07.02.2018 · IWW-Abrufnummer 199429
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 10.08.2017 – 7 Sa 1073/16
Die Pflicht des Arbeitnehmers, einen ihm vom Arbeitgeber überlassenen Schlüssel zu den Betriebsräumen (hier: Anwaltskanzlei) zurückzugeben, ist an der Betriebsstätte zu erfüllen. Es handelt sich um eine sog. Bringschuld.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.11.2016 in Sachen8 Ca 2034/16 d wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen der nicht gehörigen, verspäteten Rückgabe eines Kanzleischlüssels.
Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 8. Kammer des Arbeitsgerichts Aachen dazu bewogen haben, der Klage stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.11.2016 Bezug genommen.
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 06.12.2016 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 29.12.2016 Berufung eingelegt und diese am 06.02.2017 begründet.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass das Arbeitsgericht ihre Verpflichtung zur Rückgabe des Kanzleischlüssels rechtsfehlerhaft als Bringschuld charakterisiert habe. In Wirklichkeit handele es sich um eine Holschuld. Aus § 269 BGB ergebe sich, dass der Arbeitgeber, der seine Sachen zurückhaben möchte, diese beim Arbeitnehmer abholen müsse. In diesem Zusammenhang verweist die Beklagte auf eine Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 10.01.2013, 10 Sa 1809/12.
Die Beklagte und Berufungsklägerin behauptet, die Klägerin habe, als sie am 03.03.2016 an ihrer Privatadresse erschienen sei, die Herausgabe des Kanzleischlüssels verlangt, aber kein Kündigungsschreiben übergeben. Die schriftliche Kündigung sei erst am 18.03.2016 erfolgt. Das Verhältnis der Parteien sei am 03.03.2016 bereits derart zerrüttet gewesen, dass von ihr, der Beklagten, eine persönliche Übergabe des Schlüssels nicht habe erwartet werden können. Sie habe zu diesem Zeitpunkt den Schlüsse l auch bereits ihrem Anwalt übergeben gehabt, über den alles, was noch zu klären gewesen sei, habe abgewickelt werden sollen.
Zudem bemängelt die Beklagte, dass die Klägerin ihren Schaden lediglich abstrakt begründet und keine konkrete Gefährdung dargelegt habe. Sie bezweifelt deshalb auch die Höhe des geltend gemachten Schadens.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
Die Klägerin und Berufungsbeklagte hält das arbeitsgerichtliche Urteil für zutreffend. Insbesondere habe es sich bei der Pflicht zur Rückgabe des Kanzleischlüssels nicht um eine Holschuld, sondern um eine Bringschuld gehandelt. Die Klägerin macht geltend, dass die Beklagte am 03.03.2016 die Herausgabe des Schlüssels aber auch gerade dann nicht habe verweigern dürfen, wenn es sich tatsächlich um eine Holschuld gehandelt hätte. In diesem Zusammenhang bestreitet die Klägerin, dass sich der Schlüssel zu diesem Zeitpunkt bereits bei dem Anwalt der Beklagten befunden hätte.
Die Klägerin weist darauf hin, dass der Schlüssel bei der Post für mehrere Wochen abhandengekommen sei. In dieser Zeit wäre es ohne weiteres möglich gewesen, einen Nachschlüssel anzufertigen, von dem auch später noch Gebrauch gemacht werden könne. Ihre Anschrift sei dem Brief, in dem sich der Schlüssel ursprünglich befunden habe, unschwer zu entnehmen gewesen.
Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift der Beklagten, der Berufungserwiderungsschrift der Klägerin und deren weiteren Schriftsatz vom 04.04.2017 sowie das Sitzungsprotokoll vom 10.08.2017 wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.11.2016 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 1 Buchstabe b) ArbGG statthaft. Sie wurde auch innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen formal ordnungsgemäß eingelegt und begründet.
II. Die Berufung der Beklagten konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Aachen hat den Rechtsstreit richtig entschieden und seine Entscheidung tragfähig und zutreffend begründet. Die Angriffe gegen das arbeitsgerichtliche Urteil durch die Beklagte in der Berufungsinstanz vermögen eine Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts nicht zu rechtfertigen.
