14.07.2017 · IWW-Abrufnummer 195149
Landessozialgericht Niedersachsen: Beschluss vom 13.03.2017 – L 4 KR 65/17 B ER
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 11. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Gründe
I.
Der Antragsteller (Ast) begehrt die Kostentragung für eine Schulbegleitung während der Fahrten von seiner Wohnstätte zur Schule und zurück (Schulwegbegleitung).
Der Ast ist im Jahr 1998 geboren und bei der Antragsgegnerin (AGin) gesetzlich krankenversichert (Familienversicherung). Er ist seit seiner Geburt schwerbehindert und leidet u.a. an einer schweren kombinierten Entwicklungsstörung, einer zerebralen Bewegungsstörung, ausgeprägten Spastiken mit einer begleitenden schweren Schluckstörung sowie einer symptomatischen Epilepsie mit regelmäßig auftretenden Grand-mal-Anfällen. Dem Ast sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, H, RF und aG zuerkannt. Er erhält von der Pflegekasse Leistungen nach der Pflegestufe 3 (alte Rechtslage).
Von dem Landkreis J. (Beigeladener zu 1) erhält der ASt Eingliederungshilfe iSe Schulbegleitung durch eine Integrationshelferin. Die Integrationshelferin ist pädagogische Mitarbeiterin und verfügt über keine medizinische Ausbildung. Sie begleitete den ASt während seines Aufenthaltes in der Schule.
Der ASt wohnte bis zum 31. Juli 2016 im Haus seiner Eltern in K., das ca. 1 km entfernt lag von der von ihm besuchten Schule, der L. Schule, ebenfalls in K ... Die Integrationskraft holte den ASt in dieser Zeit vor Schulbeginn von der Wohnung ab und brachte ihn nach Schulende dorthin zurück.
Seit dem 01.08.2016 wird der Antragsteller in der Wohnstätte M. in N. stationär betreut, die ca. 30 km von der Schule des ASt entfernt liegt. Es handelt sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, die Kosten der Betreuung werden von dem Beigeladenen zu 1) als Träger der örtlichen Sozialhilfe getragen. Die Betreuung erfolgt durch Heilerziehungshelfer ohne medizinische Ausbildung.
Die Kosten des Schultransports des ASt für die etwa 30 km lange Strecke werden vom Landkreis O. (Beigeladener zu 2) aus Mitteln der Schülerbeförderung gezahlt (Taxikosten).
Am 27.05.2016 beantragte die Mutter des ASt, die gleichzeitig seine Betreuerin und Prozessbevollmächtigte (Rechtsanwältin) ist, bei dem Beigeladenen zu 1), nicht bei der AGin, die Bewilligung iSd "Fortsetzung" der Schulbegleitung durch die Integrationshelferin auch für den nunmehr anfallenden längeren Schulweg von der Wohnstätte zur Schule und zurück. Zur Begründung wies die Betreuerin darauf hin, dass die Begleitung wegen der auftretenden Grand-mal-Anfälle notwendig sei.
Der Beigeladene zu 1) bewertete das Begehren als Antrag nach § 14 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (IX) und leitete den Antrag am 1.6.2016, Eingang am 9.6.2016, mit der Begründung an die AGin weiter, dass beim Auftreten von Grand-mal-Anfällen die medizinisch notwendigen Schritte von einer entsprechend qualifizierten Fachkraft ergriffen werden müssten. Zuständig sei deshalb die gesetzliche Krankenkasse (KK).
Die AGin erließ den Bescheid vom 13. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2016, mit dem sie eine Schulwegbegleitung zunächst mit der Begründung ablehnte, dass die Voraussetzungen des insoweit einschlägigen § 60 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfüllt seien.
Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte am 1. September 2016 bei dem Sozialgericht (SG) Aurich zum einen Klage in der Hauptsache erhoben (S 8 KR 194/16) und zum zweiten den hier in Rede stehenden Antrag auf Einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat sie vor allem geltend gemacht, dass der ASt während seiner gesamten bisherigen Schulzeit bei den Fahrten zur Schule begleitet worden sei. Die Situation habe sich nicht geändert. Der ASt leide unter regelmäßig auftretenden epileptischen Grand-mal-Anfällen von bis zu ca. zweimal in der Woche sowie zudem unter weiteren kleineren Anfällen. Die Begleitperson entscheide im Bedarfsfall, ob ein Notfall-Medikament trotz der damit verbundenen Nebenwirkungen zu verabreichen sei. Je nach Schwere des Anfalls müsse die Begleitperson auch das vom ASt getragene Korsett öffnen, um die Atmung zu erleichtern. Schließlich habe die Integrationskraft darauf zu achten, dass der ASt sich bei einem Anfall nicht verletze. Am 28. Oktober 2016 sei die Schulbeförderung erneut ohne Begleitung durchgeführt worden und es habe aufgrund der Luftnot des ASt auf dem Schulweg beim Eintreffen in der Schule der Rettungsdienst gerufen werden müssen. Mit einer Schulwegbegleitung durch die Integrationshelferin wäre es hierzu nicht gekommen, da sie ein mobiles Absauggerät eingesetzt hätte.
Die AGin hält ihre Zuständigkeit für nicht gegeben. Bei der begehrten Schulwegbegleitung handele es sich nicht um eine medizinische Hilfeleistung im Sinne einer speziellen Krankenbeobachtung nach Ziffer 24 der Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinie), sondern um eine Beaufsichtigung zur Sicherung der Teilhabe an Erziehung, Bildung und damit am Leben in der Gesellschaft. Hierfür bestehe ein Anspruch gegen den Beigeladenen zu 1) nach §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Verbindung mit § 12 Eingliederungshilfeverordnung. Daneben fehle es auch an einer ärztlichen Verordnung für die häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V. Überdies handele es sich während der Fahrten nicht um einen für die häusliche Krankenpflege geeigneten Ort im Sinne von § 37 Abs. 1 SGB V und betreffe die Medikamentengabe eine einfachste Maßnahme der Krankenpflege, die nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.02.2015 (Az. B 3 KR 11/14 R) einen gesetzlichen Bestandteil der Eingliederungshilfe darstelle.
Der Beigeladene zu 1) hat vorgetragen, dass die vom ASt begehrte Schulwegbegleitung aus medizinischen Gründen notwendig sei, weshalb die Leistungspflicht der AGin bestehe. Es müssten während des Schulweges lebensbedrohliche Anfälle verhindert werden, was einen Fall häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V darstelle. Zu verweisen sei etwa auf die Stellungnahme des Amtsarztes Dr. P. vom 14. September 2016, in der es heiße, dass der ASt an einer schwersten Mehrfachbehinderung mit Epilepsie und ausgeprägter Spastik mit begleitenden schweren Schluckstörungen und Aspiratsionsgefahr leide, weshalb für die Taxifahrten von der Wohnstätte zur Förderschule in K. und zurück "eine ständige Transportbegleitung erforderlich" sei. Deshalb sei der Antrag des ASt zu Recht gemäß § 14 Abs. 1 SGB IX an die AGin weitergeleitet worden, die nun als zweitangegangener Träger nach allen möglichen Rechtsvorschriften über den Antrag zu entscheiden habe.
Das SG hat nach einem Erörterungstermin am 5. Januar 2017 den Beschluss vom 11. Januar 2017 erlassen und darin die AGin im Wege der Einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, die Kosten, die in der Zeit vom 01.09.2016 bis zum 21.06.2017 (Schuljahresende) für eine Schulbegleitung während der Fahrten von der Wohnstätte M. in N. zur L. Schule in K. und zurück entstehen, zu übernehmen.
