24.10.2017 · IWW-Abrufnummer 197336
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 10.11.2016 – 4 Sa 98/16
Einzelhandel - Nachtarbeitszuschlag - "Zuendebedienen" - Manteltarifvertrag für den Hamburger Einzelhandel (MTV)
Das "Zuendebedienen" i.S.d. Manteltarifvertrages setzt schon begrifflich voraus, dass die eigentliche Arbeitszeit in Zusammenhang mit der Ladenöffnungszeit (geplant) bereits beendet ist, sich aber noch einzelne Kunden im Geschäft aufhalten und noch abkassiert werden müssen. Bei einer über den Ladenschluss hinaus geplanten individuellen Arbeitszeit kommt ein "Zuendebedienen" nicht in Betracht. Bereits zum Zeitpunkt der Einsatzplanung steht in diesen Fällen fest, dass der Arbeitnehmer für Nachtarbeit eingeplant ist.
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Rostock vom 05.04.2016 - 2 Ca 1121/15 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
a. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat 01/2015 Zuschläge in Höhe von 2,88 € in Form von Freizeitausgleich im Umfang von 12 Minuten zu gewähren.
b. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat 05/2015 Zuschläge in Höhe von 1,92 € in Form von Freizeitausgleich im Umfang von 8 Minuten zu gewähren.
c. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat 07/2015 Zuschläge in Höhe von 4,00 € in Form von Freizeitausgleich im Umfang von 16 Minuten zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten tragen die Klägerin zu 85 % und die Beklagte zu 15 %.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien im Streit sind die Höhe der Zuschläge, die für Arbeit in der Zeit von 20:00 Uhr bis 20:15 Uhr zu gewähren, sowie die Frage, wie Zuschläge abzugelten sind.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des textilen Einzelhandels mit derzeit 81 Filialen in ganz Deutschland und beschäftigt ca. 4500 Mitarbeiter.
Die Klägerin ist in der Filiale der Beklagten in A-Stadt als Verkäuferin/Kassiererin in Teilzeit beschäftigt.
Die Filiale ist von Montag bis Samstag in der Zeit von 09:30 Uhr bis 20:00 Uhr geöffnet.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kommen aufgrund eines Anerkennungstarifvertrages vom 31.03.2014 (Bl. 90 - 92 d. A.) die Tarifverträge des Hamburger Einzelhandels zur Anwendung.
Soweit hier von Bedeutung enthält der Manteltarifvertrag für den Hamburger Einzelhandel (künftig MTV) folgende Regelungen:
Im Zeitraum vom November 2014 bis zum Oktober 2015 wurde die Klägerin mehrfach im Rahmen ihrer Monatsarbeitszeit bis 21:00 Uhr zum Dienst eingeteilt. Bis 20:15 Uhr gewährte die Beklagte den Spätarbeitszuschlag in Höhe von 20 % und erst danach den Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 %. Diese Berechnung hielt die Klägerin für fehlerhaft.
Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung höherer Überstundenzuschläge in Form von Freizeitausgleich hat die Klägerin am 06.07.2015 Klage beim Arbeitsgericht Rostock erhoben und diese mehrfach erweitert.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Zeit von 20:00 Uhr bis 20:15 Uhr an Tagen an denen sie bis 21:00 Uhr zur Arbeit eingeteilt ist, tariflich mit dem Nachtarbeitszuschlag von 50 % und an den Tagen, an denen sie bis 20:00 Uhr eingeteilt ist und dennoch länger arbeitet, nur mit dem Spätöffnungsarbeitszuschlag von 20 % zu vergüten sei. Bei einer Arbeitseinteilung über 20:15 Uhr hinaus handele es sich nicht um einen Fall des Zuendebedienens im Sinne des Tarifvertrages. Daraus resultiert die Klageforderung.
