22.05.2018 · IWW-Abrufnummer 201329
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht: Beschluss vom 14.03.2016 – 16 U 124/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
16 U 124/15
4 O 56/15 LG Lübeck
Beschluss
In dem Rechtsstreit
wegen Forderung
hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 14.03.2016 einstimmig beschlossen:
II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe:
Die Klägerin beansprucht von der Beklagten nach Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente die Rückzahlung von Leistungen im Rahmen einer Krankentagegeldversicherung.
a) Die Bestimmungen der §§ 8 und 15 RB/KT liegen den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien zu Grunde.
b) Die Voraussetzungen für eine Beendigung des Versicherungsschutzes nach § 8 Abs. 2, § 19 Abs. 1 c) der RB/KT sind ab dem Zeitpunkt der rückwirkenden Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente zum 01.07.2012 eingetreten. Nach § 8 Abs. 2 RB/KT endet der Versicherungsschutz mit Wegfall einer im Tarif bestimmen Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit u. a. mit Bezug einer Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrente. Ein Bezug von Erwerbesunfähigkeitsrente ist bei Auslegung des Merkmals ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung der Rente gegeben. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann (Grüneberg, in: Palandt, 75 Aufl., § 305 c Rn. 16). Dabei ist im Regelfall auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und auch auf seine Interessen abzustellen.
c) Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch eine unangemessene Benachteiligung der Beklagten i.S.d. § 307 BGB oder eine überraschende Vertragsklausel nach § 305 c BGB nicht gegeben.
d) Die Beklagte kann sich schließlich nicht auf den Einwand der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen.
4 O 56/15 LG Lübeck
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
Beschluss
In dem Rechtsstreit
wegen Forderung
hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 14.03.2016 einstimmig beschlossen:
I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Gründe:
Die Klägerin beansprucht von der Beklagten nach Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente die Rückzahlung von Leistungen im Rahmen einer Krankentagegeldversicherung.
1) Für den Vortrag der Parteien und die tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Lübeck vom 16.10.2015 Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung führt das Landgericht aus, dass aufgrund der rückwirkenden Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente durch den Rentenversicherungsträger ein Ereignis nach § 19 Satz 1 RB/KT eingetreten sei. Die Rückzahlungsverpflichtung der Beklagten bestehe ab dem „Bezug“ der Rente. Eine Rente werde bei Auslegung der Versicherungsbestimmungen seit dem Zeitpunkt der Bewilligung bezogen und nicht erst seit dem Zeitpunkt, in dem die Zahlung der Rente tatsächlich erfolge.
Auch komme es nicht darauf an, ob die Rentenzahlungen zu einem großen Teil nicht zur Auszahlung gelangten, weil diese im Wege der abgekürzten Leistung an die BKK Mobil und die Arbeitsagentur als Gläubiger der Klägerin abgeführt würden.
Ein Wegfall der Bereicherung sei zudem nicht gegeben, da der Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin ein vertraglicher Anspruch aus § 15 Satz 2 RB/KT zu Grunde liege.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht zunächst erstmals geltend, dass die Versicherungsbedingungen nicht Vertragsbestandteil geworden seien. Die Beklagte habe bei Vertragsschluss nicht die Gelegenheit gehabt, die AVB vor Vertragsschluss zu lesen.
Der Vertragsabschluss habe in großer Eile statt gefunden, und der Beklagten seien erst mit Unterschrift auf dem Antrag zusammen mit dem Antragsdurchschlag 37 Seiten an Kundeninformation ausgehändigt worden. Auch habe die Beklagte die Kenntnisnahme der Bedingungen nicht bestätigt.
In der vorliegenden Konstellation seien die Klauseln § 8 und § 15 RB/KT überraschend und zudem eine unangemessene Benachteiligung. Die Verrechnung der Rente mit den bezogenen Bezügen sei im Grundsatz verständlich. Es sei aber weniger verständlich, dass die Beklagte sich Erstattungsansprüchen der Klägerin ausgesetzt sehe, die in der Phase der Auseinandersetzung mit dem Rentenversicherer ihr Gesamteinkommen nicht signifikant gesteigert hätten. Ohne die abgeschlossene Versicherung hätte die Beklagte Kranken- und Urlaubsgeld beansprucht und zusätzlich Grundsicherung nach SGB II. Sie hätte im Ergebnis über den gesamten Leistungszeitraum gegenüber den vereinnahmten Bezügen per Saldo nur 1.000,00 € schlechter dagestanden als aktuell. Aufgrund der Rückzahlungsverpflichtung stehe sich die Beklagte per Saldo sogar um 9.000,00 € schlechter im Vergleich zu einer Situation, in der sie nicht vorgesorgt hätte.
