04.02.2016 · IWW-Abrufnummer 183502
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 12.11.2015 – 5 TaBV 18/15
Eine zulässige betriebsverfassungsrechtliche Beschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung materiell-rechtlich noch beschwert ist. Dies ist nicht der Fall, wenn das erledigende Ereignis zwischen den Instanzen eintritt. Eine nach Eintritt des erledigenden Ereignisses eingelegte Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.
Im Beschlussverfahren mit den Beteiligten
pp.
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Anhörung der Beteiligten am 12.11.2015 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
beschlossen:
Tenor:
1. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 20.02.2015, Az. 2 BV 47 d/14, wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über den Zeitpunkt der Informations- und Anhörungsrechte des Betriebsrats bei der Personalplanung im Vorfeld von Entscheidungen über die Schließung einzelner Filialen.
Bei dem antragstellenden Betriebsrat handelt es sich um den gemeinsamen Betriebsrat der Antragsgegnerin (künftig: Arbeitgeberin) und der N. Y. T.großhandels-, Import- und Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG. Die Arbeitgeberin unterhält in Norddeutschland ca. 60 Filialgeschäfte. In den Filialgeschäften werden weniger als 20 und teilweise auch weniger als 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Geschäfte werden in gemieteten Räumen betrieben. Es kommt immer wieder zu Verhandlungen mit den Vermietern bezüglich Beendigung der Mietverhältnisse oder Fortführung zu ggf. geänderten Konditionen. In diesem Zusammenhang werden immer wieder Filialen geschlossen und/oder neu eröffnet. Die Entscheidung der Arbeitgeberin über die Schließung einer Filiale erfolgt je nach Verhandlungssituation mit dem Vermieter oft kurzfristig. Die Arbeitgeberin nimmt keine Personalplanung vorsorglich für den Fall vor, dass es zur Schließung kommt, sondern plant die Personalveränderungen erst nach erfolgter Schließungsentscheidung. Die Arbeitgeberin übergibt dem nach §§ 106 ff. BetrVG gebildeten Wirtschaftsausschuss halbjährlich eine Liste der Personalabteilung, aus der sämtliche Mietverträge ersichtlich sind unter Angabe der Laufzeit, weiterer Verlängerungsoptionen sowie unter Angabe der letzten Möglichkeit zur Kündigung. Die Liste wird zwischen Wirtschaftsausschuss und Arbeitgeberin persönlich besprochen. Nachfragen des Wirtschaftsausschusses werden von der Arbeitgeberin beantwortet. Ferner teilt die Arbeitgeberin dem Wirtschaftsausschuss unter Vorlage negativer Deckungsbeitragsrechnungen mit, welche Filialen aufgrund bestehender Unwirtschaftlichkeit von einer Schließung abstrakt bedroht sind. Die Arbeitgeberin unterrichtet den Betriebsrat unstreitig zeitnah davon, wenn sie einen Mietvertrag gekündigt hat.
Am 14.11.2014 hat der Betriebsrat vor dem Arbeitsgericht das vorliegende Beschlussverfahren rechtshängig gemacht.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten,
dass die Schließung von Filialen untrennbar mit Personalplanungen i. S. v. § 92 BetrVG verbunden sei. Die Unterrichtung über Personalplanungen müsse im Lichte des Art. 4 Abs. 2 RL 2002/14/EG zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem noch nicht vollendete Tatsachen geschaffen seien. Als Unterrichtungszeitpunkt sei drei Monate vor der beabsichtigten Schließung der Filiale angemessen. Sofern sich die Schließungsgründe erst kurzfristig ergäben, müsse die Arbeitgeberin ihn unverzüglich innerhalb von 14 Tagen unterrichten, um das Konsultationsverfahren durchführen zu können.
