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27.07.2017 · IWW-Abrufnummer 195414

Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Beschluss vom 16.06.2017 – 3 Sa 862/16

1. Zuständiges Prozessgericht im Sinne des § 769 ZPO (analog) bei einer Titelgegenklage ist das Gericht, bei welchem die analog § 767 ZPO erhobene Titelgegenklage anhängig ist und nicht das (Berufungs-)Gericht des Ursprungsprozesses, aus dem der streitige Vollstreckungstitel herrührt.

2. Ein Antrag auf Weiterbeschäftigung als "Angestellter zu den bisherigen Arbeitsbedingungen" ist jedenfalls dann unbestimmt und ein entsprechender Titel nicht vollstreckbar, wenn unklar und weder dem Titel noch den Entscheidungsgründen zu entnehmen ist, was unter den "bisherigen Arbeitsbedingungen" zu verstehen ist.


Tenor:
I. Der Antrag der Beklagten vom 4. Mai 2017 auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 07.09.2016 (Az.: 4 Ca 1138/16) bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die beim Arbeitsgericht Essen anhängige Titelgegenklage wird zurückgewiesen.


II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



Gründe



I.



Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren 3 Sa 862/16 über einen Kündigungsschutz- sowie einen Weiterbeschäftigungsantrag.



Mit erstinstanzlichem Urteil vom 07.09.2016 hat das Arbeitsgericht Essen der Klage, die sich in erster Instanz auch noch gegen eine Änderungskündigung vom 30.06.2015 gerichtet hat, stattgegeben und antragsgemäß u.a. wie folgt tenoriert:



Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und richtet diese gegen die der Kündigungsschutzklage bzgl. der Beendigungskündigung vom 27.04.2016 und dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgebende erstinstanzliche Entscheidung, während der die Änderungskündigung betreffende Teil der Entscheidung nicht angegriffen wird.



In der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2017 wurden die Parteien durch die Berufungskammer darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit des Weiterbeschäftigungsantrages im Hinblick auf die Unbestimmtheit der Formulierung "zu den bisherigen Arbeitsbedingungen" bestünden.



Daraufhin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 04.05.2017 Titelgegenklage vor dem Arbeitsgericht Essen erhoben sowie mit Schriftsatz vom gleichen Tage im vorliegenden Berufungsverfahren einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 07.09.2016 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die beim Arbeitsgericht Essen anhängige Titelgegenklage ohne - hilfsweise gegen - Sicherheitsleistung gestellt.



II.



Der vor dem Landesarbeitsgericht in dem vorliegenden Berufungsverfahren gestellte Antrag der Beklagten ist unzulässig, denn das Landesarbeitsgericht ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht das zuständige "Prozessgericht" im Sinne des § 769 Abs. 1 ZPO.



Die Beklagte stützt ihren Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung auf § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. § 769 Abs. 1 ZPO (analog) im Hinblick auf die von ihr analog § 767 ZPO erhobene Titelgegenklage (zu deren Zulässigkeit vgl. BAG vom 18.03.2008 - 1 ABR 3/07, [...], Rz. 16 m.w.N.; zu dem Wahlrecht der Beklagten im Hinblick auf die ggfs. ebenfalls mögliche Klauselerinnerung nach § 732 ZPO vgl. Lackmann in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Auflage, § 767 Rn. 9b). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG auf die Fälle der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß oder analog § 769 ZPO anwendbar ist (vgl. zum Streitstand Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 8. Auflage, § 62 Rn. 50; Walker in: Schwab/Weth, ArbGG, 4. Auflage, § 62 Rn. 40, jeweils m.w.N.). Denn das wäre allein relevant für die Frage, ob eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zum einen nur ohne Sicherheitsleistung erfolgen könnte (§ 62 Abs. 1 Satz 4 ArbGG) und zum anderen aber einen nicht zu ersetzenden Nachteil (§ 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG) zur Voraussetzung hätte. Hingegen enthält § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG für den Fall einer Einstellung nach § 769 Abs. 1 ZPO keine Regelung zur Frage des zuständigen Gerichts.