Zur Begründung hat das SG im Einzelnen ausgeführt:
Das angerufene SG Aurich sei örtlich zuständig iSv § 57 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Einstweiligen Rechtsschutz am 01. September 2016 noch der Wohnsitz des ASt im Haus seiner Eltern in K. bestanden habe und es zu dieser Zeit noch keineswegs sicher gewesen sei, dass er in der Wohnstätte M. in N. verbleiben würde. Er sei deshalb auch noch in K. beim Einwohnermeldeamt gemeldet gewesen.
Der Antrag des ASt auf Einstweiligen Rechtsschutz sei begründet nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung), da ihm ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund zur Seite stehe.
Zum Anordnungsanspruch sei unter den Beteiligten unstreitig, dass der ASt während der Fahrten mit dem Taxi von der Wohnstätte zur Schule und zurück durch eine Person begleitet werden müsse, die beim Auftreten eines Anfalls u.a. in der Lage sei, das Ausmaß des Anfalls einzuschätzen, in Anbetracht des Verlaufs zu entscheiden, ob ein Notfall-Medikament zu verabreichen sei, dieses Medikament dem Kläger auch bei einem schweren Verlauf eines Anfalls oral zu verabreichen und die ggf. auch eine Absaugung von Schleim mittels eines mobilen Absauggerätes vornehmen könne. Dies ergebe sich aufgrund der Stellungnahme des Amtsarztes Dr. P. vom 14. September 2016, des Behandlungsberichts des Klinikums Q. vom 07. Juli 2014 und des Behandlungsberichts des Krankenhauses J. vom 28. Oktober 2016.
Streitig sei zwischen der AGin und dem Beigeladenen zu 1) allein, welcher Leistungsträger für den Anspruch zuständig ist.
Das Gericht könne und müsse jedoch im Rahmen des Verfahrens auf Einstweiligen Rechtsschutz nicht entscheiden, ob ein Fall der Schulweghilfe nach dem SGB XII oder der HKP nach § 37 SGB V gegeben sei. Denn der Anspruch des ASt gegen die AGin folge jedenfalls aus § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX.
Der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 SGB V sei hier eröffnet. Die Auslegung des Antrages des ASt ergebe, dass er keine häusliche Krankenpflege, sondern Leistungen zur Teilhabe beantragt habe. Hierfür spreche insbesondere, dass die Betreuung während der Schulfahrten lediglich die Lücke zwischen der Betreuung durch die Wohnstätte (Leistungen der Eingliederungshilfe) und der Betreuung während der Schulzeiten (Integrationshelferin, ebenfalls Eingliederungshilfe) schließen solle. Folgerichtig habe der Antragsteller die Leistung auch bei der für die Eingliederungshilfe zuständigen Behörde gestellt, nicht bei der Krankenkasse.
Die Voraussetzungen des damit anwendbaren § 14 SGB IX seien erfüllt. Der Beigeladene zu 1) habe als erstangegangener Leistungsträger den Leistungsantrag innerhalb von zwei Wochen an den aus seiner Sicht zuständigen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet. Als Rechtsfolge sei die AGin gem. § 14 Abs. 1 und 2 SGB XI verpflichtet gewesen, das Begehren unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und bei Vorliegen der einschlägigen Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. (Anm. des Senats: eine rechtliche Prüfung und Subsumtion der vom SG für gegeben gehaltenen materiellen Vorschrift findet sich in dem Beschluss nicht).
Neben dem Anordnungsanspruch bestehe auch ein Anordnungsgrund. Denn es sei dem ASt nicht zumutbar, mit Rücksicht auf den relativ langen Zeitraum bis zum Abschluss des Schuljahres und die Höhe der fortlaufend anfallenden Kosten für eine Begleitperson während der Fahrten von der Wohnstätte zur Schule und zurück die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Demgegenüber könne der ASt vorliegend nicht beanspruchen, die AGin zur Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für die Begleitung zwischen dem 01. und dem 31. August 2016 zu verpflichten, weil sich dies auf einen Zeitraum vor der Antragstellung bei Gericht beziehe.
Gegen den am 16.1.2017 zugestellten Beschluss richtet sich die am 8.2.2017 eingelegte Beschwerde der AGin, mit der diese geltend macht, dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vorliege.
Ein Anordnungsanspruch fehle bereits deshalb, weil der Anwendungsbereich der Norm des § 14 SGB X vorliegend nicht eröffnet sei. Die Vorschrift gelte nur für Reha-Leistungen, wozu die häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V jedoch nicht gehöre.
Doch selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 14 SGB IX würde hieraus keine Leistungspflicht der KK nach § 37 SGB V erwachsen. Denn die Voraussetzungen der Norm lägen nicht vor. Ein Schulbus oder Taxi sei kein geeigneter Ort iSd § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Auch sei im Fall des ASt keine spezielle Krankenbeobachtung medizinisch erforderlich. Die Schulbegleitung erfolge durch eine Integrationshelferin, die Betreuung in der Wohnstätte durch Heilerziehungshelfer und eine ärztliche Verordnung sei nicht ausgestellt worden. Selbst der von dem Beigeladenen zu 1) in Bezug genommene Amtsarzt halte in seiner Stellungnahme allein eine Transportbegleitung für erforderlich. Diese habe der Sozialhilfeträger zu leisten. Dokumentiert sei schließlich allein ein einmaliger Krampfanfall am 28. Oktober 2016, der nach dem Vortrag der Mutter/Betreuerin/Prozessbevollmächtigten des ASt durch die Integrationshelferin hätte vermieden werden können. Erforderlich und ausreichend sei nach alledem eine Schulwegbegleitung seitens des Beigeladenen zu 1) im Rahmen der Eingliederungshilfe.
Nach alledem sei eine Leistungszuständigkeit der AGin nicht gegeben, weder nach § 14 SGB IX wegen dessen Unanwendbarkeit noch nach § 37 SGB V. Leistungszuständig sei der Beigeladene zu 1) nach §§ 53, 54 SGB XII.
Die AGin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 11. Januar 2017 (Az.: S 8 KR 192l16 ER) aufzuheben und den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Der ASt stellt im Beschwerdeverfahren keinen Antrag.
Die Prozessbevollmächtigte des ASt wiederholt auf Aufklärungsverfügung des Senats ausdrücklich, dass keine Leistung der häuslichen Krankenpflege und keine medizinische Fachkraft begehrt werde. Begehrt werde allein eine Fortsetzung der Schulbegleitung auch auf dem Schulweg über den 31. Juli 2016 hinaus. Ob diese Begleitung während des Schulweges von den bisherigen jahrelangen Bewilligungen des Beigeladenen zu 1) erfasst oder nicht erfasst gewesen sei, sei der Antragstellerseite nicht bekannt; die Schulbegleitung auch auf dem Schulweg habe jedenfalls tatsächlich stattgefunden und sei auch erforderlich, ebenso wie die Schulbegleitung während des Unterrichts.
Der Beigeladene zu 1) stellt ebenfalls keinen Antrag im Beschwerdeverfahren.
Der Beigeladene zu 1) hat auf Aufklärungsverfügung des Senats vorgetragen, dass er die Schulbegleitung des ASt schon seit vielen Jahren bewillige, die aktuelle Bewilligung vom 2. August 2016 datiere und bis zum Ende des Schuljahres 2016/2017 am 21. Juni 2016 gelte. Von der Bewilligung der Schulbegleitung sei die Schulwegbegleitung zu keiner Zeit erfasst gewesen. Dass die Integrationshelferin dies in der Vergangenheit bis zum 31. Juli 2016 tatsächlich geleistet habe, habe er erst anlässlich des vorliegenden Rechtstreits erfahren. Die Gründe für die tatsächliche Schulwegbegleitung durch die Integrationshelferin könne er nur vermuten, es habe vielleicht an der geringen Entfernung von ca. 1 km zwischen bisheriger Wohnung und Schule gelegen. Einen rechtlichen Grund hierfür gebe es nicht. Denn die Bewilligung beschränke sich auf die Schulbegleitung mit folgenden Leistungen:
- An- und Umziehen incl. Korsett
- Wickeln, Waschen, Füttern
- Umlagern
- Basale Stimulation
- Basale Kommunikation
- Soziale Integration
- Ständige medizinische Beobachtung
Diese Leistungen fänden nicht während der Fahrt zur Schule, sondern allein während des Aufenthaltes in der Schule statt.
