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15.01.2021 · IWW-Abrufnummer 219942

Finanzgericht Münster: Urteil vom 10.12.2020 – 3 K 420/20 Erb

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Münster


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1

Tatbestand

2

Streitig ist, ob die Klägerin die Steuerbefreiung für ein Familienheim gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) trotz ihres Auszugs aus dem Objekt beanspruchen kann.

3

Die Klägerin beerbte ihren am 10.03.2017 verstorbenen Ehemann, Herrn T. V., zur Hälfte. Zu ihrem Erwerb von Todes wegen gehörte das hälftige Miteigentum am Einfamilienhaus E-Straße 3 in C-Stadt, das sie gemeinsam mit ihrem Ehemann bewohnt hatte. Sie blieb dort nach dessen Tod zunächst weiterhin wohnen. Mit notariellem Vertrag vom 06.12.2018 veräußerte sie die Immobilie und verpflichtete sich zugleich zur Räumung bis zum 31.03.2019 (UR-Nr. 591/2018 des Notars F. E. in C-Stadt). Am 10.04.2019 meldete sie sich in die Anschrift B-Straße 8 in C-Stadt um. Die von ihr dort bewohnte neu errichtete Eigentumswohnung hatte sie mit Vertrag vom 22.01.2018 vor Fertigstellung erworben.

4

In ihrer Erbschaftsteuererklärung vom 28.11.2017 (Anlage Steuerbefreiung Familienheim (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b oder 4c ErbStG)) bezifferte sie den Grundbesitzwert des Familienheims auf 592.568 EUR.

5

Am 16.02.2018 erging erstmals ein Erbschaftsteuerbescheid, welcher unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) stand. Im März 2018 reichte die Klägerin ein Verkehrswertgutachten des Dipl.-Ing. E. T. vom 12.03.2018 ein, ausweislich dessen das gesamte Objekt E-Straße 3 in C-Stadt am Wertermittlungsstichtag 07.04.2017 einen Verkehrswert von 477.000 EUR hatte.

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Der Beklagte änderte die Erbschaftsteuerfestsetzung mit Bescheid vom 19.09.2019 nach § 164 Abs. 2 AO auf einen Betrag von 321.685 EUR; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Ausweislich der Erläuterungen zu diesem Bescheid wurde für das ehemalige Familienheim E-Straße 3 in C-Stadt keine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG gewährt. Der Wertansatz sei mit dem Gutachterwert von 477.000 EUR erfolgt. Inländischer Grundbesitz sei mit dem geschätzten Grundbesitzwert angesetzt worden. Nach Vorliegen des Feststellungsbescheids über einen abweichenden Grundbesitzwert werde der Steuerbescheid von Amts wegen geändert. Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b bzw. 4c ErbStG falle mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von 10 Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst als Eigentümer nutze, es sei denn, dass er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert sei.

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Den hiergegen erhobenen Einspruch begründete die Klägerin insbesondere damit, dass sie im Todeszeitpunkt bereits hälftige Miteigentümerin des Objekts gewesen sei und sie aus objektiv zwingenden Gründen an der weiteren Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert gewesen sei. Sie sei bereits früher wegen depressiver Auffälligkeiten ärztlich behandelt worden. Nach dem Tod des Ehemannes habe sie wieder unter Depressionen gelitten. Ein Verbleib im Haus sei aus medizinischer Sicht nicht angebracht gewesen. Die Klägerin reichte hierzu eine „Ärztliche Stellungnahme“ von Herrn Dr. med. B. G. aus C-Stadt vom 09.09.2019 ein, ausweislich derer die Klägerin nach dem Tod ihres Mannes regelmäßig unter Angstzuständen und emotionalen Belastungen leide, welche durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses aggraviert würden. Ein weiteres Leben dort sei aus medizinischer Sicht nicht angebracht, da weitere psychische Folgeschäden drohten.

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Während des Einspruchsverfahrens wurde der Erbschaftsteuerbescheid am 18.10.2019 geändert und die Erbschaftsteuer auf 268.903 EUR herabgesetzt, wobei der hälftige Wert des Familienheimes mit 201.753 EUR berücksichtigt wurde, angelehnt an die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 10.03.2017 für Zwecke der Erbschaftsteuer vom 02.10.2019. Diese gesonderte Feststellung änderte das beklagte Finanzamt mit Bescheid vom 27.11.2019, in welchem es das ganze Objekt mit 332.991 EUR bewertete.

9

Dementsprechend verminderte der Beklagte die Erbschaftsteuerfestsetzung in der Einspruchsentscheidung vom 16.01.2020 auf 262.215 EUR unter Berücksichtigung eines hälftigen Wertes des streitgegenständlichen Objekts von 166.495 EUR. Er wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die Steuerbefreiung für das Familienheim sei nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 i. V. m. Satz 5 ErbStG entfallen, weil die Klägerin es innerhalb des Zehnjahreszeitraums mit Vertrag vom 06.12.2018 veräußert und damit die Eigentümerstellung auf einen Dritten übertragen habe.

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Im Klageverfahren wiederholt und vertieft die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Sie erläutert, ihr Ehemann sei für sie überraschend verstorben. Nach seinem Tod habe sich ihre gesundheitliche Situation zusehends verschlechtert. Sie habe Depressionen bekommen. Insbesondere der Umstand, dass ihr Ehemann in dem Haus verstorben sei, in dem sie fortan allein gelebt habe, sei für sie nicht zu verkraften gewesen. Nach einer weiteren Verschlechterung ihres Gesundheitszustands im Jahr 2018 habe sie sich auf ärztlichen Rat hin entschlossen, aus dem Haus auszuziehen und es zu veräußern. Damit sei sie aus zwingenden Gründen an einer weiteren Selbstnutzung des Familienheims gehindert gewesen. Der Umzug in die Eigentumswohnung sei nicht zwingend gewesen; sie hätte diese ohne Probleme vermieten können.

