22.03.2016 · IWW-Abrufnummer 184657
Landesarbeitsgericht Saarland: Urteil vom 28.01.2015 – 2 Sa 154/13
1. In Fällen französischer Grenzgänger wirkt sich nach der Auslegung des EuGH (Urteil v. 28.03.2012 - C-172/11 - [Fall: Erny] in NZA 2012, Seite 863-866 - Rn 41 bei [...]) die fiktive Berücksichtigung der deutschen Lohnsteuer insoweit nachteilig auf die Situation der Grenzgänger aus, als der fiktive Abzug dieser Steuer bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Aufstockungsbetrags Personen mit französischem Grenzgängerstatus, die in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässig und steuerpflichtig sind, gegenüber Arbeitnehmern benachteiligt, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben und dort steuerpflichtig sind. Damit scheidet die Anwendung der nach der Verordnungsermächtigung in § 15 ATG erstellten Mindestnettobetragstabelle in Bezug auf Grenzgänger aus.
2. Nach den Vorgaben des EuGH (vgl. EuGH Urteil vom 28.03.2012 aaO. Rn. 53 bei [...] m.w.N.) schreiben weder Artikel 45 AEUV noch die Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 den Mitgliedsstaaten oder einem privaten Arbeitgeber eine bestimmte Maßnahme im Fall der Verletzung des Diskriminierungsverbots vor. Die entstandene Regelungslücke kann und muss unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens der Tarif Vertragspartner bzw. der Partner der Gesamtbetriebsvereinbarung und des Einzelvertrags geschlossen werden.
3. Die Anwendung einer ebenfalls fiktiven Steuer nach Vorgaben französischen Steuerrechts auf ein um Individualisierungen bereinigtes Monatsbasiseinkommen - also auch ohne Ehegatteneinkommen - (vergleichbar den Ausgangsbestandteilen des zur Mindestnettobetragstabelle führenden Monatsverdienstes) zur Ermittlung der Höhe des an frz. Grenzgänger zu zahlenden Aufstockungsbetrages im Altersteilzeitarbeitsverhältnis schließt die entstandene Regelungslücke in einer Weise, die dem Willen der (Individual-/Kollektiv-) Parteien am nächsten kommt. Dabei kommt es nicht zu einer mit dem DBA FRA unvereinbaren echten Doppelbesteuerung, da letztlich nur das Gesamteinkommen mit seinen für den Grenzgänger und seine Familie zu berücksichtigenden Individual-Steuermerkmalen in Frankreich der dortigen progressiven Steuertabelle unterworfen wird.
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Saarlouis vom 19.10.2010 - 1 Ca 1101/09 - unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert und deshalb neu gefasst:
(1) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum von November 2009 bis Dezember 2009 einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von jeweils 10,03 EUR monatlich, insgesamt somit einen Betrag in Höhe von 20,06 EUR, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.06.2010 zu zahlen.
(2) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum von Januar bis April 2010 einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von jeweils 11,10 EUR monatlich, insgesamt somit einen Betrag in Höhe von 44,40 EUR, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.06.2010 zu zahlen.
(3) Die Beklagte wird verurteilt,
a) ab Mai 2010 bis Dezember 2010 monatlich an den Kläger einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von 11,10 EUR zu zahlen.
b) ab Januar 2011 bis Dezember 2011 monatlich an den Kläger einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von 11,50 EUR zu zahlen.
c) ab Januar 2012 bis August 2012 monatlich an den Kläger einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von 11,24 EUR zu zahlen.
(4) Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
(5) Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten zu 1/20 und dem Kläger zu 19/20 auferlegt.
(6) Der Streitwert wird auf 6.297,60 EUR festgesetzt.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und Berufungsbeklagte zu 91/100 und die Beklagte und Berufungsklägerin zu 9/100.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vorliegend bezüglich der Berechnung von Aufstockungsbeträgen zum Altersteilzeitentgelt, ob für in Frankreich lebende französische Staatsbürger mit Grenzgängerstatus und Arbeitsstelle in Deutschland die steuerliche Behandlung einzelner Geldfaktoren nach deutschem oder nach französischem Steuerrecht zu erfolgen hat. Dabei geht es konkret um eine Altersteilzeitvereinbarung nach dem Blockmodell für einen Sechs-Jahres-Zeitraum von 01.09.2006 bis 31.08.2012 unter tarifvertraglich vereinbarter Heranziehung des § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung.
Der 1949 geborene Kläger ist verheiratet und lebt als französischer Staatsbürger in Frankreich, während er bei der Beklagten seit 05.01.1971 im räumlichen Geltungsbereich des deutsch-französischen Doppelbesteuerungsabkommens (vgl. BGBl. 1961 Teil II S. 397 i.V.m. Artikel 2 des Zusatzabkommens vom 20.12.2001 - BGBl. 2001 Teil II S. 2370) als sogenannter Grenzgänger einer Beschäftigung als Arbeitnehmer nachgegangen war.
Der Verdienst des Klägers lag zuletzt im Monat Juni 2006 bei 2.649,60 EUR brutto zuzüglich vermögenswirksame Leistung in Höhe von 26,59 EUR brutto, sodass sich ein Betrag von 2.676,19 EUR brutto ergeben hat. Hierzu kam eine Kontoführungsgebühr-Pauschale in Höhe von 1,28 EUR. Das ausgewiesene Bruttogehalt in der Abrechnung belief sich auf 2.677,47 EUR (vgl. Bl. 77 d.A.).
Am 28.03.2006 schlossen die Parteien einen Altersteilzeit-Arbeitsvertrag (vgl. Bl. 5-9 d.A.). Hiernach wurde im Rahmen eines sogenannten Blockmodells die Arbeitsphase (= Aktivphase) auf den Zeitraum 01.09.2006 bis 31.08.2009 und die Freistellungsphase (= Passivphase) auf den Zeitraum 01.09.2009 bis 31.08.2012 festgelegt. Entsprechend war in § 3 zur Arbeitszeit während der Aktivphase die Arbeitszeit auf die Hälfte der bisher vereinbarten individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit festgeschrieben worden mit 17,5 Stunden. In §§ 4, 5 des Altersteilzeit-Arbeitsvertrags wurden die Vergütung und der Aufstockungsbetrag festgelegt, wobei sich im Rahmen des § 15 Aufstockungsbetrag folgende Vereinbarung wiederfindet:
§ 5 Aufstockungsbetrag
1. Der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin erhält in der Arbeits- und Freistellungsphase einen Aufstockungsbetrag zum Regelarbeitsentgelt/Altersteilzeitentgelt (§ 3 Absatz 1 a Altersteilzeitgesetz, § 4 des Vertrages), soweit die Entgeltbestandteile nicht in der Arbeitsphase voll ausgezahlt worden sind, mindestens in Höhe des nach § 5 Nr. 2 des Vertrages ermittelten Bruttoaufstockungsprozentsatzes.
2. Der auf das Regelarbeitsentgelt/Altersteilzeitentgelt des Absatz 1 bezogene Bruttoaufstockungsprozentsatz ist so zu bemessen, dass das monatliche Nettoentgelt während der Altersteilzeit mindestens 85 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten doppelten Regelarbeitsentgelts/Altersteilzeitentgelts beträgt. Basis für die Berechnung ist der erste Monat der Altersteilzeit. Der so ermittelte Bruttoprozentsatz wird zum Ausgleich der entfallenden Sonderzahlungen wie folgt erhöht:
a) Arbeitnehmer / Arbeitnehmerinnen deren Bruttovollzeitmonatsentgelt (lt. Form D8) im letzten Monat vor Beginn der Altersteilzeit die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung nicht übersteigt, erhalten eine Erhöhung um 8 Prozentpunkte.
b) Arbeitnehmer / Arbeitnehmerinnen deren Bruttovollzeitmonatsentgelt (lt. Form D8) im letzten Monat vor Beginn der Altersteilzeit die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigt, erhalten eine Erhöhung um 6 Prozentpunkte.
3. Eine Begrenzung des Regelarbeitsentgelts/Altersteilzeitentgelts durch die Beitragsbemessungsgrenze findet nicht statt.
Neben der Vereinbarung eines Altersteilzeit-Arbeitsvertrags kommt auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch der Tarifvertrag zur Altersteilzeit zwischen dem Verband der Metall und Elektroindustrie des Saarlandes e.V. und der IG Metall Bezirksleitung Frankfurt am Main vom 23.11.2004 [TV ATZ] zur Anwendung (vgl. Bl. 169-176 d.A.). Darin befinden sich hinsichtlich des Aufstockungsbetrages sowie dem Verhältnis des Tarifvertrags zu Regelungen in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung nachfolgende Normen:
§ 7 Aufstockungsbetrag
Der Beschäftigte erhält einen Aufstockungsbetrag nach Maßgabe von § 3 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a ATG in seiner jeweils bei Beginn des Altersteilzeitverhältnisses gültigen Fassung auf das Altersteilzeitentgelt. Dieser ist jedoch so zu bemessen, dass das monatliche Nettoentgelt mindestens 82 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei den Beschäftigten gewöhnlich anfallen, verminderten monatlichen bisherigen Bruttoarbeitsentgelts im Sinne des § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung beträgt.
Die Sonderzahlungen nach § 6 2.1 und 2.2 werden in die Berechnung des Aufstockungsbetrages einbezogen und zwar dergestalt, dass sie bei dem der Berechnung zu Grunde liegenden bisherigen Arbeitsentgelt in doppelter Höhe berücksichtigt werden.
§ 13 Abweichende Regelungen
Die Betriebsparteien können im Wege einer freiwilligen Betriebsvereinbarung
- durch insgesamt wertgleiche Regelungen oder
- bei Gefährdung von Arbeitsplätzen durch Einführung von Altersteilzeit
abweichende betriebliche Regelungen zur Altersteilzeit vereinbaren.
Hierauf aufbauend hat die Geschäftsführung der Beklagten mit dem Gesamtbetriebsrat am 20.04.2005 eine Betriebsvereinbarung über die Altersteilzeit, gültig ab 01.08.2005, abgeschlossen (vgl. Bl. 58-63 d.A.). Dort finden sich Vereinbarungen zu Aufstockungsleistungen unter 4.3 mit folgendem Inhalt:
§ 7 Aufstockungsbetrag
Der Beschäftigte erhält einen Aufstockungsbetrag nach Maßgabe von § 3 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a ATG in seiner jeweils bei Beginn des Altersteilzeitverhältnisses gültigen Fassung auf das Altersteilzeitentgelt. Dieser ist jedoch so zu bemessen, dass das monatliche Nettoentgelt mindestens 82 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei den Beschäftigten gewöhnlich anfallen, verminderten monatlichen bisherigen Bruttoarbeitsentgelts im Sinne des § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung beträgt.
Die Sonderzahlungen nach § 6 2.1 und 2.2 werden in die Berechnung des Aufstockungsbetrages einbezogen und zwar dergestalt, dass sie bei dem der Berechnung zu Grunde liegenden bisherigen Arbeitsentgelt in doppelter Höhe berücksichtigt werden.