Soweit der ASt die Erweiterung der Schulbegleitung auf die Schulwegbegleitung begehre, komme dafür allein eine Leistung der HKP gem. § 37 SGB V in Betracht. Denn der ASt leide an einer Epilepsie mit lebensgefährlichen Grand-mal-Anfällen. Bei dieser Gesundheitslage könne sich die Betreuung während der Schulwege nicht auf die reine Krankenbeobachtung beschränken, vielmehr sei ein medizinisch-pflegerisches Eingreifen notwendig. Dies sei in einem ähnlichen Fall bereits vom Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen so entschieden worden. Dass die Mutter und Betreuerin des ASt dies nicht für erforderlich halte, sondern die Erstreckung der Schulbegleitung auf die Schulwegbegleitung für ausreichend ansehe, sei nach Auffassung des Beigeladenen zu 1) unbeachtlich. Vielmehr sei maßgebend, dass lebensgefährliche Situationen vermieden würden. Dies werde in der Wohnstätte des ASt durch die dortigen Betreuungskräfte und während der Schulbegleitung durch die Integrationskraft geleistet.
Die Aufklärungsverfügung des Senats beantwortet der Beigeladene zu 1) des Weiteren wie folgt:
Die Kosten des Schultransports (Taxi von der Einrichtung in N. und zurück) würden vom Landkreis O., vom Senat beigeladen (Beigeladener zu 2), aus Mitteln der Schülerbeförderung gezahlt.
Der Antrag des ASt vom 27. Mai 2016 auf eine Begleitung während der Taxifahrt stelle einen Neuantrag dar, denn eine vergleichbare Leistung sei in der Vergangenheit nicht gewährt worden. Der Antrag sei an die KK weitergeleitet worden, weil der Antrag von der Mutter mit auftretenden Grand-mal-Anfällen begründet worden sei. Dies sei für den Beigeladenen zu 1) Hinweis genug gewesen, die Zuständigkeit der Krankenkasse zu erkennen.
Eine Vergleichsregelung sei vom SG Aurich im Erörterungstermin angestrebt worden, die KK habe dies jedoch abgelehnt. Eine abschließende Vergleichsregelung sei möglich, jedoch nicht im Eilverfahren, zumal es sich um ein Verfahren im Rahmen des § 14 SGB IX handele.
Die geforderte Leistung sei daher von der Krankenkasse zu erbringen.
Der Landkreis O. ist vom Senat erst mit Zustellung des Beschlusses beigeladen worden. Der Beigeladene zu 2 stellt folgerichtig keinen Antrag.
Mehrere schriftliche Versuche des erkennenden Senats, die vorläufige Versorgung des ASt im Rahmen des ER-Verfahrens gütlich sicherzustellen, sind gescheitert. Der Beigeladene zu 1) hält zwar einen Vergleich für möglich, nicht jedoch im ER-Verfahren, sondern im Hauptsache-Verfahren (sic!).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auf die vom Antragsgegner als Verwaltungsvorgänge vorgelegten Unterlagen sowie auf vier Bände Verwaltungskaten des Beigeladenen zu 1) Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
II.
Die Beschwerde der AGin ist gem. § 172ff. SGG statthaft und zulässig.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Nach der im Verfahren auf Einstweiligen Rechtsschutz allein gebotenen summarischen Prüfung ist die AGin vorläufig zu verpflichten, die Kosten, die in der Zeit vom 01.09.2016 bis zum 21.06.2017 für eine Schulwegbegleitung zwischen der Wohnstätte M. in N. zur L. Schule in K. und zurück entstehen, zu übernehmen. Der Beschluss des SG ist deshalb im Ergebnis zu bestätigen.
Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen - bis auf §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V. m. §§ 1-2 der EingliederungshiIfeverordnung -, richtig angewendet, die Aktenlage überzeugend gewürdigt und ist nach alledem zum richtigen Ergebnis gelangt, dass dem ASt ein für das Verfahren auf Einstweiligen Rechtsschutz erforderlicher Anordnungsanspruch sowie ein ebenfalls erforderlicher Anordnungsgrund zur Seite stehen, um von der AGin vorläufig die Kostentragung für die Schulwegbegleitung im laufenden Schuljahr zu verlangen. Wegen der Einzelheiten der Begründung, der sich der erkennende Senat betreffend die Ausführungen des SG zu § 14 SGB IX anschließt, wird zum Zwecke der Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG (in entsprechender Anwendung) auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Ergänzend ist auszuführen:
Entgegen der Rechtsauffassung der AGin und mit dem SG ist § 14 SGB IX vorliegend anwendbar.
Der Senat stimmt der AGin darin zu, dass eine materielle Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenkasse (KK) nach § 37 SGB V (HKP) vorliegend nicht gegeben ist (dazu näher: siehe unten). Dies schließt jedoch entgegen der Rechtsauffassung der AGin nicht deren Zuständigkeit nach § 14 SGB IX aus.
Die AGin verkennt den Schutzcharakter der Rechtsnorm für Versicherte. Dieser greift auch dann ein, wenn - wie vorliegend - eine eigene Leistungszuständigkeit des zweitangegangenen Leistungsträgers nicht in Betracht kommt. Denn auch in diesen Fällen gilt der Schutzzweck der Norm gegenüber dem hilfesuchenden und leistungsbeanspruchenden Versicherten uneingeschränkt. Zutreffend heißt es hierzu bei Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 14 SGB IX, Rn 95, 96 zur Weiterleitung des Antrages an einen Leistungsträger, der nicht Reha-Träger sein kann:
Wird ein Antrag an einen Rehabilitationsträger weitergeleitet, der für die beantragte Leistung nicht Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 SGB IX sein kann, klärt dieser unverzüglich mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger, von wem und in welcher Weise über den Antrag innerhalb der Fristen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 und 4 SGB IX entschieden wird und unterrichtet hierüber den Antragsteller (§ 14 Abs. 2 Satz 5 SGB IX). Diese Regelung ändert aber nichts an der Zuständigkeit des zweitangegangenen Trägers gegenüber dem behinderten Menschen. In Betracht kommen folgende Beispiele (vgl. § 3 Abs. 3 der Gemeinsamen Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung) der Weiterleitung eines Antrages
- auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an eine gesetzliche Krankenkasse oder eine landwirtschaftliche Alterskasse,
- auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation an die Arbeitsverwaltung,
- auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft an eine gesetzliche Krankenkasse, die Arbeitsverwaltung, einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung oder eine landwirtschaftliche Alterskasse,
- auf Leistungen zur Teilhabe für Erwachsene an einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
(Unterstreichung durch den Senat
Indem der zweitangegangene Rehabilitationsträger in der Verantwortung zur Entscheidung über den Antrag bleibt, selbst wenn die von dem Betroffenen gewünschten Leistungen nicht zu seinem Zuständigkeitsbereich gehören, wird ein - vom Gesetzgeber so gewollter - Einigungsdruck zugunsten des Betroffenen geschaffen.
Dem schließt sich der erkennende Senat aufgrund eigener Überzeugung wegen des Schutzzwecks der Norm des § 14 SGB IX an.
