23.10.2020 · IWW-Abrufnummer 218482
Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 22.01.2020 – 3 Sa 1194/19
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 23.07.2019 - 4 Ca 202/19 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen betriebsbedingten Kündigung.
Der 41 Jahre alte, ledige Kläger war seit dem 01.06.2013 als Anlagen- und Maschinenbediener bei der Beklagten beschäftigt. Er erzielte zuletzt eine durchschnittliche monatliche Vergütung i.H.v. 4.069,89 Euro brutto.
Die Beklagte betreibt einen Zulieferbetrieb für Automobilhersteller. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Bei ihr besteht ein Betriebsrat.
Hauptauftraggeberin der Beklagten war bis zum 31.03.2019 die VW-Gruppe. Für diese entwickelte und produzierte die Beklagte eine besonders leichte Hintersitzlehnenstruktur ebenso wie spezielle Sitzwannen. Ca. 75 Prozent der Produktionsmitarbeiter waren mit Aufträgen für die VW-Gruppe beschäftigt. Auch die Umsätze mit der VW Gruppe betrugen mehr als 75 Prozent der Gesamtumsätze. Die VW-Gruppe kündigte ihre gesamte Geschäftsbeziehung zur Beklagten zum 31.03.2019. Über die Verschiebung des Kündigungstermins verhielt sich ein gerichtliches Verfahren.
Nach Einladung des Betriebsrates und Wirtschaftsausschusses sowie der Schwerbehindertenvertretung zu einer ersten Information am 24.09.2019 übersandte die Beklagte nach ihrer Behauptung mit E-Mail vom 05.10.2018 dem Betriebsrat einen Entwurf eines Interessenausgleichs mit drei Anlagen, bestehend aus Organigramm alt, Organigramm neu und Maßnahmeliste, für weitere Verhandlungen.
Der Entwurf des Interessenausgleichs enthielt unter Z. III.5 ff. Regelung:
Nach Durchführung einer Sitzung am 16.10.2018 und vergeblichem gemeinsamen Versuch, einen weiteren Verhandlungstermin zu finden, leitete die Beklagte am 18.10.2018 vor dem Arbeitsgericht Hagen im Verfahren 2 BV 19 / 18 ein Einigungsstelleneinsetzungsverfahren ein. Die Einigungsstelle wurde mit Beschluss vom 02.11.2018 eingesetzt, die vom Betriebsrat hiergegen eingelegte Beschwerde wurde durch das Landesarbeitsgericht Hamm im Verfahren 13 TaBV 80/18 mit Beschluss vom 07.12.2018 zurückgewiesen.
Weitere innerbetriebliche Verhandlungen fanden am 22.10.2018, 07.11.2018 und am 22.11.2018 ergebnislos statt.
Bereits unter dem 02.11.2018 hatte die Beklagte dem Betriebsrat eine "Unterrichtung nach § 17 KSchG" übermittelt mit dem Hinweis, dass grundsätzlich spätestens im November gekündigt werden solle.
Am 15.01.2019 fand sodann eine erste Sitzung der Einigungsstelle zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans statt. Hierzu hatte die Beklagte nach ihrer Behauptung unter dem 11.01.2019 dem Betriebsrat mit einem Anschreiben einen weiteren Entwurf zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit einem Anschreiben übermittelt. Die übermittelten Anlagen waren überschrieben mit "Gesamtpersonalliste mit allen Informationen nach §§102, 111 BetrVG und 15, 17 KSchG für die personellen Maßnahmen (ordentliche und außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist), die ab Ende Januar 2019 innerhalb von 30 Tagen (soweit Schwerbehinderte oder ihnen Gleichgestellte betroffen sind oder Elternzeitler allerdings erst nach Vorlage der behördlichen Zustimmung) erfolgen sollen".
Der Entwurf zum Interessenausgleich enthielt unter III.5 mit Ausnahme des Satzes 1 eine identische Formulierung wie im vorherigen Entwurf. Satz 1 lautete nunmehr wie folgt:
Mit E-Mail vom 17.01.2019 teilte der Geschäftsführer der Beklagten dem Betriebsrat mit, es sei am 15.01.2019 besprochen worden, Gespräche zu den "gelb markierten Stellen" des Interessenausgleichs zu führen. Bei einer Vorbesprechung vom Vortag hätten beide Seiten eine weitergehende Optimierung in einzelnen Fachbereichen für erforderlich erachtet, um eine zielführende und zukunftsfähige Ausgestaltung des Set Up zu erörtern.
Zu einer weiteren Besprechung kam es innerbetrieblich nicht. Hiervon informierte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten den Einigungsstellenvorsitzenden mit E-Mail vom 18.01.2019.
Eine zweite Sitzung der Einigungsstelle fand am 24.01.2019 statt, ohne dass eine einvernehmliche Regelung erzielt werden konnte.
Am 25.01.2019 übersandte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten dem anwaltlichen Vertreter des Betriebsrates die für sie unterschriftsreife Version des Interessenausgleichs mit Stand vom 24.01.2019, in der unter Z. III.5. die zuvor zitierte Passage nicht mehr enthalten war.
Mit E-Mail vom 28.01.2019 13:00 Uhr teilte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten dem Einigungsstellenvorsitzenden mit, wenn der Interessenausgleich nicht bis zum Folgetag 10:00 Uhr unterzeichnet sei, werde das Scheitern der Verhandlung erklärt, hierfür bedürfe es keines Beschlusses der Einigungsstelle. Der anwaltliche Vertreter des Betriebsrats erklärte mit E-Mail vom 28.01.2019, 17:32 Uhr, der Betriebsrat habe keinerlei Möglichkeit, sich angemessen mit den Vorschlägen zum Interessenausgleich und Sozialplan auseinanderzusetzen, geschweige denn die zahlreichen arbeitgeberseitigen Änderungswünsche zu berücksichtigen.
