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09.02.2017 · IWW-Abrufnummer 191758

Sozialgericht Karlsruhe: Urteil vom 08.11.2016 – S 17 AL 1291/16

Eine Sperrzeit tritt grundsätzlich nicht ein, um an einer Bildungsmaßnahme teilnehmen zu können, die eine zusätzliche Befähigung vermittelt, und nicht berufsbegleitend ausgeübt werden kann.


Sozialgericht Karlsruhe

Urt. v. 08.11.2016

Az.: S 17 AL 1291/16

Tenor:
  1. Der Sperrzeitbescheid der Beklagten vom 24.02.2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 02.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.03.2016 wird aufgehoben.
  2. Die Beklagte wird unter dementsprechender Abänderung ihres Bewilligungsbescheids vom 24.02.2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 02.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.03.2016 verurteilt, an den Kläger ab 23.01.2016 Arbeitslosengeld ohne Berücksichtigung einer Minderung wegen einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe zu bewilligen.
  3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer Sperrzeit vom 01.03. bis 11.04.2015 streitig.

Der 1992 geborene Kläger war zuletzt bei der Fa. W. beschäftigt. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis am 12.11.2014 zum 28.02.2015.
Am 21.01.2016 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 23.01.2016 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 04.02.2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 23.01.2016 bis 27.08.2016 (Anspruchsdauer 300 Kalendertage).

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 24.02.2016 den Eintritt einer Sperrzeit vom 01.03.2015 bis 23.05.2015 fest. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis bei der Fa. W. durch eigene Kündigung selbst gelöst. Er habe voraussehen müssen, dadurch arbeitslos zu werden.

Ein wichtiger Grund sei nicht gegeben. Die Sperrzeit dauere zwölf Wochen, sie mindere den Anspruch auf Arbeitslosengeld um 84 Tage. Mit Änderungsbescheid vom 24.02.2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 23.01.2016 bis 27.08.2016 (Anspruchsdauer 216 Tage).

In der Folge teilte der Kläger der Beklagten mit, aufgrund einer Weiterbildung zum Zimmerermeister habe er zum Besuch des Vorbereitungskurses an der H-Schule in K. (Meisterschule) sein Arbeitsverhältnis bei der Fa. W. kündigen müssen, da er dafür keine Freistellung erhalten habe.

Mit Änderungsbescheid vom 02.03.2016 setzte die Beklagte die Sperrzeit vom 01.03.2015 bis 11.04.2015 neu fest. Die Sperrzeit sei auf sechs Wochen verkürzt, da die Sperrzeit von zwölf Wochen eine besondere Härte bedeute. Die Sperrzeit mindere den Anspruch auf Arbeitslosengeld um 42 Tage. Die Beklagte bewilligte mit Änderungsbescheid vom 02.03.2016 Arbeitslosengeld für die Zeit vom 23.01.2016 bis 09.10.2016 (Anspruchsdauer 258 Tage).

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Es erscheine unverständlich, weshalb ausgerechnet derartige Maßnahmen nicht von der Beklagten gefördert würden, sondern durch Verhängung einer Sperrzeit gerade bestraft. Er beantrage die Aufhebung der Sperrzeit und eine entsprechende Benachrichtigung an den Rentenversicherungsträger.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Es sei zwar grundsätzlich zu begrüßen, wenn sich ein Facharbeiter weiterqualifiziert. Jedoch könne dies nicht soweit führen, dass ohne konkret drohende Kündigung ein Beschäftigungsverhältnis aufgegeben werde und für die Sicherung des Lebensunterhalts Leistungen der Versichertengemeinschaft gefordert würden. Schon nach den in § 2 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) vom Gesetzgeber festgelegten Grundsätzen hätten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen. Die persönliche Entwicklung - Weiterbildung und dadurch höhere berufliche Qualifikation - dürfte nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen.