Nach damit gegebener Anwendbarkeit des § 14 SGB IX ergänzt der erkennende Senat den angefochtenen Beschluss des SG dahingehend, dass die Eröffnung des Anwendungsbereiches des § 14 SGB IX nicht "automatisch" die Leistungspflicht des - hier - zweitangegangenen Leistungsträgers zur Folge hat, sondern nur dann, wenn eine materielle Rechtspflicht zur Leistung irgendeines Trägers von Leistungen zur Reha gegeben ist. Rechtlich nicht beanspruchbare Leistungen dürfen auch nach § 14 SGB IX nicht gewährt werden. Die Rechtsgrundlage des Leistungsbegehrens muss daher geprüft und gegenüber irgendeinem Leistungsträger bejaht werden (was sich im Beschluss des SG nicht findet).
Vorliegend ist - bei summarischer Prüfung - die Leistungspflicht des Beigeladenen zu 1) gegeben.
Wie sich aus der Aktenlage ergibt und wie es auf ausdrückliche Nachfrage durch den Senat von der Mutter und Betreuerin und Prozessbevollmächtigten des ASt ebenso ausdrücklich bestätigt wurde, begehrt der ASt n i c h t Leistungen der HKP, sondern ausschließlich Leistungen der Eingliederungshilfe. Dies stimmt nicht nur mit der formalen Antragstellung des ASt überein, die nicht bei der AGin, sondern bei dem Beigeladenen zu 1) als Träger der Eingliederungshilfe erfolgte. Es stimmt vielmehr auch überein mit der jahrelangen und vom Beigeladenen zu 1) getätigten Bewilligungspraxis der Schulbegleitung in der Vergangenheit. Rechtsgrundlage der Bewilligung waren danach - so der Beigeladene zu 1) zutreffend - §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V. m. §§ 1-2 der EingliederungshiIfeverordnung.
Zwar beschränkte sich die Bewilligung laut Aussage des Beigeladenen zu 1) ausschließlich auf die Schulbegleitung, also die Versorgung des ASt mit einer Integrationskraft während des Schulunterrichts, und war die darüber hinaus tatsächlich stattgefunden habende Schulwegbegleitung durch die selbe Integrationskraft nicht vom Bewilligungsumfang erfasst. Ob dies nach der für Bewilligungsbescheide allein maßgeblichen Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont zutreffend ist, kann vorl. Dahinstehen.
Denn nach der im Verfahren auf Einstweiligen Rechtsschutz allein gebotenen summarischen Prüfung erstreckt sich die Leistungspflicht des Beigeladenen zu 1) jedenfalls nach materiellem Recht über die Schulbegleitung hinaus auch auf die Schulwegbegleitung.
Denn zum einen könnte sonst der Leistungszweck der §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V. m. §§ 1-2 der EingliederungshiIfeverordnung nicht erreicht werden, nämlich die Gewährung einer allgemeinen Schulbildung als Grundbedürfnis des Menschen (Wehrhahn in Schlegel/Voelzke, [...]PK, § 54 SGB XII, Rn. 53). Denn ohne Anfahrt zur Schule ist die Unterrichtsteilnahme nicht möglich. Die Leistung der Schulwegbegleitung ist daher ausreichend, aber auch notwendig (zu diesem Erfordernis: Wehrhahn aaO, Rn. 60).
Zum zweiten ist auch nicht die Leistungszuständigkeit eines anderen Trägers für die Schulwegbegleitung ersichtlich, insbesondere nicht diejenige der KK (AGin):
Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V liegen nicht vor. Eine spezielle Krankenbeobachtung und ein etwaiges Einschreiten - durch medizinisch geschultes Fachpersonal - ist nach der gesamten erkennbaren Aktenlage nicht dokumentiert und daher bei summarischer Prüfung nicht erforderlich. Die Schulbegleitung und die Schulwegbegleitung erfolgt vielmehr bereits seit Jahren durch eine Integrationshelferin und die Betreuung in der Wohnstätte durch Heilerziehungshelfer, die jeweils über keine medizinische Fachausbildung verfügen. Auch halten weder die Mutter und Betreuerin des ASt noch halten die den ASt behandelnden Ärzte eine HKP während des Schulweges für erforderlich, denn eine ärztliche Verordnung ist weder beantragt und noch ausgestellt worden. Selbst der von dem Beigeladenen zu 1) in Bezug genommene Amtsarzt hält in seiner Stellungnahme allein eine Transportbegleitung für erforderlich, die der Sozialhilfeträger zu leisten habe. Dokumentiert ist allein ein einmaliger Krampfanfall am 28. Oktober 2016, der nach dem Vortrag der Mutter/Betreuerin/ Prozessbevollmächtigten des ASt durch die Integrationshelferin hätte vermieden werden können, so, wie sie auch seit Jahren während des Schulunterrichts vermieden worden ist.
Folgerichtig heißt es in dem Erstbericht der neuen Wohnstätte des ASt, der Traumfänger GmbH, vom 12.10.2016, dass der ASt zwar Betreuung bei der allgemeinen Lebensführung, dem An- und Ausziehen, Zubettgehen und Aufstehen etc. benötigt, jedoch in ebensolcher Weise und nicht durch medizinisches Fachpersonal sein Gesundheitszustand überwacht wird. Wörtlich heißt es: "Die Überwachung des Gesundheitszustandes sowie ein gesundheitsfördernder Lebensstil sind in R. s Alltag integriert und werden vom Betreuungspersonal durchgeführt".
Der Fall des hiesigen ASt ist daher - entgegen der Meinung des Beigeladenen zu 1) - nicht vergleichbar mit dem vom Beigeladenen zu 1) genannten Fall des LSG NRW. Dort litt die AStin unter einem "sehr schwer medikamentös einstellbaren Anfallsleiden, bei dem wegen der atypischen Symptomatik die Anfälle von medizinischen Laien kaum zu erkennen" seien. "Darüber hinaus sei eine sofortige und zielführende Behandlung bei Eintritt eines akuten Anfalls dringend notwendig". Aus diesem Grund hatten die die dortige AStin behandelnden Ärzte auch die HKP mittels ärztlicher Verordnung initiiert (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2007 - L 16 B 43/07 KR ER -, Rn. 1, [...]).
Der Senat vermag sich daher nicht davon zu überzeugen - so aber die Argumentation des Beigeladenen zu 1) - , dass die Betreuungsqualität während der (zeitlich kurzen) Fahrten zur Schule eine andere sein soll als während des (stundenlangen) Aufenthaltes im Schulunterricht oder des noch längeren Tages- und Nachtaufenthaltes in seiner Wohnstätte. Im Übrigen hätte der beigeladene Landkreis Wittmund - da sich der Erkrankungszustand des ASt laut Aktenklage seit Jahren unverändert darstellt - auch jahrelang rechtswidrig Leistungen nach SGB XII bewilligt, wenn statt Eingliederungshilfe die HKP medizinisch erforderlich gewesen wäre. Es kämen dann rückblickend dienst- und/oder amtshaftungsrechtliche Aspekte in Betracht.
Da schließlich auch keine Leistung der gesetzlichen Pflegeversicherung vorliegt (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. April 2001 - L 16 P 176/98 -, [...]), und auch die Schülerbeförderung allein auf den (fahrtechnischen) Transport als solcher beschränkt ist, ist nach alledem eine Schulwegbegleitung seitens des Beigeladenen zu 1) als Leistung der Eingliederungshilfe ausreichend, aber auch erforderlich nach §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V. m. §§ 1-2 der EingliederungshiIfeverordnung.
Die Beschwerde der AGin ist daher wegen § 14 SGB IX zurückzuweisen, obwohl die materielle Leistungszuständigkeit beim Beigeladenen zu 1) liegen dürfte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG (in entsprechender Anwendung).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 11. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Gründe
I.
