10.11.2020 · IWW-Abrufnummer 218849
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 13.05.2020 – 20 U 266/19
Wenn entsprechende Anhaltspunkte für den Versicherer (oder Versicherungsagenten) bestehen, muss der Versicherungsnehmer konkret zu den Voraussetzungen für ausreichenden Versicherungsschutz beraten werden, so etwa zum Erfordernis, Schmuck in einem Tresor (mit bestimmten Merkmalen) aufzubewahren. Unterbleibt dies, kann dem Versicherungsnehmer – so hier – ein Schadensersatzanspruch zustehen.
Oberlandesgericht Hamm
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30.10.2019 verkündete Urteil der
18. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 30.726,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2019 zu zahlen.
Die Klage wird im Übrigen abgewiesen.
Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
G r ü n d e
2
I.
3
Die Klägerin macht Ansprüche aus einer Hausratsversicherung geltend.
4
Die Versicherung sah im Fall des Einbruchsdiebstahls eine Wertsachengrenze von 50 % der Versicherungssumme in Höhe von 104.000,00 EUR vor. Ursprünglich hatte der auf Seiten der Beklagten tätige Agent eine Wertsachengrenze von 20 % vorgesehen, was aber auf Wunsch der Klägerin geändert wurde, nachdem diese erklärt hatte, Schmuck im Wert von etwa 50 % der Versicherungssumme zu besitzen.
5
Zugleich enthielt der Vertrag eine Tresor- / Verschlussklausel, wonach bestimmte Wertsachen, unter anderem auch Schmuck, nur dann über 21.000,00 EUR versichert sind, wenn sie in einem Tresor verwahrt werden.
6
Konkret heißt es in Ziffer 1.3.2:
7
„Ferner ist die Entschädigung für folgende Wertsachen je Versicherungsfall (Ziffer 3) begrenzt, wenn sich diese außerhalb verschlossener mehrwandiger Stahlschränke mit einem Mindestgewicht von 200 kg und auch außerhalb eingemauerter Stahlwandschränke mit mehrwandiger Tür, oder außerhalb besonders vereinbarter sonstiger verschlossener Behältnisse mit zusätzlichen Sicherheitsmerkmalen befinden, auf
8
- [...]
9
- 21.000 EUR insgesamt für Wertsachen gemäß Ziffer 1.2.3."
10
Auf die Tresor- / Verschlussklausel wies der Agent die Klägerin nicht hin.
11
Bei einem Einbruch am 00.11.2017 wurde der Klägerin neben anderen Hausratsgegenständen Schmuck im Wert von 52.000,00 EUR gestohlen, welcher nicht in einem Tresor lagerte.
12
Die Beklagte zahlte als Entschädigung für den Schmuck 21.000,00 EUR und lehnte unter Hinweis auf die Entschädigungsgrenze weitere Leistungen hierauf mit der Begründung ab, dass der Schmuck nicht in einem Tresor gelagert war.
13
Die Klägerin hält die Tresorklausel für unwirksam und beruft sich hilfsweise auf eine diesbezügliche Schlechtberatung bei Vertragsschluss durch den Agenten der Beklagten.
14
Das Landgericht hat der entsprechenden Klage wegen Falschberatung stattgegeben.
15
Bezüglich des genauen erstinstanzlichen Vortrages, der Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts (Bl. 97 ff. der erstinstanzlichen elektronischen Akte [= eGA I-97 ff.]) verwiesen.
16
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Nicht nur sei die Verschlussklausel wirksam schriftlich in den AVB vereinbart. Vielmehr dürfe diese wirksame schriftliche Vereinbarung nicht dadurch ausgehebelt werden, dass über sie bei Vertragsschluss gesondert mündlich belehrt werden müsse.
17
Die Beklagte beantragt,
18
die Klage unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung abzuweisen.
19
Die Klägerin beantragt,
20
die Berufung zurückzuweisen.
21
Sie verteidigt ‒ unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ‒ die angefochtene Entscheidung.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
23
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 13.05.2020 persönlich angehört.
24
II.
25
Die Berufung ist überwiegend unbegründet.