Mit der hiergegen am 19.04.2016 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt er vor, mit der Klage möchte er primär Nachteile in der Rentenanwartschaft vermeiden. Daneben hat er eine Bescheinigung der Fa. W. vom 25.08.2016 vorgelegt, in welcher diese bescheinigt, seine Kündigung rühre auf dem Hintergrund eines Besuchs der Meisterschule her.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 24.02.2016 in der Fassung der Bescheide vom 02.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.03.2016 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit ab 23.01.2016 ohne Minderung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt sie vor, es handelt sich nicht um eine Ermessensentscheidung. Der Kläger habe zum 15.04.2016 die Aufnahme einer Beschäftigung angezeigt. Ab diesem Zeitpunkt habe er auch derzeit ohnehin keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld habe möglicherweise keinerlei Auswirkungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig (dazu 1.) und begründet (dazu 2.). Die Festsetzung der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

1.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist auch ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben, wenngleich die Sperrzeit im Frühjahr 2015 in einen Zeitraum ohne Anspruch auf Arbeitslosengeldbezug fällt und der Kläger vor Ausschöpfen seines (geminderten) Arbeitslosengeldanspruchs eine Beschäftigung zum 15.04.2016 aufgenommen hat. Der Eintritt der Sperrzeit kann sich bei einer weiteren Arbeitslosigkeit vor Erwerb eines neuen Anspruchs auf Arbeitslosengeld auswirken. Des Weiteren könnte die Sperrzeit rentenrechtliche Nachteile für den Kläger haben (vgl. Hinweis der Beklagten im Bescheid vom 24.02.2016).

2.

Die Klage ist auch begründet, da eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe gem. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III nicht eingetreten ist und der Kläger damit einen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld ab 23.01.2016 ohne Berücksichtigung einer Minderung wegen einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe hat.

Gemäß § 159 Abs. 1 SGB III ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt gemäß § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).

a)

Der Kläger hat zwar das unbefristete Arbeitsverhältnis bei der Fa. W. durch Kündigung vom 12.11.2014 zum 28.02.2015 gelöst und ist dadurch beschäftigungslos geworden.

b)

Auch geschah das Herbeiführen der Arbeitslosigkeit schuldhaft. Durch die Lösung seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Fa. W. hat der Kläger seine Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt, da er keine konkrete Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz zum Zeitpunkt der Kündigung am 12.11.2014 zum 28.02.2015 hatte (vgl. z.B. BSG, U.v. 13.8.1986 -7 RAr 1/86- [...]; Karmanski, in: Brand, SGB III, 7. Aufl., 2015, § 159, Rn. 27 m.w.N.).

c)

Dem Kläger stand für sein Verhalten jedoch ein wichtiger Grund zur Seite, da er sein Beschäftigungsverhältnis gekündigt hat, um an dem Vorbereitungskurs zur Weiterbildung zum Zimmerermeister teilnehmen zu können.

Das Vorliegen eines wichtigen Grundes kommt in Frage, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft bzw. der Allgemeinheit ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann (ständige BSG-Rspr., vgl. z.B. U.v. 17.10.2007- B 11a AL 51/06 R - [...], Rn. 35). Bei Sperrzeiten nach § 159 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist ein wichtiger Grund gegeben, wenn Umstände vorliegen, die nach ständigem Ermessen dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr zumutbar erscheinen lassen, weil sonst sein Interesse in unbilliger Weise geschädigt würde (Karmanski, in: Brand, SGB III, 7. Aufl., 2015, § 159, Rn. 125 m.w.N.). Der wichtige Grund muss jedoch den Zeitpunkt der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses decken, d.h. der Arbeitnehmer muss einen wichtigen Grund dafür haben, dass er das Beschäftigungsverhältnis zu dem bestimmten, von ihm gewählten Zeitpunkt auflöst (vgl. BSG, U.v. 12.11.1981 - 7 RAr 21/81 - [...]). Eine Sperrzeit tritt grundsätzlich nicht ein, wenn der Arbeitslose sein Arbeitsverhältnis ordentlich kündigt, um an einer Bildungsmaßnahme teilnehmen zu können (Scholz, in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Conseriu, SGB III, 5. Aufl., § 159, Rn. 169 mit Hinweis auf SG Kiel, U.v. 10.2.1993 - S 9 Ar 48/91). Eine Bildungsmaßnahme, die keine zusätzliche Befähigung vermittelt, ist jedoch unzumutbar und darf abgelehnt werde (LSG Hessen, U.v. 9.8.2000 - L 6 AL 166/00 - BeckRS 2008, 55147).