§ 13 Abweichende Regelungen
Die Betriebsparteien können im Wege einer freiwilligen Betriebsvereinbarung
- durch insgesamt wertgleiche Regelungen oder
- bei Gefährdung von Arbeitsplätzen durch Einführung von Altersteilzeit
abweichende betriebliche Regelungen zur Altersteilzeit vereinbaren.
Ferner wird unter 7. in dieser Betriebsvereinbarung festgelegt, dass die Betriebsparteien darin übereinstimmen, dass es sich bei den Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung um insgesamt wertgleiche Regelungen im Sinne des § 13 TV ATZ handelt.
In ihren bis zum 30.06.2004 geltenden Fassungen lauteten die §§ 3 Absatz 1, 6 ATG wie folgt:
§ 3 ATG Anspruchsvoraussetzungen
(1) Der Anspruch auf die Leistungen nach § 4 setzt voraus, dass
1. der Arbeitgeber auf Grund eines Tarifvertrages, einer Regelung der Kirchen und der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften, einer Betriebsvereinbarung oder einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer
a) das Arbeitsentgelt für die Altersteilzeitarbeit um mindestens 20 vom Hundert dieses Arbeitsentgelts, jedoch auf mindestens 70 vom Hundert des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten bisherigen Arbeitsentgelts im Sinne des § 6 Absatz 1 (Mindestnettobetrag), aufgestockt hat und
b) für den Arbeitnehmer Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung mindestens in Höhe des Beitrags entrichtet hat, der auf den Unterschiedsbetrag zwischen 90 vom Hundert des bisherigen Arbeitsentgelts im Sinne des § 6 Absatz 1 und dem Arbeitsentgelt für die Altersteilzeitarbeit entfällt, höchstens bis zur Beitragsbemessungsgrenze, sowie
2. der Arbeitgeber aus Anlass des Übergangs des Arbeitnehmers in die Altersteilzeitarbeit ...
....
§ 6 ATG Begriffsbestimmungen
(1) 1Bisheriges Arbeitsentgelt im Sinne dieses Gesetzes ist das Arbeitsentgelt, das der in Altersteilzeitarbeit beschäftigte Arbeitnehmer für eine Arbeitsleistung bei bisheriger wöchentlicher Arbeitszeit zu beanspruchen hätte, soweit es die Beitragsbemessungsgrenze des Dritten Buches Sozialgesetzbuch nicht überschreitet. 2§ 134 Absatz 2 Nr. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.
(2) 1Als bisherige wöchentliche Arbeitszeit ist die wöchentliche Arbeitszeit zugrunde zu legen, die mit dem Arbeitnehmer vor dem Übergang in die Altersteilzeitarbeit vereinbart war. 2Zugrunde zu legen ist höchstens die Arbeitszeit, die im Durchschnitt der letzten 24 Monate vor dem Übergang in die Altersteilzeit vereinbart war. 3Bei der Ermittlung der durchschnittlichen Arbeitszeit nach Satz 2 bleiben Arbeitszeiten, die die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit überschritten haben, außer Betracht. 4Die ermittelte durchschnittliche Arbeitszeit kann auf die nächste volle Stunde gerundet werden.
(3) Als tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ist zugrunde zu legen,
1. wenn ein Tarifvertrag eine wöchentliche Arbeitszeit nicht oder für Teile eines Jahres eine unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeit vorsieht, die Arbeitszeit, die sich im Jahresdurchschnitt wöchentlich ergibt; wenn ein Tarifvertrag Ober- und Untergrenzen für die Arbeitszeit vorsieht, die Arbeitszeit, die sich für den Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt wöchentlich ergibt,
2. wenn eine tarifliche Arbeitszeit nicht besteht, die tarifliche Arbeitszeit für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen, oder falls eine solche tarifliche Regelung nicht besteht, die für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen übliche Arbeitszeit.
Über § 15 Satz 1 ATG war bis zum 30.06.2004 die Möglichkeit eröffnet, dass das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung jeweils für ein Kalenderjahr zum einen die Mindestnettobeträge nach § 3 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a sowie zum anderen die Nettobeträge des Arbeitsentgelts für die Altersteilzeit bestimmen konnte. Bei der Errechnung der sich in der Mindestnettobetrags-Tabelle befindlichen Beträge wurde jeweils deutsches Steuerrecht angewandt. Diese Anwendung deutschen Steuerrechts ist im Wesentlichen auch der Kern der Auseinandersetzung zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits.
Übergeordnet sind für die in diesem Rechtsstreit vertretenen Rechtsauffassungen auch aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [EGV] Artikel 39 (BGBl. 1957 II S.766; BGBl. 2008 II S.1038; BGBl. 2009 II S.1223), dem der jetzige Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV] (ABl. der EU 2008 Nr. C 155 S.47) von Bedeutung; diese Bestimmungen lauten inhaltsgleich:
Artikel 39 EGV = Artikel 45 AEUV
(1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.
(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.
(3) Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht,
a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;
b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;
c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;
d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt.
(4) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung.
Ferner ist für die rechtliche Beurteilung der Frage der Anwendbarkeit deutschen Steuerrechts auch Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. der EU 1968 L 257, S.2) von Belang.
Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:
(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
...
(4) Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Entlohnung und allen übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen."
Die Verordnung Nummer 1612/68 ist mit Wirkung vom 16.06.2011 durch die Verordnung (EU) Nummer 492/2011 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. EU 2011 L 141, S.1) aufgehoben und ersetzt worden.
Letztlich finden auf das Arbeitsverhältnis auch die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der Eisen-, Metall- und Elektroindus-trie des Saarlandes vom 20.07.2005 [ERA-MTV] Anwendung, so dass bezüglich des Erlöschens von Ansprüchen § 35 mit folgendem Inhalt zu beachten ist:
§ 35 ERA-MTV Erlöschen von Ansprüchen
1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind schriftlich innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen.
2. Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter 1 festgesetzten Frist ist ausgeschlossen, es sei denn, dass die Einhaltung dieser Frist wegen eines unabwendbaren Zufalles nicht möglich gewesen ist.
3. Ist ein Anspruch rechtzeitig erhoben worden und lehnt die Gegenseite seine Erfüllung ab, so ist der Anspruch innerhalb von 3 Monaten seit der Ablehnung gerichtlich geltend zu machen. Eine spätere Geltendmachung ist ausgeschlossen.
§ 33 des MTV für die Arbeiter und Angestellten in der weiterverarbeitenden Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes vom 13.03.1987 in der Fassung vom 05.12.1997 enthält eine wortgleiche Regelung, wie man sie in § 35 des ERA-MTV vom 20.07.2005 vorfindet.
Im Vorfeld der Klageerhebung fragte die Klägervertretung mit Schreiben vom 01.07.2009 bei der Beklagten an mit der Bitte, eine nachvollziehbare Berechnung des Aufstockungsbetrages der Klägerseite zukommen zu lassen. Hierauf antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 03.09.2009 (vgl. Bl. 10-13 d.A.). In diesem Schreiben ist dann auch die von der Beklagten angewandte Formel: Bruttoaufstockungsprozentsatz/Aufstockungsbetrag enthalten. Die Beklagte geht also nach folgendem Berechnungsschema vor:
1. ATZ-Regelarbeitsentgelt (ATZ-RAE)
2. ATZ-Nettoentgelt (individuell aus 1.)
3. doppeltes ATZ-Regelarbeitsentgelt (aus 1.)
4. ATZ-Mindestnettoentgelt 85 % (aus 3.)
5. Netto-Entgeltdifferenz ATZ-Mindestnettoentgelt (4.) minus ATZ-Nettoentgelt (2.)
6. Ermittlung Bruttoaufstockungsprozentsatz (x Prozent)
X % = [Nettoentgeltdifferenz (5.)x 100 / ATZ- Regelarbeitsentgelt (1.)] + 8 % bzw. 6 %
7. Ermittlung des Aufstockungsbetrages in Euro:
Aufstockungsprozentsatz X% (6.) x ATZ-RAE (1.)
8. Ermittlung ATZ-Nettoentgelt inklusive Aufstockungsbetrag
ATZ-Nettoentgelt (2.) + Aufstockungsbetrag (7.)
In einem Schreiben der Generaldirektion für öffentliche Finanzen in Paris vom 01.09.2010 (vgl. Bl. 208 d.A. mit Übersetzung auf Bl. 209 d.A.), welches von Klägerseite in den Prozessstoff eingeführt wurde, wird im vierten Absatz ausgeführt:
"... Die französische Gesetzgebung sieht nicht vor, dass diese Art der Vergütung nicht steuerpflichtig ist, woraus folgt, dass die vorgenannten Beträge einschließlich der Aufstockungsbeträge dem progressiven Einkommensteuertarif unterliegen ...."
In erster Instanz hat der Kläger bereits die Ansicht vertreten, dass ihm ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung rückständiger Differenzbeträge im Bereich des Aufstockungsbetrages zur Altersteilzeitvergütung für 13 Monate von April 2009 bis April 2010 in Höhe von monatlich 196,80 EUR, das heißt insgesamt in Höhe von 2.558,40 EUR zusteht. Dies war Gegenstand seines Antrags zu 1. Ab dem Monat Mai 2010 bis zum Monat August 2012 begehrte er mit seinem Antrag zu 2 die fortlaufende weitergehende Zahlung von monatlich 196,80 EUR. Der Kläger ging dabei davon aus, dass ein erheblicher steuerlicher Unterschied zwischen der Versteuerung seines Einkommens in Frankreich und der zur Ermittlung des Aufstockungsbetrages von der Beklagten angewandten Mindestbetragstabelle bei eingearbeiteter deutscher Versteuerung bestehe. So verwies der Kläger unter anderem auf seinen französischen Steuerbescheid vom 16.07.2007 für das Kalenderjahr 2006 (vgl. Bl. 14-17 d.A.). Der persönliche Steuersatz wurde für ihn auf nur 5,13 % seitens der französischen Finanzverwaltung festgelegt. Der Kläger geht deshalb in seiner Rechtsauffassung davon aus, dass sich der Aufstockungsbetrag der Höhe nach in seiner Errechnung ohne Anwendung deutscher, aber auch ohne Berücksichtigung französischer Steuergesetze ermitteln lasse, da nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Frankreich und Deutschland auf in Deutschland erzieltes Arbeitseinkommen dort gerade keine Steuer zu entrichten sei.
Danach ermittle sich nach Überzeugung des Klägers der zu beanspruchende Differenzbetrag im Bereich der Aufstockung bei Zugrundelegung der Nettovergütung in aktiver Arbeit von 2.123,90 EUR zunächst in einem ersten Schritt mit 85 %, d.h. einen Betrag in Höhe von 1.805,32 EUR. Damit werde zunächst § 5 Absatz 2 Satz 1 des Altersteilzeit-Arbeitsvertrags Rechnung getragen. Zu diesem Betrag addieren sich nach § 5 Absatz 2 a des Altersteilzeit-Arbeitsvertrags weitere 8 % aus der Nettovergütung in der aktiven Arbeit, also einen Betrag von 144,42 EUR. Im Ergebnis soll also nach Überzeugung des Klägers durch die Vereinbarung zur Altersteilzeit dem Kläger ein Altersteilzeitentgelt von 1949,74 EUR brutto pro Monat zufließen. Sieht man den tatsächlich gezahlten Betrag von 1.752,94 EUR hiervon, ergebe sich der tatsächlich zu beanspruchende weitere Aufstockungsbetrag in Höhe von 196,80 EUR.