Auch sei die Auslegung der Klauseln § 9 und § 15 RB/KT durch das Landgericht zu beanstanden. Der Begriff des Bezuges der Rente sei der Begrifflichkeit des Rentenanspruchs gegenüberzustellen. Für den Zeitraum, in dem eine Prüfung des Rentenantrags erfolge, sei eine entsprechende Absicherung gerade erforderlich, da Nachzahlungsbeträge erfahrungsgemäß für Übergangsleistungen (Krankengeld, Übergangsgeld) „draufgingen“, so dass eine Erstattung der ab Prüfungsbeginn ausgezahlten Beträge gerade zu einem Fehlen der entsprechenden Absicherung führe. Es sei nicht sachgerecht, im Falle einer langen Dauer des Prüfungsverfahrens diese Verzögerung im Ergebnis zum Nachteil der Beklagten zu bewerten. Hätte die Beklagte den Bewilligungsbescheid zeitnah nach Beantragung erhalten, wäre ihr über die seit Rentenbezug zustehende Grundsicherung hinaus ein Betrag von 260,75 € ebenfalls gewährt worden.
Der Vortrag zur Einbeziehung der AVB sei auch nicht verspätet. Das Landgericht habe sich mit diesem Vortrag nicht befasst oder aber den Vortrag nicht als schlüssig erachtet. In beiden Fällen sei der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren zuzulassen.
Es bestehe ein Rechtsgrund für die Leistungen der Klägerin und es sei jedenfalls eine Entreicherung der Beklagten eingetreten. Die Information über die Rentengewährung habe die Beklagte bereits einen Monat nach Kenntnis der Entscheidung über die Rente an die Klägerin übermittelt.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus der ersten Instanz. Zudem bestreitet die Klägerin, dass die Beklagte keine Gelegenheit zur Kenntnisnahme von den maßgeblichen Bestimmungen gehabt habe.
2) Zu Recht hat das Landgericht Lübeck die Beklagte zur Rückzahlung der erbrachten Versicherungsleistungen verurteilt. Ein Berufungsgrund nach Maßgabe des § 513 Abs. 1 ZPO besteht nicht. Das angefochtene Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag i.V.m. § 15 S. 2 RB/KT auf Rückzahlung von 9.742,37 €.
a) Die Bestimmungen der §§ 8 und 15 RB/KT liegen den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien zu Grunde.
Der Vortrag der Beklagten, dass ihr die Versicherungsbedingungen erst nach Unterschrift unter dem Antrag zusammen mit der Antragsdurchschrift überreicht worden seien, ist ein neues Verteidigungsmittel i.S.d. § 531 Abs. 2 ZPO, welches nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist.
Der Vortrag der Beklagten enthält neues Vorbringen, das noch nicht Gegenstand des Vortrages in erster Instanz war. Nach dem Sach- und Streitstand bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung waren die Versicherungsbedingungen unstreitig in den Vertrag einbezogen.
Entgegen den Ausführungen in der Berufungsschrift hat die Beklagte auch nicht bereits mit Schriftsatz vom 07.08.2015 zu den Umständen des Vertragsschlusses vorgetragen. Sie hat nur Rechtansichten dargelegt. Die Beklagte hat insoweit auf Seite 2 des Schriftsatzes vorgetragen, dass vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Tatsache, dass sie sich keiner Vertragsverletzung schuldig gemacht habe, zu prüfen sei, ob die Bestimmung des § 15 S. 2 RB/KT 2009 überhaupt Vertragsbestandteil geworden sei. Die Klausel sei überraschend und enthalte eine unangemessen Benachteiligung der Beklagten. Ein Vortrag zu den tatsächlichen Umständen des Vertragsschlusses ist diesen Ausführungen auch im Ansatz nicht zu entnehmen.
Das neue Vorbringen ist nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nicht gegeben. Nach § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wäre ein Vortrag zuzulassen, wenn dieser infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist. Angesichts der Tatsache, dass das Landgericht zutreffend davon ausgehen durfte, dass die Einbeziehung der Versicherungsbedingungen zwischen den Parteien bei Vertragsschlusses nicht streitig ist, ist ein Verfahrensmangel aufgrund unterlassener Hinweise des Gerichts nach § 139 ZPO nicht gegeben.