26
1. Allerdings beruft sich die Klägerin zu Unrecht auf die Unwirksamkeit der Tresor- / Verschlussklausel.
27
Tresor- / Verschlussklauseln in den Hausratsbedingungen in der vorliegenden Fassung werden als primäre Risikobeschreibung zutreffend als wirksam angesehen (vgl. BGH Urt. v. 16.3.1983 ‒ IVa ZR 111/81, r+s 1983, 102 unter II. = juris Rn. 18 ff.; Senat Beschl. v. 31.8.2016 ‒ 20 U 69/16, r+s 2017, 21, unter insbesondere II.2 = juris Rn. 57; OLG Oldenburg Beschl. v. 13.1.2017 ‒ 5 U 162/16 mit Anm. Günther, jurisPR-VersR 2/2018 Anm. 3; OLG Köln Beschl. v. 17.11.2016 ‒ 9 U 127/16, VersR 2017, 612 mit Anm. Schwartz, jurisPR-VersR 8/2017; OLG Hamm Urt. v. 30.12.1983 ‒ 20 U 163/83, r+s 1984, 148; LG Dortmund Urt. v. 15.1.2015 ‒ 2 O 254/14, r+s 2015, 199 = juris Rn. 21-30).
28
Die Klausel stellt in der vorliegenden Fassung insbesondere auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (wegen Umgehung von § 28 VVG, § 32 VVG) dar. Es handelt sich bei ihr ‒ unabhängig davon, ob man ihren Inhalt nach ihrem materiellen Gehalt oder aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers bemisst (vgl. dazu nur Felsch, r+s 2015, 53; Wandt in MüKo-VVG, § 28 Rn. 55; Rixecker in Langheid/Rixecker, § 28 Rn. 16) ‒ nicht um eine (verhüllte) Obliegenheit.
29
Zwar spielen Verschulden und Kausalität keine Rolle und die Beweislast für die Einhaltung der Klausel liegt beim Versicherungsnehmer.
30
Indes besagen § 28 Abs. 1 bis Abs. 4, § 32 VVG nicht, dass im Rahmen von primären und tertiären Risikobeschreibungen (Risikobeschreibung im eigentlichen Sinne und Wieder-Einschluss) in keinem Fall an ein Verhalten des Versicherungsnehmers angeknüpft und die Beweislast dazu dem Versicherungsnehmer zugewiesen werden dürfte (OLG Hamm Beschl. v. 29.7.2019 ‒ 20 U 14/19 unter I.2.a [zitiert nach BeckOK StVR/Jungermann VVG § 28 Rn. 19 a. E.]).
31
Auch vorliegend bestehen insoweit keine Bedenken. Denn es handelt sich bei der vorliegenden Klausel um eine allgemeine, vom Verhalten des Versicherungsnehmers in konkreten Einzelsituationen unabhängige Leistungsbeschränkung (vgl. BGH Urt. v. 16.3.1983 ‒ IVa ZR 111/81, r+s 1983, 102 unter II. = juris Rn. 22 f. im Gegensatz zu älteren Bedingungen, die die Geltung der Verschlussklausel von dem Verhalten des Versicherungsnehmers in der konkreten Einzelsituation abhängig machten BGH Urt. v. 31.1.1975 ‒ IV ZR 126/73, VersR 1975, 269 = juris Rn. 10 ff.).
32
2. Gleichwohl besteht entsprechend den landgerichtlichen Feststellungen ein Anspruch der Klägerin gemäß § 6 Abs. 5 VVG wegen der zurechenbaren Schlechtberatung des Agenten der Beklagten.
33
a) Zwar besteht grundsätzlich im Hinblick auf die Wirksamkeit und Transparenz der Tresor- / Verschlussklausel kein Anlass für eine mündliche Beratung über oder für einen Hinweis auf diese Klausel für den Versicherer oder seinen Agenten.
34
b) Im vorliegenden Einzelfall jedoch war ‒ wie bereits das Landgericht zutreffend ausführt ‒ ausnahmsweise eine Beratung der Klägerin durch den der Beklagten zuzurechnenden Agenten über den Inhalt und das Ausmaß der Tresor- / Verschlussklausel erforderlich (§ 6 Abs. 1 VVG, § 278 BGB).