Hierzu bezieht sich der Kläger im Detail auf folgende Berechnung (vgl. Anlage K 12 zum Schriftsatz vom 21.06.2010 - Bl. 185, 186 d.A.):
Grafik 1
Der Kläger ist der Ansicht, die Ausschlussfristen für den Zeitraum April 2009 bis April 2010, also den mit dem Antrag zu 1 hinsichtlich der aufgelaufenen Rückstände an Differenzen abgebildeten Zeitraum, eingehalten zu haben.
Nach Überzeugung des Klägers könne die deutsche Mindestnettobetragstabelle nicht zur Anwendung gelangen. Eine solche Anwendbarkeit lasse sich weder aus dem Altersteilzeitarbeitsvertrag noch aus dem TV-ATZ herleiten. Nach dem TV-ATZ bestehe zunächst ein Anspruch auf einen Aufstockungsbetrag gemäß § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG. Zu Beginn der Altersteilzeit des Klägers mit dem Monat September 2006 sei aber der Begriff "Mindestnettobetrag" im Altersteilzeitgesetz nicht mehr enthalten gewesen. Es könne also nur ein bestimmter Prozentsatz des bisherigen Nettoentgelts des Klägers ohne Berücksichtigung von Lohnsteuern ermittelt werden. Abgesehen davon würde nach Auffassung des Klägers bei Anwendung der Mindestnettobetragstabelle und somit der Anwendung einer fiktiven deutschen Lohnsteuer ein Verstoß gegen das in Artikel 39 EGV und in Artikel 7 der V. 1612/68 normierte Diskriminierungsverbot vorliegen. Es käme nämlich zur Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte durch die Beklagte, wenn man die deutsche Lohnsteuer auf Einkünfte von in Frankreich wohnenden Arbeitnehmern anwenden wollte. Die erste Rechtsfolge aus dieser Überlegung bestehe nun darin, dass man diskriminierende Regelungen nicht zur Anwendung bringe. Die zweite Rechtsfolge hieraus sei dann aber die Schließung der Regelungslücke zur Erreichung des mit der Aufstockungszahlung bezweckten Erfolges. Es müsse also zum Ausgleich des durch die altersteilzeitbedingten Lohnverlustes bis zu einem bestimmten Prozentsatz des früheren Nettoentgelts kommen. Dieses Ziel sei für in Frankreich wohnende Arbeitnehmer aber nur dann zu erreichen, wenn man bei der Berechnung des Aufstockungsbetrages gerade keine Lohnsteuer in Ansatz bringe.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.558,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab dem 01.05.2010 bis zum 31.08.2012 einen weiteren Aufstockungsbetrag in Höhe von 196,80 EUR monatlich zu zahlen.
Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, dass das von ihr gewählte Berechnungsmodell unter Einbeziehung der Mindestnettobetragstabelle bei der Ermittlung von in Altersteilzeit zu zahlendem Arbeitsentgelt und Aufstockungsbeträge keinen Verstoß gegen das europäische Diskriminierungsverbot darstelle. So könne die sogenannte "M."-Entscheidung des EuGH im Urteil vom 16.09.2004 (Aktenzeichen C-400/02 - in DStRE 2005, 236-239
[EuGH 16.09.2004 - C 400/02]
) nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Während es dort um eine Überbrückungsbeihilfe gehe, die in Frankreich zu versteuern sei, und die eine Sozialleistung zum Ausgleich des Lohnverlustes infolge Arbeitslosigkeit darstelle, handele es sich hier um einen Aufstockungsbetrag bei einer Altersteilzeit-Vereinbarung. In Frankreich sei dieser Aufstockungsbetrag allerdings nicht zu versteuern nach Überzeugung der Beklagten. Der Zweck des Aufstockungsbetrages besteht darin, einen Anreiz zum Abschluss von Altersteilzeitvereinbarung zu schaffen. Zudem handele es sich um einen vom Arbeitgeber gezahlten Entgeltbestandteil. Dem Arbeitnehmer stehe es frei, sich zu entscheiden, ob er einen Altersteilzeitvertrag abschließen wolle oder nicht. Auch habe er im Voraus exakte Kenntnis von den Bedingungen einer Altersteilzeitvereinbarung. Nach Überzeugung der Beklagten liege kein Verstoß gegen das Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich vor. Die Mindestnettobetragstabelle stelle nämlich gerade keine Versteuerung im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens dar. Sie enthalte lediglich einen Berechnungsmodus. Ob eine Versteuerung des Aufstockungsbetrags letztlich in Frankreich zu erfolgen habe sei nach Meinung der Beklagten hier ohne Bedeutung für die Verfahrensweise bei der Ermittlung des an den Kläger zu zahlenden Aufstockungsbetrags.
Alle Arbeitnehmer der Beklagten würden gleichbehandelt bei Heranziehung der Mindestnettobetragstabelle mit pauschalierter Betrachtung ohne Berücksichtigung der jeweiligen individuellen Steuersituation des einzelnen Arbeitnehmers. Die Anwendbarkeit dieser Tabelle sei abzuleiten aus § 7 Absatz 2 TV ATZ mit Bezugnahme auf die Gesetzeslage vor Ablauf des 30.06.2004. Eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit finde gerade nicht statt. Es könne zwar sein das Grenzgänger einen Verlust einer Vergünstigung aus der Zeit vor Beginn der Altersteilzeit erfahren würden, vor Beginn der Altersteilzeit hätten diese Arbeitnehmer aufgrund der niedrigeren Steuersätze in Frankreich eine geringere Lohnsteuer zu tragen als Arbeitnehmer in Deutschland. Während der Altersteilzeit komme nun die fiktive deutsche Lohnsteuer zur Berechnung des Aufstockungsbetrages zur Anwendung. Das Begehren des Klägers, völlig ohne Versteuerung die Aufstockungsleistung errechnet zu erhalten, würde aber zu einer Besserstellung der Grenzgänger gegenüber den in Deutschland wohnenden deutschen Arbeitnehmern führen. Dies stelle nach Überzeugung der Beklagten sicherlich gerade kein Ziel der europäischen Anti-Diskriminierungs-Normen dar. Der sich aus der pauschalierten Betrachtung bei Heranziehung der Mindestnettobetragstabelle ergebende Nachteil treffe alle Arbeitnehmer im Bereich der Altersteilzeit der Beklagten im gleichen Maße und stelle lediglich einen Rechtsreflex des Steuersystems dar.
Die unterschiedliche Behandlung von in Deutschland lebenden Arbeitnehmern der Beklagten gegenüber in Frankreich lebenden Arbeitnehmern der Beklagten sei aus Sicht der Beklagten auch sachlich gerechtfertigt. Wollte man den Vortrag des Klägers als zutreffend unterstellen käme es nämlich zu einer unangemessen hohen finanziellen Belastung des Arbeitgebers bei gleichzeitig überhöhtem Verwaltungsaufwand. Bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung sei aber das Anfallen höherer Kosten gerade nicht gewollt gewesen. Es sei unzumutbar für jeden Grenzgänger die einschlägigen steuerlichen Vorschriften zu ermitteln. Die Nicht-Anerkennung des Arguments eines finanziellen sowie administrativen Mehraufwands durch den EuGH in seinem "M."-Urteil habe nur für den Staat als Arbeitgeber Geltung, nicht jedoch für privatrechtlich organisierte Arbeitgeber.
Es müsse eine Planungssicherheit für den Arbeitgeber bestehen bezüglich künftiger Personalkosten. Dies rechtfertige eine Diskriminierung, weil bei Altersteilzeit eine Berechnung im Voraus zu erfolgen habe.
Auch sei der Klagebetrag, wie er vom Kläger geltend gemacht werde, nicht nachzuvollziehen. Die Angaben des Klägers zu der in Frankreich von ihm zu entrichtenden Steuer werden von Beklagtenseite bestritten. Insbesondere sei die Beklagte nicht verpflichtet, 93 % des früheren Nettoeinkommens an den Kläger im Rahmen der Altersteilzeit zu bezahlen. Der Ausgangspunkt des Klägers sei bezüglich des Prozentsatzes und der Bezugsgröße falsch gewählt. Die korrekte Berechnung des Aufstockungsbetrages erfolge nur nach § 5 Nr. 2 des Altersteilzeit-Arbeitsvertrages und nach Ziffer 4.3 der Betriebsvereinbarung-Altersteilzeit. Dort seien weder ein Prozentsatz noch eine Bezugnahme auf das Nettoeinkommen des Klägers enthalten.
Abgesehen davon sei der Anspruch nach den Bestimmungen des ERA-MTV mangels ordnungsgemäßer Geltendmachung verfallen. Das Schreiben des Klägervertreters vom 01.07.2009 sei hier ebenso wenig ausreichend wie die Feststellungsklage selbst.
In seinem Urteil ist das Arbeitsgericht zum Ergebnis gelangt, die Aufstockungszahlung letztlich ohne steuerliche Berücksichtigung einzelner Faktoren zu ermitteln. Anspruchsgrundlage bildet dabei Ziffer 7 der Betriebsvereinbarung Altersteilzeit in Ausnutzung der Öffnungsklausel in § 13 des TV ATZ vom 23.11.2004. Der Altersteilzeitvertrag selbst sei dabei nur die Wiedergabe der Regelungen der Betriebsvereinbarung ohne eigenständige Berechnungsvorgabe.
Nach den Ausführungen des Arbeitsgerichts ist zunächst das um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallende verminderte doppelte Regelarbeitsentgelt/Altersteilzeitentgelt zu ermitteln. Anknüpfungspunkte seien dabei § 7 TV ATZ sowie § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung. Unter dem Begriff "gewöhnlich anfallende gesetzliche Abzüge" sind danach Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung zu verstehen. Auf die individuelle Situation des einzelnen Arbeitnehmers werde dabei nicht abgestellt. Davon gehe auch die nach § 15 Satz 1 ATG erstellte Rechtsverordnung zur Mindestnettobetragstabelle mit jährlicher Aktualisierung aus, in der lediglich anhand der Lohnsteuerklasse selbst eine Unterscheidung getroffen werde, ohne auf individuelle Gegebenheiten des Arbeitnehmers einzugehen.
Auf der Basis der Entscheidung des EuGH vom 16.09.2004 (Aktenzeichen C-400/02 [M.]) habe nach den Ausführungen des Arbeitsgerichts das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 10.03.2005 (Aktenzeichen 6 AZR 317/01 in NZA-RR 2006, Seite 88-90) bei der Auslegung des Begriffs der gesetzlichen Abzüge offen gelassen, ob es sich dabei um die nach deutschem Recht vorzunehmenden Abzüge handele. In dem dort zur Entscheidung anstehenden Fall sei es um die Frage der Anwendung der fiktiven deutschen Lohnsteuer bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe für französische Grenzgänger nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31.08.1971 [TVSozSich] gegangen, sodass eine direkte Übertragung auf den hier zur Entscheidung stehenden Fall zunächst nicht gesehen werden könne. Im TV ATZ vom 23.11.2004 wie auch in der Betriebsvereinbarung zur Altersteilzeit vom 20.04.2005 sei ebenfalls keine Klarstellung enthalten, ob es sich um die Anwendung fiktiver deutscher Lohnsteuer tatsächlich handeln solle. Das BAG habe dann letztlich § 4 Ziffer 1 b TV SozSich wegen Europarechtswidrigkeit unangewendet gelassen, wobei der Ansatz in Artikel 39 EGV und Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 hinsichtlich der Gewährung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft gesehen worden sei.