1. Die Klägerin war jederzeit berechtigt, von der Beklagten die Herausgabe des Schlüssels zu ihren Kanzleiräumen zu verlangen.
a. Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin hatte der Beklagten den Kanzleischlüssel ausschließlich zur erleichterten Durchführung dieses Arbeitsverhältnisses überlassen. Außerhalb des Arbeitsverhältnisses bestand keinerlei berechtigtes Eigeninteresse der Beklagten daran, einen Kanzleischlüssel der Klägerin zu besitzen. Aber auch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses war die Klägerin als Arbeitgeberin jederzeit berechtigt, die Herausgabe des Schlüssels im Wege des Direktionsrechtes zu verlangen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses war dafür keine Voraussetzung. Deshalb ist es unerheblich, ob die Klägerin der Beklagten bereits am 03.03.2016 ein Kündigungsschreiben überreicht hat oder nicht.
b. Dies gilt umso mehr, als in der Überlassung eines Kanzleischlüssels an eine Arbeitnehmerin auch ein besonderer Vertrauensvorschuss seitens der Arbeitgeberin zu sehen ist. Wenn das persönliche Verhältnis zwischen den Parteien Anfang März 2016 bereits derart zerrüttet war, wie gerade die Beklagte selbst es darstellt, so lag es geradezu nahe, dass dann die Klägerin ihrerseits auch auf der Rückgabe des der Beklagten überlassenen Kanzleischlüssels bestand.
2. Die Beklagte hat ihre Pflicht zur Rückgabe des Kanzleischlüssels an die Klägerin verspätet und nicht in gehöriger Art und Weise erfüllt. Sie ist deshalb verpflichtet, der Klägerin den aus dieser Pflichtverletzung entstandenen Schaden zu ersetzen.
a. Die Beklagte argumentiert bereits in hohem Maße widersprüchlich: Einerseits stützt sie ihre Berufung gerade darauf, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Pflicht zur Rückgabe des Kanzleischlüssels in Wirklichkeit eine Holschuld und nicht eine Bringschuld dargestellt habe. Zum anderen hat die Beklagte aber unstreitig die Herausgabe des Schlüssels verweigert, als die Klägerin - wie es gerade im Falle einer Holschuld geboten gewesen wäre - tatsächlich an der Privatwohnung der Beklagten erschien und die Herausgabe des Schlüssels verlangte.
b. Dabei würde es die Beklagte auch nicht entlasten, wenn ihre jetzige Behauptung zuträfe, dass sie zum damaligen Zeitpunkt, also am 03.03.2016, den Kanzleischlüssel nicht mehr selbst in Besitz hatte, sondern an den von ihr beauftragten Rechtsanwalt weitergegeben hatte. Soweit § 269Abs. 1 BGB nämlich eine Holschuld begründet, ist diese an dem Ort zu erfüllen, an welchem der Schuldner "zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen
Wohnsitz hatte". Selbst wenn man also zugunsten der Beklagten das ursprüngliche Bestehen einer Holschuld voraussetzte, so hätte die Klägerin richtig gehandelt, indem sie sich - wie am 03.03.2016 tatsächlich geschehen - zum Wohnsitz der Beklagten begeben hat, um den Schlüssel abzuholen. Sie musste sich nicht darauf verweisen lassen, den Schlüssel an einem anderen Ort, etwa dem Kanzleisitz des von der Beklagten beauftragen Anwalts, abzuholen.
c. Abgesehen davon spricht die vertrauliche Natur der Überlassung eines Kanzleischlüssels ohnehin dafür, dass die Beklagte von vornherein grundsätzlich nicht befugt war, den Schlüssel ohne ausdrückliche Genehmigung der Klägerin an dritte Personen weiterzugeben. Es ist auch nicht ohne weiteres ersichtlich, dass bei der Weitergabe an einen Rechtsanwalt eine Ausnahme zu machen wäre, insbesondere dann, wenn es sich nicht um einen von der Klägerin bestimmten, sondern von der Beklagten ausgewählten Rechtsanwalt handelte.