Der Antragsteller (Ast) begehrt die Kostentragung für eine Schulbegleitung während der Fahrten von seiner Wohnstätte zur Schule und zurück (Schulwegbegleitung).
Der Ast ist im Jahr 1998 geboren und bei der Antragsgegnerin (AGin) gesetzlich krankenversichert (Familienversicherung). Er ist seit seiner Geburt schwerbehindert und leidet u.a. an einer schweren kombinierten Entwicklungsstörung, einer zerebralen Bewegungsstörung, ausgeprägten Spastiken mit einer begleitenden schweren Schluckstörung sowie einer symptomatischen Epilepsie mit regelmäßig auftretenden Grand-mal-Anfällen. Dem Ast sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, H, RF und aG zuerkannt. Er erhält von der Pflegekasse Leistungen nach der Pflegestufe 3 (alte Rechtslage).
Von dem Landkreis J. (Beigeladener zu 1) erhält der ASt Eingliederungshilfe iSe Schulbegleitung durch eine Integrationshelferin. Die Integrationshelferin ist pädagogische Mitarbeiterin und verfügt über keine medizinische Ausbildung. Sie begleitete den ASt während seines Aufenthaltes in der Schule.
Der ASt wohnte bis zum 31. Juli 2016 im Haus seiner Eltern in K., das ca. 1 km entfernt lag von der von ihm besuchten Schule, der L. Schule, ebenfalls in K ... Die Integrationskraft holte den ASt in dieser Zeit vor Schulbeginn von der Wohnung ab und brachte ihn nach Schulende dorthin zurück.
Seit dem 01.08.2016 wird der Antragsteller in der Wohnstätte M. in N. stationär betreut, die ca. 30 km von der Schule des ASt entfernt liegt. Es handelt sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, die Kosten der Betreuung werden von dem Beigeladenen zu 1) als Träger der örtlichen Sozialhilfe getragen. Die Betreuung erfolgt durch Heilerziehungshelfer ohne medizinische Ausbildung.
Die Kosten des Schultransports des ASt für die etwa 30 km lange Strecke werden vom Landkreis O. (Beigeladener zu 2) aus Mitteln der Schülerbeförderung gezahlt (Taxikosten).
Am 27.05.2016 beantragte die Mutter des ASt, die gleichzeitig seine Betreuerin und Prozessbevollmächtigte (Rechtsanwältin) ist, bei dem Beigeladenen zu 1), nicht bei der AGin, die Bewilligung iSd "Fortsetzung" der Schulbegleitung durch die Integrationshelferin auch für den nunmehr anfallenden längeren Schulweg von der Wohnstätte zur Schule und zurück. Zur Begründung wies die Betreuerin darauf hin, dass die Begleitung wegen der auftretenden Grand-mal-Anfälle notwendig sei.
Der Beigeladene zu 1) bewertete das Begehren als Antrag nach § 14 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (IX) und leitete den Antrag am 1.6.2016, Eingang am 9.6.2016, mit der Begründung an die AGin weiter, dass beim Auftreten von Grand-mal-Anfällen die medizinisch notwendigen Schritte von einer entsprechend qualifizierten Fachkraft ergriffen werden müssten. Zuständig sei deshalb die gesetzliche Krankenkasse (KK).
Die AGin erließ den Bescheid vom 13. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2016, mit dem sie eine Schulwegbegleitung zunächst mit der Begründung ablehnte, dass die Voraussetzungen des insoweit einschlägigen § 60 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfüllt seien.
Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte am 1. September 2016 bei dem Sozialgericht (SG) Aurich zum einen Klage in der Hauptsache erhoben (S 8 KR 194/16) und zum zweiten den hier in Rede stehenden Antrag auf Einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat sie vor allem geltend gemacht, dass der ASt während seiner gesamten bisherigen Schulzeit bei den Fahrten zur Schule begleitet worden sei. Die Situation habe sich nicht geändert. Der ASt leide unter regelmäßig auftretenden epileptischen Grand-mal-Anfällen von bis zu ca. zweimal in der Woche sowie zudem unter weiteren kleineren Anfällen. Die Begleitperson entscheide im Bedarfsfall, ob ein Notfall-Medikament trotz der damit verbundenen Nebenwirkungen zu verabreichen sei. Je nach Schwere des Anfalls müsse die Begleitperson auch das vom ASt getragene Korsett öffnen, um die Atmung zu erleichtern. Schließlich habe die Integrationskraft darauf zu achten, dass der ASt sich bei einem Anfall nicht verletze. Am 28. Oktober 2016 sei die Schulbeförderung erneut ohne Begleitung durchgeführt worden und es habe aufgrund der Luftnot des ASt auf dem Schulweg beim Eintreffen in der Schule der Rettungsdienst gerufen werden müssen. Mit einer Schulwegbegleitung durch die Integrationshelferin wäre es hierzu nicht gekommen, da sie ein mobiles Absauggerät eingesetzt hätte.
Die AGin hält ihre Zuständigkeit für nicht gegeben. Bei der begehrten Schulwegbegleitung handele es sich nicht um eine medizinische Hilfeleistung im Sinne einer speziellen Krankenbeobachtung nach Ziffer 24 der Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinie), sondern um eine Beaufsichtigung zur Sicherung der Teilhabe an Erziehung, Bildung und damit am Leben in der Gesellschaft. Hierfür bestehe ein Anspruch gegen den Beigeladenen zu 1) nach §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Verbindung mit § 12 Eingliederungshilfeverordnung. Daneben fehle es auch an einer ärztlichen Verordnung für die häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V. Überdies handele es sich während der Fahrten nicht um einen für die häusliche Krankenpflege geeigneten Ort im Sinne von § 37 Abs. 1 SGB V und betreffe die Medikamentengabe eine einfachste Maßnahme der Krankenpflege, die nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.02.2015 (Az. B 3 KR 11/14 R) einen gesetzlichen Bestandteil der Eingliederungshilfe darstelle.
Der Beigeladene zu 1) hat vorgetragen, dass die vom ASt begehrte Schulwegbegleitung aus medizinischen Gründen notwendig sei, weshalb die Leistungspflicht der AGin bestehe. Es müssten während des Schulweges lebensbedrohliche Anfälle verhindert werden, was einen Fall häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V darstelle. Zu verweisen sei etwa auf die Stellungnahme des Amtsarztes Dr. P. vom 14. September 2016, in der es heiße, dass der ASt an einer schwersten Mehrfachbehinderung mit Epilepsie und ausgeprägter Spastik mit begleitenden schweren Schluckstörungen und Aspiratsionsgefahr leide, weshalb für die Taxifahrten von der Wohnstätte zur Förderschule in K. und zurück "eine ständige Transportbegleitung erforderlich" sei. Deshalb sei der Antrag des ASt zu Recht gemäß § 14 Abs. 1 SGB IX an die AGin weitergeleitet worden, die nun als zweitangegangener Träger nach allen möglichen Rechtsvorschriften über den Antrag zu entscheiden habe.
Das SG hat nach einem Erörterungstermin am 5. Januar 2017 den Beschluss vom 11. Januar 2017 erlassen und darin die AGin im Wege der Einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, die Kosten, die in der Zeit vom 01.09.2016 bis zum 21.06.2017 (Schuljahresende) für eine Schulbegleitung während der Fahrten von der Wohnstätte M. in N. zur L. Schule in K. und zurück entstehen, zu übernehmen.