Das Arbeitsgericht weist deshalb darauf hin in seiner Entscheidung, dass es an der Auslegung der Ziffer 4.3 der Betriebsvereinbarung Altersteilzeit in Richtung der Anwendung einer fiktiven deutschen Lohnsteuer, wie dies von der Beklagten vorgenommen worden ist, Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit dieses Vorgehens habe. Es fragt sich, ob bei der Auslegung der Ziffer 4.3 der Betriebsvereinbarung Altersteilzeit vom 20.04.2005 in Verbindung mit § 7 TV ATZ vom 23.11.2004 zwingend das Ergebnis herauskommen müsse, dass für Arbeitnehmer, die nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich nicht der Versteuerung ihres Einkommens in Deutschland unterliegen, bei der Berechnung des Aufstockungsbetrages zum Altersteilzeitentgelt eine fiktive deutsche Lohnsteuer überhaupt zugrundezulegen ist. Es sei zwar eine Pauschalierungs-Betrachtungsweise geboten, wie dies in der Betriebsvereinbarung ebenso wie auch im TV ATZ unter Hinweis auf die bis 30.06.2004 geltende Fassung von § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG vorgegeben ist. Ein zwingender Rückschluss sei aber daraus nicht abzuleiten, dass die deutsche Lohnsteuer auch auf Arbeitnehmer anzuwenden sei, die nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich der Lohnsteuer im deutschen Inland gerade nicht unterliegen. Es bestehe nämlich ein Auslegungsspielraum bezüglich der Formulierung "gesetzliche Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen". Insofern sei auch eine Interpretation dahingehend möglich, dass Steuern nur insofern dazu gehören, als die deutschen Steuergesetze überhaupt einen Abzug normieren, und nicht das Recht zur Besteuerung aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens einem anderen Staat zugewiesen ist. In solchen Fällen könnte das Wort "gewöhnlich" gerade darauf hindeuten, dass der Regelfall darin bestehe, keinen Lohnsteuerabzug vorzunehmen. Zudem würde bei Anwendung der Mindest-Nettobetrag-Tabelle auch die Pauschalierung in der Betrachtung nur eingeschränkt, weil persönliche Besteuerungsmerkmale berücksichtigt würden.
Nach Ansicht des Arbeitsgerichts bedarf es aber einer Entscheidung zu dieser Auslegungsfrage bezüglich der Ziffer 4.3 der Betriebsvereinbarung nicht wegen des Vorrangs primären Gemeinschaftsrechts. Die Berücksichtigung einer fiktiven deutschen Lohnsteuer bedeute nämlich eine Benachteiligung der Grenzgänger gegenüber denjenigen Arbeitnehmern mit Wohnsitz in Deutschland. Der Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt unterliegt nämlich dem Progressionsvorbehalt, ist aber selbst nicht zu versteuern, wie sich aus § 3 Nr. 28 Einkommensteuergesetz ableiten lässt. Demgegenüber unterliegt aber der Aufstockungsbetrag in Frankreich als Einkommen dort durchaus der Versteuerung, wie sich dem Schreiben der Generaldirektion für öffentliche Finanzen in Paris vom 01.09.2010 (vgl. Bl. 208 d.A. im Absatz 4/Übersetzung auf Platz 209 d.A.) ergebe. Anhaltspunkte für ein detailliertes Bestreiten, dass Aufstockungsbeträge in Frankreich einer Versteuerung unterliegen, seien aus dem Sachverhalt und dem Vortrag der Beklagten hiernach nicht mehr zu erkennen. Im Übrigen müsse die Versteuerung von Einkommen grundsätzlich als der Normalfall betrachtet werden. Es gebe einen konkreten Nachteil für die Grenzgänger bei Berücksichtigung einer fiktiven Lohnsteuer darin, dass die Summe aus Altersteilzeit-Nettovergütung zzgl. Aufstockungsbetrag dann einen niedrigeren Prozentsatz des früheren Vollzeit-Nettoarbeitsverdienstes ausmachen würde als bei Arbeitnehmern mit Inlandsversteuerung. Als Nachteil könne allerdings für die Grenzgänger nicht anerkannt werden, dass diese insgesamt etwa eine geringere steuerliche Belastung als Grenzgänger in Altersteilzeit hätten, weil die Ursache in den unterschiedlichen Steuersystemen beider Länder (Frankreich und Deutschland) zu sehen sei. Es sei auch kein sachlicher Grund für eine Benachteiligung der Grenzgänger erkennbar. Nach den Ausführungen des EuGH in seiner "M."-Entscheidung stellten nämlich weder der höhere Verwaltungsaufwand noch der höhere Kostenaufwand auf Arbeitgeberseite schlagkräftige Argumente dar.
Das Arbeitsgericht führt weiter aus, dass auch keine Berücksichtigung der französischen Lohnsteuer bei der Berechnung des Aufstockungsbetrages zum Altersteilzeitentgelt an französische Grenzgänger erfolgen müsse. Entsprechend dem oben zitierten Urteil des BAG vom 10.03.2005, welches nach der eigenen Vorlage Entscheidung an den EuGH und die dortige "M."-Entscheidung erlassen wurde, müsse eine Regelungslücke infolge der fehlenden Anwendbarkeit einer Tarifnorm wegen Europarechtswidrigkeit unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens der Tarifvertragsparteien ausgefüllt werden. Bei der Überbrückungsbeihilfe in dem vom BAG zu entscheidenden Fall sei nur dann ein Ausgleich zu den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit zu entrichten, wenn die Berechnungsgrundlage ohne Abzug der fiktiven deutschen Lohnsteuer der Berücksichtigung der fiktiven Lohnsteuer, die bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Frankreich zu entrichten wäre, unterliege. Im Unterschied zur Überbrückungsbeihilfe handele es sich aber beim hier gewählten Ausgleich bei der Aufstockung des Altersteilzeitentgelts um einen nettolohnbezogenen Ausgleich. Ein solcher sei nur dann zu erreichen, so das Arbeitsgericht, wenn bei den Grenzgängern auch die französische Lohnsteuer nicht berücksichtigt werde.
Hinsichtlich der Höhe, des von der Beklagten zu entrichtenden weiteren Aufstockungsbetrages zum Altersteilzeitentgelt, habe die Beklagte ohne Einbezug eines steuerlichen Abzuges monatlich einen um 141,82 EUR höheren Betrag an den Kläger zu zahlen.
Zunächst sei der Ansatz des Klägers fehlerhaft, nach dem ein bestimmter Prozentsatz, nämlich 85 % zzgl. 8 % aus dem früheren Nettoentgelt während des vollzeitig durchgeführten Arbeitsverhältnisses als Aufstockungsbetrag zu erreichen sei. Es gebe nämlich keinen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Prozentsatz des früheren Nettoentgelts. Ein solcher Ansatz befinde sich nicht im TV ATZ vom 23.11.2004, auch nicht in der Betriebsvereinbarung Altersteilzeit vom 20.04.2005 und letztlich auch nicht im Altersteilzeitvertrag vom 28.03.2006. Nirgends sei das früheren Nettoentgelt erwähnt. Es werde vielmehr von einem Brutto-Aufstockungs- Prozentsatz gesprochen, sodass der Bezug auf das Altersteilzeit-Bruttoentgelt, nicht jedoch auf das Altersteilzeit-Nettoentgelt gegeben sei. Die Berechnung des monatlichen Aufstockungsbetrages ergebe sich nach den Regelungen in der Betriebsvereinbarung und wortgleich im Altersteilzeitvertrag nach folgender Formel:
Aufstockungsbetrag = Bruttoaufstockungsprozentsatz x ATZ-Bruttoentgelt
Bruttoaufstockungsprozentsatz = [Nettoentgeltdifferenz x 100 / ATZ-Bruttoentgelt] + 8 %-Punkte
Nettoentgeltdifferenz = ATZ-Mindestnettoentgelt - ATZ-Nettoentgelt
Damit ermittele sich letztlich der o.g. zusätzliche monatlich von der Beklagten an den Kläger zu zahlende Aufstockungsbetrag in Höhe von 141,82 EUR wie folgt:
Nach der rechtlichen Bewertung des Arbeitsgerichts in seinem Urteil sind geltend gemachte weitere Aufstockungsbeträge in Höhe von 141,82 EUR pro Monat für den Zeitraum April 2009 bis Oktober 2009 wegen des Eingreifens der tarifvertraglichen Ausschlussklausel und der Nichteinhaltung der dort genannten Geltendmachungsfrist verfallen. Insoweit wurde das Urteil keiner Überprüfung durch die Berufung durch Anträge der Parteien zugeführt.
Die Beklagte und Berufungsklägerin hat ihre eingelegte Berufung zunächst erneut damit begründet, dass ihrer Ansicht nach kein Anspruch auf einen weiteren Aufstockungsbetrag ohne Berücksichtigung deutscher oder französischer auf Arbeitseinkommen zu entrichtenden Steuern zu erfolgen habe. Insoweit wiederholt sie im Wesentlichen die Darstellungen aus ihrem erstinstanzlichen Vorbringen und rechtfertigt die Verwendung der Mindestnettobetrag-Tabelle. Dies ergebe sich daraus, dass in § 16 Absatz 1 des Altersteilzeitarbeitsvertrags auf die ergänzende Geltung der gesetzlichen und tariflichen Regelungen sowie die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung zur Altersteilzeit vom 20.04.2005 in der jeweils gültigen Fassung verwiesen worden sei. Damit sei dann auch ein Rückgriff auf § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG sowie § 7 TV-ATZ mit seinem Verweis auf § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 gültigen Fassung gerechtfertigt. Hierüber habe man Ende 2005 Anfang 2006 mehrere Informationsveranstaltungen durchgeführt sowie eine entsprechende Infobroschüre "Altersteilzeit ein alternativer Weg in den Ruhestand - die Regelungen bei F." (vgl. Bl. 273-285 d.A.) mit Beispielrechnungen ausgehändigt. Es habe Einzelgespräche mit interessierten Mitarbeitern mit einer Vorab-Aushändigung einer detaillierten Berechnung, insbesondere bezüglich der Berechnung des Bruttoaufstockungsbetrages gegeben. Unter dem 13.03.2006 habe auch der Kläger seine (unverbindliche) Altersteilzeitvergütungs-Berechnung (vgl. Bl. 286 d.A.) erhalten. Am 16.03.2006 sei das Beratungsgespräch mit dem Kläger durchgeführt worden (vgl. Bl. 287 [Seite 1], 288-289 [Seite 3 und Seite 4] d.A.). Die Zweifel des Arbeitsgerichts in seinem Urteil hinsichtlich der steuerlichen Behandlung seien unbegründet, da keine Auslegung des Altersteilzeitarbeitsvertrags oder des TV-ATZ dahingehend geboten sei, dass gerade keine fiktive deutsche Lohnsteuer anzuwenden sei bei Arbeitnehmern, bei denen das Recht zur Besteuerung nach dem Doppelbesteuerungsabkommen einem anderen Staat, hier also Frankreich, zusteht. Die Regelungen in § 5 Nr. 2 Altersteilzeitarbeitsvertrag sowie unter Ziffer 4.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung-Altersteilzeit sowie des § 7 TV ATZ seien abschließend. Sie beinhalteten keine Sonderregelung für Grenzgänger.