Die Beklagte hat demgegenüber darauf abgestellt, dass generell für die Zeit bis 20:15 Uhr wegen des Zuendebedienens nur der Spätzuschlag von 20 % zu zahlen sei. Dieses ergebe die Auslegung des Tarifvertrages.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 05.04.2016 stattgegeben und die Beklagte unter Umrechnung der entstandenen höheren Zuschläge von insgesamt 63,92 € in Zeit zur Gewährung von Freizeitausgleich von insgesamt 263 Minuten verurteilt. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass die für die Klägerin angeordnete Arbeitszeit an den streitigen Tagen über 20:00 Uhr hinausging. Der 50-prozentige Nachtarbeitszuschlag gemäß § 5 Nr. 2 MTV sei grundsätzlich ab 20:00 Uhr zu gewähren. Die Ausnahmeregelung für das "Zuendebedienen" und "andere notwendige Abschlussarbeiten" setze voraus, dass es sich hierbei um Arbeitszeiten handelt, die sich an die angeordnete Arbeitszeit anschließen. Insofern greife die Regelung des § 5 Ziff. 2 S. 3 MTV nicht, wonach "beim regelmäßigen Zuendebedienen und für andere notwendige Abschlussarbeiten ... die Nachtarbeit um 20:15 Uhr" beginne.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung und des erstinstanzlichen Sach- und Rechtsvortrages der Parteien wird auf das arbeitsgerichtliche Urteil (Bl. 214 - 225 d. A.) verwiesen.
Gegen dieses der Beklagten am 06.05.2016 zugestellte Urteil wendet sie sich mit der rechtzeitig beim Landesarbeitsgericht eingelegen und begründeten Berufung.
Die Beklagte hält das Urteil für fehlerhaft. Das Arbeitsgericht habe die Ausnahmeregelung zum Zuendebedienen verkannt. Die Zeit von 20:00 - 20:15 Uhr werde generell nur mit dem Spätöffnungszuschlag in Höhe von 20 % vergütet, da es sich in Filialen, die um 20:00 Uhr schließen, um das Zuendebedienen handele. Dieses folge aus der Auslegung des Tarifvertrages. Die Auffassung des Arbeitsgericht führe auch nicht zu praktikablen Ergebnissen, da mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Die Arbeitgeberin müsse bei der Lohnabrechnung jeweils im Einzelfall prüfen, wer an welchem Tag für welchen Zeitraum eingeteilt war und wer ohne Einteilung länger gearbeitet hat. Im Übrigen seien die mit der Klage verfolgten Ansprüche erloschen, da die Klägerin die zweimonatige Ausschlussfrist aus § 21 Ziff. 1 MTV nicht eingehalten habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 05.08.2016 (Bl. 266 - 276 d. A. verwiesen).
Die Beklagte beantragt,
Die Klägerin beantragt,
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 07.09.2016 (Bl. 284 - 288 d. A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Soweit die Beklagte sich auf die tarifvertraglichen Ausschlussfristen beruft, ist die Klägerin der Auffassung, dass es sich bei dem von ihr geltend gemachten Anspruch auf Freizeitausgleich um einen "sonstigen" Anspruch gemäß § 21 MTV handele und die Ausschlussfrist deshalb sechs Monate betrage.
Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II.
In der Sache hat die Berufung insoweit Erfolg, als ein erheblicher Teil der Klageforderungen wegen Verstreichenlassens der Ausschlussfrist erloschen ist. Im Übrigen hat sie keinen Erfolg, da die Klägerin insoweit den geltend gemachten Anspruch hat. Das Berufungsvorbringen der Beklagten zeigt keine Gesichtspunkte auf, die eine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigen.
Der am 10.11.2016 verkündete Urteilstenor war unter Ziffer 1. letzter Satz gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend zu berichtigen, dass es statt "Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen" heißt "Im Übrigen wird die Klage abgewiesen". Dieses folgt schon aus den sonstigen Ausführungen unter Ziffer 1., sowie aus der Kostenentscheidung unter Ziffer 2.
1.