Mit Schreiben vom 29.01.2019 kündigte die Beklagte sodann das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2019.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der unter dem 04.02.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
Er hat einen betriebsbedingten Kündigungsgrund für nicht gegeben erachtet, die Sozialauswahl für fehlerhaft gehalten, das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige sowie eine ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG bestritten und ferner geltend gemacht, eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG liege nicht vor. Hierzu hat der Kläger bestritten, dass dem Betriebsrat der Entwurf eines Interessenausgleichs vom 11.01.2019 übermittelt worden sei. Ebenso hat der Kläger bestritten, dass dem Betriebsrat am 05.10.2018 Organigramme übermittelt worden seien.
Der Kläger hat beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Sie hat das Vorliegen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes für gegeben erachtet, da sie die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, infolge des Wegfalls des Auftrags der VW-Gruppe den Betriebsteil, der ausschließlich für diesen Kunden produziert habe, zum 31.03.2019 stillzulegen. Die Aufgaben für Produktionshelfer würden künftig von den Maschinenbedienern miterledigt. Hinsichtlich der anderen Berufsgruppen sei eine Sozialauswahl ordnungsgemäß nach einer Punkteliste vorgenommen worden. Die Erstattung einer Massenentlassungsanzeige und die Durchführung des Konsultationsverfahrens seien ordnungsgemäß erfolgt.
Auch habe sie ihrer Meinung nach den bei ihr bestehenden Betriebsrat ordnungsgemäß vor Ausspruch einer Kündigung nach § 102 BetrVG angehört.
Sie hat hierzu behauptet, am 11.01.2019 ein Anschreiben an den Betriebsrat gerichtet zu haben gemeinsam mit einer korrigierten Fassung eines Interessenausgleichsentwurfs. Ferner sei eine Anlage, überschrieben mit "Gesamtpersonalliste..." eigefügt gewesen, aus der alle Sozialdaten des Klägers und alle persönlichen Daten aller Mitarbeiter nach Tätigkeit, Berufsgruppe, Eintrittsdatum, Geburtsdatum, Alter zum Kündigungszeitpunkt, Kündigungsfrist, Familienstand, Kinderfreibetrag, Schwerbehinderung, sonstiger Sonderkündigungsschutz, Punkte in Summen und für die einzelnen Merkmale, beabsichtigte Maßnahmen für den betroffenen Mitarbeiter, wenn zu kündigen mit "K" ersichtlich, gewesen seien. Aus einer beigefügten Exceldatei habe sich dabei ergeben, dass sie die Kündigungen im Januar 2019 habe aussprechen wollen.
In der Einigungsstellensitzung vom 15.01.2019 habe sie über ihre Prozessbevollmächtigte dann nochmals ausdrücklich erklärt, dass die Kündigungen im Januar 2019 entweder mit oder mit gescheitertem Interessenausgleich erfolgen müssen. Im Anschluss daran seien die Betriebsparteien alle Punkte des Entwurfs zum Interessenausgleich durchgegangen, insbesondere auch die Regelung zu Z. III.5. Jedenfalls habe der Betriebsrat danach zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie von der Einleitung eines Anhörungsverfahrens zur Kündigung ausgegangen sei. Der Betriebsrat habe Gelegenheit gehabt, sich mit der Formulierung auseinander zu setzen. Schon zuvor habe sie zudem mit der Übermittlung eines Entwurfs zum Interessenausgleich am 05.10.2018 eine Betriebsratsanhörung eingeleitet. Die Kündigungen seien im Oktober 2018 lediglich noch nicht ausgesprochen worden, weil der Interessenausgleich zu diesem Zeitpunkt noch nicht unterzeichnet gewesen sei und die Verhandlungen noch nicht gescheitert gewesen seien.
Der Betriebsrat habe zudem aus den vorherigen Verhandlungen insbesondere ab 22.10.2018 Kenntnis über die unternehmerische Entscheidung, den Wegfall der Arbeit, die betriebsbedingten Gründe für die Kündigung sowie die getroffene Sozialauswahl gehabt.
Insbesondere sei ihrer Meinung nach zu berücksichtigen, dass sie seit Beginn der Verhandlungen erklärt habe, die Kündigungen sollten so schnell wie möglich ausgesprochen werden. Sie habe dabei in den ersten Verhandlungen schon deutlich gemacht, dass man eigentlich im Oktober 2018 habe kündigen wollen. Im Termin vom 22.11.2018 habe sie erklärt, dass man wegen Zeitablaufs jetzt hoffen würde, im Dezember 2018 mit dem Interessenausgleich fertig zu sein und kündigen zu können. Auch im Verfahren zur Einsetzung der Einigungsstelle habe sie wiederholt darauf hingewiesen, eine schnelle Kündigungsabsicht zu haben. Auch im Einigungsstellenverfahren am 15.01.2019 habe sie deutlich gemacht, dass die Kündigungen nun im Januar 2019 erfolgen müssten und ein weiteres Zuwarten nicht möglich sei. Dabei sei, insoweit unwidersprochen, auch erklärt worden, dass die Kündigungen auch dann ausgesprochen würden, wenn die Verhandlungen über den Interessenausgleich und Sozialplan scheiterten. Aus der Gesamtschau sei daher für den Betriebsrat erkennbar gewesen, dass bereits eine Kündigungsanhörung laufe, weil dem Betriebsrat alle maßgeblichen Informationen vorgelegen hätten und eine unbedingte Kündigungsabsicht mitgeteilt worden sei. Im Rahmen vertrauensvoller Zusammenarbeit sei es zudem von Seiten des Betriebsrats erforderlich gewesen, zur Vermeidung von Missverständnissen Rücksprache zu halten.