Auch sehe die Beklagte und Berufungsklägerin keinen Anspruch aufgrund europarechtskonformer Auslegung des Altersteilzeit-Arbeitsvertrags, der Gesamtbetriebsvereinbarung-Altersteilzeit oder des TV-ATZ. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang zun ächst weitere Ausführungen zur Bedeutung von Artikel 45 Absatz 2 ARUV als Spezialnorm sowie zum Grundsatz aus Artikel 7 Absatz 4 VO EWG Nr. 1612/68 gemacht. Sie kam dabei zum Ergebnis dass das Vorenthalten von Steuervergünstigungen sich nicht als mittelbare Diskriminierung darstelle. Die Ungleichbehandlung sei eine Folge des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Frankreich auf Grundlage der unterschiedlichen Steuersysteme. Aufstockungsbeträge gemäß § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG seien in Deutschland auch bei mehr als 20 % des Arbeitsentgelts während der Altersteilzeit zu 100 % des zuletzt bezogenen Nettoarbeitsentgelts nach der Lohnsteuerrichtlinie 3.28 Absatz 3 (§ 3 Nr. 28 Einkommensteuergesetz) steuerfrei. Sie unterlägen lediglich dem Progressionsvorbehalt nach § 32 b Absatz 1 Nr. 1 g Einkommensteuergesetz, wobei dies erst durch das Finanzamt im Rahmen der obligatorischen Veranlagung zur Einkommensteuer gemäß § 46 Absatz 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz erfolge. Demgegenüber blieb die Beklagte zunächst dabei, ihr Bestreiten zu wiederholen, wonach Aufstockungsbeträge in Frankreich steuerpflichtig seien. Das Schreiben der Generaldirektion für öffentliche Finanzen in Paris vom 15.10.2010 (vgl. Bl. 208, 209 d.A.) treffe nur eine Aussage dahingehend, dass die französische Gesetzgebung nicht vorsehe, dass diese Art der Vergütung nicht steuerpflichtig sei. Entsprechende Steuererklärungen oder Steuerbescheide habe der Kläger nicht vorgelegt, aus denen sich die Steuerpflichtigkeit des Aufstockungsbetrages dezidiert entnehmen lasse.
Die Beklagte hat ihren Vortrag insofern mit Schriftsatz vom 14.02.2014 (vgl. Bl. 415-417 d.A.) teilweise zurückgenommen und inhaltlich verändert unter dem Eindruck der Vorlageentscheidung des EuGH vom 28.03.2012 (Aktenzeichen: "E." C-172/11 in NZA 2012, Seite 863-866) auf eine entsprechende Vorlage des Arbeitsgerichts Ludwigshafen Auswärtige Kammern Landau (5 CA 427/10 - G. E. ./. D. AG - Werk W.). Nunmehr geht auch die Beklagte davon aus, dass ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in Artikel 45 AEUV und Artikel 7 der VO (EWG) Nummer 1612/68 dann anzunehmen sei, wenn Grenzgänger in der Altersteilzeit einen Betrag erhalten, der deutlich unterhalb 85 % ihres bisherigen Nettoeinkommens liegt. Die fiktive Zugrundelegung des deutschen Lohnsteuergesetzes bei Grenzgängern habe dem EuGH nach zur Folge, dass der gezahlte Betrag, anders als im allgemeinen bei Arbeitnehmern mit Wohnsitz in Deutschland, nicht etwa 85 % des bisherigen Nettovollzeiteinkommens entspricht (vgl. Rn. 44 und 45 des EuGH-Urteils). Zur Vermeidung der Ungleichbehandlung sei es also erforderlich, dass der Kläger als Grenzgänger eine Vergütung bestehend aus Altersteilzeitentgelt zzgl. Aufstockungsbetrag in Höhe von 85 % seines bisherigen Nettovollzeiteinkommens erhalte. Die bisherige Zahlung der Beklagten erfülle diese Voraussetzung weitestgehend, wobei nach einer neuerlichen Berechnung maximal eine Differenz bis zu 34,82 EUR/Monat zugunsten des Klägers überhaupt entstehen könnte. Demgegenüber führe der vom Arbeitsgericht Saarlouis ausgerichtete Betrag allerdings zu einer Zahlungsverpflichtung der Beklagten gegenüber dem Kläger in Höhe von 90,1 % des letzten Nettovollzeitentgelts vor Eintritt in die Altersteilzeit.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Saarlouis vom 19.10.2010 - 1 Ca 1101/09 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte sieht in der Anwendung des Bruttoaufstockungsmodells einen verfehlten Ansatz der Beklagten, da zwischen den Parteien ein Nettoaufstockungsmodell vereinbart sei seiner Ansicht nach. Aus § 5 Absatz 2 des Altersteilzeitarbeitsvertrages ergebe sich nämlich, dass der Bruttoaufstockungsprozentsatz so zu bemessen sei, dass das monatliche Nettoentgelt während der Altersteilzeit mindestens 85 % des doppelten Regelarbeitsentgelts/Altersteilzeitentgelts beträgt. Zwar sei im Kalenderjahr 2004 gesetzlich im Altersteilzeitgesetz vom Nettomodell auf das Bruttomodell umgestellt worden. Bei der Beklagten habe man sich aber bewusst f ür die weitere Anwendung des Nettomodells entschieden. Insoweit sei es durchaus von Bedeutung, dass dem Kläger eine Nettozusage gegeben worden sei, sodass die Frage der Auslegung des Begriffs "gesetzliche Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen" zu klären sei. Bei Grenzgängern müsse dabei Berücksichtigung finden, dass diese in Deutschland überhaupt nicht mit ihrem Arbeitseinkommen steuerpflichtig seien, so dass der Begriff "gewöhnlich" gerade keine Unterwerfung des Einkommens unter die deutsche Lohnsteuer vorsehe. Der Kläger geht weiter davon aus, dass die Anwendung einer fiktiven Steuer europarechtswidrig sei. Insoweit würde ein Verstoß gegen Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 sowie gegen Artikel 39 EG [Ergänzung des Gerichts: jetzt Artikel 45 AEUV] bei Anwendung deutscher Lohnsteuer vorliegen. Die Steuerlast des Klägers habe für das Kalenderjahr 2006, also im Jahr des Beginns der Altersteilzeit, als Grenzgänger zusammen mit dem Einkommen seiner Ehefrau 5,13 % betragen.Nach Überzeugung des Klägers habe das EuGH Urteil vom 28.06.2012 - C-172/11 - [E.] eine Klarstellung gebracht, dass Bestimmungen, die eine Unterwerfung der Berechnung des Aufstockungsbetrages unter Zugrundelegung einer fiktiven deutschen Lohnsteuer vorsehen, entsprechend der auch hier vom Kläger vertretenen Auffassung einen Verstoß gegen Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 darstellen, sodass diese Bestimmungen nichtig seien. Allerdings habe die Auslegung des EuGH dazu geführt, dass den Mitgliedstaaten und Sozialpartnern nach Artikel 45 AEUV und den Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 1612/68 eine freie Wahl unter verschiedenen Lösungen offen bleibt, die zur Verwirklichung des jeweiligen Zieles der Bestimmungen geeignet sind. Wollte man die fiktive deutsche Lohnsteuer auf einen in Deutschland nicht steuerpflichtig Grenzgänger zur Anwendung bringen, führte dies dazu, dass er weniger als 85 % seines bisherigen Nettoeinkommens aus der Zeit vor Beginn der Altersteilzeit vom Arbeitgeber gezahlt bekäme. Daraus ergebe sich dann aber eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Wohnorts. Diese Auslegung des EuGH führen nach Auffassung des Klägers in seinem Fall dazu, dass zunächst die Zusage aus dem Altersteilzeitvertrag insoweit wirksam sei, wonach eine Nettoaufstockung zu erfolgen habe auf 85 % der pauschalierten monatlichen Nettovergütung. Hierauf seien dann weitere 8 % zu leisten, wenn die Beitragsbemessungsgrenze nicht überschritten werde. Dabei müsse allerdings nach Meinung des Klägers der Aufstockungsbetrag ohne Berücksichtigung einer fiktiven Steuer ermittelt werden. Ein Gebrauchmachen der Sozialpartner von der Möglichkeit, eine mit dem Europarecht vereinbare Lösung zu finden, sei bisher nicht zu verzeichnen. Mit dem Urteil des BAG vom 10.03.2005 - 6 AZR 317/01 - im Fall "M." seien die dortigen Grundsätze auch hier anzuwenden. Die Regelungslücke als Folge der Nichtigkeit der vereinbarten Vorgaben müsse demnach anhand des mutmaßlichen Willens der Tarifvertragsparteien ausgefüllt werden. In solchen Diskriminierungsfällen habe das BAG in seinem Urteil vom 10.11.2011 - 6 AZR 481/09 - (in NZA-RR 2012, Seite 100-106) eine Anpassung "nach oben" vorgenommen. Dies könne allerdings nur dann erreicht werden, wenn man völlig ohne Anwendung einer fiktiven landesspezifischen Steuer die Höhe des Aufstockungsbetrages errechnet. Diesen Weg habe auch das LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 02.07.2013 (Aktenzeichen 16 Sa 18/13 - Rev.-Aktenzeichen d.BAG 5 AZR 821/13) im Zusammenhang mit der Frage der Rechnung des Krankengeldzuschusses für französische Grenzgänger unter Geltung des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Baden-Württemberg so entschieden. Sollte man allerdings zum Ergebnis gelangen, dass französische Steuer zu berücksichtigen sei, dann müsste nach Überzeugung des Klägers dabei beachtet werden, dass nur das Einkommen des Klägers, nicht aber dasjenige seiner Ehefrau mit in die Berechnungen einzufließen habe.