Zur Begründung hat das SG im Einzelnen ausgeführt:
Das angerufene SG Aurich sei örtlich zuständig iSv § 57 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Einstweiligen Rechtsschutz am 01. September 2016 noch der Wohnsitz des ASt im Haus seiner Eltern in K. bestanden habe und es zu dieser Zeit noch keineswegs sicher gewesen sei, dass er in der Wohnstätte M. in N. verbleiben würde. Er sei deshalb auch noch in K. beim Einwohnermeldeamt gemeldet gewesen.
Der Antrag des ASt auf Einstweiligen Rechtsschutz sei begründet nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung), da ihm ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund zur Seite stehe.
Zum Anordnungsanspruch sei unter den Beteiligten unstreitig, dass der ASt während der Fahrten mit dem Taxi von der Wohnstätte zur Schule und zurück durch eine Person begleitet werden müsse, die beim Auftreten eines Anfalls u.a. in der Lage sei, das Ausmaß des Anfalls einzuschätzen, in Anbetracht des Verlaufs zu entscheiden, ob ein Notfall-Medikament zu verabreichen sei, dieses Medikament dem Kläger auch bei einem schweren Verlauf eines Anfalls oral zu verabreichen und die ggf. auch eine Absaugung von Schleim mittels eines mobilen Absauggerätes vornehmen könne. Dies ergebe sich aufgrund der Stellungnahme des Amtsarztes Dr. P. vom 14. September 2016, des Behandlungsberichts des Klinikums Q. vom 07. Juli 2014 und des Behandlungsberichts des Krankenhauses J. vom 28. Oktober 2016.
Streitig sei zwischen der AGin und dem Beigeladenen zu 1) allein, welcher Leistungsträger für den Anspruch zuständig ist.
Das Gericht könne und müsse jedoch im Rahmen des Verfahrens auf Einstweiligen Rechtsschutz nicht entscheiden, ob ein Fall der Schulweghilfe nach dem SGB XII oder der HKP nach § 37 SGB V gegeben sei. Denn der Anspruch des ASt gegen die AGin folge jedenfalls aus § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX.
Der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 SGB V sei hier eröffnet. Die Auslegung des Antrages des ASt ergebe, dass er keine häusliche Krankenpflege, sondern Leistungen zur Teilhabe beantragt habe. Hierfür spreche insbesondere, dass die Betreuung während der Schulfahrten lediglich die Lücke zwischen der Betreuung durch die Wohnstätte (Leistungen der Eingliederungshilfe) und der Betreuung während der Schulzeiten (Integrationshelferin, ebenfalls Eingliederungshilfe) schließen solle. Folgerichtig habe der Antragsteller die Leistung auch bei der für die Eingliederungshilfe zuständigen Behörde gestellt, nicht bei der Krankenkasse.
Die Voraussetzungen des damit anwendbaren § 14 SGB IX seien erfüllt. Der Beigeladene zu 1) habe als erstangegangener Leistungsträger den Leistungsantrag innerhalb von zwei Wochen an den aus seiner Sicht zuständigen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet. Als Rechtsfolge sei die AGin gem. § 14 Abs. 1 und 2 SGB XI verpflichtet gewesen, das Begehren unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und bei Vorliegen der einschlägigen Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. (Anm. des Senats: eine rechtliche Prüfung und Subsumtion der vom SG für gegeben gehaltenen materiellen Vorschrift findet sich in dem Beschluss nicht).
Neben dem Anordnungsanspruch bestehe auch ein Anordnungsgrund. Denn es sei dem ASt nicht zumutbar, mit Rücksicht auf den relativ langen Zeitraum bis zum Abschluss des Schuljahres und die Höhe der fortlaufend anfallenden Kosten für eine Begleitperson während der Fahrten von der Wohnstätte zur Schule und zurück die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Demgegenüber könne der ASt vorliegend nicht beanspruchen, die AGin zur Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für die Begleitung zwischen dem 01. und dem 31. August 2016 zu verpflichten, weil sich dies auf einen Zeitraum vor der Antragstellung bei Gericht beziehe.
Gegen den am 16.1.2017 zugestellten Beschluss richtet sich die am 8.2.2017 eingelegte Beschwerde der AGin, mit der diese geltend macht, dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vorliege.
Ein Anordnungsanspruch fehle bereits deshalb, weil der Anwendungsbereich der Norm des § 14 SGB X vorliegend nicht eröffnet sei. Die Vorschrift gelte nur für Reha-Leistungen, wozu die häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V jedoch nicht gehöre.
Doch selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 14 SGB IX würde hieraus keine Leistungspflicht der KK nach § 37 SGB V erwachsen. Denn die Voraussetzungen der Norm lägen nicht vor. Ein Schulbus oder Taxi sei kein geeigneter Ort iSd § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Auch sei im Fall des ASt keine spezielle Krankenbeobachtung medizinisch erforderlich. Die Schulbegleitung erfolge durch eine Integrationshelferin, die Betreuung in der Wohnstätte durch Heilerziehungshelfer und eine ärztliche Verordnung sei nicht ausgestellt worden. Selbst der von dem Beigeladenen zu 1) in Bezug genommene Amtsarzt halte in seiner Stellungnahme allein eine Transportbegleitung für erforderlich. Diese habe der Sozialhilfeträger zu leisten. Dokumentiert sei schließlich allein ein einmaliger Krampfanfall am 28. Oktober 2016, der nach dem Vortrag der Mutter/Betreuerin/Prozessbevollmächtigten des ASt durch die Integrationshelferin hätte vermieden werden können. Erforderlich und ausreichend sei nach alledem eine Schulwegbegleitung seitens des Beigeladenen zu 1) im Rahmen der Eingliederungshilfe.
Nach alledem sei eine Leistungszuständigkeit der AGin nicht gegeben, weder nach § 14 SGB IX wegen dessen Unanwendbarkeit noch nach § 37 SGB V. Leistungszuständig sei der Beigeladene zu 1) nach §§ 53, 54 SGB XII.
Die AGin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 11. Januar 2017 (Az.: S 8 KR 192l16 ER) aufzuheben und den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Der ASt stellt im Beschwerdeverfahren keinen Antrag.
Die Prozessbevollmächtigte des ASt wiederholt auf Aufklärungsverfügung des Senats ausdrücklich, dass keine Leistung der häuslichen Krankenpflege und keine medizinische Fachkraft begehrt werde. Begehrt werde allein eine Fortsetzung der Schulbegleitung auch auf dem Schulweg über den 31. Juli 2016 hinaus. Ob diese Begleitung während des Schulweges von den bisherigen jahrelangen Bewilligungen des Beigeladenen zu 1) erfasst oder nicht erfasst gewesen sei, sei der Antragstellerseite nicht bekannt; die Schulbegleitung auch auf dem Schulweg habe jedenfalls tatsächlich stattgefunden und sei auch erforderlich, ebenso wie die Schulbegleitung während des Unterrichts.
Der Beigeladene zu 1) stellt ebenfalls keinen Antrag im Beschwerdeverfahren.
Der Beigeladene zu 1) hat auf Aufklärungsverfügung des Senats vorgetragen, dass er die Schulbegleitung des ASt schon seit vielen Jahren bewillige, die aktuelle Bewilligung vom 2. August 2016 datiere und bis zum Ende des Schuljahres 2016/2017 am 21. Juni 2016 gelte. Von der Bewilligung der Schulbegleitung sei die Schulwegbegleitung zu keiner Zeit erfasst gewesen. Dass die Integrationshelferin dies in der Vergangenheit bis zum 31. Juli 2016 tatsächlich geleistet habe, habe er erst anlässlich des vorliegenden Rechtstreits erfahren. Die Gründe für die tatsächliche Schulwegbegleitung durch die Integrationshelferin könne er nur vermuten, es habe vielleicht an der geringen Entfernung von ca. 1 km zwischen bisheriger Wohnung und Schule gelegen. Einen rechtlichen Grund hierfür gebe es nicht. Denn die Bewilligung beschränke sich auf die Schulbegleitung mit folgenden Leistungen:
- An- und Umziehen incl. Korsett
- Wickeln, Waschen, Füttern
- Umlagern
- Basale Stimulation
- Basale Kommunikation
- Soziale Integration
- Ständige medizinische Beobachtung
Diese Leistungen fänden nicht während der Fahrt zur Schule, sondern allein während des Aufenthaltes in der Schule statt.
