davon ausgegangen, dass er liquide Mittel aus einem anhängigen Rechtsstreit über ausstehende Lizenzansprüche erhalten werde.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid des Bürgermeisters der Beklagten vom 24. Januar 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Schriftsätzen vom 24. März 2015 und vom 30. März 2015 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verfahrensakte 1 K 1979/10 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet gemäß § 87a Abs. 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter anstelle der Kammer.
Die gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässige Anfechtungsklage hat nur zu einem geringen Teil Erfolg. Der angefochtene Haftungsbescheid vom 24. Januar 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit darin gegen ihn eine Haftungssumme von mehr als 28.776,15 EUR festgesetzt worden ist; im Übrigen ist er rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sind die §§ 191 Abs. 1 Satz 1, 69 Satz 1 der Abgabenordnung (AO). Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Gemäß § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.
Der Kläger kommt als ehemaliger Geschäftsführer der H. B. GmbH als Haftungsschuldner in Betracht. Die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern bzw. die steuerlichen Nebenleistungen aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten (§ 34 Abs. 1 AO). Eine diesbezügliche Pflichtverletzung ist in der Regel grob fahrlässig.
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 28. Oktober 2013 - 14 B 535/13 - m.w.N., Kommunale Steuerzeitschrift (KStZ) 2014, 56; zur Erstreckung der Haftung auf die steuerlichen Nebenleistungen vgl. z.B. Bundesfinanzhof (BFH), Urteile vom 1. August 2000 - VII R 110/99 -, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFHE) 192, 249 und vom 22. Februar 1980 - VI R 185/79 -, BFHE 130, 128.
Dabei wirkt die Bestandskraft von Gewerbesteuermessbescheiden und Gewerbesteuerbescheiden gemäß § 166 AO auch gegen Vertreter und Bevollmächtigte einer juristischen Person.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2013 - 14 B 535/13 - m.w.N., a.a.O.
Zu der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Steuern bzw. die steuerlichen Nebenleistungen entrichtet werden, gehört auch die Pflicht zur Bildung von Rücklagen (Vermögens- bzw. Mittelvorsorgepflicht). Rücklagen sind zum einen zu bilden, wenn die Entstehung von Steuerforderungen bereits absehbar ist und zum anderen, wenn Steuerforderungen entstanden, aber streitbefangen sind. Pflichtverletzungen sind in beiden Fällen in der Regel grob fahrlässig. Der Geschäftsführer haftet daher, wenn er sich durch die Verwaltungstätigkeit im Vorfeld der Fälligkeit außer Stande setzt, zum Fälligkeitszeitpunkt die Steuern bezahlen zu können.
Vgl. BFH, Urteile vom 11. März 2004 - VII R 19/02 -, BFHE 205, 335 und vom 17. November 1992 - VII R 13/92 -, BFHE 170, 295 und Beschluss vom 4. Mai 1998 - I B 116/96 - ([...]); OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Oktober 2013 - 14 B 535/13 -, a.a.O. und vom 20. Februar 2015 - 14 A 2071/14 - (www.nrwe.de und [...]).
Sind allerdings keine zu verwaltenden Mittel (mehr) vorhanden, trifft den gesetzlichen Vertreter der juristischen Person auch nicht die Pflicht, die Steuern bzw. steuerlichen Nebenleistungen zu entrichten. Reichen die vorhandenen Mittel nicht aus, um alle Schulden zu bezahlen, ist der Vertreter auch nicht verpflichtet, die Steuerschulden vorrangig zu befriedigen. Er hat vielmehr im Zeitpunkt der Fälligkeit die vorhandenen Mittel lediglich anteilig zur Befriedigung des Steuergläubigers und der übrigen Gläubiger einzusetzen (Grundsatz der anteiligen Befriedigung).
Vgl. zum Grundsatz der anteiligen Befriedigung: BFH, Beschlüsse vom 11. Juni 1996 - I B 60/95 - ([...]) und vom 4. Mai 2004 - VII B 318/03 - ([...]); OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Oktober 2013 - 14 B 535/13 -, a.a.O. m.w.N. und vom 20. Februar 2015 - 14 A 2071/14 - (www.nrwe.de und [...]).