Unter Abwägung des Interesses des Klägers sich beruflich weiterzubilden, um eine bessere berufliche Stellung zu erreichen, mit dem Interesse der Solidargemeinschaft, den Nachranggrundsatz der Leistungen des SGB III zu wahren, ist das Verhalten des Klägers nicht als sozialwidrig zu werten. Der nachvollziehbare Beweggrund für das Handeln des Klägers, das auch durch Art. 12 Abs. 1 GG gedeckt ist, und vor allem die Tatsache, dass die Durchführung der Bildungsmaßnahme nicht berufsbegleitend hätte durchgeführt werden können, lassen die Kammer das Verhalten des Klägers nicht als sozialwidrig bewerten. Der Kläger arbeitete bei seinem ehemaligen Arbeitgeber, der Fa. W., in zwei Schichten: Von 5:00 Uhr bis 13:30 Uhr und von 13:30 Uhr bis 22:00 Uhr. Der Vorbereitungskurs an der Meisterschule fand täglich von 7:45 Uhr bis 14:30 Uhr statt. Folglich war eine berufsbegleitende Weiterbildung in Vollzeit nicht möglich. Eine berufsbegleitende Fortbildung zum Meister am Wochenende, die vier Jahre in Anspruch genommen hätte, war dem Kläger - ungeachtet der Frage, ob ein solches Angebot in der Nähe des Klägers überhaupt existiert hätte - nach Auffassung der Kammer unzumutbar (vgl. Scholz, in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Conseriu, SGB III, 5. Aufl., § 159, Rn. 169).

Zudem hat der Kläger für seine bisherige Qualifikation als Zimmerer berufsspezifische Fortbildung zum Zimmerermeister angestrebt, in welcher er auf vorhandenes Wissen aufbauen konnte und mithin ein erfolgreicher Abschluss zu erwarten gewesen ist. Die Erlangung des Meistertitels im Jahr 2016 sowie die anschließende Beschäftigung als Zimmerermeister bestätigen die Prognose.

Des Weiteren entspricht das Verhalten des Klägers den Interessen der Versichertengemeinschaft, da durch die Weiterbildung nicht nur das Risiko zukünftiger Arbeitslosigkeit sinkt, sondern auch die Chance künftiger höherer Beitragsleistungen besteht (Schweiger, Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe wegen beruflicher Weiterbildung, NZS 2016, 213, 2016, mit Hinweis auf SG München, G.v. 12.3.2014 - S 35 AL 843/13 - unveröffentlicht). Durch sein Verhalten hat der Kläger - wie vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 4 Satz 2 SGB III gefordert - seine berufliche Leistungsfähigkeit den sich ändernden beruflichen Anforderungen angepasst. Daneben war für die Kammer von Bedeutung, dass sich der Kläger erst nach Abschluss der nahtlos begonnenen Weiterbildung Arbeitslos gemeldet hat. Der Kläger hat das Ende seiner Beschäftigung bei der Fa. W. so gewählt, um eine Arbeitslosigkeit vor Beginn der Weiterbildung zu vermeiden. Er hat Urlaub und Überstunden aufgespart und damit sogar über den Beginn der Weiterbildungsmaßnahme hinaus in einen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden.

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

RechtsgebietSGB IIIVorschriften§ 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III

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