d. Bei alledem kann die Beklagte auch nicht damit gehört werden, dass es ihr aufgrund des persönlichen Zerwürfnisses zwischen den Parteien nicht zumutbar gewesen sei, den Kanzleischlüssel der Klägerin persönlich auszuhändigen. Offenbar haben die Parteien am 03.03.2016 Gesprächskontakt gehabt, da andernfalls die Klägerin ihr unstreitig vorgebrachtes Verlangen nach Herausgabe des Schlüssels nicht hätte zum Ausdruck bringen können. Warum es der Beklagten dann gleichwohl hätte unzumutbar sein sollen, dem - berechtigten - Verlangen nach Herausgabe des Schlüssels nachzukommen, erschließt sich nicht. Dies gilt umso mehr, als sich die Klägerin in ihrer Privatwohnung auf ihrem eigenen Herrschaftsterritorium befand. Etwaigen von ihr befürchteten späteren Beweisschwierigkeiten hätte sie auf einfache und auch einem juristischem Laien unmittelbar einleuchtende Art und Weise dadurch begegnen können, dass sie eine Quittung verlangt oder einen Zeugen hinzugezogen hätte.
e. Selbst wenn also ursprünglich von einer Holschuld auszugehen gewesen wäre, hätte sich diese nach der unberechtigten Verweigerung der Herausgabe des Schlüssels am 03.03.2016 spätestens jetzt in eine Bringschuld der Beklagten verwandelt.
f. Bei zutreffender rechtlicher Beurteilung bestand allerdings, wie auch das Arbeitsgericht Aachen seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, von Anfang an eine Bringschuld der Beklagten.
aa. Der Besitz der Beklagten an dem Kanzleischlüssel beruhte ausschließlich darauf, dass die Beklagte in den Kanzleiräumen der Klägerin ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu verrichten hatte. Der Schlüssel, der der Beklagten Zugang zu den Arbeitsräumlichkeiten verschafft hat, kann somit im weiteren Sinne als ein der Beklagten überlassenes Arbeitsmittel angesehen werden. Die Pflicht zur Rückgabe von einer Arbeitnehmerin vom Arbeitgeber überlassenen Arbeitsmitteln stellt eine Nebenpflicht zu den arbeitsvertraglichen Hauptpflichten dar. Nebenpflichten sind regelmäßig am Ort der Hauptverpflichtung zu erfüllen (so schon RGZ 70, 199; Palandt/Grüneberg, § 269 Rdnr. 7).
bb. Zudem handelt es sich bei einem Arbeitsvertrag um ein Austauschverhältnis beiderseitiger Rechte und Pflichten, also einen sogenannten gegenseitigen Vertrag. Bei bestimmten Typen solcher gegenseitiger Verträge hat die Verkehrsanschauung einen einheitlichen gemeinsamen Leistungsort für alle Verpflichtungen herausgearbeitet. Dies gilt insbesondere auch für das Arbeitsverhältnis: Leistungsort im Sinne von § 269 Abs. 1 BGB für die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis ist regelmäßig der Ort der Arbeitsstätte (BAG, DB 2004, 2483
[BAG 20.04.2004 - 3 AZR 301/03]
; BAG, DB 1983, 395; Palandt/Grüneberg, BGB, § 269 Rdnr. 14). Auch daraus ergibt sich, dass Leistungsort für die Rückgabe von Arbeitsmitteln der Ort ist, an welchem der Arbeitnehmer gewöhnlich zu arbeiten hatte, so dass es sich insoweit um eine Bringschuld handelt (LAG Niedersachsen vom 04.11.2003, 13 Sa 423/03, juris Rdnr. 31).
cc. Dagegen ist die von der Klägerin herangezogene Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 10.01.2013, 10 Sa 1809/12, auf den vorliegenden Fall nicht zu übertragen, weil sie einen in wesentlicher Hinsicht anders gelagerten Sachverhalt betraf. Insbesondere war die Beklagte des vorliegenden Verfahrens im Zeitpunkt des Herausgabeverlangens der Klägerin nicht arbeitsunfähig erkrankt. Außerdem ging es im Fall des LAG Berlin-Brandenburg um die Herausgabe eines Dienstfahrzeugs und nicht um die Schlüssel zu den Geschäftsräumen des Arbeitgebers.
g. Die Beklagte hat ihre Pflicht zur Rückgabe des Kanzleischlüssels verspätet und nicht in gehöriger Weise erfüllt.