Das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Haftungsbescheides hat grundsätzlich die Steuergläubigerin zu belegen. Allerdings ist der potentielle Haftungsschuldner auf Anforderung des Steuergläubigerin verpflichtet, an der Feststellung der Grundlagen für den Erlass eines Haftungsbescheides mitzuwirken bzw. diesbezüglich Auskünfte zu erteilen (vgl. §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 90 Abs. 1 AO). Wird diese Mitwirkungspflicht verletzt, kann dies gegen den potentiellen Haftungsschuldner verwertet werden. Der Haftungsschuldner ist jedoch nicht verpflichtet, sich Buchführungsunterlagen, die sich ohne Verstoß gegen Rechtspflichten nicht mehr in seinem Besitz befinden, zu verschaffen.
Vgl. BFH, Urteile vom 11. Juli 1989 - VII 81/87 -, BFHE 157, 315, [BFH 11.07.1989 - VII R 81/87] vom 23. August 1994 - VII R 134/92 - ([...]) und vom 4. Dezember 2007 - VII R 18/06 - ([...]); OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2013 - 14 B 535/13 - a.a.O., zu Vorstehendem insgesamt.
Vor diesem Hintergrund erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig, soweit er sich auf eine Haftungsschuld von 28.776,15 EUR bezieht (1). Hingegen hat die Klage Erfolg, soweit mit dem Haftungsbescheid vom 24. Januar 2014 weitere 778,85 EUR für Gewerbesteuer 2009 und 2010 sowie ein Säumniszuschlag geltend gemacht worden ist.
(1) Die Klage hat keinen Erfolg, soweit mit dem Haftungsbescheid eine Primärschuld von 28.633,15 EUR Gewerbesteuer 2008 (a) und Gewerbesteuerzinsen 2008 in Höhe von 143,00 EUR (b) festgesetzt worden sind. Insoweit bestehen ein bestandskräftiger Gewerbesteuermessbescheid vom 17. Mai 2010, ein Gewerbesteuerbescheid und ein Gewerbesteuerzinsbescheid vom 20. Mai 2010 über die genannten Summen.
(a) Die Heranziehung des Klägers im Haftungswege für die Gewerbesteuer 2008 der H. B. GmbH ist zu Recht erfolgt.
Der Kläger hat die Pflicht zur Entrichtung von Steuern aus Mitteln der GmbH (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 2 AO) grob fahrlässig verletzt (§ 69 Satz 1 AO). Der Kläger als Geschäftsführer der H. B. GmbH hätte zur Überzeugung des Gerichts im Jahr 2008 seiner Pflicht zur Mittelvorsorge nachkommen können. Denn die Entstehung der Steuerpflicht war für ihn absehbar, weil die Gesellschaft sowohl 2007 und auch 2008 (noch) Gewinne erzielt hat. Dass er bzw. die GmbH 2008 keine Rücklagen für die Zahlung der Gewerbesteuer bzw. Nachforderungszinsen hätte bilden können, ohne andere Verbindlichkeiten zu schmälern oder die Existenz der GmbH zu gefährden, hat der Kläger nicht vorgetragen; seine Einwände beziehen sich im Wesentlichen auf die Steuerpflicht in den Jahren 2009 und 2010. Im Gegenteil hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers als Vertreter der GmbH am 12. Mai 2009 einen Gewinn 71.000,00 EUR angegeben, der Grundlage des Vorauszahlungsbescheides ab 2008 über den Gewerbesteuermessbetrag des Finanzamts M. vom 26. Mai 2009 geworden ist.
Vor diesem Hintergrund ist die Ausübung des Ermessens der Beklagten, die der gerichtlichen Überprüfung im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO unterliegt, nicht zu beanstanden. Eine fehlerfreie Ausübung des Ermessens setzt voraus, dass die Behörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt - in den Grenzen ihrer Amtsermittlungspflicht (§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO) - vollständig aufklärt. Die fehlende Aufklärung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermessensnorm - hier des § 191 Abs. 1 Satz 1 AO - begr ündet daher einen Ermessenfehler, der die Aufhebung der behördlichen Entscheidung rechtfertigt.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. November 2004 - 10 B 2076/04 - ([...]) und vom 5. Januar 2012 - 14 B 1144/11 -, Der Gemeindehaushalt (GemHH) 2012, 69; Verwaltungsgericht (VG) Köln, Beschluss vom 25. August 2011 - 24 L 560/11 - (www.nrwe.de und [...]).
