05.05.2006 · IWW-Abrufnummer 061264
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 08.02.2006 – 20 U 171/05
1. Wickelt der VN den Betrieb, in dem er vorher gearbeitet hat, einige Monate lang ab, begründen die dafür nur erforderlichen geringeren(körperlichen) Anforderungen keinen eigenständigen Beruf. Insoweit ist auf die zuvor ausgeübte Tätigkeit abzustellen.
2. EinVvergleichsberuf ist nur dann aufgezeigt, wenn dargetan ist, dass der VN auf Gund seines Berufslebens und seiner sonstigen Fähigkeiten diesen auch erfolgreich ausfüllen kann. Nischenberufe scheiden dabei aus.
OBERLANDESGERICHT HAMM
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
20 U 171/05 OLG Hamm
Verkündet am 8. Februar 2006
15 O 157/04 LG Münster
In dem Rechtsstreit
pp
hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm
auf die mündliche Verhandlung vom 08. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lücke und
die Richter am Oberlandesgericht Betz und Dr. Gundlach
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 11. 07. 2005 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß .die bedingungsgemäßen Leistungen (Rente und Betragsbefreiung) längstens bis zum 01.02.2009 zu erbringen sind.
Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages erbringt.
I.
Der am 12.10.1945 geborene Kläger nimmt die Beklagte auf bedingungsgemäße Leistungen aus einer bereits im Jahr 1991 genommenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Zusatzversicherung zur Lebensversicherung Nr. L12 1045 007 012) in Anspruch mit der Behauptung, in seinem Beruf als Fleischermeister berufsunfähig zu sein.
Die vereinbarte Rente im Fall der Berufusunfähigkeit beträgt 1.853,77 DM (= 953,77 ?) monatlich.
Dem Vertrag liegen u.a. die ?Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Nr. 451)? der Beklagten zugrunde.
Bis zum Jahr 1994 war der Kläger als selbständiger Fleischermeister in einer Einzelfirma tätig. Er beschäftigte einen festangestellten (angelernten) Mitarbeiter und eine angelernte Aushilfe.
Im September 1994 übernahm die Firma FHG (Fleichhandelsgesellschaft mbH) praktisch den Betrieb des Klägers. Hinter dieser Gesellschaft stand der Zeuge Hoselmann, der seinerseits Kaufmann ist. In der Firma FHG fiel dem Zeugen Hoselmann die kaufmännische Leitung des Betriebes einschließlich des Einkaufs und eines Teils der Fleischbestellung zu, und der Kläger konzentrierte sich ganz überwiegend auf den handwerklichen Teil des Geschäfts. Beschäftigt wurden die auch zuvor schon in der Einzelfirma angestellten beiden Mitarbeiter.
Seit Anfang 2000 waren die Umsätze des Betriebes stark rückläufig. Der Zeuge H stellte fest, daß der Betrieb sich für ihn ?nicht mehr rechnete?, und er suchte und fand ein anderes Standbein in der Computerbranche. Die Firma FHG mbH ließ man praktisch auslaufen. Den beiden Mitarbeitern wurde gekündigt, und der Zeuge H stellte seine T ätigkeiten für die FHG mbH ebenfalls weitestgehend ein. Die Zahl der Stammkunden war auf etwa 10 bis 20 % der ursprünglichen Kundschaft zurückgegangen. In den letzten etwa 4 Monaten bis zur Kündigung im Oktober 2000 erledigte der Kläger praktisch anfallende Arbeiten allein, wobei jedoch mangels eingehender Aufträge nur noch wenige handwerkliche Tätigkeiten (Fleischzerlegung und dergleichen...) anfielen.
Der Kläger verdiente bei der FHG mbH zuletzt 1.500,00 DM brutto monatlich.
Der Kläger stand nach der Abwicklung der FHG mbH ab Oktober 2000 zunächst dem Arbeitsamt zur Verfügung, wurde sodann alsbald krank. Im Zeitraum vom 12.08.2002 bis zum 02.09.2002 unterzog er sich einer von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte finanzierten Reha-Maßnahme in Bad Meinberg.
Im Vordergrund seiner gesundheitlichen Beschwerden stand neben einer ?Adipositas permagna? eine beidseitige Pangonarthrose, daneben auch ein chronisches BWS/LWS-Syndrom.
Am 04.11.2002 beantragte der Kläger - erfolglos - Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ).