Mit Urteil vom 23.07.2019 hat das Arbeitsgericht dem Feststellungsbegehren des Klägers entsprochen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kündigung sei unwirksam, weil die Beklagte nicht nachvollziehbar vorgetragen habe, den bei ihr bestehenden Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß nach § 102 BetrVG angehört zu haben.
Ein Anhörungsverfahren werde dann wirksam eingeleitet, wenn der Arbeitgeber einen Kündigungsentschluss fasse und diesem gegenüber dem Betriebsrat eindeutig zu erkennen gebe sowie seine Mitteilungspflichten erfülle.
Eine ausdrückliche Aufforderung zur Stellungnahme zur Kündigung sei nicht erfolgt. Auch eine konkludente Aufforderung zur Stellungnahme liege jedoch nicht vor, der Betriebsrat habe am Verhalten der Beklagten zu keinem Zeitpunkt deutlich erkennen können, dass und wann diese den Zweck verfolge, ihrer Anhörungspflicht zu genügen. Dabei könne es für die Entscheidung des Rechtstreits dahingestellt bleiben, ob die von der Beklagten angeführten Unterlagen am Abend des 11.01.2019 in den Briefkasten des Betriebsrats eingeworfen worden seien; selbst in diesen habe die Beklagte nicht hinreichend deutlich gemacht, es solle jetzt die einwöchige Frist beginnen, innerhalb derer der Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung Stellung nehmen könne. Trage die Beklagte vor, das Anhörungsverfahren schon am 05.10.2018 eingeleitet zu haben, habe diese dann über drei Monate angedauert, hätte es der Mitteilung eines konkreten Zeitpunkt des Beginns der Frist zur Stellungnahme bedurft. Auch aus dem Begleitschreiben habe der Betriebsrat nicht entnehmen müssen, die Beklagte habe nunmehr einen konkreten Kündigungsentschluss gefasst und verfolge mit Übergabe des Entwurfs zum Interessenausgleich den Zweck, ihrer Anhörungspflicht zu genügen. Das Begleitschreiben enthalte keinen Hinweis darauf, dass es sich um eine Kündigungsanhörung handeln solle. Ferner habe die Beklagte im Rahmen der Durchführung des Konsultationsverfahrens mit Schreiben vom 02.11.2018 gegenüber dem Betriebsrat erklärt, dass es sich um eine Unterrichtung nach § 17 KSchG für den Ausspruch von Kündigungen im November 2019 handeln solle.
Auch habe eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nicht aufgrund der Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans im Zusammenhang mit der Übersendung von Entwürfen stattgefunden. Zwar könnten die Verfahren nach § 102 BetrVG und zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs verbunden werden; Verhandlungen in der Einigungsstelle zum Abschluss eines Interessenausgleichs beinhalteten jedoch nicht gleichzeitig eine Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Einigungsstellenverhandlung am 15.01.2019, in der unter anderem der Entwurf des Interessenausgleichs beraten worden sei, als Anhörung deklariert habe. Die Einleitung des Anhörungsverfahrens sei jedoch Aufgabe des Arbeitgebers. Es müsse daher deutlich sein, dass das Beteiligungsverfahren mit der Folge des Fristbeginns nach § 102 Abs. 2 BetrVG begonnen habe. Die Beklagte habe unmissverständlich darauf hinweisen müssen, dass sie das Anhörungsverfahren einleiten und die Verhandlungen zum Interessenausgleich mit der Betriebsratsanhörung verbinden wolle. Der Hinweis in Ziffer III.5, dass sie das Anhörungsverfahren eingeleitet habe, reiche hierfür nicht aus. Einen Hinweis darauf, dass und wann konkret das Anhörungsverfahren eingeleitet sein solle, enthalte die Klausel nicht. Ohnehin handle es sich um eine typische Klausel zur Betriebsratsanhörung in einem Interessenausgleich, auf den sich die Betriebsparteien einigen könnten, um das Beteiligungsverfahren abzuschließen. Eine Einigung sei jedoch gerade nicht zustande gekommen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Verhandlungen über den Interessenausgleich selbst über den 15.01.2019 hinaus fortgesetzt worden seien. Stünden aber Interessenausgleichsverhandlungen noch aus, stehe typischerweise noch gar nicht fest, ob die beabsichtigte Maßnahme zum vorgesehenen Termin durchgeführt werde. Hiervon sei erst recht auszugehen, wenn der Arbeitgeber wie hier mehrfach zum Ausdruck bringe, die Kündigungen erst nach Abschluss des Interessenausgleichs aussprechen zu wollen.
Schließlich sei eine ordnungsgemäße Anhörung unabhängig vom Abschluss eines Interessenausgleichs auch durch die mündliche Erklärung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten anlässlich der Einigungsstellenverhandlung am 15.01.2019 nicht erfolgt. Ihr lasse sich nicht entnehmen, dass die Beklagte den Zweck verfolgt habe, ihrer Anhörungspflicht nach §102 Abs.1 BetrVG zu genügen.
Gegen das unter dem 31.07.2019 zugestellte Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe im übrigen Bezug genommen wird, hat die Beklagte unter dem 07.08.2019 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese unter dem 26.09.2019 begründet.
Sie verbleibt bei ihrer Auffassung, den Betriebsrat ordnungsgemäß nach § 102 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung angehört zu haben.
Zutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass Interessenausgleichs-, Konsultations- und Anhörungsverfahren miteinander verbunden werden können.
Es gelte jedoch der Grundsatz, dass es zur Einleitung des Anhörungsverfahrens genüge, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat seinen unbedingten Kündigungswillen, einen bestimmten Mitarbeiter zu einem bestimmten Zeitpunkt zu kündigen, mitteile und ihm die im Rahmen des Anhörungsverfahrens notwendigen Informationen zur Verfügung stelle. Es sei nicht zu erwarten, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat ausdrücklich sage, dass er nun die Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kündigung habe. Hierauf müsse ein Betriebsrat selbst kommen. Es sei daher die Regel, dass ein Betriebsrat dies automatisch aus der Mitteilung der Kündigungsabsicht schließe.