Diesen Maßgaben hat die Beklagte indessen genügt. Insbesondere hat sie in ihrem Anhörungsschreiben vom 28. November 2013 (erneut) detailliert die wirtschaftliche Situation der GmbH im Haftungszeitraum abgefragt. Die Stellungnahme, die der Prozessbevollmächtigte des Klägers für die GmbH hieraufhin abgegeben hat, hat indes nicht zu einer anderen Bewertung der wirtschaftlichen Möglichkeiten der GmbH im Jahre 2008 beigetragen. Das entspricht im Übrigen dem Ergebnis der gleich gelagerten Anfragen des Bürgermeisters der Beklagten, z.B. vom 8. Mai 2009.
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht der zutreffende Haftungsschuldner sei bzw. dass die Beklagte ihr Auswahlermessen nach § 191 AO unzutreffend ausgeübt habe, sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgebracht worden.
(b) Dieselben Erwägungen wie vorstehend gelten hinsichtlich der Aussetzungszinsen für das Jahr 2008 in Höhe von 143,00 EUR. Auch diesbezüglich hatte der Kläger bzw. die GmbH grundsätzlich eine (monatlich entstehende) Rücklagenbildungspflicht. Dass die Aussetzungszinsen erst im Jahre 2010 festgesetzt wurden, ist insoweit nicht von Belang.
(2) Die Klage hat hingegen Erfolg, soweit sie sich auf die Haftung des Klägers mit dem angefochtenen Bescheid für die Gewerbesteuer 2009 und 2010 sowie den Säumniszuschlag von 0,50 EUR bezieht. Insoweit ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig.
Die Beklagte ist ermessensfehlerhaft ohne hinreichenden tatsächlichen Anhalt von der Zahlungsfähigkeit der H. B. GmbH in den benannten Zeiträumen ausgegangen. Denn im Hinblick auf die vom Finanzamt M. im Schätzungswege angenommenen minimalen Gewerbeerträge von 5.000,00 EUR für 2009 (Messbescheid vom 19. Juli 2010) und 500,00 EUR für 2010 (Messbescheid vom 7. März 2012) musste die Beklagte vor dem Hintergrund des Insolvenzantrages vom 23. Februar 2011 und dem Vorbringen der GmbH hierzu im Übrigen davon ausgehen, dass keine genügenden Mittel zur Begleichung der Steuerschulden bzw. Rücklagenbildung vorhanden waren. Im Übrigen hatte das Finanzamt M. schon mit Bescheid vom 26. Mai 2009 den Gewerbesteuermessbetrag zu Vorauszahlungszwecken auf 0,00 EUR festgesetzt. Davon abgesehen hat der Bürgermeister der Beklagten mit Schreiben vom 16. Dezember 2009 an den Vollstreckungsdienst seiner Behörde selbst mitgeteilt, die GmbH sei am 8. Dezember 2008 aufgegeben worden und am 3. Dezember 2009 habe das Finanzamt M. angeregt, das Gewerbe wegen steuerlicher Unzuverlässigkeit zu untersagen. Dementsprechend hat das erkennende Verwaltungsgericht Arnsberg in seinem Gerichtsbescheid vom 28. Juli 2011 - 1 K 1979/10 - festgestellt, dass sich nach Auskunft des Finanzamtes M. die Steuerrückstände der Klägerin (am 26. Mai 2010) auf 13.111,42 EUR beliefen.
Anhaltspunkte für eine fortbestehende Zahlungsfähigkeit der H. B. GmbH lagen auch im Übrigen nicht vor. Dass die GmbH zu den Anfragen des B ürgermeisters der Beklagten im Verwaltungsverfahren zu ihrer finanziellen Situation vom 8. Juni 2009 und vom 11. August 2009 keine Angaben gemacht hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar kann eine Mitwirkungspflichtverletzung zur Einschränkung der Amtsermittlungspflicht führen. Das gilt allerdings nur in der Form, dass zum Nachteil des Mitwirkungsverpflichteten ein Sachverhalt zugrunde gelegt werden darf, für den eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. August 2012 - 14 B 787/12 - (www.nrwe.de und [...]).
Für die Zahlungsfähigkeit der H. B. GmbH in den Haftungszeiträumen sprach indes keine solche Wahrscheinlichkeit.
Vor diesem Hintergrund überwogen die Anhaltspunkte für eine tats ächlich bestehende Mittellosigkeit der GmbH, die von der Beklagten nicht ermessensgerecht berücksichtigt worden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).