12.01.2017 · IWW-Abrufnummer 191193
Landesarbeitsgericht Köln: Beschluss vom 27.10.2016 – 7 TaBV 54/16
Keine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle für Sozialplanverhandlungen bei Umzug eines Betriebes/Betriebsteils an eine ca. 350 m weit entfernte neue Betriebsstätte, wenn durch den Umzug für die Belegschaft Nachteile entstehen können, die nicht allein schon durch die räumliche Entfernung der neuen von der alten Betriebsstätte begründet sind.
Tenor:
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.08.2016 in Sachen 2 BV 67/16 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Regelungsgegenstand der Einigungsstelle nur noch die Sozialplanverhandlungen sind.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Verhandlung eines Sozialplans.
Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, dem Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle stattzugeben, wird auf die Abschnitte I und II des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.08.2016 Bezug genommen.
Der Beschluss des Arbeitsgerichts wurde der Beteiligten zu 2. (Arbeitgeberin) am 05.08.2016 zugestellt. Die Arbeitgeberin hat hiergegen am 18.08.2016 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.
Im Zeitpunkt des Anhörungstermins vor dem Beschwerdegericht war die streitgegenständliche Verlegung der N Betriebsstätte der Arbeitgeberin von ihrem bisherigen Standort in eine andere Liegenschaft bereits vollzogen. Aufgrund dieses Umstands besteht zwischen den Beteiligten nunmehr Einigkeit darüber, dass Gegenstand der streitgegenständlichen Einigungsstelle nicht mehr Interessenausgleichsverhandlungen, sondern nur noch Sozialplanverhandlungen sind.
Die Beschwerde führende Arbeitgeberin ist der Auffassung, dass die vorliegend vom Arbeitsgericht eingesetzte Einigungsstelle für einen Regelungsgegenstand "Sozialplanverhandlungen" offensichtlich unzuständig sei im Sinne von § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG.
Die Arbeitgeberin begründet ihre Auffassung damit, dass es bereits an einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG fehle. Nach nochmaliger Würdigung der geographischen Verhältnisse vor Ort unter Einbeziehung der vorhandenen Geh- und Fahrwege betrage die Entfernung zwischen alter und neuer Betriebsstätte ca. 350 Meter. Eine derart geringfügige Entfernung bringe keine wesentlichen Nachteile für die Belegschaft im Sinne von § 111 S. 1 BetrVG mit sich. Es spiele auch keine Rolle, dass an dem Gebäude, in welchem sich der neue Betriebssitz befinde, kein Betriebsparkplatz mehr zur Verfügung stehe. Zwar müssten die Betriebsangehörigen ihr Auto nunmehr auf den Seitenstreifen der öffentlichen Straßen abstellen. Dies sei jedoch problemlos möglich, da eine ausreichende Anzahl derartiger Parkplätze in der Umgebung der neuen Betriebsstätte vorhanden sei. Sofern ein Mitarbeiter einmal nicht direkt vor dem neuen Gebäude einen freien Parkplatz finden sollte, sondern etwas weiter vom Gebäude entfernt bzw. in den Seitenstraßen, so handele es sich hierbei nicht um einen wesentlichen Nachteil.
Auch der Umstand, dass zur Belegschaft ein schwerbehinderter Mitarbeiter mit dem Merkbuchstaben G in seinem Behindertenausweis gehöre, führe zu keiner anderen Beurteilung. Das Merkzeichen G bedeute nämlich, dass eine ortsübliche Wegstrecke von bis zu ca. 2 km noch als zumutbar angesehen werden könne. Im Übrigen könne mit dem gehbehinderten Mitarbeiter auch eine Einzelfallregelung getroffen werden.
Die Arbeitgeberin als Beschwerdeführerin beantragt nunmehr,
Der Antragsteller (Betriebsrat) und Beschwerdegegner beantragt,
Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass die Einigungsstelle keineswegs offensichtlich unzuständig sei. Dagegen spreche schon, dass das Arbeitsgericht bei fachkundiger Bewertung nicht von einer offensichtlichen Unzuständigkeit ausgegangen sei.
