08.01.2021 · IWW-Abrufnummer 219808
Oberlandesgericht Dresden: Urteil vom 26.10.2020 – 4 W 640/20
1. Veranlassung zur Klage nach einem Verkehrsunfall gibt der Haftpflichtversicherer erst dann, wenn er sich im Zeitpunkt der Klageerhebung in Verzug befindet; hierfür bedarf es nicht nur einer Schadensaufstellung, sondern auch einer sich anschließenden Mahnung.
2. Unabhängig hiervon ist dem Versicherer mit Zugang der Schadensmeldung eine angemessene Prüffrist zuzubilligen, die regelmäßig vier bis sechs Wochen beträgt, abhängig von den Umständen des Einzelfalls aber auch länger laufen kann.
3. Bietet der Geschädigte dem Versicherer an, ihm Einsicht in eine bei ihm vorliegende Ermittlungsakte zu verschaffen, ist der Lauf der Prüffrist solange gehemmt, bis diese Akte dem Versicherer vorliegt.
Oberlandesgericht Dresden
Beschluss vom 26.10.2020
Az.: 4 W 640/20
In Sachen
K...... I......, ...
- Klägerin und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B......, ...
gegen
1. K...... P......, ...
- Beklagter und Beschwerdegegner -
2. xxx Versicherung AG, ...
vertreten durch den Vorstand
- Beklagte und Beschwerdegegnerin -
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte K......, ...
wegen Schadensersatz
hier: Kostenbeschwerdehat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S......,Richterin am Oberlandesgericht P...... und
Richterin am Oberlandesgericht Z......
ohne mündliche Verhandlung am 26.10.2020 beschlossen:
Tenor:
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin hat ursprünglich von den Beklagten (die Beklagte zu 2. ist Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 1.) Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 23.11.2019 verlangt. Mit Schreiben vom 02.12.2019 bat sie um Bestätigung der Einstandspflicht und bezifferte den von ihr "derzeit" geltend gemachten Schaden auf 7.181,51 €. Am 04.12.2019 teilte die Beklagte zu 2.) mit, sie habe noch Akteneinsicht in die polizeiliche Ermittlungsakte erbeten. Mit Schreiben vom 06.01.2019 bot der anwaltliche Vertreter der Klägerin an, die ihm bereits vorliegende Ermittlungsakte der Beklagten zu 2.) zu übermitteln und erklärte zugleich, er habe die Ansprüche seiner Mandantschaft ausdrücklich anzumahnen. Am 10.01.2020 erweiterte die Klägerin ihre Schadensersatzforderung um Zulassungs- und Mietwagenkosten auf nunmehr 9.953,14 €. Die mit der seit dem 23.1.2020 anhängigen Klage geltend gemachten Ansprüche hat die Beklagte zu 2) mit Zahlungseingang am 27.01.2020 beglichen. Am 20.02.2020 erklärte die Klägerin Klagerücknahme unter Verwahrung gegen die Kostenlast. Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen Beschlusses (Bl. 42 ff d.A.) verwiesen.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde vertritt die Klägerin die Auffassung, die in der Rechtsprechung den Versicherern allein zugebilligte Prüffrist von 4 bis 6 Wochen habe die Beklagte verstreichen lassen, da von der ersten Schadensgeltendmachung bis zur Klageeinreichung siebeneinhalb Wochen vergangen seien. Trotz der Bereitschaft zur Übersendung der Ermittlungsakte im Schreiben vom 06.01.2020 habe die Beklagte zu 2.) nicht auf ein weiteres Zuwarten durch die Klägerin vertrauen dürfen. Denn in demselben Schreiben sei ein ernsthaftes Zahlungsverlangen zum Ausdruck gebracht worden.
II.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist nach §§ 269 Abs. 5, 567 ZPO zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt worden. Sie ist in der Sache aber unbegründet.
Zu Recht hat das Landgericht der Klägerin die Kosten auferlegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Die Beklagten haben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles keine Veranlassung zur Klage im Sinne des § 269 ZPO gegeben. Eine solche Klageveranlassung setzt nach allgemeiner Auffassung voraus, dass sich ein Beklagter vor Prozessbeginn so verhält, dass die Klägerseite berechtigterweise annehmen muss, ohne Klage nicht zu ihrem Recht zu kommen (zahlreiche Rechtsprechungsnachweise bei Zöller-Herget, ZPO, 33. Aufl., § 93 Rn. 1 i.V.m. § 269 Rn. 18 c). Werden Haftpflichtansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend gemacht, liegen diese Voraussetzungen nur vor, wenn sich die Versicherung zum Zeitpunkt der Klageerhebung in Verzug befindet und eine ihr zuzubilligende Prüffrist verstrichen ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.02.2018 - 22 W 2/18; Zöller, a.a.O.; § 93 Rz. 6.54 m.w.N.).