Das für eine Entscheidung nach § 769 Abs. 1 ZPO (analog) bei einer Titelgegenklage zuständige Gericht ist vielmehr allein aus dieser Norm zu bestimmen. Zuständig ist danach das "Prozessgericht". Damit gemeint ist das Gericht, bei dem die Titelgegenklage anhängig ist (vgl. LAG L. vom 21.08.2011 - 2 Ta 230/11, [...], Rz. 8 zur parallel gelagerten Zuständigkeitsfrage bei der Vollstreckungsgegenklage; ebenso Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Auflage, § 769 Rn. 4), also das Arbeitsgericht Essen und nicht das hier angerufene Landesarbeitsgericht, bei dem sich der Ursprungsprozess, welcher zu dem angegriffenen Titel geführt hat, derzeit in der Berufung befindet.



Während der Wortlaut des § 769 Abs. 1 ZPO noch sowohl die Auslegung zulässt, dass mit dem "Prozessgericht" das Gericht gemeint sein soll, das über die Titelgegenklage zu entscheiden hat (hier: das Arbeitsgericht Essen) als auch die Auslegung, dass das Gericht gemeint ist, das über den Ursprungsprozess und damit über den zugrundeliegenden Titel zu entscheiden hat (hier: das Landesarbeitsgericht als Berufungsgericht in dem vorliegenden Verfahren), sprechen sowohl Sinn und Zweck der Norm als auch die Gesetzessystematik dafür, dass allein das Gericht gemeint und damit zuständig ist, bei dem die Titelgegenklage anhängig ist. Denn im Rahmen des § 769 Abs. 1 ZPO ist durch das "Prozessgericht" summarisch die Erfolgsaussicht der gemäß § 767 ZPO (analog) erhobenen Titelgegenklage zu prüfen. Die auf die Titelgegenklage und nicht auf den Ursprungsprozess bezogene Prüfung der Erfolgsaussichten spricht bereits dafür, dass allein das Gericht, bei dem die Klage nach § 767 ZPO anhängig ist, auch über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu entscheiden hat. Die einstweilige Anordnung nach § 769 ZPO ist eine auf das Hauptsacheverfahren nach § 767 ZPO bezogene verfahrensbegleitende Entscheidung. Auch ein systematischer Vergleich mit § 770 ZPO zeigt, dass allein das über die Klage nach § 767 ZPO entscheidungsbefugte Gericht als "Prozessgericht" gemeint sein kann. Denn § 770 ZPO sieht die Möglichkeit des "Prozessgerichts" vor, eine Anordnung nach § 769 ZPO in dem Urteil über die Klage nach § 767 ZPO zu treffen. Wenn aber demnach das Prozessgericht nach § 770 ZPO allein das über die Klage nach § 767 ZPO entscheidungsbefugte Gericht ist, kann das Prozessgericht nach § 769 Abs. 1 ZPO kein anderes sein.



Soweit teilweise vertreten wird, daneben könne Prozessgericht im Sinne des § 769 Abs. 1 ZPO auch das Gericht sein, das den angegriffenen Titel geschaffen hat (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Auflage, § 769 Rn. 4 m.w.N.), kann letztlich dahingestellt bleiben, ob diese Ansicht im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unbedenklich und auch im Übrigen nach den vorstehenden Ausführungen überzeugend ist. Denn auch danach wäre hier das Arbeitsgericht Essen das zur Entscheidung berufene Prozessgericht, da dieses den streitgegenständlichen Titel geschaffen hat.



Dementsprechend ist für den hier gestellten Antrag das Berufungsgericht des Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsprozesses nicht zuständig, sondern allein das Gericht der Titelgegenklage.