Der Kläger, der seinen beruflichen Alltag zu Potokoll vom 17.01.2005 (Bl. 125 ff GA) im Einzelnen geschildert hat, hat behauptet, diese Tätigkeiten, deren Schwerpunkt im handwerklichen Bereich gelegen habe, zu mehr als 50 % nicht mehr ausführen zu können.
Er hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung der vereinbarten Rente ab dem 01.09.2002 nebst Zinsen zu verurteilen sowie festzustellen, daß er seit dem 01.09.2002 von der Beitragszahlungspflicht für die Hauptversicherung und die eingeschlossene Zusatzversicherung befreit sei.
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.
Sie hat eine Berufsunfähigkeit des Klägers in Abrede gestellt.
Maßgebend für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit sei nicht die vom Kläger in früheren Zeiten ausgeübte überwiegend körperlich schwere handwerkliche Tätigkeit, sondern vielmehr eine überwiegend kaufmännische Tätigkeit, die er in der letzten Zeit bei der Firma FHG mbH ausgeübt habe und die zu verrichten er auch weiterhin in der Lage sei.
Überdies hat die Beklagte den Kläger auf die Tätigkeit eines Fleischermeisters verwiesen, der in der Industrie oder in Großbetrieben planerische, organisatorische, kaufmännische und verwaltende Aufgaben erledige, der Kosten kalkuliere und Abrechnungen erstelle, Mitarbeiter leite und beurteile, Personalentscheidungen treffe, betriebsbezogenen Schriftverkehr führe und Anwesenheits- und Urlaubslisten führe, beratend tätig sei bei der Anschaffung neuer Maschinen und Geräte oder bei der Ausweitung der Produktpalette, der Kontakt zu Kunden und Auftraggebern halte und mit Lieferanten, Behörden und Verbänden verhandele.
Das Landgericht hat Beweis erhoben und zur Ausgestaltung der vom Kläger konkret ausgeübten Tätigkeit den Zeugen H vernommen.
Sodann hat es ein Orthopädisches Gutachten der Sachverständigen PD Dr. Pl/ Prof. Dr. W vom 09.03.2005 eingeholt, den Sachverständigen Dr. P ergänzend mündlich angehört und der Klage weitgehend unter Abweisung der für den Zeitraum September 2002 bis Dezember 2002 begehrten Leistungen und Feststellung - stattgegeben.
Auf den Inhalt des am 11. Juli 2005 verkündeten Urteils wird - auch wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand in erster Instanz - Bezug genommen.
Die Beklagte greift das Urteil mit ihrer Berufung an und verfolgt ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Sie rügt, das Landgericht habe seiner Entscheidung ein nicht zutreffendes Tätigkeitsprofil zugrundegelegt. Maßgebend sei die zuletzt ausgeübte überwiegend kaufmännische Tätigkeit des Klägers. Gemessen daran sei er nicht zu mehr als 50 % außerstande, diese Tätigkeit auch weiterhin auszuüben.
Sodann kritisiert die Beklagte das landgerichtliche Urteil als eine Überraschungsentscheidung. Sie habe wiederholt und eindeutig auf eine Tätigkeit eines Fleischermeisters in einem Großbetrieb mit vorwiegend aufsichtsführender und kaufmännischer Tätigkeit verwiesen. Wenn das Landgericht demgegenüber ausführe, der Verweisungsberuf des Fleischermeisters mit primär aufsichtsführender, leitender und kaufmännischer Tätigkeit sei nicht hinreichend deutlich geworden, so sei das überraschend; es hätte zuvor eines Hinweises nach § 139 ZPO bedurft.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung mit der Maßgabe, daß er Leistungen längstens bis zum Ablauf der BUZ am 01.02.2009 geltend mache.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
1.
Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, daß der Kläger aus gesundheitlichen Gründen zu mehr als 50 % die in seinem Beruf als Fleischermeister anfallenden Tätigkeiten nicht mehr ausführen kann.
Nach § 1 (1) der vereinbarten BB BUZ erhält der Versicherte Leistungen aus der BUZ, wenn er während der Versicherungdauer zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig wird.
Einschlägig für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers ist die Regelung in § 2 BB BUZ. Darin heißt es unter der Überschrift
?Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen??:
§ 2 (1) BB-BUZ Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.
§ 2 (2) BB-BUZ ....