07.02.2018 · IWW-Abrufnummer 199479
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 16.08.2017 – 11 Sa 557/16
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.04.2016 - 3 Ca 6807/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen der Abführung von Einkommenssteuer auf eine Abfindungszahlung.
Der verheiratete Kläger war von Januar 2002 bis Juni 2013 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte rechnete bis Januar 2013 das Gehalt auf der Basis der Lohnsteuerklasse III ab. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 08.01.2013 außerordentlich, fristlos. Der Kläger hatte Kündigungsschutzklage erhoben. Er war Gesellschafter und Geschäftsführer der E M GmbH, die im Jahre 2013 einen Jahresüberschuss von 62.155,87 € erzielte. Seit dem Januar 2015 hat der Kläger Leistungen nach dem SGB II bezogen. Die Parteien haben eine Abwicklungsvereinbarung geschlossen, die u. a. ein Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2013, die Abrechnung von Gehalt für den Zeitraum 25.05.2013 bis 30.06.2013 sowie die Zahlung einer Abfindung von 40.000,00 € brutto vorsah. Wegen der Einzelheiten der Abfindungsvereinbarung wird auf Bl. 5 ff. d. A. verwiesen.
Mit Schreiben vom 18.06.2015 (Bl. 93 d. A.) bat die Beklagte den Kläger erfolglos um die Mitteilung der aktuellen Adresse, der Krankenkasse sowie der Steueridentnummer zum Zwecke der Abrechnung.
Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16.11.2015 hat das Finanzamt M wegen einer Abgabenschuld des Klägers von 78.800,04 € aus dem Zeitraum 2012 bis Dezember 2013 alle dem Kläger gegenwärtig und künftig zustehende Ansprüche gemäß §§ 309 ff. AO gepfändet. Wegen der Einzelheiten der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16.11.2015 wird auf Bl. 85 ff. d. A. verwiesen.
Weder der Kläger noch seine Ehefrau haben für das Jahr 2015 ihre Einkommenssteuererklärung eingereicht.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.04.2016 (Bl. 107 ff. d. A.) die Feststellungsklage des Klägers, mit der die Feststellung von Schadenersatz begehrt wird, zum einen weil die Beklagte den Abfindungsbetrag nicht nach der sogenannten Fünftelregelung gemäß § 34 EStG und zum anderen den Lohnsteuerabzug nicht nach der Lohnsteuerklasse V vorgenommen hat, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die Fünftelregelung mangels Kenntnis des im Jahr 2015 anfallenden Gesamteinkommens nicht vornehmen können, zum anderen habe der Kläger trotz Aufforderung der Beklagten nicht die notwendigen Angaben zur Steueridentnummer gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Gegen das ihm am 18.05.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.06.2016 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 01.08.2016 begründet.
Der Kläger führt aus, dass der Beklagten aufgrund des Vorprozesses (ArbG Köln - 12 Ca 575/13 -) bekannt gewesen sei, dass er Leistungen nach dem SGB II bezogen habe. Die Steueridentnummer des Klägers sei ihr ebenfalls bekannt gewesen, wie sich anhand der Lohnabrechnungen zeige. Hätte die Beklagte das ELStAM-Verfahren angewendet, wären ihr die zutreffenden Besteuerungsmerkmale, insbesondere die Lohnsteuerklasse V, zur Verfügung gestellt worden. Jedenfalls hätte sie sich durch eine Anrufungsauskunft beim Finanzamt vergewissern müssen, welche Lohnsteuerabzüge vorzunehmen seien. Aufgrund der Falschabrechnung sei nicht nur ein Zinsschaden entstanden, sondern dem Kläger die Dispostions- und Verfügungsbefugnis über einen Betrag von 10.775,15 € entzogen worden.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Etwaigen Schadensersatzansprüchen stehe die Ausgleichs- und Erledigungsklausel der Abwicklungsvereinbarung entgegen. Einen etwaigen Zinsschaden könne der Kläger beziffern, so dass die Leistungsklage vorrangig sei. Der Kläger habe bislang seine Einkünfte für das Jahr 2015 nicht mitgeteilt, wahrscheinlich habe er auch Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit oder einem weiteren Arbeitsverhältnis erzielt. Die Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse VI sei mangels Angaben des Klägers zutreffend gewesen, eine Teilnahme am ELStAM-Verfahren aus technischen Gründen nicht möglich gewesen. Sollte der Kläger zu hohe Steuern gezahlt haben, so sei es seine Angelegenheit, einen entsprechenden Einkommensteuerausgleich durch Abgabe einer Steuererklärung zu bewirken.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 01.08.2016, 10.10.2016, 02.06.2017 und 30.06.2017, die Sitzungsniederschriften vom 17.05.2017 und 16.08.2017 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
II. Der Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Feststellungsanträge des Klägers unbegründet sind.
1. Die Feststellungsanträge sind zulässig im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse daran, dass alsbald festgestellt wird, ob die Beklagte aufgrund der Nichtanwendung der Fünftelregelung des § 34 EStG und der unterlassenen Abrechnung nach Steuerklasse V zum Schadenersatz verpflichtet ist. Der Kläger ist nicht auf eine mögliche Leistungsklage zu verweisen, denn die Schadensentwicklung war bei Klageerhebung (vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 30. März 1983 - VIII ZR 3/82 - m. w. N.) noch nicht abgeschlossen.