Gleichwohl wird abschließend nochmals darauf hingewiesen, dass gegen die Bestimmtheit und damit auch gegen die Vollstreckbarkeit des hier tenorierten Weiterbeschäftigungstitels als "Angestellter zu den bisherigen Arbeitsbedingungen" Bedenken bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Voraussetzung für die Bestimmtheit eines Weiterbeschäftigungstitels, dass hinreichend klar angegeben ist, welche Beschäftigung geschuldet wird. Für den Schuldner muss aus rechtsstaatlichen Gründen erkennbar sein, in welchen Fällen er mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat. Andererseits erfordern das Rechtsstaatsprinzip und das daraus folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass materiell-rechtliche Ansprüche effektiv durchgesetzt werden können. Bei im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebener Arbeitspflicht kann der Titel aus materiell-rechtlichen Gründen nicht so genau sein, dass er auf eine ganz bestimmte im Einzelnen beschriebene Tätigkeit oder Stelle zugeschnitten ist. Darauf hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch, weil das Weisungsrecht nach § 106 GewO dem Arbeitgeber zusteht. Um diesen Gesichtspunkten gerecht zu werden, ist es jedenfalls erforderlich, dass die Art der ausgeurteilten Beschäftigung des Arbeitnehmers aus dem Titel ersichtlich ist. Einzelheiten hinsichtlich der Art der Beschäftigung oder sonstigen Arbeitsbedingungen muss der Titel demgegenüber nicht enthalten. Dafür reicht es aus, wenn sich aus dem Titel das Berufsbild, mit dem der Arbeitnehmer beschäftigt werden soll, ergibt oder diesem zu entnehmen ist, worin die ihm zuzuweisende Tätigkeit bestehen soll (BAG vom 27.05.2015 - 5 AZR 88/14, [...], Rz. 44; BAG vom 15.04.2009 - 3 AZB 93/08, [...], Rz. 19). Für die Bestimmtheit eines Weiterbeschäftigungstitels kann eine Bezugnahme auf einen Arbeitsvertrag, vorausgesetzt dessen Inhalt lässt sich anhand des Tenors und der Entscheidungsgründe des Urteils eindeutig feststellen, ausreichen. Enthält die Bezugnahme jedoch, indem sie mit dem Zusatz "zu unveränderten Arbeitsbedingungen" verbunden ist, Einschränkungen, führt dies zur Unbestimmtheit (BAG vom 27.05.2015 - 5 AZR 88/14, [...], Rz. 46). Danach ist hier festzuhalten, dass die Tenorierung einer Weiterbeschäftigung "als Angestellter zu den bisherigen Arbeitsbedingungen" schon deshalb unbestimmt sein dürfte, da diese "bisherigen Arbeitsbedingungen" ausgehend vom Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils zunächst noch diejenigen der unter Vorbehalt durch den Kläger angenommenen Änderungskündigung waren. Das änderte sich nach Eintritt der Rechtskraft des der Änderungskündigungsschutzklage stattgebenden Urteils rückwirkend (§ 8 KSchG), so dass es sich nunmehr um die ursprünglichen arbeitsvertraglichen Bedingungen handelte; diese meinte offenbar auch der Kläger jedenfalls zunächst bei seiner Antragstellung, wie sich seinem Schriftsatz vom 02.05.2016 und der unter Ziffer 7 erfolgten Antragsformulierung entnehmen lässt. Aus dem Tenor des Urteils oder seinen Gründen ergibt sich nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit, was nun Gegenstand der ausgeurteilten Weiterbeschäftigung sein soll. Die arbeitsvertraglich geregelte Tätigkeit, die der Änderungskündigung zugrundeliegende Tätigkeit oder eine andere, "bisher" (auf welchen der verschiedenen Tätigkeitszeiträume seit 01.02.2014 bezogen?) ausgeübte Tätigkeit. Die Ausführungen zum Weiterbeschäftigungsantrag lassen diese Frage in dem Urteil vollständig offen. Die Ausführungen zur Sozialauswahl auf Seite 16 des Urteils betreffen die zuletzt als Legal Counsel ausgeübte Tätigkeit. Sie haben keine hinreichende Aussagekraft zur Bestimmung der dem Weiterbeschäftigungstenor zugrunde zu legenden Beschäftigung, denn die Sozialauswahl war bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Beendigungskündigung zu prüfen, während die Weiterbeschäftigung den Zeitraum ab dem arbeitsgerichtlichen Urteil betrifft. Das Arbeitsgericht hat sich mit der hier im Hinblick auf die Bestimmtheit des Weiterbeschäftigungsantrages maßgeblichen Frage des vertraglichen Inhalts der Beschäftigungspflicht unter Berücksichtigung des unter Vorbehalt angenommenen Änderungsangebots aus der Änderungskündigung und der Wirkung des § 8 KSchG nach - aufgrund des Anerkenntnisses der Beklagten zu erwartenden - Eintritts der Rechtskraft des Urteilstenors zu Ziffer 1 nicht näher auseinandergesetzt. Erst dadurch hätte aber klar werden können, welchen Inhalt es der tenorierten Weiterbeschäftigung zugrunde legen wollte.

Klein

Vorschriften§ 769 Abs. 1 ZPO, § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, § 767 ZPO, § 732 ZPO, § 769 ZPO, § 62 Abs. 1 Satz 4 ArbGG, § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, § 770 ZPO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 106 GewO, § 8 KSchG

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