Der weit überwiegende Teil der klägerseits geltend gemachten Ansprüche ist nach § 21 Ziffer 1, 1. Spiegelstrich MTV erloschen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist hier die zweimonatige Ausschlussfrist für Ansprüche auf Bezahlung von Mehrarbeits-, Spätöffnungs-, Nachtarbeits-, Sonntags- und Feiertagstunden und nicht die Ausschlussfrist für sonstige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zugrunde zu legen. Die zweimonatige Ausschlussfrist gilt auch für den hier von der Klägerin geltend gemachten Freizeitausgleich. Nach der Regelung in § 5 MTV können Zuschläge durch Bezahlung oder Freizeit abgegolten werden. Voraussetzung für die Freizeitgewährung ist zunächst, dass der Zuschlag (in Geld) ermittelt und anschließend in Zeit umgerechnet wird. Es handelt sich insoweit um einen einheitlichen Anspruch, der auch derselben Ausschlussfrist, nämlich der zweimonatigen unterfällt.
Wie in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf die in der Gerichtsakte befindlichen Geltendmachungsschreiben ausführlich erörtert, sind nur die Ansprüche für Januar 2015, Mai 2015 und Juli 2015 rechtzeitig innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist geltend gemacht worden. Da die Klägerin den diesbezüglichen Ausführungen der Kammer nicht widersprochen hatte, soll und kann hier von einer tiefergehenden Darstellung abgesehen werden.
Die eingeklagten Ansprüche für die Monate November und Dezember 2014, März und April 2015, Juni 2015 und August, September und Oktober 2015 sind demnach gemäß § 21 MTV verfallen.
2.
Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
a)
Die Klägerin hat für die Monate Januar 2015, Mai 2015 und Juli 2015 einen Anspruch auf Freizeitausgleich von insgesamt 36 Minuten. Dass das Arbeitsgericht zur Klarstellung der Berechnung auch den Geldfaktor in den Tenor aufgenommen hat, ist nicht zu beanstanden.
Die Berufungskammer folgt der zutreffenden Begründung im angefochtenen Urteil und stellt dies hiermit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens ist ergänzend Folgendes auszuführen:
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden. Die Auffassung der Beklagten lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Gesamtzusammenhang des MTV begründen. Insbesondere liegt im hier zu entscheidenden Fall kein Anwendungsfall des Zuendebedienens vor. Das Zuendebedienen setzt schon begrifflich voraus, dass die eigentliche Arbeitszeit im Zusammenhang mit der Ladenöffnungszeit (geplant) bereits beendet ist, sich aber noch einzelne Kunden im Geschäft aufhalten und noch abkassiert werden müssen.
Das Arbeitsgericht hat dazu wie folgt ausgeführt:
Dieser Argumentation folgt die Kammer und macht sie sich zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zu Eigen.
Bestätigt wird dieses Ergebnis letztlich auch durch § 3 letzter Satz MTV. Danach ist maßgeblich für die Berechnung der 15 Minuten "für das Zuendebedienen und andere notwendige Abschlussarbeiten einzelner Beschäftigter" die angeordnete Tagesarbeitszeit. Bei einer über den Ladenschluss (hier 20:00 Uhr) hinaus geplanten individuellen Arbeitszeit kommt ein Zuendebedienen daher nicht in Betracht. Bereits zum Zeitpunkt der Einsatzplanung steht in diesen Fällen fest, dass der Arbeitnehmer für Nachtarbeit eingeplant ist.
Die von der Beklagten gegen dieses Ergebnis angeführten Praktikabilitätserwägungen vermögen kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Es mag zwar sein, dass aus dem hier gefundenen Ergebnis ein höherer Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Abrechnung folgt. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch nicht geeignet, das aus Sicht der Kammer eindeutige Ergebnis zu widerlegen.
Da im Falle der Einteilung der Klägerin bis 21:00 Uhr kein Zuendebedienen gegeben ist, steht ihr ein Zuschlag von 50 % pro Stunde zu.
b)
Das Arbeitsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin nach dem MTV einen Anspruch auf Freizeitausgleich hat. Dem ist die Beklagte mit der Berufung auch nicht entgegengetreten.
Soweit die Ansprüche nicht verfallen waren, war die Berufung daher zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem jeweiligen Obsiegen beziehungswese Unterliegen der Parteien, § 92 Abs. 1 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) sind nicht ersichtlich.