Hier habe sie mit Schreiben vom 11.01.2019 eine aktualisierte Gesamtpersonalliste überreicht, die überschrieben gewesen sei mit "Gesamtpersonalliste mit allen Informationen nach §§ 1102, 11 BetrVG und 15,17 KSchG...". Zugleich sei der Entwurf eines Interessenausgleichs überreicht worden, in dem unter III.5 unter der Überschrift "Kündigungsanhörung" mitgeteilt worden sei, dass der Arbeitgeber mit dem vorliegenden Schreiben das Anhörungsverfahren zur beabsichtigten Kündigung einleite. Bereits dieses Schreiben sei daher nebst Unterlagen als ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung zu werten. Dies gelte ihrer Meinung nach erst recht unter Berücksichtigung der Äußerungen am 15.01.2019. Jegliche Zweifel an der unbedingten Kündigungsabsicht seien damit jedenfalls ausgeräumt. Denn in diesem Termin habe ihre Prozessbevollmächtigte die eindeutige Aussage getätigt, dass die beabsichtigten Kündigungen in jedem Fall im Januar ausgesprochen würden, und zwar unabhängig davon, ob bis Ende Januar 2019 ein Interessenausgleich abgeschlossen worden sei oder die Verhandlungen gescheitert seien. Sie habe nicht den Eindruck erweckt, dass die Kündigungen noch vom Interessenausgleichsabschluss abhängen. Zwar habe sie jederzeit eine konsensorale Lösung bevorzugt, sei jedoch nicht mehr bereit gewesen, das Verfahren durch den Betriebsrat verzögern zu lassen. Es sei nicht widersprüchlich, im Januar noch zu Sozialplan und Interessenausgleich zu verhandeln, gleichwohl schon Mitte Januar 2019 fest entschlossen zu sein, Ende des Monats auf jeden Fall die Kündigung auszusprechen. Verfahren zum Interessenausgleich und Sozialplan einerseits und das Anhörungsverfahren gegenüber dem Betriebsrat seien eben zwei verschiedene Verfahren, die man nicht die ganze Zeit synchron laufen lassen müsse.
Ausnahmen von dem Grundsatz, dass die Information des Arbeitgebers über die verbindliche Kündigungsabsicht zur Einleitung des Anhörungsverfahrens reiche, seien nur in eng umrissenen Situationen gegeben, eine solche Ausnahmesituation liege jedoch nicht vor.
Zudem vermenge das Arbeitsgericht zu Unrecht die Mitteilung des Kündigungswillens zu früheren Terminen mit derjenigen im Januar 2019. Es handele sich eben nicht um ein einheitliches Anhörungsverfahren, das sich über mehrere Monate hingezogen habe und nicht vorankomme. Der Betriebsrat habe immer gewusst, dass sie schnell kündigen werde, sobald die Einigungsstelle getagt habe. Nach Tagen der Einigungsstelle sei sie nicht mehr darauf angewiesen gewesen, auf den Abschluss eines Interessenausgleichs zu warten, um den Nachteilsausgleichsanspruch zu vermeiden. Die im Januar 2019 neu eingeleitete Anhörung habe dabei in Ihrem Schreiben vom 11.01.2019 gelegen, jedenfalls in den ergänzend abgegebenen Erklärungen am 15.01.2019.
Das Arbeitsgericht nehme daher zu Unrecht an, dass ihr Anhörungswille unklar gewesen sei, weil die Kündigungsabsicht im Kontext der Interessenausgleichsverhandlungen erklärt worden sei. Zudem berücksichtige das Arbeitsgericht nicht, dass im Verhandlungstermin am 15.01.2019 der Entwurf eines Interessenausgleichs in allen Punkten im Einzelnen durchgesprochen worden sei. Wenn mit Abschluss des Interessenausgleichs das Verfahren klar abgeschlossen sei, dann sei mit Unterbreitung des Entwurfs und Erörterung der Klausel das Verfahren klar eingeleitet. Der Betriebsrat habe sich mit dieser Klausel auch befasst, wie der Umstand zeige, dass der Betriebsrat erst in der folgenden Verhandlung mit der Forderung gekommen sei, die Klausel müsste gestrichen werden. Wenn das Arbeitsgericht annehme, auf diese Klausel und ihre Kenntnisnahme komme es nicht an, weil der Betriebsrat der Klausel letztlich nicht nur nicht zugestimmt, sondern vielmehr ihre Streichung verlangt habe, verkenne das Arbeitsgericht, dass die Einleitung des Anhörungsverfahrens keiner Zustimmung des Betriebsrats bedürfe.
Sofern beim Betriebsrat ein letzter Rest Unsicherheit geblieben wäre, ob ein Anhörungsverfahren eingeleitet worden sei, könne er sich ihrer Meinung nach nicht mehr auf seine Rechte nach § 102 BetrVG berufen. Denn bei Unsicherheiten sei der Betriebsrat verpflichtet gewesen, bei ihr nachzufragen, wie die Äußerungen zu verstehen seien.
Die Beklagte beantragt,
Der Kläger beantragt,
Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil.
Dem Betriebsrat müsse bewusst gewesen sein, dass die einwöchige Stellungnahmefrist für ihn in Gang gesetzt worden sei. Unklarheiten, ob dies der Fall sei, gingen zulasten der Beklagten. Ein Betriebsrat müsse ganz genau wissen, ab welchem Datum die Einwochenfrist zur Stellungnahme in Gang gesetzt werde. Es gehöre zum Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, das Anhörungsverfahren einzuleiten. Hieran fehle es. Der Betriebsrat habe keine Kündigungsabsicht erkennen können, da der Interessenausgleich gerade dazu diene, möglicherweise noch Kündigungen zu vermeiden.