1. Vorliegend befand sich die Beklagte zu 2) nicht bereits infolge des Schreibens vom 02.12.2019 (K 7) in Verzug. Der Verzug des Schuldners setzt nämlich gemäß § 286 BGB neben der Fälligkeit der Forderung eine eindeutige und bestimmte Leistungsaufforderung durch den Gläubiger voraus. Auch wenn es einer Fristsetzung grundsätzlich nicht bedarf, muss der Schuldner genau erkennen können, was der Gläubiger verlangt (BGH Urteil vom 17.10.2008 - V ZR 31/08 Herberger/Martinek/Rüßmann, juris-PK 9. Aufl. 2020, § 286 Rz. 13 f.); zulässig ist es, die Mahnung mit der die Fälligkeit begründenden Handlung zu verbinden (Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 286, Rz. 16).
a) Da gem. § 271 BGB eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist, kann der Unfallgeschädigte die Leistung sofort verlangen, wenn er seinen Schaden ordnungsgemäß spezifiziert und in nachprüfbarer Form belegt hat. Ob dem Schreiben vom 2.12.2019 und der dortigen Schadensaufstellung ausreichende Belege beigefügt waren, obwohl mit diesem Schreiben lediglich das Gutachten der TÜV Auto Service GmbH übersandt wurde, kann hier dahinstehen. Die dortige Schadensaufstellung reichte für einen Verzugseintritt der Beklagten zu 2) nicht aus. Um die Versicherung wirksam in Verzug zu setzen, bedarf es nicht nur einer ordnungsgemäß spezifizierten und nachprüfbar belegten Schadensaufstellung, sondern zusätzlich einer sich anschließenden Mahnung (OLG Frankfurt, Beschluss vom 06. Februar 2018 - 22 W 2/18 -, Rn. 11 - 13, juris). Dies setzt eine eindeutige Aufforderung zur Leistung voraus, die zwar nicht mit der Androhung von Rechtsfolgen versehen sein, jedoch über eine bloße Fälligstellung oder die Aufforderung, sich grundsätzlich zur Einstandspflicht zu erklären, hinausgehen muss (Palandt-Grüneberg, a.a.O. § 286 Rn. 17 m.w.N. aus der Rspr.).
b) Die hier nicht einmal mit einer Fristsetzung verbundene Bitte an die Beklagte zu 2), die Einstandspflicht dem Grunde nach zu bestätigen und den errechneten Betrag zu überweisen, stellt keine Mahnung im Sinne des § 286 Abs. 1 BGB dar, sondern führte lediglich im Umfang der Bezifferung die Fälligkeit der Forderung herbei. Dass vorliegend einer der Ausnahmetatbestände des § 286 Abs. 2 BGB vorgelegen hätte, behauptet auch die Klägerseite nicht. Eine Mahnung war insbesondere auch nicht deswegen entbehrlich, weil die Beklagte zuvor die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hätte (§ 286 Abs. 2 Ziff. 3 BGB).
c) Eine eindeutige Leistungsanforderung ist erst im Schreiben vom 06.01.2020 mit der Erklärung, Ansprüche ausdrücklich "anzumahnen", für die Forderung in Höhe von 7.181,51 EUR und im Schreiben vom 10.01.2020 durch den Hinweis auf den zwischenzeitlich erteilten Klageauftrag für den Restbetrag zu sehen.
3. Die Beklagte zu 2) ist gleichwohl vor Klageerhebung nicht in Verzug geraten. Denn nach allgemeiner und zutreffender Auffassung ist dem Schuldner bei der Regulierung eines Haftpflichtschadens eine angemessene Frist zur Prüfung von Grund und Umfang der Ersatzpflicht zuzubilligen. Vor Ablauf dieser Prüfungsfrist tritt - trotz eventueller vorheriger Mahnung - Verzug gemäß § 286 Abs. 4 BGB nicht ein.
a) Zwar beginnt diese Prüffrist nicht erst mit Verzugseintritt, sondern bereits mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens (Freymann/Rüßmann in Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR 1. Aufl. § 249 BGB Rn. 277; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 10. November 2017 - 4 W 16/17 -, Rn. 10, juris), vorliegend mithin bereits mit Ablauf des 02.12.2019. Im Rahmen einer Gesamtabwägung sind jedoch alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, zu denen auch das Verhalten des Geschädigten und des von ihm beauftragten Rechtsanwalts gehören. Auch wenn ein Versicherer die Prüfung eines Schadens, für den er einzustehen hat, tunlichst beschleunigen muss, gibt es für die Länge der Prüfungsfrist keine festen oder starren Regeln (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 10. November 2017 - 4 W 16/17 -, Rn. 12, juris; Urteil vom 27. Februar 2007 - 4 U 470/06 -, juris). Im hiesigen Gerichtsbezirk hat sich eine Regelfrist von vier bis sechs Wochen herausgebildet (vgl. insoweit OLG Dresden, Urteil vom 29.06.2009 - 7 U 499/09 - juris), die aber nur den Ausgangspunkt der Betrachtungen bilden kann und unter Berücksichtigung des Einzelfalls Abweichungen zugunsten aber auch zu Lasten des Versicherers ermöglicht. Der Senat teilt insbesondere die in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene Auffassung nicht, die Dauer der Prüffrist sei unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts in der Schadensabwicklung bei Inlandsfällen auf maximal vier Wochen zu begrenzen (in diese Richtung OLG Frankfurt Beschluss vom 6.2.2018 - 22 W 2/18 Rn 25 m.w.N.). Diese Auffassung berücksichtigt nicht hinreichend, dass Prüfungszeiträume nicht allein durch Postlaufzeiten, sondern maßgeblich durch die Prüfung in der Sache selbst verursacht werden, wobei davon auszugehen ist, dass die immer weiter ausdifferenzierten höchstrichterlichen Vorgaben zu einzelnen Schadenspositionen und Abrechnungsvarianten umgekehrt auch einen erhöhten inhaltlichen Prüfungsaufwand nach sich ziehen (Schwartz, Entscheidungsanmerkung zu OLG Frankfurt vom 6.2.2018 - 22 W 2/18 vom 22.08.18 - juris).