Das Landesarbeitsgericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 27. September 2014 (vgl. Bl. 509-510 d.A.) ein steuerliches Gutachten, bei einer auf Fragen der einkommensmäßigen Behandlung von Grenzgängern im Bereich des Doppelbesteuerungsabkommens mit Frankreich spezialisierte Steuerberaterin eingeholt, um so den jeweils jährlich neu festzusetzenden in Frankreich auf das Einkommen des Klägers zu entrichtenden Steuersatz ermitteln zu lassen für den Zeitraum der Altersteilzeit. Im Rahmen des Steuergutachtens vom 26.11.2014 (vgl. Bl. 514, 515-518 mit Berechnungstabellen Bl. 519-526 d.A.) ergab sich folgende steuerliche Situation des Klägers in Frankreich:
Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen in beiden Instanzen sowie auf die jeweiligen Sitzungsprotokolle des Arbeitsgerichts wie des Landesarbeitsgerichts und auf das Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 Absatz 2 b ArbGG statthaft. Sie ist gemäß den §§ 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 ArbGG in Verbindung mit den §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II. Die Berufung ist jedoch nur teilweise begründet. Dies ergibt sich daraus, dass zwar zunächst, nach Ermittlung des Regelarbeitsentgelts im Rahmen der Bezüge während der Altersteilzeit, bei der Errechnung der von der Beklagten entsprechend § 5 des Altersteilzeitarbeitsvertrags vom 28.03.2006 in Verbindung mit Ziffer 4.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung über Altersteilzeit vom 20.04.2005 sowie §§ 7, 13 des Tarifvertrags zur Altersteilzeit vom 23.11.2004 [TV ATZ] zu zahlenden Aufstockungsbeträge zwar eine Verweisung auf §§ 3, 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung enthalten ist. Die darin vorgesehene Anwendung der über die Verordnungsermächtigung in § 15 ATG vom zuständigen Bundesministerium jährlich aufgestellte sogenannte Mindestnettobetragstabelle, als Ansatzpunkt für die Ermittlung der Höhe von Aufstockungsleistungen in der Altersteilzeit, verletzt jedoch wegen der in ihr eingearbeiteten deutschen Lohnsteuergrundsätze nach der Entscheidung des EuGH in seinem Urteil vom 28.03.2012 (Aktenzeichen C-172/11 - in NZA 2012, S. 863 - 866
[EuGH 28.06.2012 - Rs. C-172/11]
) europarechtliche Grundsätze der Freizügigkeit sowie des Verbots der Benachteiligung wegen Staatsangehörigkeiten aus Artikel 45 AEUV (vormals Artikel 39 EGV) und Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68. Die gilt jedenfalls für die Anwendung deutschen Steuerrechts auf unter das Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich fallende Arbeitnehmer, die in Deutschland arbeiten und in Frankreich wohnen. Bei der Aufstockungsbetragsermittlung, unter Einbeziehung der für den Kläger in Frankreich anfallenden Steuern, ergibt sich hier im konkreten Fall an monatlich, seitens der Beklagten zu zahlenden Aufstockungsbeträgen im Zeitraum November 2009 bis August 2012, zusätzlich zu den bereits gewährten monatlichen Beträgen von 108,08 EUR und 582,12 EUR, also über die monatlich gezahlten 690,20 EUR hinausgehend ein Anspruch des Klägers in Höhe von :
(1) November 2009 - Dezember 2009 10,03 EUR/Monat
(2) Januar 2010 - Dezember 2010 11,10 EUR/Monat
(3) Januar 2011 - Dezember 2011 11,50 EUR/Monat
(4) Januar 2012 - August 2012 11,24 EUR/Monat
1. Dem Grunde nach ergibt sich der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von Aufstockungsleistungen für den Zeitraum seines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Rahmen der hier noch zur Überprüfung stehenden Freistellungsphase (Passivphase), beginnend ab dem 01.09.2009 und endend mit dem 31.08.2012, zunächst unmittelbar aus dem am 28.03.2006 zwischen den Parteien abgeschlossenen Altersteilzeitarbeitsvertrag. In § 3 Absatz 2 dieses Vertrages sind die zeitlichen Rahmenbedingungen für die im Blockmodell festgelegte Altersteilzeit vereinbart. Hinsichtlich der dem Kläger zustehenden Aufstockungsbeträge enthält § 5 dieses Vertrages in seinen Absatz 1 und 2 die notwendigen Festlegungen. Danach erhält der Arbeitnehmer in der Arbeits- und Freistellungsphase einen Aufstockungsbetrag zum Regelarbeitsentgelt/Altersteilzeitentgelt (§ 3 Absatz 1 a ATG, § 4 des Vertrages), soweit die Entgeltbestandteile nicht in der Arbeitsphase voll ausgezahlt worden sind, mindestens in Höhe des nach § 5 Nr. 2 des Vertrages ermittelten Bruttoaufstockungsprozentsatzes. In Absatz 2 wird dann zunächst dieser Bruttoaufstockungsprozentsatz so festgelegt, dass er so zu bemessen ist, dass das monatliche Nettoentgelt während der Altersteilzeit mindestens 85 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten doppelten Regelarbeitsentgelts/Altersteilzeitentgelts beträgt. In Absatz 2 Satz 2 a wird dann in einem zweiten Schritt vereinbart, dass der Bruttoprozentsatz zum Ausgleich der entfallenden Sonderzahlungen um 8 % bei den Arbeitnehmern erhöht wird, deren Bruttovollzeitmonatsentgelt im letzten Monat vor Beginn der Altersteilzeit die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung nicht übersteigt. § 16 des Arbeitsvertrages für die Altersteilzeit beinhaltet dann in seinem Absatz 1 die ergänzende Verweisung auf gesetzliche und tarifliche Regelungen sowie auf die Gesamtbetriebsvereinbarung zur Altersteilzeit vom 20.04.2005 in ihren jeweilig gültigen Fassungen. Unter Ziffer 4.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung über die Altersteilzeit vom 20.04.2005 befindet sich eine inhaltsgleiche Regelung, wie sie in § 5 des mit dem Kl äger abgeschlossenen Altersteilzeitarbeitsvertrages enthalten ist. Übergeordnet haben die Parteien auch Bezug genommen auf den Tarifvertrag zur Altersteilzeit zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes e.V. und der IG Metall Bezirksleitung Frankfurt am Main vom 23.11.2004 [TV ATZ]. Der dortige § 13 sieht die Möglichkeit des Abschlusses freiwilliger Betriebsvereinbarungen vor, wenn durch diese Regelungen insgesamt wertgleiche Regelungen bei vereinbarten Abweichungen in der Betriebsvereinbarung enthalten sind. Unter Ziffer 7 der Gesamtbetriebsvereinbarung über Altersteilzeit haben die Betriebspartner ihre übereinstimmende Ansicht zum Ausdruck gebracht, dass die in der Betriebsvereinbarung enthaltenen Bestimmungen als solche wertgleiche Regelungen im Sinne des § 13 TV ATZ sind. Gemäß § 7 des TV ATZ wird in Absatz 1 auf § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung Bezug genommen bei der Festlegung, dass der Aufstockungsbetrag so zu bemessen sei, dass das monatliche Nettoentgelt mindestens 82 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei den Beschäftigten gewöhnlich anfallen, verminderten monatlichen bisherigen Bruttoarbeitsentgelts betragen soll.
Nach § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 gültigen Fassung ist unter dem bisherigen Arbeitsentgelt im Sinne des Altersteilzeitgesetzes das Arbeitsentgelt zu verstehen, das der in Altersteilzeitarbeit beschäftigte Arbeitnehmer für eine Arbeitsleistung bei bisheriger wöchentlicher Arbeitszeit zu beanspruchen hätte, soweit es die Beitragsbemessungsgrenze des Dritten Buches Sozialgesetzbuch nicht überschreitet. Dabei findet § 134 Absatz 2 Nr. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch entsprechende Anwendung. § 3 Absatz 1 a ATG setzt für einen Anspruch auf die Leistungen nach § 4 ATG voraus, dass der Arbeitgeber aufgrund eines Tarifvertrages, einer Regelung der Kirchen und der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften, einer Betriebsvereinbarung oder einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer, das Arbeitsentgelt für die Altersteilzeitarbeit um mindestens 20 vom 100 dieses Arbeitsentgelts, jedoch auf mindestens 70 vom 100 des um die gesetzlichen Abzüge, die bei den Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten bisherigen Arbeitsentgelts im Sinne des § 3 Absatz 1 (Mindestnettobetrag), aufgestockt hat.
Zudem enthält § 15 ATG sowohl in der bis zum 30.06.2004 gültigen Fassung, als auch in der ab 01.07.2004 geltenden Fassung, eine Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, durch Rechtsverordnung die Mindestnettobeträge nach § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG in der bis zum 30.06.2004 gültigen Fassung zu bestimmen.
Diese zunächst zu beachtenden einzelvertraglichen, kollektivvertraglichen sowie gesetzlichen Vorgaben waren zwischen den Parteien unstreitige Basis für die Ermittlung der dem Kläger während seiner Altersteilzeitarbeit zu zahlenden Vergütung. Allein streitig geblieben ist die Frage, ob bei der Ermittlung der Höhe des Aufstockungsbetrages eine steuerliche Behandlung von Einzelfaktoren zur Berechnung stattfinden darf, und wenn dies schon wegen der Verletzung europarechtlicher Vorgaben nicht nach deutschem Steuerrecht unter Zuhilfenahme der Mindestnettobetragstabelle geschehen darf, ob dann gar keine Versteuerung zu erfolgen hat oder französische Steuerbestimmungen mit einbezogen werden dürfen.
2. Die bisherige Praxis bei der Beklagten im Verhältnis zum Kläger und zu mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmern in Altersteilzeit stellt sich wegen der Anwendung deutschen Steuerrechts bei der Ermittlung der Höhe des Aufstockungsbetrag unter Heranziehung der Mindestnettobetrags-Tabelle als eine auf der Staatsangehörigkeit basierende zumindest mittelbare Ungleichbehandlung dar.
Die Anwendung der zwischen den Parteien vereinbarten Vorgehensweise zur Ermittlung der Aufstockungsbeträge in § 5 des Altersteilzeitarbeitsvertrags beziehungsweise Ziffer 4.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung über Altersteilzeit bedeutet nämlich gleichzeitig auch gemäß § 7 des TV ATZ die Anwendung von § 3 Absatz 1 a ATG in Verbindung mit § 6 Absatz 1 ATG in der bis zum 30.06.2004 gültigen Fassung. Als Ausfluss der Vorgabe, dass ein bestimmter Prozentsatz des um die gesetzlichen Abzüge "die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten bisherigen Arbeitsentgelts" durch die Aufstockung erreicht werden soll, hat die Beklagte diesen somit garantierten Mindestnettobetrag unter Heranziehung der Mindestnettobetrag-Tabelle festgelegt. In der Mindestnettobetrag-Tabelle ist eine pauschalierte Betrachtung der Arbeitnehmer vorgenommen worden unter Heranziehung deutschen Steuerrechts. Hinsichtlich der rechnerisch in Abzug gebrachten Lohnsteuer findet damit das Einkommen des Ehegatten ebenso wenig Berücksichtigung, wie umgekehrt Vergünstigungen, etwa in Form von Kinderfreibeträgen, Abschreibungen oder sonstigen Freibeträgen berücksichtigt werden. Ebenso sollten bei der Berechnung keine Effekte berücksichtigt werden, die sie steuerlich durch Zufluss des Altersteilzeitentgelts selbst ergeben, etwa die Berücksichtigung des an sich nicht zu versteuernden Aufstockungsbetrages (§ 3 Nr. 28 Einkommensteuergesetz) in Form der sogenannten Schattenbesteuerung nach § 32 b Absatz 1 lit.g EStG.
Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. 1968 L 257 S. 2) führt in Verbindung mit Absatz 4 dieser Verordnung sowie Artikel 45 Absatz 2 AEUV (vormals Artikel 39 Absatz 2 EGV) dazu, dass gerade auf den Kläger als Arbeitnehmer mit sogenannten Grenzgängerstatus nach Artikel 13 Absatz 5 des Doppelbesteuerungsabkommens mit Frankreich vom 14.04.1961 (BGBl. 1961 II v.22.04.1961 S. 397-419) bezogen auf seine Arbeitseinkünfte die Anwendung deutscher Steuer ausgeschlossen ist.