Der Betriebsrat hat beantragt,
Der Arbeitgeberin hat beantragt,
Die Arbeitgeberin hat gemeint,
die Anträge seien mangels Bestimmtheitserfordernis unzulässig und darüber hinaus unbegründet. Ihre Personalplanung setze erst ein, wenn die Schließungsentscheidung auch getroffen worden sei, da sich die personelle Situation laufend durch Ein- und Austritte verändere. Zudem räume der Betriebsrat ein, letztlich doch ausreichend über den Wirtschaftsausschuss informiert gewesen zu sein.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen, insbesondere streitigen Vorbringens der Beteiligten wird auf Ziff. I der Gründe des angefochtenen Beschlusses einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 20.02.2015 die Anträge zurückgewiesen. Die als einheitlicher Antrag auszulegenden Anträge seien unzulässig, weil der Antrag nicht hinreichend bestimmt genug sei. Der Begriff "mögliche Schließung" lasse völlig offen, was damit gemeint sei. Er definiere nicht einmal das Maß der Schließungsgefahr. Auch die erläuternden Beispiele änderten hieran nichts. Der Antrag werde auch nicht dadurch hinreichend bestimmt, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff durch den anderen ersetzt werde: statt "konkrete Schließungsgefahr" "mögliche Schließung" und "vergleichbar schwere Fälle". Die Klärung dieser Begriffe werde damit unzulässiger Weise ins Vollstreckungsverfahren verlagert. Darüber hinaus sei der Antrag aber auch unbegründet. Die Personalplanung sei von der unternehmerischen Planung, an wie vielen Standorten betriebliche Tätigkeit entfaltet werde, klar zu unterscheiden. Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG könne der Betriebsrat nicht verlangen, über eine normativ erforderliche aber unterlassene Personalplanung unterrichtet zu werden. Hierdurch würde die Unterrichtungspflicht zu einer Personalplanungspflicht mutieren. Zudem ergebe sich aus § 92 Abs. 2 BetrVG, dass der Betriebsrat Vorschläge zur Einführung und Durchführung einer Personalplanung machen könne. Diese Vorschrift wäre obsolet, wenn bereits eine Verpflichtung zur Personalplanung bestünde. Dem stehe auch Art. 4 Abs. 2b RL 2002/14/EG nicht entgegen. Danach beziehe sich die Unterrichtungspflicht auf zu planende antizipative Maßnahmen, aber nicht auf erst zu planende antizipative Maßnahmen.
Gegen diesen ihm am 04.03.2015 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 18.03.2015 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Beschwerde eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 04.06.2015 am 19.05.2015 begründet.
Der Betriebsrat trägt vor,
sein Antrag sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts zulässig. Die Präzisierung des Antrags erfolge dadurch, dass drei Monate vor einer möglichen Schließung die Unterrichtung verlangt werde. Zum Unterrichtungszeitpunkt müsse sich infolgedessen die Möglichkeit der Schließung der Filiale konkretisiert haben. Laufe ein befristeter Mietvertrag aus, stehe dieser Zeitpunkt fest, sodass spätestens drei Monate vorher zu unterrichten sei. Entsprechendes gelte für die Kündigung des Mietvertrages. Auch dann bestehe die Schließungsgefahr, weil die rechtliche Nutzungsmöglichkeit entfalle. Der Antrag sei auch begründet. Die Arbeitgeberin entziehe sich der Unterrichtungspflicht nach § 92 Abs. 1 BetrVG, indem sie sich trotz auslaufender bzw. gekündigter Mietverträge über die Beschäftigungsmöglichkeiten des hiervon betroffenen Personals keine Gedanken mache. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass für ihn, den Betriebsrat, in diesem Falle keine rechtliche Handhabe bestehe, die Arbeitgeberin zu zwingen, ihn über den Personaleinsatz und die Personalplanung zu unterrichten, widerspreche den Zielsetzungen der Richtlinie 2002/14/EG. Allein der Begriff "geplanten antizipativen Maßnahmen" in Art. 4 Abs. 2b RL 2002/14/EG bedeute nicht, dass für die Unterrichtung eine vorherige Planung vorausgesetzt werde. So werde in der englischen und französischen Übersetzung der Begriff "ins Auge gefasste Maßnahme" (envisaged) verwendet. Damit solle den Betriebsparteien die Basis für eine präventive betriebliche Beschäftigungspolitik sowie für Maßnahmen der Umschulung und Qualifizierung ermöglicht werden. Dieser Zweck werde jedoch unterlaufen, wenn die Unterrichtung gemäß § 92 BetrVG erst dann einsetzte, wenn die Personalplanung tatsächlich durchgeführt worden sei bzw. antizipative Maßnahmen bereits geplant und nicht lediglich ins "Auge gefasst" worden seien. Drei Monate vor dem Ende der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit der Gesch äftsräume einer Filiale und der damit einhergehenden sich konkret abzeichnenden Filialschließung müsse von einer "Bedrohung für die Beschäftigten" i. S. V. Art. 4 Abs. 2b RL 2002/14/EG auszugehen sein. Seit Anfang 2015 erteile die Arbeitgeberin die von ihm, dem Betriebsrat, gewünschten Informationen im Hinblick auf die von Schließung bedrohten Filialen. Dies ergebe sich auch aus der Email des Verkaufsleiters vom 24.02.2015 (Bl. 117 d. A.).