Zudem ist nicht ersichtlich, dass die fehlende Geltendmachung im ersten Rechtszug nicht auf einer Nachlässigkeit der Beklagten beruhte (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Die Partei muss sich entlasten, wobei eine leichte Fahrlässigkeit der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) ausreicht. Die Beklagte wusste um die nunmehr vorgetragenen Umstände und die Erheblichkeit des Vortrages zum Vertragsschluss musste der anwaltlich beratenen Beklagten bekannt sein. Die Parteien stritten über die Reichweite und die Auslegung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, was naturgemäß deren Einbeziehung nach § 305 Abs. 1 BGB zur Voraussetzung hat.
Ausgehend vom Wortsinn kann sich die Formulierung „Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente“ einerseits auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Erhalts der Rentenleistung, andererseits aber auch auf den Zeitpunkt der Gewährung eines Rentenanspruchs durch den Rentenversicherungsträger beziehen. Entscheidend für die Auslegung der Bestimmung ist, wie das Landgericht zutreffend ausführt, im Ergebnis der Sinnzusammenhang der Regelungen. Durch die Krankentagegeldversicherung wird nach den zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsbedingungen nur das Risiko eines voraussichtlich vorübergehenden Verdienstentgangs abgedeckt (§ 1 Abs. 1 und 3 RB/KT), nicht versichert ist dagegen derjenige, dessen Verdienstentgang durch die Gewährung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit kompensiert wird. Angesichts dieses Zwecks einer Krankentagegeldversicherung ist es nicht von Bedeutung, ob die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend bewilligt wurde, weil auch die rückwirkende Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zur Folge hat, dass der Verdienstentgang des Versicherungsnehmers ab dem Zeitpunkt, für welchen die Rente bewilligt ist, kompensiert wird (s. OLG Saarbrücken VersR 1988, 397 f.; Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 4. Aufl., § 15 MB/KT Rdnr. 14).
Die Krankentagegeldversicherung dient dem Ausgleich krankheitsbedingten Verdienstausfalls. Dementsprechend sind die Versicherungsleistungen an die Einkommensverhältnisse und Erwerbsverhältnisse des Versicherungsnehmers gekoppelt. Ausgehend von diesem Vertragszweck ist es konsequent, dass mit dem Bezug einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, die an die Stelle des Arbeitseinkommens tritt, auch der Versicherungsschutz in der Krankentagegeldversicherung endet. Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers liegt darin nicht. Im Gegenteil entspricht die zwischen den Parteien vereinbarte Regelung der mit der Krankentagegeldversicherung bezweckten Risikoabdeckung (s. BGH VersR 1986, 257 f.; OLG Hamm r + s 1998, 307, 308 m.N.).
Die nach der Behauptung der Beklagten eingetretene wirtschaftliche Schlechterstellung begründet ebenfalls keine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB. Maßstab für die Prüfung einer unangemessenen Benachteiligung ist eine überindividuelle und generalisierende Betrachtung (s. Grüneberg, in: Palandt, 75. Aufl., § 307 Rn. 8 und § 305 c Rn. 16). Der Vergleich der Vermögenslagen, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten nach Eintritt der Versicherung aufgrund eines krankheitsbedingten Verdienstausfalles, der Umfang der Versorgung und die erfolgte Aufrechnung gegen Ansprüche der Krankenversicherung und der Arbeitsagentur sind für die Beurteilung einer unangemessen Benachteiligung des Versicherten durch die Vertragsbedingungen nicht erheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass die Klausel dem mit der Versicherung bezweckten Grundgedanken folgt, dass eine soziale Absicherung einer erwerbstätigen Person gegen eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit gewährleistet ist und dass die schutzwürdigen Belange des Versicherten gewahrt sind durch die Absicherung über eine Erwerbsunfähigkeitsrente.
Die Parteien haben nach § 15 S. 2 RB/KT die vertragliche Verpflichtung übernommen, die empfangenen Leistungen im Falle der Beendigung des Versicherungsverhältnisses zurück zu gewähren (OLG Karlsruhe VersR 2007, 51; zur vertraglichen Natur des Anspruchs s. BGH NJW-RR 1992, 669). Diese Regelung ist nach dem Vortrag der Parteien in der erste Instanz unstreitig zwischen den Parteien vereinbart, so dass eine Anwendung der gesetzlichen Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung ausscheiden muss.