Aufgrund seines grenznahen Wohnortes in Frankreich fällt der Kläger als französischer Staatsbürger, der im ebenfalls grenznahen Gebiet in Deutschland bei der Beklagten ganzjährig einer Arbeit nachgeht, unstreitig unter den Anwendungsbereich des Doppelbesteuerungsabkommens mit Frankreich. In Artikel 13 Absatz 5 dieses Doppelbesteuerungsabkommens ist festgelegt, dass Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines der Vertragsstaaten wohnen und im Grenzgebiet des anderen Staates arbeiten, nur in dem Staat besteuert werden, in dem sie ansässig sind.
Damit führt aber die uneingeschränkte Anwendung der unter Einarbeitung deutscher Lohnsteuer aufgestellten Mindestnettobetragstabelle zur Ermittlung der an französische Grenzgänger zu zahlenden Aufstockungsbeträge im Rahmen von deren mit deutschen Arbeitgebern getroffenen Altersteilzeitvereinbarungen in ihren in Deutschland gelebten Arbeitsverhältnissen deshalb zu einer Diskriminierung wegen ihrer Staatsangehörigkeit, weil gerade bei Grenzgängern als Folge des Doppelbesteuerungsabkommens mit Frankreich zu den im Sinne von § 3 Absatz 1 Nr. 1 a ATG "gewöhnlich" anfallenden gesetzlichen Abzügen jedenfalls nicht die deutsche Steuer auf Arbeitseinkommen zählt. Nach Auffassung des EuGH in seinem Urteil vom 28.03.2012 (C-172/11 - [Fall: E.] in NZA 2012, Seite 863-866) fällt eine Leistung wie der Aufstockungsbetrag, der bei den in Altersteilzeit beschäftigten Arbeitnehmern zusätzlich zum Arbeitsentgelt gezahlt wird, als Entgeltbestandteile in den sachlichen Geltungsbereich in den Geltungsbereich der auf Freizügigkeit und Gleichbehandlung ausgerichteten Normen europäischen Rechtes in Artikel 45 AEUV sowie von Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nummer 1612/68. Dies gilt auch dann, wenn der Aufstockungsbetrag nach dem Altersteilzeitgesetz in Form einer Erstattung an den Arbeitgeber zum Teil durch öffentliche Mittel finanziert wird (vgl. Rn. 38 in vorgenannter Entscheidung des EuGH sowie EuGH Urteil vom 16.09.2004 - C-400/02 - [Fall: M.] - in DStRE 2005, Seite 236-239 - Rn. 20 bei [...]). Dabei entspricht es der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass der sowohl in Artikel 45 AEUV als auch der in Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen, verbietet (vgl. EuGH Urteil vom 28.03.2012 aaO. Rn. 39 bei [...]; Wißmann in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Aufl. München 2015, Rn. 44,45 zu Artikel 45 AEUV m.w.N.). Eine Vorschrift des nationalen Rechts oder eine vertragliche Bestimmung ist als mittelbar diskriminierend dann anzusehen, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf sogenannte Wander-Arbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wander-Arbeitnehmer besonders benachteiligt, wobei es nicht dabei darauf ankommt, dass diese Bestimmung zu einer Begünstigung inländischer Arbeitnehmer führt (vgl. EuGH Urteil vom 28.03.2012 aaO. Rn. 41 bei [...]; EuGH Urteil vom 16.09.2004 aaO. Rn. 23 bei [...]). In Fällen französischer Grenzgänger wirkt sich nach der Auslegung des EuGH die fiktive Berücksichtigung der deutschen Lohnsteuer insoweit nachteilig auf die Situation der Grenzgänger aus, als der fiktive Abzug dieser Steuer bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Aufstockungsbetrags Personen mit französischem Grenzgängerstatus, die in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässig und steuerpflichtig sind, gegenüber Arbeitnehmern benachteiligt, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben und dort steuerpflichtig sind (vgl. EuGH Urteil vom 28.03.2012 aaO. Rn. 41 bei [...]). Im Rahmen der aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 15 ATG erlassenen Mindestnettobetragstabelle ist aber unbestritten die fiktive deutsche Lohnsteuer eingearbeitet, wobei lediglich eine Pauschalierungsbetrachtung dadurch erfolgt, dass die jeweilige individuelle Steuersituation des Einzelarbeitnehmers ausgeblendet wird, sodass zum Beispiel der Eintrag von Freibeträgen oder auch die Frage der Zahlungsverpflichtung von Kirchensteuer keine Berücksichtigung finden. Die Anwendung des bei der Beklagten durchgeführten Verfahrens unter Heranziehung der Mindestnettobetragstabelle führt damit lediglich bei im deutschen Inland lebenden und auch bei der Beklagten in deutschen Betrieben arbeitenden Arbeitnehmern in vergleichbarer Altersteilzeitsituation wie beim Kläger dazu, dass die durch die Altersteilzeitvertragsgestaltung garantierte Prozentzahl des bisherigen Nettoeinkommens vor Eintritt in die Altersteilzeit erreicht wird. Demgegenüber weicht der dem französischen Grenzgänger, wie dem Kläger, ausgezahlte/überwiesenen Nettobetrag in der Altersteilzeit wegen der Behandlung der Berechnungsfaktoren zur Ermittlung des von der Beklagten zu zahlenden Aufstockungsbetrags nach deutschem Steuerrecht, auch wenn es sich lediglich um den fiktiven deutschen Steuersatz als Basis der Mindestnettobetragstabelle handelt, gegenüber dem Auszahlungsbetrag vor Eintritt des Grenzgänger in die Altersteilzeit nach unten ab, sodass er unterhalb der nach dem Altersteilzeitarbeitsvertrag garantierten prozentualen Größe des vorherigen Nettoverdienstes liegt.
Die von der Beklagten vorgebrachten Argumente administrativer Schwierigkeiten, die die Anwendung verschiedener Berechnungsmodi nach dem jeweiligen Wohnsitz des Betreffenden auslösen würde, sind nach Überzeugung des EuGH gegenüber der übergeordneten Bedeutung des in Artikel 45 AEUV enthaltenen Verbotes der auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung keine Rechtfertigung. In gleicher Weise soll es auch keine Rolle spielen, dass der betroffene Arbeitnehmer vorab von seinem Arbeitgeber über die Methode der Berechnung des Aufstockungsbetrages ausreichend unterrichtet wurde, und es ihm frei gestanden hat, sich für den Abschluss eines Altersteilzeitvertrages mit diesen Bedingungen zu entscheiden (vgl. EuGH Urteil vom 28.03.2012 aaO. Rn. 47, 48, 51 bei [...]).
3. Die erkennende Kammer sieht, abweichend von der Auffassung des Arbeitsgerichts den zur Ausfüllung der hier als Folge der wegen Verstoßes gegen europarechtliche Vorgaben zur Gleichbehandlung und Freizügigkeit anzunehmenden Unanwendbarkeit der Mindestnettobetragstabelle zur Ermittlung der von der Beklagten dem Kläger zu gewährenden Aufstockungsbeträge entstehenden Regelungslücke, die Berücksichtigung der insoweit in Frankreich anfallenden Steuer, allerdings ohne Berücksichtigung des Ehegatteneinkommens und ohne Berücksichtigung eventueller Freibeträge, als Lösung an.
Nach den Vorgaben des EuGH (vgl. EuGH Urteil vom 28.03.2012 aaO. Rn. 53 bei [...] m.w.N.) schreibt weder Artikel 45 AEUV noch die Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 den Mitgliedsstaaten oder einem privaten Arbeitgeber eine bestimmte Maßnahme im Fall der Verletzung des Diskriminierungsverbots vor. Diese Bestimmungen belassen ihnen nach Maßgabe der unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen Lösungen, die zur Verwirklichung des jeweiligen Ziels der Bestimmung geeignet sind. Die entstandene Regelungslücke kann und muss unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens der Tarif Vertragspartner bzw. der Partner der Gesamtbetriebsvereinbarung und des Einzelvertrags geschlossen werden. Dabei lässt sich der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht etwa dadurch beseitigen, dass Aufstockungsbeträge der in Deutschland wohnhaften und dort steuerpflichtigen Arbeitnehmer, die im gleichen Zeitraum wie der Kläger in einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis standen, nachträglich verringert werden. Dem stehen bereits die tarifvertraglichen Ausschlussfristen ebenso entgegen wie Grundsätze der Koalitionsfreiheit. In einer derartigen Konstellation ist auch unter Berücksichtigung der Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz grundsätzlich eine sogenannte "Anpassung nach oben" möglich und geboten, wobei allerdings im Rahmen der erforderlichen ergänzenden Auslegung des Tarifvertrages der mutmaßliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen ist (vgl. LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 18.07.2014 - 1 Sa 491/13 -Rn. 108 bei [...] m.w.N.; BAG Urteil vom 10.11.2011 - 6 AZR 481/09 - in NZA-RR 2012, Seite 100-106 - Rn. 23 bei [...]; BAG Urteil vom 10.03.2005 - 6 AZR 317/01 - in NZA-RR 2006, Seite 88-90 - Rn. 25 bei [...] = M.- Urteil nach Ergehen der Vorlage Entscheidung durch den EuGH). Die erkennende Kammer geht davon aus, dass ein Abstellen auf pauschalierte Steuersätze im Sinne einer Anwendung von Lohnsteuertabellen deshalb nicht möglich ist, weil das französische Steuerrecht keinen Lohnsteuerabzug kennt, sondern ausweislich der vorliegenden Steuerbescheide des Klägers in Frankreich eine Besteuerung des Jahreseinkommens vorgenommen wird (vgl. so auch LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 18.07.2014 - 1 Sa 491/13 -Rn. 111). In der Konsequenz führt damit die Anwendung der in § 5 des Altersteilzeitarbeitsvertrags vom 28.03.2006 und der wortgleichen Bestimmung in der Ziffer 4.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung über Altersteilzeit vom 20.04.2005 vorgegebenen Berechnungsmethode für den Aufstockungsbetrag, auch unter Beachtung von § 7 des TV ATZ vom 23.11.2004, nur dann zu einer dem ursprünglichen Regelungsmodell möglichst nahe kommenden Lösung, wenn man den auf das Jahreseinkommen des Grenzgängers in Frankreich ohne Berücksichtigung von Ehegatteneinkommen, Freibeträgen etc. entfallenden Steuersatz ermittelt, um diesen in das Berechnungsmodell mit einfließen zu lassen.