Soweit der ASt die Erweiterung der Schulbegleitung auf die Schulwegbegleitung begehre, komme dafür allein eine Leistung der HKP gem. § 37 SGB V in Betracht. Denn der ASt leide an einer Epilepsie mit lebensgefährlichen Grand-mal-Anfällen. Bei dieser Gesundheitslage könne sich die Betreuung während der Schulwege nicht auf die reine Krankenbeobachtung beschränken, vielmehr sei ein medizinisch-pflegerisches Eingreifen notwendig. Dies sei in einem ähnlichen Fall bereits vom Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen so entschieden worden. Dass die Mutter und Betreuerin des ASt dies nicht für erforderlich halte, sondern die Erstreckung der Schulbegleitung auf die Schulwegbegleitung für ausreichend ansehe, sei nach Auffassung des Beigeladenen zu 1) unbeachtlich. Vielmehr sei maßgebend, dass lebensgefährliche Situationen vermieden würden. Dies werde in der Wohnstätte des ASt durch die dortigen Betreuungskräfte und während der Schulbegleitung durch die Integrationskraft geleistet.
Die Aufklärungsverfügung des Senats beantwortet der Beigeladene zu 1) des Weiteren wie folgt:
Die Kosten des Schultransports (Taxi von der Einrichtung in N. und zurück) würden vom Landkreis O., vom Senat beigeladen (Beigeladener zu 2), aus Mitteln der Schülerbeförderung gezahlt.
Der Antrag des ASt vom 27. Mai 2016 auf eine Begleitung während der Taxifahrt stelle einen Neuantrag dar, denn eine vergleichbare Leistung sei in der Vergangenheit nicht gewährt worden. Der Antrag sei an die KK weitergeleitet worden, weil der Antrag von der Mutter mit auftretenden Grand-mal-Anfällen begründet worden sei. Dies sei für den Beigeladenen zu 1) Hinweis genug gewesen, die Zuständigkeit der Krankenkasse zu erkennen.
Eine Vergleichsregelung sei vom SG Aurich im Erörterungstermin angestrebt worden, die KK habe dies jedoch abgelehnt. Eine abschließende Vergleichsregelung sei möglich, jedoch nicht im Eilverfahren, zumal es sich um ein Verfahren im Rahmen des § 14 SGB IX handele.
Die geforderte Leistung sei daher von der Krankenkasse zu erbringen.
Der Landkreis O. ist vom Senat erst mit Zustellung des Beschlusses beigeladen worden. Der Beigeladene zu 2 stellt folgerichtig keinen Antrag.
Mehrere schriftliche Versuche des erkennenden Senats, die vorläufige Versorgung des ASt im Rahmen des ER-Verfahrens gütlich sicherzustellen, sind gescheitert. Der Beigeladene zu 1) hält zwar einen Vergleich für möglich, nicht jedoch im ER-Verfahren, sondern im Hauptsache-Verfahren (sic!).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auf die vom Antragsgegner als Verwaltungsvorgänge vorgelegten Unterlagen sowie auf vier Bände Verwaltungskaten des Beigeladenen zu 1) Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
II.
Die Beschwerde der AGin ist gem. § 172ff. SGG statthaft und zulässig.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Nach der im Verfahren auf Einstweiligen Rechtsschutz allein gebotenen summarischen Prüfung ist die AGin vorläufig zu verpflichten, die Kosten, die in der Zeit vom 01.09.2016 bis zum 21.06.2017 für eine Schulwegbegleitung zwischen der Wohnstätte M. in N. zur L. Schule in K. und zurück entstehen, zu übernehmen. Der Beschluss des SG ist deshalb im Ergebnis zu bestätigen.
Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen - bis auf §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V. m. §§ 1-2 der EingliederungshiIfeverordnung -, richtig angewendet, die Aktenlage überzeugend gewürdigt und ist nach alledem zum richtigen Ergebnis gelangt, dass dem ASt ein für das Verfahren auf Einstweiligen Rechtsschutz erforderlicher Anordnungsanspruch sowie ein ebenfalls erforderlicher Anordnungsgrund zur Seite stehen, um von der AGin vorläufig die Kostentragung für die Schulwegbegleitung im laufenden Schuljahr zu verlangen. Wegen der Einzelheiten der Begründung, der sich der erkennende Senat betreffend die Ausführungen des SG zu § 14 SGB IX anschließt, wird zum Zwecke der Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG (in entsprechender Anwendung) auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Ergänzend ist auszuführen:
Entgegen der Rechtsauffassung der AGin und mit dem SG ist § 14 SGB IX vorliegend anwendbar.
Der Senat stimmt der AGin darin zu, dass eine materielle Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenkasse (KK) nach § 37 SGB V (HKP) vorliegend nicht gegeben ist (dazu näher: siehe unten). Dies schließt jedoch entgegen der Rechtsauffassung der AGin nicht deren Zuständigkeit nach § 14 SGB IX aus.
Die AGin verkennt den Schutzcharakter der Rechtsnorm für Versicherte. Dieser greift auch dann ein, wenn - wie vorliegend - eine eigene Leistungszuständigkeit des zweitangegangenen Leistungsträgers nicht in Betracht kommt. Denn auch in diesen Fällen gilt der Schutzzweck der Norm gegenüber dem hilfesuchenden und leistungsbeanspruchenden Versicherten uneingeschränkt. Zutreffend heißt es hierzu bei Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 14 SGB IX, Rn 95, 96 zur Weiterleitung des Antrages an einen Leistungsträger, der nicht Reha-Träger sein kann:
Wird ein Antrag an einen Rehabilitationsträger weitergeleitet, der für die beantragte Leistung nicht Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 SGB IX sein kann, klärt dieser unverzüglich mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger, von wem und in welcher Weise über den Antrag innerhalb der Fristen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 und 4 SGB IX entschieden wird und unterrichtet hierüber den Antragsteller (§ 14 Abs. 2 Satz 5 SGB IX). Diese Regelung ändert aber nichts an der Zuständigkeit des zweitangegangenen Trägers gegenüber dem behinderten Menschen. In Betracht kommen folgende Beispiele (vgl. § 3 Abs. 3 der Gemeinsamen Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung) der Weiterleitung eines Antrages
- auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an eine gesetzliche Krankenkasse oder eine landwirtschaftliche Alterskasse,
- auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation an die Arbeitsverwaltung,
- auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft an eine gesetzliche Krankenkasse, die Arbeitsverwaltung, einen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung oder eine landwirtschaftliche Alterskasse,
- auf Leistungen zur Teilhabe für Erwachsene an einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
(Unterstreichung durch den Senat
Indem der zweitangegangene Rehabilitationsträger in der Verantwortung zur Entscheidung über den Antrag bleibt, selbst wenn die von dem Betroffenen gewünschten Leistungen nicht zu seinem Zuständigkeitsbereich gehören, wird ein - vom Gesetzgeber so gewollter - Einigungsdruck zugunsten des Betroffenen geschaffen.
Dem schließt sich der erkennende Senat aufgrund eigener Überzeugung wegen des Schutzzwecks der Norm des § 14 SGB IX an.