2. Die Beklagte ist weder verpflichtet, "jeden" Schaden zu ersetzen, der darauf zurückzuführen ist, dass der Abfindungsbetrag nicht nach der sog. Fünftelregelung gemäß § 34 EStG abgerechnet worden ist noch "jeden" Schaden zu ersetzen, der darauf zurückzuführen ist, dass die Beklagte den Lohnsteuerabzug auf den Abfindungsbetrag nicht nach der Steuerklasse V durchgeführt hat. Der vom Kläger begehrten umfassenden Schadenersatzpflicht steht bereits entgegen, dass er es unterlassen hat, den Lohnsteuerjahresausgleich 2015 durchzuführen.
a) Die Gerichte für Arbeitssachen sind grundsätzlich nicht befugt, die Berechtigung der Abzüge für Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Der Arbeitgeber erfüllt beim Lohnsteuerabzug öffentlich-rechtliche Aufgaben, die allein ihm obliegen. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, ist der Arbeitnehmer in der Regel auf die steuer- und sozialrechtlichen Rechtsbehelfe zu verweisen (BAG, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 5 AZR 266/16 -,- m. w. N.). Allerdings haftet der Arbeitgeber gemäß § 280 BGB dem Arbeitnehmer auf Schadensersatz, wenn er bei der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge schuldhaft Nebenpflichten verletzt, dadurch Schäden des Arbeitnehmers verursacht und dem Arbeitnehmer kein Mitverschulden zur Last gelegt werden kann (BAG, Urteil vom 30. April 2008 - 5 AZR 725/07 - m. w. N.).
b) Im Streitfall hat die Beklagte keine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt, indem sie die auf die Abfindung entfallende Einkommensteuer nicht isoliert nach der Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG berechnet und abgeführt hat. Bei der Abfindung nach § 24 Nr. 1 EStG handelt es sich um außerordentliche Einkünfte gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Die Einkommenssteuer auf außerordentliche Einkünfte setzt zunächst die Ermittlung aller im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte voraus (§ 34 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die anzusetzende Einkommensteuer ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 bis 4 EStG zu berechnen. Sie wird in drei Schritten ermittelt. Nach Berechnung des zu verbleibenden zu versteuernden Einkommens wird das Einkommen ohne die außerordentlichen Einkünfte zuzüglich eines Fünftels der außerordentlichen Einkünfte ermittelt. Sodann werden die beiden Einkommensteuerbeträge gegenübergestellt und die Differenz mit dem Faktor fünf multipliziert, wobei in die Berechnung einheitlich alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte einzubeziehen sind (vgl.: Kirchhof, EStG, 16. Auflage, § 34 EStG Rdn. 40 m. w. N.). Dem Arbeitgeber stehen bei Abrechnung der Abfindung, zumal während des Laufs des Jahres, die notwendigen Informationen zur Berechnung einer Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG regelmäßig nicht zur Verfügung. Er kann aus diesem Grund beim Ausscheiden des Arbeitnehmers auch nicht die zutreffende Lohnsteuer für die Abfindung im Sinne des § 34 Abs. 1 EStG ermitteln. Über die Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG ist daher ohne Antrag vom Amts wegen erst im Veranlagungsverfahren zu entscheiden (Kirchhof, EStG, 16. Auflage, § 34 EStG Rdn. 55 f. m. w. N.). Darüber hinaus wäre ein etwaiger Steuerschaden durch die Nichtanwendung der Tarifermäßigung auch nicht der Beklagten anzulasten, denn der Kläger hat es durch Abgabe der Lohnsteuerklärung 2015 selbst in der Hand, die Tarifermäßigung zu erzielen. Unterlässt er dies, wie vorliegend, so verstößt er gegen seine Schadensabwendungspflicht aus § 254 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dies gilt auch, soweit der Kläger der Beklagten vorhält, sie habe die Abfindung nicht nach der angeblich zutreffenden Lohnsteuerklasse V abgerechnet. Auch diesbezüglich ist dem Kläger eine Korrektur eines zu hohen Lohnsteuerbetrags im Veranlagungsverfahren jederzeit möglich, so dass nicht "jeder" Schaden, sondern allenfalls der Zinsschaden aufgrund Verzugs von der Beklagten als Schadenersatz in Betracht kommt. Darüber hinaus hat der Kläger weder konkret dargetan, dass beide Ehegatten überhaupt einen Antrag auf Einreihung der Ehefrau in die Steuerklasse III gestellt haben, noch dass die Beklagte begründete Veranlassung zur Annahme der Steuerklasse V im Falle des Klägers hatte. Die Vergütung war in der Vergangenheit auch zu keinem Zeitpunkt auf der Basis der Steuerklasse V abgerechnet worden.
3. Der für den Fall der Unzulässigkeit der Feststellungsanträge - wegen eines Vorrangs der Leistungsklage - gestellte Zahlungsantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen, da die Feststellungsanträge - wie dargelegt - zulässig waren.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.