Der von der Klägerseite angeführte, und vom LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 02.07.2013 (Aktenzeichen 16 Sa 18/13 - Rn 27, 32 und 37 bei [...] - Revisions-Verfahrens-Aktenzeichen des BAG: 5 AZR 821/13) entschiedene Fall zur Berechnungsmethode für den Krankengeldzuschuss nach dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Baden-Württemberg bezogen auf französische Grenzgänger führt hier nach Ansicht der Kammer für die Betrachtung, ob eine Diskriminierung durch Anwendung der in Frankreich zu entrichtenden fiktiven Steuer bei der Ermittlung des Aufstockungsbetrags in der Altersteilzeit gegeben ist, nicht zu einem sachgerechten Ergebnis. Der Kläger hatte bereits erstinstanzlich ein Schreiben der Generaldirektion für öffentliche Finanzen in Paris vom 01.09.2010 in französischer Sprache (vgl. Bl. 208 d.A.) sowie in der Übersetzung (vgl. Bl. 209 d.A.) in den Prozessstoff eingeführt. Aus der Übersetzung des vierten Absatzes in die deutsche Sprache ergibt sich, dass die französische Gesetzgebung nicht vorsieht, dass diese Art der Vergütung nicht steuerpflichtig ist, woraus folgt, dass die vorgenannten Beträge einschließlich der Aufstockungsbeträge dem progressiven Einkommensteuertarif unterliegen sollen. Hieraus wird jedoch nach Überzeugung der Kammer keineswegs eine Doppelbesteuerung des dem Kläger zufließenden Einkommens als mögliche Diskriminierung deutlich, wenn er im Rahmen seines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses von der Beklagten zunächst die grundsätzliche Vergütung bezogen auf die Arbeitszeitreduzierung erhält und einen ohnehin nur mit pauschalierten steuerlichen Ansätzen ermittelten Aufstockungsbetrag, unter Berücksichtigung des Regelarbeitsentgelts als Basis, vom Arbeitgeber erhält. Diese Auskunft besagt lediglich, dass seitens der französischen Finanzverwaltung für Einkommen jeglicher Art die Steuerprogression für Einkommen zum Tragen kommt. Eine echte Doppelbesteuerung im Sinne eines doppelten Abzuges von Steuern auf das dem Kläger zufließenden Einkommen wird dadurch nach Überzeugung der Kammer nicht generiert, wenn lediglich im Rahmen der Altersteilzeit zur Ermittlung eines zusätzlichen Geldbetrages, wie des Aufstockungsbetrag ohne Berücksichtigung der individuellen Besonderheiten des einzelnen Arbeitnehmers von einem um steuermindernde Faktoren (zum Beispiel Freibeträge) ebenso wie steuererhöhende Faktoren (zum Beispiel Einkommen des Ehegatten) bereinigten Basiseinkommen, die französische Steuer bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr ermittelt zur Anwendung gelangt. Hierdurch wird überhaupt erst das Einkommen generiert, welches dem Kläger dann ohne Abzug einer deutschen Steuer zufließt. In wieweit der Kläger dann für dieses Einkommen entsprechend dem Schreiben der Generaldirektion für öffentliche Finanzen in Paris vom 01.09.2010 in Frankreich zur Steuer veranlagt wird, richtet sich allein nach französischem Steuerrecht sowie unter Berücksichtigung der nach dem dortigen Recht möglichen individualisierten Steuermerkmalen. Der Verweis auf eine Vergleichbarkeit zum Krankengeldzuschuss ist aus Sicht der Kammer zudem nicht zielführend für die Ermittlungsbasis zur Errechnung der Höhe des Aufstockungsbetrages in Altersteilzeitgefügen, weil der Grenzgänger bei Anwendung der französischen Steuer letztlich gerade nicht weniger erhalten würde, als ihm in der Relation seines Verdienstes in Altersteilzeit zum Verdienst vor Eintritt in die Altersteilzeit zugestanden hätte. In beiden Fällen unterliegt nämlich sein Einkommen der französischen Besteuerung mit dem dort zu ermittelnden Steuersatz. Die Anwendung überhaupt keines Steuersatzes w ürde im Umkehrfall eher dazu führen, dass es zu einer auf staatlicher Zugehörigkeit des Arbeitnehmers beruhenden Besserstellung gegenüber inländischen Arbeitnehmern führen würde, bei denen die inländischen Steuergesetze zur Anwendung gelangen. Ziel der Auslegung bei entstandener Regelungslücke in einem Tarifwerk, einer Gesamtbetriebsvereinbarung bzw. einem Einzelarbeitsvertrag soll aber sein, dass dem wahren Willen der Parteien möglichst nahe gekommen wird bei der Ausfüllung dieser Lücke. Gerade darin, dass in dem ohnehin nur fiktiv einer Versteuerung unterzogenen Bereich der Ermittlung des Aufstockungsbetrages statt der als mittelbar diskriminierenden Anwendung der deutschen Steuer nunmehr in die Berechnungsformel eine bei vergleichbar bereinigtem Einkommen anfallende französische Steuer mit eingebaut wird, sieht die Kammer eine Lösung, die dem wahren Willen der Vertragspartner möglichst nahe kommt bei der Ausfüllung der entstandenen Regelungslücke (vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz Urteil v. 18.07.2014 - 1 Sa 491/13 - Rn 111 bei [...]).
4. Ausgehend von diesen Vorüberlegungen hat der Kläger gegenüber der Beklagten für die Monate November und Dezember 2009 jeweils einen über den bisher an den Kläger bereits gezahlten Betrag hinausgehenden Aufstockungsanspruch von 10,03 EUR pro Monat, wenn man im Rahmen der durch die vertraglichen wie auch tarifvertraglichen Regelungen sowie die Festlegungen der Gesamtbetriebsvereinbarung Altersteilzeit vereinbarte Berechnungsmethode insoweit modifiziert, dass bei der Ermittlung des Aufstockungsbetrag statt der Heranziehung der fiktiven deutschen Lohnsteuer durch Einbeziehung der Mindestnettobetragstabelle nunmehr eine ebenfalls ohne individuelle Steuermerkmale ermittelte französische Steuer heranzieht. Für den Zeitraum Januar bis Dezember 2010 ergibt sich zu Gunsten des Klägers ein monatlicher zusätzlicher Aufstockungsbetrag in Höhe von 11,10 EUR. Für das Jahr 2011 besteht ein Anspruch auf monatlich zusätzlich 11,50 EUR. Schließlich ist für den Zeitraum Januar bis August 2012 ein zusätzlicher Aufstockungsbetrag in Höhe von 11,24 EUR pro Monat an den Kläger von Seiten der Beklagten zu entrichten.
Die grundlegende Berechnungsformel ist zwischen den Parteien bis auf die steuerliche Berücksichtigung bei der Ermittlung des Aufstockungsbetrages zwischen den Parteien unstreitig und wurde so auch vom Arbeitsgericht in seinem Urteil dargestellt (vgl. Bl. 237-238 d.A. auf Seite 20/21 des Urteils):
Aufstockungsbetrag = Bruttoaufstockungsprozentsatz x ATZ-Bruttoentgelt
Der Bruttoaufstockungsprozentsatz ergibt sich aus folgender Formel:
Bruttoaufstockungsprozentsatz = [Nettoentgeltdifferenz x 100 / ATZ-Bruttoentgelt] + 8 %-Punkte
Die Nettoentgeltdifferenz errechnet sich nach folgender Formel:
Nettoentgeltdifferenz = ATZ-Mindestnettoentgelt minus ATZ-Nettoentgelt
Das ATZ-Mindestnettoentgelt errechnet sich bei dem Kläger nicht nach der Mindestnettobetragstabelle, sondern nach der Formel:
ATZ-Mindestnettoentgelt = Vollzeitbrutto minus Sozialversicherungsbeiträge minus ermittelte französische Steuer x 85 %
Unter Berücksichtigung der entsprechend dem Beweisbeschluss vom 27.09.2014 (vgl. Bl. 509-510 d.A.) eingeholten Ergebnisse des Steuergutachtens vom 26.11.2014 (vgl. Bl. 514, 515-518 d.A.) gefundenen Ergebnisse zur steuerlichen Belastung des Klägers in Frankreich, ohne Einbeziehung eines Ehegatteneinkommens und ohne Einbeziehung spezifischer Freibeträge, ergibt sich für den gesamten Zeitraum der vereinbarten Altersteilzeit die sich aus der nachfolgenden Tabelle abzulesende französische Steuerlast in effektiven Beträgen sowie in prozentualer Wiedergabe:
[tabellarische Darstellung der Berechnungen für die Jahre 2009 bis 2012 auf Folgeseite beginnend]
Bezogen auf das Kalenderjahr 2009 und die hier noch im Rahmen des Berufungsverfahrens zwischen den Parteien streitigen Monate November und Dezember bedeutet dies, dass sich der Betrag in Höhe von 10,03 EUR als zusätzlich zu leistender Aufstockungsbetrag nach folgender Berechnungstabelle nachvollziehen lässt:
Kalenderjahr 2009
Grafik 2
Über die bislang von Seiten der Beklagten monatlich gezahlten 690,20 EUR (bestehend aus den beiden buchungstechnischen Teilbeträgen von 108,08 EUR und 582,12 EUR) hinausgehend steht dem Kläger für das Kalenderjahr 2010 ein Anspruch auf die Zahlung weiterer 11,10 EUR monatlichen Aufstockungsbetrages zu. Dies ergibt sich aus nachfolgender Berechnung unter Berücksichtigung der französischen Steuer in Höhe von 8,14 % im Rahmen der Aufstockungsbetragsermittlung.
Kalenderjahr 2010
Grafik 3
Im Kalenderjahr 2011 ergibt sich nach derselben Berechnungsmethode unter Berücksichtigung der ohne Individualisierungsmerkmale von der Gutachterin ermittelten französischen Steuer in Höhe von 8,12 % ein Anspruch des Klägers auf die monatliche Zahlung eines weiteren Aufstockungsbetrages gegen die Beklagte in Höhe von 11,50 EUR.
Kalenderjahr 2011
Grafik 4
Letztlich hat der Kläger für die Monate Januar bis August 2012 ausgehend von dem gutachterlich ohne Individualisierungsmerkmale ermittelten französischen Steuersatz in Höhe von 8,13 % über die monatliche gezahlten 690,20 EUR hinausgehend gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiterer 11,24 EUR Aufstockung pro Monat.
Kalenderjahr 2012 (Januar bis August)
Grafik 5
5. Hinsichtlich der Verzinsung dieser Ansprüche wird unter dem Aspekt der Prozesszinsen nach § 291 BGB, ausgehend vom Schriftsatz der Klägervertretung in erster Instanz vom 25.06.2010 (vgl. Bl. 185 ff d.A.) und der am 30.06.2010 erfolgten Zustellung ausweislich des zurückgesandten Empfangsbekenntnisses (vgl. Bl. 189 d.A.), der von den Parteien nicht mehr weiter im Rahmen des Berufungsverfahrens thematisierte Zinslauf, wie vom Arbeitsgericht festgelegt, für die Ansprüche von November 2009 bis April 2010 ab dem 30.06.2010 gerechnet. In Bezug auf die weitergehenden Ansprüche Mai 2010 bis August 2012 war eine Verzinsung nicht beantragt worden.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Absatz 1 Satz 1 Alternative 2 ZPO in Verbindung mit § 64 Absatz 4 ArbGG.
IV. Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen nach § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG vorliegen. Der Sache kommt grundsätzliche Bedeutung zu hinsichtlich der Frage, ob französische Besteuerung oder zunächst gar keine Besteuerung innerhalb der Ermittlung von Aufstockungsbeträgen bei Altersteilzeitvergütungen an Grenzgänger im Geltungsbereich des mit Frankreich abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens zur Wahrung europarechtlicher Vorgaben zu erfolgen hat. Wobei dies für Fälle von Bedeutung ist, deren Altersteilzeitregelungen auf die Anwendbarkeit der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung der §§ 3, 6 ATG verweisen.