Der Kläger bestreitet erneut mit Nichtwissen, dass das Schreiben der Beklagten vom 11.01.2019 abends in den Briefkasten des Betriebsrats eingeworfen worden ist.
Widersprüchlich sei auch der Vortrag der Beklagten, Kündigungen hätten festgestanden trotz des Interessenausgleichs, gleichwohl sei sie noch verhandlungsbereit gewesen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
A.
Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht.
Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 c) ArbGG.
Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517 ff. ZPO.
B.
Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet.
Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2019 nicht wirksam aufgelöst worden ist, weil es an der Durchführung eines Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG auch nach dem Vorbringen der Beklagten im Berufungsrechtszug fehlt.
I.
Gemäß § 102 Absatz 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor Ausspruch einer Kündigung zu hören. Eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung ist nach § 102 Absatz 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
Der Arbeitgeber kann dabei grundsätzlich die beabsichtigte Kündigung aussprechen, wenn die dem Betriebsrat zur Verfügung stehende Stellungnahmefrist abgelaufen ist; vor Ablauf der Frist kann der Arbeitgeber demgegenüber die Kündigung nur dann aussprechen, wenn das Anhörungsverfahren durch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrates bereits abgeschlossen worden ist, wenn der Betriebsrat zu der Kündigungsabsicht des Arbeitgebers eine Erklärung abgegeben hat, aus der sich ergibt, dass der Betriebsrat eine weitere Erörterung des Falles nicht mehr wünscht ( BAG 01.04.1976, EzA 102 BetrVG 1972 Nr. 23; BAG 16.09.1993, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 84; BAG 26.01.1995, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 87).
Die Beteiligung des Betriebsrats dient in erster Linie dem Zweck, ihm Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers vorzubringen und auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Der Betriebsrat soll in die Lage versetzt werden, auf den Arbeitgeber einzuwirken, um ihn ggf. mit besseren Argumenten von seinem Kündigungsentschluss abzubringen (BAG 12.09.2013, EzA BetrVG 2001 § 102 Nr.30).
Die Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 BetrVG ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung. Daher trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Anhörung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (BAG 02.03.1989, EzA BGB § 130 Nr. 22).
1.
Die dem Betriebsrat zur Stellungnahme zur Verfügung stehende Frist beginnt mit dem Zugang der Mitteilung des Arbeitgebers, aus der zu ersehen ist, dass er das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG einleiten will (KR-Etzel, § 102 BetrVG, Rz.123).
Ohne Mitteilung der Kündigungsabsicht ist das Anhörungsverfahren nicht ordnungsgemäß eingeleitet.
Der Arbeitgeber muss dabei deutlich machen, dass er gegenüber dem Betriebsrat das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG einleiten will. Dabei gehen Unklarheiten grundsätzlich zu Lasten des Arbeitgebers, da es in seinem Verantwortungsbereich liegt, das Verfahren ordnungsgemäß einzuleiten. Die Einleitung des Anhörungsverfahrens unter Beachtung der in § 102 Abs. 1 BetrVG umschriebenen Erfordernisse ist Aufgabe des Arbeitgebers. Dazu ist stets erforderlich, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat um die Stellungnahme zu einer konkreten Kündigungsabsicht ersucht (BAG 20.05.1999, EzA BetrVG 2001 § 102 Nr.102; LAG Berlin-Brandenburg, 03.06.2010, LAGE KSchG § 6 Nr.5).
Erforderlich ist dabei ein aktueller Kündigungsentschluss des Arbeitgebers.
2.
Auch die Erstellung eines Interessenausgleichs selbst mit Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG entbindet den Arbeitgeber nicht von der Betriebsratsanhörung zu den konkret auszusprechenden Kündigungen nach § 102 BetrVG (BAG 20.05.1999, EzA BetrVG 2001 § 102 Nr.101). Die Verpflichtung des Arbeitgebers, neben den Verhandlungen über den Interessenausgleich auch den Betriebsrat zu den auszusprechenden Kündigungen nach § 102 BetrVG anzuhören, macht allerdings keine Verdoppelung des Beteiligungsverfahrens notwendig. Es ist vielmehr zulässig und meist sogar zweckmäßig, dass beide Verfahren zusammengefasst werden, damit der Betriebsrat gleichzeitig mit dem Abschluss des Interessenausgleichs auch zu den beabsichtigten Kündigungen Stellung nehmen kann (BAG 20.05.1999, EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 102). Das Verfahren der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG kann daher mit den Verhandlungen über einen Interessenausgleich verbunden werden (BAG. 21.07.2005, EzA BetrVG 2001 § 113 Nr. 6).
Aus Verhandlungen über einen Interessenausgleich ist allerdings nicht automatisch die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG zu sehen. Es ist daher stets erforderlich, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat um die Stellungnahme zu einer konkreten Kündigungsabsicht ersucht. Sollen deshalb Interessenausgleich und Betriebsratsanhörung miteinander verbunden werden, so ist dies schon bei der Einleitung des Beteiligungsverfahrens klarzustellen und ggfs. im Wortlaut des Interessenausgleichs zum Ausdruck zu bringen (BAG 20.05.1999, EzA BetrVG 2001 Nr. 102; BAG 28.06.2012, EzA InsO § 125 Nr.7).
Auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs selbst mit Namensliste i. S. d. § 125 Abs. 1 InsO unterliegt die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG keinen erleichterten Anforderungen (BAG vom 28.08.2003, EzA BetrVG 2001 § 102 Nr.4).
II.
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen hat die Beklagte ein Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG nicht ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung eingeleitet und zwar weder durch behauptete Übersendung des Anschreibens an den Betriebsrat vom 11.01.2019 nebst Anlagen wie insbesondere dem Entwurf für einen Interessenausgleich, noch durch nachfolgende Erklärungen im Termin der Verhandlung vor der Einigungsstelle am 15.01.2019.