aa. Der Anwalt der Beklagten hat den fraglichen Schlüssel per Einschreiben/Rückschein vom 14.03.2016 an die Klägerin abgesandt. Unstreitig ist der Brief jedoch in beschädigtem Zustand und ohne dass sich der fragliche Schlüssel darin befunden hätte, bei der Klägerin angekommen.
bb. Zwar hat die mit der Übermittlung des Schlüssels beauftragte Bundespost den Schlüssel dann geraume Zeit später, nämlich am 13.04.2016, "wieder aufgefunden" und anschließend der Klägerin erfolgreich übermittelt. Wo sich der Schlüssel jedoch in den ca. vier Wochen seit dem Absenden durch den Anwalt der Beklagten und dem Wiederauftauchen bei der Deutschen Bundespost befunden hat, ist unaufgeklärt geblieben und den Parteien unbekannt.
cc. In dieser Situation entsprach es dem berechtigten Interesse der Klägerin, die Sicherheitsschließanlage des Hauses, in dem sich ihre Kanzleiräume befinden, auszutauschen.
aaa. Zum einen erscheint die Gefahr nicht fernliegend, dass der Schlüssel in der ca. vierwöchigen Zeit seines "Verschwindens" in unbefugte Hände gelangt sein könnte, um dolosen Absichten zu dienen. Sollte sich ein Unbefugter des Schlüssels bemächtigt haben, wäre es ihm unschwer möglich gewesen, anhand der Anschrift der Klägerin auf dem Briefumschlag den Schlüssel räumlich zuzuordnen. Der Unbefugte könnte sich einen Nachschlüssel angefertigt haben, sodass eine Missbrauchsgefahr auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann.
bbb. Auf der anderen Seite befinden sich in einer Anwaltskanzlei üblicherweise in großer Zahl Dokumente und Unterlagen, die Privat- und/oder Geschäftsgeheimnisse von Mandanten betreffen (können) und/oder aus anderen Gründen strenger Vertraulichkeit unterliegen. Würde sich jemand unbefugt Zugang zu den Kanzleiräumen verschaffen, kämen ferner auch die materiellen Einrichtungsgegenstände in Gefahr.
ccc. Aus den genannten Gründen durfte es die Klägerin für erforderlich halten, die Sicherheitsschließanlage des Gebäudes, indem sich ihre Kanzleiräume befinden, auszutauschen. Zwar hat sich die Klägerin als Sofortmaßnahme zunächst damit begnügt, nur das Schloss der Haustüre auszutauschen. Sie kann aber nicht darauf verwiesen werden, diesen Zustand dauerhaft beizubehalten. Zum einen bietet der Austausch des Haustürschlosses nur einen eingeschränkten Schutz, solange sich die eigentlichen Kanzleiräume mit dem bisherigen, zwischenzeitlich abhandengekommenen Schlüssel öffnen und schließen lassen. Zum anderen muss sich die Klägerin nicht damit abfinden, den zuvor vorhandenen Komfort einer einheitlichen Sicherheitsschließanlage aufzugeben und sich mit verschiedenen, untereinander nicht kompatiblen Einzelschlössern zu behelfen.
3.a. Gegen die Höhe des Schadens, wie er sich aus dem von der Klägerin vorgelegten Kostenvoranschlag ergibt, hat die Beklagte keine substantiierten Einwände erhoben. Die von der Klägerin gewählte vorläufige abstrakte Schadensberechnung ist durch eine entsprechende Anwendung des§ 249 Abs. 2 BGB gedeckt.
b. Die Beklagte ist für den der Klägerin entstandenen Schaden verantwortlich. Sie hat ihre Pflicht zur Rückgabe des Kanzleischlüssels nicht nur verspätet erfüllt, sondern auch in einer Art und Weise, die die Gefahr begründet, dass sich Unbefugte widerrechtlich Zugang zu den Kanzleiräumen der Klägerin verschaffen könnten. Soweit sich die Beklagte zur Erfüllung ihrer Rückgabepflicht ihres Anwalts bzw. der Deutschen Bundespost bedient hat, hat sie für deren Verhalten nach § 278 BGB einzustehen.
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht gegeben.