b) Vorliegend begegnet es im Ergebnis keinen Bedenken, dass das Landgericht die Regelfrist von vier bis sechs Wochen, die für den mit Schreiben vom 02.12.2019 geforderten Betrag am 13.01.2020 abgelaufen wäre, über diesen Zeitraum hinweg verlängert hat und ausgehend hiervon davon ausgegangen ist, dass sich die Beklagten bei Klageerhebung noch nicht in Verzug befanden. Eine Verlängerung der Prüffrist war hier nicht allein wegen der in der Vorweihnachtszeit zu erwartenden feiertagsbedingten Erschwernisse, sondern insbesondere mit Blick auf das Verhalten des Bevollmächtigten des Klägers geboten. Dieser hatte wie ausgeführt im Schreiben vom 2.12.2019 nicht nur keine Zahlungsfrist gesetzt und keine Mahnung ausgesprochen, sondern der Beklagten ausdrücklich noch Hilfe bei der Einsicht in die Ermittlungsakte angeboten und angekündigt, die bezifferte Forderung in Kürze noch zu erweitern, was schon für sich genommen Veranlassung bot, diese Anspruchserweiterung abzuwarten und den Schaden dann einheitlich und abschließend zu regulieren. Erst mit Schreiben vom 6.1.2020 hatte er zu erkennen gegeben, dass er nunmehr auf alsbaldiger Zahlung des bislang bezifferten Betrages bestehe, hatte aber zugleich erneut die Übersendung der Ermittlungsakte angeboten. Ob die vom Versicherer als erforderlich angesehene Einsicht in die Ermittlungsakte grundsätzlich ohne Einfluss auf die Dauer der Prüffrist ist (so OLG Dresden a.a.O; OLG München, Beschluss vom 29.07.2010 - 10 W 1789/10), bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls in Fällen, in denen der Anspruchssteller dem Versicherer ausdrücklich anbietet, diesem die Ermittlungsakte zur Verfügung zu stellen und damit selbst zu erkennen gibt, bis zum Eingang dieser Akte von weiteren Durchsetzungsmaßnahmen Abstand nehmen zu wollen, kann der Versicherer berechtigterweise annehmen, diese Akte vor einer Zahlung auch einsehen und auswerten zu dürfen mit der Folge, dass der Lauf der Prüffrist solange gehemmt ist, bis die Ermittlungsakte bei der Versicherung vorliegt; dies war vorliegend erst am 15.01.2020 der Fall. Dem Rechtsgedanken des § 209 BGB entsprechend kann schon aus diesem Grund der Zeitraum zwischen der Anspruchsanmeldung (02.12.2019) und dem Eingang der Ermittlungsakte bei der Beklagten zu 2) für die Prüffrist keine Berücksichtigung finden. Es tritt hinzu, dass der Kläger mit Schreiben vom 10.01.2020 seine Forderung um Mietwagen- und Zulassungskosten erweitert hatte, was für die Beklagte mit weiterem - angesichts der zur Erstattungshöhe für Mietwagenkosten vertretenen Auffassungen in der Rechtsprechung nicht unerheblichem - Prüfaufwand verbunden war. Schon aufgrund der Erhöhung der Forderung um knapp 1/3 wäre der Kläger auch unabhängig hiervon gehalten gewesen, nicht auf dem Ablauf einer Prüffrist zu bestehen und auf einen ihm erteilten Klageauftrag zu verweisen, sondern der Beklagten eine weitere kurze Prüffrist einzuräumen, zumindest ihr aber mitzuteilen, dass er bei ausbleibender Zahlung gehalten sei, unmittelbar Klage zu erheben. Auch angesichts des bisherigen Schriftverkehrs mit der Beklagten, die zu keinem Zeitpunkt eine Regulierung abgelehnt hatte, durfte er demgegenüber am 23.01.2020 angesichts dieser Umstände noch nicht davon ausgehen, ohne Klage nicht zu seinem Recht zu kommen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Beschwerdewertes berücksichtigt das Kosteninteresse der Klägerin und beruht auf § 3 ZPO.