Nach damit gegebener Anwendbarkeit des § 14 SGB IX ergänzt der erkennende Senat den angefochtenen Beschluss des SG dahingehend, dass die Eröffnung des Anwendungsbereiches des § 14 SGB IX nicht "automatisch" die Leistungspflicht des - hier - zweitangegangenen Leistungsträgers zur Folge hat, sondern nur dann, wenn eine materielle Rechtspflicht zur Leistung irgendeines Trägers von Leistungen zur Reha gegeben ist. Rechtlich nicht beanspruchbare Leistungen dürfen auch nach § 14 SGB IX nicht gewährt werden. Die Rechtsgrundlage des Leistungsbegehrens muss daher geprüft und gegenüber irgendeinem Leistungsträger bejaht werden (was sich im Beschluss des SG nicht findet).
Vorliegend ist - bei summarischer Prüfung - die Leistungspflicht des Beigeladenen zu 1) gegeben.
Wie sich aus der Aktenlage ergibt und wie es auf ausdrückliche Nachfrage durch den Senat von der Mutter und Betreuerin und Prozessbevollmächtigten des ASt ebenso ausdrücklich bestätigt wurde, begehrt der ASt n i c h t Leistungen der HKP, sondern ausschließlich Leistungen der Eingliederungshilfe. Dies stimmt nicht nur mit der formalen Antragstellung des ASt überein, die nicht bei der AGin, sondern bei dem Beigeladenen zu 1) als Träger der Eingliederungshilfe erfolgte. Es stimmt vielmehr auch überein mit der jahrelangen und vom Beigeladenen zu 1) getätigten Bewilligungspraxis der Schulbegleitung in der Vergangenheit. Rechtsgrundlage der Bewilligung waren danach - so der Beigeladene zu 1) zutreffend - §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V. m. §§ 1-2 der EingliederungshiIfeverordnung.
Zwar beschränkte sich die Bewilligung laut Aussage des Beigeladenen zu 1) ausschließlich auf die Schulbegleitung, also die Versorgung des ASt mit einer Integrationskraft während des Schulunterrichts, und war die darüber hinaus tatsächlich stattgefunden habende Schulwegbegleitung durch die selbe Integrationskraft nicht vom Bewilligungsumfang erfasst. Ob dies nach der für Bewilligungsbescheide allein maßgeblichen Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont zutreffend ist, kann vorl. Dahinstehen.
Denn nach der im Verfahren auf Einstweiligen Rechtsschutz allein gebotenen summarischen Prüfung erstreckt sich die Leistungspflicht des Beigeladenen zu 1) jedenfalls nach materiellem Recht über die Schulbegleitung hinaus auch auf die Schulwegbegleitung.
Denn zum einen könnte sonst der Leistungszweck der §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V. m. §§ 1-2 der EingliederungshiIfeverordnung nicht erreicht werden, nämlich die Gewährung einer allgemeinen Schulbildung als Grundbedürfnis des Menschen (Wehrhahn in Schlegel/Voelzke, [...]PK, § 54 SGB XII, Rn. 53). Denn ohne Anfahrt zur Schule ist die Unterrichtsteilnahme nicht möglich. Die Leistung der Schulwegbegleitung ist daher ausreichend, aber auch notwendig (zu diesem Erfordernis: Wehrhahn aaO, Rn. 60).
Zum zweiten ist auch nicht die Leistungszuständigkeit eines anderen Trägers für die Schulwegbegleitung ersichtlich, insbesondere nicht diejenige der KK (AGin):
Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V liegen nicht vor. Eine spezielle Krankenbeobachtung und ein etwaiges Einschreiten - durch medizinisch geschultes Fachpersonal - ist nach der gesamten erkennbaren Aktenlage nicht dokumentiert und daher bei summarischer Prüfung nicht erforderlich. Die Schulbegleitung und die Schulwegbegleitung erfolgt vielmehr bereits seit Jahren durch eine Integrationshelferin und die Betreuung in der Wohnstätte durch Heilerziehungshelfer, die jeweils über keine medizinische Fachausbildung verfügen. Auch halten weder die Mutter und Betreuerin des ASt noch halten die den ASt behandelnden Ärzte eine HKP während des Schulweges für erforderlich, denn eine ärztliche Verordnung ist weder beantragt und noch ausgestellt worden. Selbst der von dem Beigeladenen zu 1) in Bezug genommene Amtsarzt hält in seiner Stellungnahme allein eine Transportbegleitung für erforderlich, die der Sozialhilfeträger zu leisten habe. Dokumentiert ist allein ein einmaliger Krampfanfall am 28. Oktober 2016, der nach dem Vortrag der Mutter/Betreuerin/ Prozessbevollmächtigten des ASt durch die Integrationshelferin hätte vermieden werden können, so, wie sie auch seit Jahren während des Schulunterrichts vermieden worden ist.
Folgerichtig heißt es in dem Erstbericht der neuen Wohnstätte des ASt, der Traumfänger GmbH, vom 12.10.2016, dass der ASt zwar Betreuung bei der allgemeinen Lebensführung, dem An- und Ausziehen, Zubettgehen und Aufstehen etc. benötigt, jedoch in ebensolcher Weise und nicht durch medizinisches Fachpersonal sein Gesundheitszustand überwacht wird. Wörtlich heißt es: "Die Überwachung des Gesundheitszustandes sowie ein gesundheitsfördernder Lebensstil sind in R. s Alltag integriert und werden vom Betreuungspersonal durchgeführt".
Der Fall des hiesigen ASt ist daher - entgegen der Meinung des Beigeladenen zu 1) - nicht vergleichbar mit dem vom Beigeladenen zu 1) genannten Fall des LSG NRW. Dort litt die AStin unter einem "sehr schwer medikamentös einstellbaren Anfallsleiden, bei dem wegen der atypischen Symptomatik die Anfälle von medizinischen Laien kaum zu erkennen" seien. "Darüber hinaus sei eine sofortige und zielführende Behandlung bei Eintritt eines akuten Anfalls dringend notwendig". Aus diesem Grund hatten die die dortige AStin behandelnden Ärzte auch die HKP mittels ärztlicher Verordnung initiiert (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2007 - L 16 B 43/07 KR ER -, Rn. 1, [...]).
Der Senat vermag sich daher nicht davon zu überzeugen - so aber die Argumentation des Beigeladenen zu 1) - , dass die Betreuungsqualität während der (zeitlich kurzen) Fahrten zur Schule eine andere sein soll als während des (stundenlangen) Aufenthaltes im Schulunterricht oder des noch längeren Tages- und Nachtaufenthaltes in seiner Wohnstätte. Im Übrigen hätte der beigeladene Landkreis Wittmund - da sich der Erkrankungszustand des ASt laut Aktenklage seit Jahren unverändert darstellt - auch jahrelang rechtswidrig Leistungen nach SGB XII bewilligt, wenn statt Eingliederungshilfe die HKP medizinisch erforderlich gewesen wäre. Es kämen dann rückblickend dienst- und/oder amtshaftungsrechtliche Aspekte in Betracht.
Da schließlich auch keine Leistung der gesetzlichen Pflegeversicherung vorliegt (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. April 2001 - L 16 P 176/98 -, [...]), und auch die Schülerbeförderung allein auf den (fahrtechnischen) Transport als solcher beschränkt ist, ist nach alledem eine Schulwegbegleitung seitens des Beigeladenen zu 1) als Leistung der Eingliederungshilfe ausreichend, aber auch erforderlich nach §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V. m. §§ 1-2 der EingliederungshiIfeverordnung.
Die Beschwerde der AGin ist daher wegen § 14 SGB IX zurückzuweisen, obwohl die materielle Leistungszuständigkeit beim Beigeladenen zu 1) liegen dürfte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG (in entsprechender Anwendung).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.