Der Betriebsrat sieht den wesentlichen Nachteil der Verlegung der Betriebsstätte insbesondere darin, dass der Belegschaft der kostenlos zu nutzende Betriebsparkplatz nicht mehr zur Verfügung stehe. Die Parksituation im öffentlichen Verkehrsraum sei keineswegs so unproblematisch wie von der Arbeitgeberin dargestellt. So seien die Seitenstreifen an den öffentlichen Straßen wegen der vorhandenen Bushaltestelle mit absolutem Halteverbot, wegen zahlreicher freizuhaltender Grundstückseinfahrten und wegen der im dortigen Gewerbegebiet üblicherweise am Straßenrand parkenden Lkw's nur eingeschränkt nutzbar. Dies bedeute einen zusätzlichen Zeitaufwand für das Suchen einer freien Parkmöglichkeit und dem Zurücklegen der Wegstrecke von diesem Parkplatz zur Betriebsstätte. Darüber hinaus sei auch zu berücksichtigen, dass die Parkmöglichkeit auf einem von der Arbeitgeberin angemieteten, somit privaten Betriebsparkplatz, der überdies von drei Seiten eingezäunt gewesen sei, wesentlich sicherer sei als eine solche am Rande einer öffentlichen Verkehrsstraße.
Schließlich fehlinterpretiere die Arbeitgeberin auch, was den schwerbehinderten Mitarbeiter angehe, das Merkzeichen G im Behindertenausweis. Dieses Merkzeichen bedeute nicht, dass für den Betroffenen das Zurücklegen einer Wegstrecke von bis zu 2 km in einer halben Stunde noch möglich und zumutbar sei, sondern es dokumentiere nur, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde zurückzulegen.
Auf den vollständigen Inhalt der Beschwerdeschrift vom 18.08.2016 und des weiteren Schriftsatzes der Beschwerdeführerin vom 25.10.2016 sowie der Beschwerdeerwiderung seitens des Betriebsrats wird ergänzend Bezug genommen.
II. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 04.08.2016 ist zulässig, aber unbegründet. Das Beschwerdegericht teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die einzusetzende Einigungsstelle, die sich anlässlich der räumlichen Verlegung des N Betriebes der Arbeitgeberin mit Sozialplanverhandlungen befassen soll, jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig im Sinne von § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG ist.
1. Als offensichtlich unzuständig im Sinne von § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG erweist sich eine Einigungsstelle nur, wenn bei sachkundiger Beurteilung schon auf den ersten Blick zweifelsfrei feststeht, dass eine Zuständigkeit nicht gegeben sein kann. Ansonsten hat es bei dem Grundsatz zu verbleiben, dass eine Einigungsstelle über ihre Zuständigkeit zunächst selbst zu befinden hat.
Dass jedenfalls eine offensichtliche Unzuständigkeit der begehrten Einigungsstelle für Sozialplanverhandlungen vorliegend nicht gegeben ist, belegen bereits die Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II des angegriffenen Beschlusses vom 04.08.2016, denen sich das Beschwerdegericht anschließt.
2. Zusammenfassend und aus der Sicht der Beschwerdeinstanz ergänzend bleibt das Folgende auszuführen:
a. Eine Einigungsstelle hat nach § 112 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 4 BetrVG über die Aufstellung eines Sozialplanes zu verhandeln, wenn der Arbeitgeber eine Betriebsänderung plant, die nach § 111 S. 1 BetrVG wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben könnte.
b. Gemäß § 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG gelten als Betriebsänderungen im Sinne des Satzes 1 u. a. die Verlegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen. Der N Betrieb der Beschwerdeführerin ist unstreitig von einer Liegenschaft in eine andere verlegt worden. Der neue Betrieb befindet sich in einem anderen Gebäude auf einem anderen Grundstück in einer anderen Straße als der bisherige Betrieb. Nach dem Wortlaut von § 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG liegt vorliegend somit eine Betriebsänderung vor.
c. Allerdings ist nach einer namhaften Rechtsmeinung in der Literatur der Gesetzeswortlaut einschränkend dahingehend auszulegen, dass § 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG nur geringfügige Veränderungen der örtlichen Lage eines Betriebes nicht erfasst (vgl. Fitting u. a., BetrVG, 28. Auflage, § 111 Rdnr. 81). Eine von § 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG nicht erfasste nur geringfügige Veränderung der örtlichen Lage in diesem Sinne soll konkret gegeben sein, wenn ein Betrieb lediglich von einer Straßenseite auf die gegenüberliegende umzieht, oder gar bei einem Umzug innerhalb ein und desselben Gebäudekomplexes (Fitting a.a.O.).