1.
Zutreffend ist, dass für die Mitteilung der Kündigungsabsicht und der Kündigungsgründe an den Betriebsrat keine Formvorschriften bestehen, die nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG erforderliche Unterrichtung des Betriebsrats also schriftlich oder mündlich gleichermaßen erfolgen kann (BAG 23.06.2009, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr.8). Das Verfahren nach § 102 BetrVG ist kein formalisiertes, an bestimmte Formvorschriften gebundenes Verfahren (BAG 13.12.2012, EzA BGB 2002 § 174 Nr.8).
Eine ordnungsgemäße Einleitung des Verfahrens nach § 102 BetrVG ergibt sich dabei nicht von vornherein daraus, dass der Betriebsrat bei Unklarheit über die Einleitung des Verfahrens Nachfrage bei der Beklagten hätte halten müssen. Zwar gilt auch im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Absatz 1 BetrVG (BAG 13.12.2012, EzA BGB 2002 § 174 Nr.8). Allerdings bleibt es dabei, dass die Einleitung des Verfahrens Aufgabe des Arbeitgebers ist und Unklarheiten grundsätzlich zu seinen Lasten gehen (s.o. BAG 20.05.1999, EzA BetrVG 2001 § 102 Nr.102). Es oblag daher der Beklagten, in ausreichender Weise deutlich klarzustellen, dass und ab wann nunmehr das Verfahren nach § 102 BetrVG eingeleitet sein soll und damit die Stellungnahmefrist für den Betriebsrat beginnt.
Soweit die Beklagte auf die vorgenannte Entscheidung des BAG vom 13.12.2012 hinweist, trifft diese die vorliegende Fallgestaltung nicht: mag bei Unklarheit darüber, ob ein Vertreter oder Bote das Verfahren ordnungsgemäß einleiten kann, der Zweck des Anhörungsverfahrens nicht beeinträchtigt sein, weil der Betriebsrat gleichwohl seine Stellungnahme unmittelbar gegenüber dem Arbeitgeber abgeben kann, geht es hier darum, ob mit ausreichender Deutlichkeit das Anhörungsverfahren überhaupt eingeleitet worden ist.
2.
Zweck des Anhörungsverfahrens ist es, den Betriebsrat zu einer Stellungnahme zu der beabsichtigten Kündigung zu veranlassen. Dazu ist es erforderlich, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Stellungnahme zu einer konkreten Kündigungsabsicht auffordert. Eine ausdrückliche Aufforderung an den Betriebsrat, zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen, ist in der Regel nur dann nicht erforderlich, wenn der Betriebsrat der Mitteilung des Arbeitgebers entnehmen kann, dass er damit den Zweck verfolgt, seiner Anhörungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu genügen (BAG 07.12.1979, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr.42). Eine ausdrückliche Aufforderung an den Betriebsrat, zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen, ist damit nicht vorgeschrieben. Sie liegt regelmäßig in der Mitteilung der Kündigungsabsicht (BAG 28.02.1974, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr.8). Es genügt daher, wenn der Betriebsrat der Mitteilung des Arbeitgebers entnehmen kann, dass damit auch ein Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG eingeleitet werden soll. Dabei ist nach dem objektiven Erklärungswert der Mitteilung festzustellen, ob der Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört werden soll. Die Erklärung des Kündigenden gegenüber dem Betriebsrat ist deshalb im Einzelfall auszulegen (BAG 07.12.1979, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr.42).
Ein Anhörungsverfahren wird dann wirksam eingeleitet, wenn der Arbeitgeber einen Kündigungsentschluss fasst und diesen gegenüber dem Betriebsrat eindeutig zu erkennen gibt sowie seine Mitteilungspflichten gegenüber dem Betriebsrat erfüllt. Auch die Kündigungsmitteilung kann nicht nur durch eine ausdrückliche Erklärung erfolgen, sondern sie kann sich auch auf Grund der Begleitumstände ergeben (BAG 16.05.2002, EzA BGB § 613a Nr.210).
3.
Aus den von der Beklagten angeführten übermittelten Unterlagen und dargestellten Erklärungen ergibt sich kein objektiver Erklärungswert im Rahmen der Auslegung, aus denen der Betriebsrat davon ausgehen musste, nach bereits mehrwöchigen Verhandlungen über einen Interessenausgleich solle nunmehr das Anhörungsverfahren mit der maßgeblichen Stellungnahmefrist eingeleitet sein.
a)
Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Beklagte aus ihrer Sicht einvernehmliche Regelungen über die Durchführung des Verfahrens der Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG und Verhandlungen über einen Interessenausgleich immer parallel hat laufen lassen.
So hat sie schon unter dem 05.10.2018 neben einer Gesamtpersonalliste mit den relevanten Arbeitnehmerdaten einen Entwurf zum Abschluss eines Interessenausgleichs übersandt, in dessen Ziffer III.5. Regelungen zur Einleitung des Anhörungsverfahrens zu den beabsichtigten Kündigungen enthalten sind, wenngleich diese Passage noch nicht mit einem Datum zur Einleitung des Anhörungsverfahrens unterlegt ist. In dieser Ziffer ist ebenso aufgeführt, der Betriebsrat sei "vollständig angehört". Ferner hat sie dem unter dem 02.11.2018 ein Schreiben übersandt mit der Überschrift "Unterrichtung nach § 17 KSchG", mit dem sie erneut den Entwurf eines Interessenausgleichs übersandt hat, in dem sich die Regelungen zu Ziffer III.5. in gleicher Weise wiederfinden. In dem weiteren Entwurf eines Interessenausgleichs mit Stand vom 11.01.2019 findet sich die entstehende Passage erneut, diesmal hinterlegt mit Daten, wobei die Beklagte davon ausgeht, Anhörungsverfahren mit nachfolgenden Korrekturen bereits am 05.10.2018 eingeleitet zu haben.