Der Betriebsrat erklärt,
Der Arbeitgeberin widerspricht
Die Arbeitgeberin trägt vor,
der Antrag des Betriebsrats sei von Anfang an unzulässig und unbegründet gewesen. Insoweit verteidigt er den angefochtenen Beschluss. Der Antrag sei zu unbestimmt. Ihm könne nicht entnommen werden, was von ihr verlangt werde. Auch durch die Beispielsfälle sei nicht klargestellt worden, was unter einer "möglichen Schließung" zu verstehen sei. Der Antrag stelle gerade nicht auf ein feststellbares Datum der Unterrichtung ab. Eine Unterrichtung über die Personalplanung könne erst dann einsetzen, wenn eine solche auch vorgenommen werde. Sie, die Arbeitgeberin, nehme eine Personalplanung aber erst dann vor, wenn sie endgültig davon ausgehe, eine Filiale nicht mehr betreiben zu können oder zu wollen. Der Antrag sei auch unbegründet. Die Unterrichtungspflicht nach § 92 BetrVG i. V. m. der Richtlinie 2002/14/EG setze erst dann ein, wenn der Arbeitgeber mit der Personalplanung beginne und nicht früher. Zudem sei der Betriebsrat über die Eckdaten der Mietverhältnisse unstreitig informiert. Weitere Informationen könnten nicht gegeben werden, weil im Hinblick auf die Personalplanung vor der unternehmerischen Entscheidung, eine Filiale schließen zu wollen, keine weiteren Informationen vorlägen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den Inhalt der in der Beschwerdeinstanz gewechselten Schriftsätze sowie der Sitzungsniederschrift vom 12.11.2015 verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Eine zulässige Beschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung materiell-rechtlich noch beschwert ist (Germelmann, ArbGG, 7. Auflage, Rn. 7 zu § 89). Eine solche Beschwer liegt vor, wenn der Beteiligte in seiner Rechtsstellung, die seine Beteiligung begründet, in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird. Allein der Umstand, dass seinem erstinstanzlichen Antrag nicht entsprochen wurde, reicht hierfür nicht aus (vgl. LAG Köln, Beschl. v. vom 07.05.1992 - 6 (13) TaBV 7/92 -, LAGE § 87 ArbGG 1979 Nr. 2). Sofern durch Zeitablauf oder durch Eintritt eines erledigenden Ereignisses (z. B. Erfüllung) das Rechtsschutzinteresse für den erstinstanzlichen zurückgewiesenen Antrag noch vor Einlegung der Beschwerde entfällt, fehlt es im betriebsverfassungsrechtlichen Beschluss an der erforderlichen Beschwer.
2. Hieran gemessen war der Betriebsrat durch die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts jedenfalls seit Ende Februar 2015 nicht mehr beschwert. Mit Eintritt des erledigenden Ereignisses entfällt im betriebsverfassungsrechtlichen Beschwerdeverfahren regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittel. Die Arbeitgeberin hat mit der E-Mail vom 24.02.2015 dem Antrag des Betriebsrats, möglichst frühzeitig (drei Monate) vor einer möglichen Schließung eines Filialgeschäfts über die Personalplanung informiert zu werden, (freiwillig) entsprochen. Er hat eine mit dem Betriebsrat abgesprochene Verfahrensweise vorgeschlagen, die in vollem Umfang die mit dem Antrag des Betriebsrats verfolgten Informationswünsche berücksichtigt und hält sich auch an diese Verfahrensweise. Dies hat die Betriebsratsvorsitzende in der Beschwerdeinstanz bestätigt. Infolgedessen hat der Prozessvertreter des Betriebsrats in der Beschwerdeverhandlung den Antrag auch für erledigt erklärt. Die für die Beschwerdeeinlegung erforderliche Beschwer liegt nicht vor, wenn die Arbeitgeberin sich - wie vorliegend - zwischenzeitlich, d. h. zwischen den Instanzen, antragsgemäß verhält bzw. die eingeklagten Unterrichtungsrechte nach § 92 Abs. 1 BetrVG (freiwillig) erfüllt.
Der Betriebsrat hat erst am 18.03.2015 und damit nach Eintritt des erledigenden Ereignisses vor dem Landesarbeitsgericht Beschwerde eingelegt. Vorliegend ist das erledigende Ereignis indessen Anfang 2015, spätestens aber mit der schriftlichen Fixierung der Verfahrensweise der hier strittigen Informationsrechte gemäß § 92 Abs. 1 BetrVG des Betriebsrats vom 24.02.2015 eingetreten. Der Betriebsrat war durch Eintritt des erledigenden Ereignisses zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung nicht mehr beschwert. Die Durchführung des Beschwerdeverfahrens liefe in einem derartigen Fall auf die Erteilung eines reinen Rechtsgutachtens hinaus. Hierfür sind die Beschwerdegerichte indessen nicht berufen.
3. Nach alledem war die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen bzw. zu verwerfen. Eine Einstellung des betriebsverfassungsrechtlichen Beschlussverfahrens auch für den Fall, dass die übrigen Beteiligten der Erledigung widersprechen (LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 04.05.2011 - 8 TaBVGa 5/10 - [...]), kommt nur in Betracht, wenn das erledigende Ereignis erst während des zulässig eingelegten Beschwerdeverfahrens eintritt.
Verkündet am 12.11.2015