d. Der Literaturmeinung ist zugute zu halten, dass bei der Verlagerung eines Betriebes an einen weit entfernten Ort - z. B. in eine andere Stadt oder an den entgegengesetzten Stadtrand einer Großstadt - das Auftreten wesentlicher Nachteile für einen beträchtlichen Teil der Belegschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. In solchen Fällen spricht schon die erhebliche räumliche Entfernung der neuen von der alten Betriebsstätte für sich allein für das Auftreten wesentlicher Nachteile.
e. Dies mag bei Betriebsverlegungen mit geringerem räumlichem Abstand so nicht der Fall sein. Allerdings erscheint es zum einen problematisch, eine konkrete Grenze der Geringfügigkeit festzulegen, die es rechtfertigt, den Wortlaut des Gesetzes einzuschränken. So ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung z. B. anerkannt, dass die Verlagerung eines Betriebes innerhalb einer Gemeinde um 3 km eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG darstellt (vgl. BAG vom 27.06.2006, NZA 2006, 1289
[BAG 27.06.2006 - 1 ABR 35/05]
). Zum anderen erscheint es mit guten Gründen vertretbar, eine Betriebsänderung auch dann anzunehmen, wenn der Betrieb zwar an einen nur relativ geringfügig von der bisherigen Betriebsstätte entfernten anderen Ort verlegt wird, gerade aufgrund der Verlegung aber Nachteile für die Belegschaft zu befürchten sein können, die nicht schon alleine in der räumlichen Entfernung selbst begründet sind.
f. So kann vorliegend der antragstellende Betriebsrat darauf hinweisen, dass durch die Betriebsverlegung der von der Arbeitgeberin bisher für die Belegschaft angemietete Betriebsparkplatz wegfällt mit der Folge, dass sich in Zukunft jeder mit dem Auto anreisende Arbeitnehmer an jedem Arbeitstag am Straßenrand einen freien Parkplatz suchen muss. Ferner befindet sich das dort abgestellte Auto sodann auch nicht mehr auf einem von der Umgebung abgeschirmten Privatparkplatz, sondern bleibt allen Einflüssen des öffentlichen Verkehrsraums ausgesetzt.
g. Hinzu kommt noch, dass für den gehbehinderten Mitarbeiter Nachteile dadurch entstehen können, dass er keinen festen Parkplatz in unmittelbarer Nähe der Betriebsstätte mehr sicher hat. Zudem war der Einsatzort des schwerbehinderten Mitarbeiters in der alten Betriebsstätte in einem Raum im Erdgeschoß angesiedelt, während sich die neuen Betriebsräume in einem Obergeschoss befinden
h. Geht man einmal mit der Arbeitgeberin - soweit für das Gericht ersichtlich, auch vom Betriebsrat nicht mehr angezweifelt - davon aus, dass die Entfernung von der alten zur neuen Betriebsstätte realistisch ca. 350 Meter beträgt, so bleibt die Rechtsfrage zu beantworten, ob damit die von der Literaturmeinung angenommene einschränkende Geringfügigkeitsgrenze bereits unterschritten ist oder ob das nicht der Fall ist. Ferner bleibt die Frage zu beantworten, ob der mit dem Umzug verbundene Wegfall des kostenlosen Betriebsparkplatzes einen wesentlichen Nachteil im Sinne von § 111 S. 1 BetrVG darstellt oder ob dies nicht der Fall ist. Diese Frage kann jedenfalls nicht mit dem Argument verneint werden, dass der Belegschaft grundsätzlich kein durchsetzbares Recht darauf zusteht, dass die Arbeitgeberin einen kostenlos zu nutzenden Betriebsparkplatz überhaupt einrichtet. So stellt z. B. der Ausgleich von Nachteilen, die durch betriebsbedingte Kündigungen entstehen, den geradezu klassischen Gegenstand von Sozialplanverhandlungen dar, obwohl ein Arbeitnehmer grundsätzlich keinen Rechtsanspruch darauf hat, dass ein Arbeitgeber ihm Nachteile ersetzt, die durch eine sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung entstehen können.
i. Die Antwort auf die aufgeworfenen Fragen erscheint zur Überzeugung des Beschwerdegerichts keineswegs offensichtlich im Sinne von § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Vielmehr muss es bei dem Grundsatz verbleiben, dass die zu errichtende Einigungsstelle ihre Zuständigkeit selbst beurteilt.
3. Gegen die Person des vom Arbeitsgericht eingesetzten Einigungsstellenvorsitzenden und gegen die festgesetzte Anzahl der Beisitzer sind in der Beschwerdeinstanz keine Einwände erhoben worden.
4. Die Beschwerde der Arbeitgeberin musste daher erfolglos bleiben.