Die Beklagte hat damit zu erkennen gegeben, dass mit Unterzeichnung eines Interessenausgleichs mit den dargestellten Passagen sowohl durch sie als auch dem Betriebsrat ein Verfahren nach § 102 BetrVG als durchgeführt und abgeschlossen angesehen werden soll. Kommt es nunmehr nicht zur Unterzeichnung eines Interessenausgleichs mit den maßgeblichen Passagen, existiert auch kein gemeinsames Verständnis der Betriebsparteien darüber, dass ein Anhörungsverfahren eingeleitet worden und als abgeschlossen anzusehen ist. Für den Betriebsrat gibt es dann keinen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, dass das Konsultationsverfahren, das Verfahren zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs und die Anhörung nach § 102 BetrVG voneinander ohne entsprechende Erklärung im Interessenausgleich losgelöst durchgeführt sein sollen.
Soweit die Beklagte darauf hinweist, Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren einerseits und das Anhörungsverfahren andererseits seien verschiedene Verfahren, die nicht die ganze Zeit synchron laufen müssten, trifft dies zu; maßgeblich ist aber, dass die Beklagte die Verfahren zugleich betrieben hat und eine Einheitlichkeit insoweit hergestellt hat, ohne irgendwann einen konkreten Hinweis dazu abzugeben, dass die Verfahren nunmehr als getrennt anzusehen sind, wenn auch noch im ersten Einigungsstellentermin über den Entwurf des Interessenausgleichs mit der in Rede stehenden Klausel in III.5 verhandelt worden ist und nicht verdeutlicht wird, dass die aufgenommene Regelung zur Durchführung der Anhörung auch dann einseitig als Einleitung angesehen wird, wenn es nicht zu einer einvernehmlichen Regelung kommt.
An dieser Verknüpfung ändert sich auch nichts dadurch, dass die Beklagte das von ihr behauptete Anschreiben u.a. mit dem Hinweis auf eine "Gesamtpersonalliste mit allen Informationen nach §§ 102,111 BetrVG, 15.17 KSchG..." verbunden hat. Auch damit wird nicht mehr zum Ausdruck gebracht als das, was in III.5 einvernehmlich vereinbart werden sollte.
Einer Klarstellung bedurfte es insbesondere deswegen, weil die Beklagte noch in ihrem Entwurf mit Stand vom 11.01.2019 davon ausgeht, das Anhörungsverfahren bereits im Oktober 2018 eingeleitet zu haben, zu einem Zeitpunkt, als noch unklar war, welchen Verlauf die Interessenausgleichsverhandlungen überhaupt nehmen werden.
Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hinweist, mit dem Entwurf zum Interessenausgleich vom 11.01.2019 nebst Anschreiben und den Erklärungen vom 15.01.2019 sei klar gewesen, dass es sich um "neue" Anhörungen zu Kündigungen nunmehr im Januar 2019 handele, ergibt sich dies für den Betriebsrat nicht, wenn in diesem Entwurf von der Einleitung einer Anhörung am 05.10.2018 mit nachfolgenden Korrekturen die Rede ist.
b)
Ein ausreichender Anhaltspunkt dafür, dass die Anhörungsverfahren noch nicht bereits eingeleitet sein sollten, ergibt sich ferner daraus, dass in der letzten Fassung des Entwurfs zum Abschluss eines Interessenausgleichs vom 29.01.2019 sich die bisherige Passage zur Einleitung und Durchführung des Anhörungsverfahrens nach der zweiten Sitzung der Einigungsstelle vom 24.01.2019 nicht mehr findet. Waren die Passagen jedoch bis zur zweiten Sitzung der Einigungsstelle in den Entwürfen der Beklagten vorhanden und sind nunmehr auf Veranlassung von Betriebsratsseite gestrichen, gab es keinen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, dass der Betriebsrat gleichwohl die Anhörungen bereits zu einem vorherigen Zeitpunkt als eingeleitet ansehen musste, zumal in dem vorherigen Entwurf eine Anhörung vom 05.10.2018 erwähnt war.
c)
Dieser Annahme steht nicht die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung entgegen, Interessenausgleichsverhandlungen und Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG könnten miteinander verbunden werden, dies sei im Wortlaut des Interessenausgleichs zum Ausdruck zu bringen (s.o. BAG 20.05.1999, EzA BetrVG 2001 Nr. 102; BAG 28.06.2012, EzA InsO § 125 Nr.7).
Wie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat, besteht regelmäßig ein Interesse eines Arbeitgebers an einer entsprechenden Formulierung in einem Interessenausgleich, um das Verfahren der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG als abgeschlossen ansehen zu können und Sicherheit zu haben, dass nach Abschluss des Interessenausgleichs der Ausspruch der Kündigung erfolgen kann. Zu einer entsprechenden Formulierung ist es aber gerade entgegen der ursprünglichen Entwürfe der Beklagten nicht gekommen, der Betriebsrat hat weder eine Erklärung dahin abgegeben, er betrachte die Einleitung des Anhörungsverfahrens als gegeben noch, das Anhörungsverfahren sei abgeschlossen. Kommt es zu einer solchen Formulierung nicht, dass das Anhörungsverfahren eingeleitet ist, bedarf es einer ausreichenden Klarstellung von Arbeitgeberseite, dass gleichwohl das Anhörungsverfahren eingeleitet werden soll und der Betriebsrat zu konkreten Kündigungen bereits Stellungnahme abgeben kann und soll.