35
Die Klägerin hatte gegenüber dem Agenten ausdrücklich erklärt, dass die ursprünglich von diesem vorgesehene Wertsachengrenze von 20 % von 104.000,00 EUR (= 20.800,00 EUR) nicht ausreichend sei, weil sie Schmuck besaß, welcher gut 50 % von 104.000,00 EUR ausmachte. Der Agent erhöhte die Wertsachengrenze sodann wunschgemäß auf 50 % von 104.000,00 EUR (= 52.000,00 EUR), erklärte der Klägerin aber nicht, dass ihr diese Erhöhung im Hinblick auf die Tresor- / Verschlussklausel nichts bringen würde, wenn sich der Schmuck nicht im Tresor befinden würde, da dessen nicht prozentual bemessene Grenze bei 21.000,00 EUR blieb.
36
Während nach dem ursprünglich vorgesehenen Vertragsinhalt die "Tresorklausel" hinsichtlich des Schmucks überhaupt nicht zum Tragen gekommen wäre, da bei einem Übersteigen der Wertgrenze für Schmuck von 21.000,00 EUR ohnehin bereits die Begrenzung der Versicherungssumme für Wertsachen von 20.800,00 EUR (20 % von 104.000 €) eingegriffen hätte, war dies nach dem Vertrag, wie er aufgrund des Hinweises der Klägerin auf den Wert ihres Schmuckes von ca. 50.000,00 EUR und der daraufhin erfolgten Erhöhung der Wertgrenze auf 50 % der Versicherungssumme letztlich geschlossen wurde, anders. Nunmehr kam die Tresorklausel zum Tragen, da der Wert des Schmucks der Klägerin zwar nicht die Wertgrenze für Wertsachen von 52.000,00 EUR (50 % von 104.000,00 EUR), wohl aber die Entschädigungsgrenze für Schmuck in Höhe von 21.000,00 EUR überstieg. Im Unterschied zum zunächst erfolgten Vertragsangebot der Beklagten konnte die Klägerin daher ihren Schmuck nicht mehr vollumfänglich außerhalb eines Tresors aufbewahren, ohne hierdurch einen Großteil des Versicherungsschutzes zu verlieren. Hierauf hätte der Agent der Beklagten hinweisen müssen, da sich hieraus aufgrund der konkreten Bedarfssituation ein Anlass ergab.
37
Indem er diesen Hinweis unterließ, genügte er anlassbezogen nicht der die Beklagte treffenden Aufklärungspflicht (§ 6 Abs. 1 VVG).
38
Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf eine vermeintliche widerstreitende Entscheidung des OLG Köln (vgl. OLG Köln Urt. v. 13.2.1996 ‒ 9 U 178/95, r+s 1996, 149). Im dortigen Fall hatte der Agent gerade keine Kenntnis vom Wert der tatsächlich vorhandenen Wertgegenstände, sondern sollte nur von der Aufbewahrung des Schmucks im Schlafzimmer außerhalb eines Stahlschranks gewusst haben. Dabei hatte das OLG Köln aber zutreffend und im Sinne der vorliegenden Entscheidung ausgeführt, dass eine Aufklärung möglicherweise in Betracht gekommen wäre, „wenn der Wert des Schmucks für den Agenten erkennbar über [der vereinbarten Grenze] gelegen hätte“. Dem schließt sich der Senat für den vorliegenden Einzelfall ausdrücklich an.
39
Ebenso verweist die Beklagte ohne Erfolg auf eine Entscheidung des OLG Saarbrücken (vgl. OLG Saarbrücken Urt. v. 7.7.2010 ‒ 5 U 613/09, r+s 2011, 477). Auch dieses hat die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie dabei insbesondere geprüft, ob der Agent beim Versicherungsnehmer eine Fehlvorstellung hervorgerufen oder aufrecht erhalten hat, und dies verneint (juris Rn. 32 ff., 44, 47 f.). Im vorliegenden Einzelfall hingegen hat der Agent bei der Klägerin eine Fehlvorstellung hervorgerufen.