Diese gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich immer um Entwürfe für einen Interessenausgleich handelte, es also ohne Unterzeichnung nicht klar war, ob die beabsichtigten Regelungen zur Einleitung eines Anhörungsverfahrens auch einseitig als gegeben anzusehen sind.
d)
Der Betriebsrat musste auch deswegen die übermittelten Unterlagen einschließlich des Entwurfs zum Abschluss eines Interessenausgleichs vom 11.01.2019 und der nachfolgenden Erklärungen der Beklagten in der ersten Sitzung der Einigungsstelle am 15.01.2019 ohne gesonderte Klarstellung von Seiten der Beklagten deswegen noch nicht als Einleitung eines Anhörungsverfahrens zu konkreten beabsichtigten Kündigungen ansehen, weil die Interessenausgleichsverhandlungen zwischen den Betriebsparteien vor der Einigungsstelle noch liefen. Bevor noch keine Klarheit darüber geschaffen war, welches Ergebnis die Einigungsstellenverhandlungen unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher betriebsinterner Verhandlungen erbrachten, musste für den Betriebsrat nicht erkennbar sein, dass er bereits zu konkreten Kündigungen zu einem Zeitpunkt davor angehört werden sollte.
Dies gilt auch gerade unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten in der Einigungsstellensitzung vom 24.01.2019 von Seiten des Betriebsrat erklärt worden ist, man wolle die Sozialauswahl nicht, der Betriebsrat sehe diese gänzlich anders als der Arbeitgeber.
Interessenausgleichsverhandlungen dienen gerade dazu, über das "Ob" und das "Wie" der vom Arbeitgeber beabsichtigten Betriebsänderung zu verhandeln. Typischerweise beinhalten solche Verhandlungen die Frage, ob die Maßnahme im vorgesehenen Umfang durchgeführt werden soll oder ein Arbeitgeber zumindest teilweise davon abgebracht werden kann, Arbeitnehmer in der vorgesehenen zahlen zu lassen. Sind solche Verhandlungen noch nicht abgeschlossen, kann ein Betriebsrat nicht davon ausgehen, dass er bereits in einem Zeitpunkt davor abschließend zu beabsichtigten Kündigungen bestimmter Arbeitnehmer angehört sein soll.
e)
Gegen die Annahme, der Betriebsrat habe die Übermittlungen von Unterlagen am 11.01.2019 und spätestens mit der Erklärung der Beklagten in der Einigungsstellensitzung vom 15.01.2019 über die Kündigungsabsicht noch im Januar 2019 das Anhörungsverfahren habe eingeleitet ansehen müssen, spricht des Weiteren, dass die Beklagte selbst mit E-Mail ihres Geschäftsführers vom 17.012.2019 die innerbetriebliche Fortführung der Verhandlungen zu "gelb markierten Stellen" angesprochen hat und hierbei ausgeführt hat, Vorbesprechungen hätten das Erfordernis weiterer Kompetenzbündelung sowie weitergehende Optimierung in einzelnen Fachbereichen ergeben. Hierüber war ein weiteres Gespräch beabsichtigt. Sollte es aber noch weitere Gespräche über andere Konzepte, wenn auch nur betreffend einen bestimmten Personenkreis, geben, gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Betriebsrat bereits zuvor abschließend zu konkreten beabsichtigten Kündigungen angehört sein sollte.
Ferner zeigt die E-Mail des Einigungsstellenvorsitzenden vom 29.01.2019 an die Betriebsparteien, dass die Beteiligten davon ausgingen, entweder Abschluss eines Interessenausgleichs oder Scheitern der Verhandlungen hierüber sei zunächst erforderlich.
f)
Dem dargestellten Verständnis steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigte in der Einigungsstellensitzung vom 15.01.2019 erklärt hat, die Kündigungen in jedem Fall im Januar 2019 auszusprechen, unabhängig davon, ob ein Interessenausgleich zustande gekommen ist oder die Verhandlungen als gescheitert anzusehen sind. Dies macht in keiner Weise deutlich, dass die Beklagte entweder aufgrund der Erklärungen aus Unterlagen vom 11.01.2019 insbesondere im Entwurf zum Abschluss eines Interessenausgleichs oder aufgrund dieser Erklärungen ein Anhörungsverfahren einleiten will oder als schon eingeleitet ansieht. Hierin wird allenfalls das erklärte Ziel deutlich, weiteren Verzögerungen bei den Verhandlungen mit dem Ausspruch von Kündigungen zu begegnen, ohne dass hieraus deutlich erkennbar wird, dass und wodurch ein konkretes Anhörungsverfahren bereits eingeleitet sein soll.
Die Beklagte hat, wie der von ihr geschilderte Ablauf der Verhandlungen zeigt, zumindest bis zur ersten Einigungsstellensitzung darauf gesetzt, dass der von ihr eingebrachte Entwurf zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit einvernehmlichen Erklärungen zur Durchführung des Anhörungsverfahrens zustande kommt. War dies nicht der Fall, bedurfte es nunmehr der Klarstellung, dass trotz fehlender Dokumentation eines gemeinsamen Verständnisses das Anhörungsverfahren eingeleitet wird.
4.
Lag schon danach keine Erklärung vor, aus der zu ersehen war, dass das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG nunmehr eingeleitet werden sollte, kann es dahinstehen, ob Auffassungen zu folgen ist, dass ein solches Anhörungsverfahren überhaupt erst dann erfolgen kann, wenn das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG abgeschlossen ist.
III.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits konnte es daher dahingestellt bleiben, ob die Kündigung durch ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S. § 1 Abs.2 S.1 KSchG bedingt war, die Beklagte bei der Auswahl des Klägers die maßgeblichen sozialen Kriterien zumindest ausreichend nach § 1 Abs.3 S. 1 KSchG berücksichtigt hat, die Beklagte das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs.2 KSchG mit dem Betriebsrat ordnungsgemäß durchgeführt hat und die Beklagte die Kündigung erst nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige erklärt hat.
C.
Die Beklagte hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels nach § 97 Abs.1 ZPO zu tragen.
Gründe für die Zulassung der Revision bestanden nach § 72 Abs.2 ArbGG nicht.