40
Entsprechend lag auch die Entscheidung des KG anders (vgl. KG Beschl. v. 4.8.2006 ‒ 6 U 79/06, zfs 2006, 640 = juris Rn. 7).
41
c) Entgegen dem Ansatz der Beklagten fehlt es auch nicht am zurechenbaren, gesetzlich vermuteten Verschulden des Agenten (§ 6 Abs. 5 Satz 2 VVG, § 278 BGB). Im vorliegenden Einzelfall musste sich jedem Agenten aufdrängen, die Klägerin auf die Tresor- / Verschlussklausel hinzuweisen. Dies wäre auch unschwer möglich gewesen. Der Agent durfte sich auch nicht darauf verlassen, dass eine Rechtsprechung gäbe, die einen Hinweis stets für entbehrlich hielte. Sie existierte, wie aufgezeigt, nicht. Im Gegenteil: Hätte er sich informiert oder wäre er von der Beklagten zutreffend geschult worden, hätte er den vorgenannten Entscheidungen ohne weiteres entnehmen können, dass in gewissen Situationen ‒ wie der vorliegenden ‒ gesondert auf die Tresor- / Verschlussklausel hinzuweisen sein kann.
42
d) Die Schlechtberatung ist auch kausal für den eingetretenen Schaden von 31.000,00 EUR geworden. Es bestehen keine Zweifel an der Feststellung des Landgerichts, dass die Klägerin bei entsprechender Aufklärung ein Schließfach angemietet und Wertsachen dorthin verbracht hätte, soweit die Grenze der Tresor- / Verschlussklausel überschritten war.
43
Hiervon hat sich der Senat selbst im Rahmen der persönlichen Anhörung der Klägerin überzeugen können (§ 286 ZPO). Dafür spricht insbesondere auch, dass die Klägerin bereits einen Tag nach dem Einbruch tatsächlich einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen hat (vgl. Anlage zur Berufungserwiderung, eGA II-72 ff.). Dass die Klägerin nur einen Tag nach dem Einbruch ein Schließfach angemietet hat, was die Beklagte mit Nichtwissen bestritten hat, ist durch den vorgelegten Mietvertrag, dessen Echtheit nicht bestritten ist, belegt und steht auch aufgrund der persönlichen Angaben der Klägerin im Senatstermin fest (§ 286 ZPO).
44
e) Entgegen dem Ansatz des Landgerichts muss sich die Klägerin jedoch die zusätzlichen Kosten für die Anmietung (84,50 EUR jährlich) und Versicherung (52,22 EUR jährlich) eines Schließfaches anrechnen lassen, hier für zwei Jahre (= 273,44 EUR).
45
f) Der Klägerin fällt auch kein Mitverschulden zur Last (§ 254 BGB).
46
Dies kommt in einer Beratungssituation wie der vorliegenden nur ausnahmsweise in Betracht (vgl. nur jeweils m. w. N. zum Versicherungsmakler BGH Urt. v. 30.11.2017 ‒ I ZR 143/16, r+s 2018, 222 Rn. 20 ff. sowie entsprechend für den Versicherer Rudy in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2019, § 6 Rn. 64; Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 3. Aufl. 2015, § 18a Rn. 41; siehe auch zur [vormals] gewohnheitsrechtlich anerkannten Erfüllungshaftung BGH Urt. v. 20.6.1963 ‒ II ZR 199/61, BGHZ 40, 22 = juris Rn. 6).
47
Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben, da die Klägerin im Hinblick auf die geschilderten konkreten Umstände des Antragsgesprächs darauf vertrauen konnte und nicht anhand der AVB überprüfen musste, dass der von ihr wertmäßig gegenüber dem Agenten bezifferter Schmuck ohne weitere Einschränkungen versichert war.
48
49
50
III.
51
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1, Satz 2, § 709 Satz 2 ZPO.
52
IV.
53
Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Aus den oben genannten Gründen steht die Entscheidung des Senats mit der obergerichtlichen Rechtsprechung in Einklang.
RechtsgebietVVGVorschriftenVVG § 6