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Die Klägerin beantragt,

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den Erbschaftsteuerbescheid auf den 10.03.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.10.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 06.01.2020 dahingehend zu ändern, dass für den hälftigen Miteigentumsanteil am Objekt E-Straße 3 in C-Stadt eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG berücksichtigt wird,

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hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

16

Der Beklagte vertritt die Auffassung, die psychische Erkrankung der Klägerin stelle keinen zwingenden Grund im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG dar. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Klägerin das selbständige Führen ihres Haushalts in dem Familienwohnheim unmöglich gewesen sei. Sie habe dort noch ca. 2 Jahre nach dem Todesfall gelebt und mit dem Umzug zugewartet, bis die neu errichtete Eigentumswohnung fertiggestellt worden sei. Der Beklagte nimmt zudem Bezug auf die Urteile des FG Münster vom 31.01.2013, 3 K 1321/11 Erb, EFG 2013, 715, und des Hessischen FG vom 10.05.2016, 1 K 877/15, juris.

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Entscheidungsgründe

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Der Erbschaftsteuerbescheid auf den 10.03.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.10.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 16.01.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

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1. Für den hälftigen Miteigentumsanteil am Objekt E-Straße 3 in C-Stadt hat der Beklagte zu Recht keine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG berücksichtigt, weil der Nachversteuerungstatbestand des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG erfüllt war.

20

Steuerfrei bleibt nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG u.a. der Erwerb von Todes wegen des Miteigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes durch den überlebenden Ehegatten, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat und die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim). Die Steuerbefreiung fällt nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert.

21

Im Streitfall entfiel die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG.

22

Erstens war die Klägerin, als sie die Nutzung des Familienheims zu eigenen Wohnzwecken innerhalb des Zehnjahreszeitraums aufgab, nicht aus zwingenden Gründen im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG an einer Selbstnutzung gehindert. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Depressionserkrankung und der Umstand, dass ihr Ehemann in dem Familienheim verstorben war, die Klägerin psychisch ganz erheblich belastet haben. Das genaue Ausmaß dieser psychischen Belastung, das sich aus der eingereichten ärztlichen Stellungnahme nicht ohne weiteres ergibt, brauchte der Senat jedoch nicht weiter aufzuklären. Denn selbst wenn diese ‒ was nicht fernliegend erscheint ‒ ein so hohes Maß erreicht hätte, wie es für einen als zwingend anzusehenden Grund im Sinne dieser Vorschrift notwendig ist, führte sie jedenfalls nicht dazu, dass diese Erkrankung die Klägerin im Streitfall an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert hätte.

23

Denn § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG ist dahingehend eng auszulegen, dass als „zwingende Gründe“ im Sinne dieser Vorschrift nur solche in der Person des Erwerbes liegende Gründe in Betracht kommen, die das Führen eines Haushalts schlechthin ‒ nicht nur im Familienheim ‒ unmöglich machen. § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG unterliegt erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, die letztlich eine enge Auslegung der Norm gebieten. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen sind auch bei der Auslegung und Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften im Einzelfall zu beachten (vgl. BFH, Urteil vom 18.07.2013, II R 35/11, BFHE 242, 153, BStBl II 2013, 1051 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 28.10.1997, 1 BvR 1644/94, BVerfGE 97, 1). Ausweislich der Gesetzesbegründung (Bericht des Finanzausschusses, BT Drucks. 16/11107, Seite 8) dient die Regelung dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums. Jedoch muss der Gesetzgeber bei der Steuerfreistellung des zur individuellen Lebensgestaltung bestimmten Vermögens Grundeigentümer und Inhaber anderer Vermögenswerte in einem gleichen Individualbedarf steuerlich gleichbehandeln (BVerfG, Beschluss vom 22.06.1995, 2 BvL 37/91, BStBl II 1995, 655, BVerfGE 93, 121). Der Senat teilt die Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit diesem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, wie sie der BFH in seinem Urteil vom 03.06.2014, II R 45/12, BFHE 245, 374, BStBl. II 2014, 806, zum Ausdruck gebracht hat.

24

Die Formulierung in dem als Rückausnahme zum Nachversteuerungstatbestand konzipierten Halbsatz 2 des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG, dass der Erwerber „aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ ist, ist deshalb restriktiv zu interpretieren. Auch die Ausführungen des Finanzausschusses, dass der Wegfall der Steuerbefreiung dann nicht eintreten solle, wenn zwingende, objektive Gründe vorliegen, die das selbständige Führen eines Haushalts in dem erworbenen Familienwohnheim unmöglich machen, z. B. eine entsprechende Pflegebedürftigkeit oder Tod, sprechen dafür, dass es nur in den Fällen ausnahmsweise nicht nur Nachversteuerung kommen soll, wenn dem Erwerber das Führen eines eigenen Haushalts schlechthin nicht möglich ist (vgl. FG Münster, Urteil vom 31.01.2013, 3 K 1321/11 Erb, EFG 2013, 715; offen gelassen durch Hessisches FG, Urteil vom 10.05.2016, 1 K 877/15, juris).

25

Im Streitfall mögen die psychischen Probleme der Klägerin einer eigenen Haushaltsführung in dem konkreten Familienheim möglicherweise entgegengestanden haben. Wie der Umzug in die Eigentumswohnung zeigt, war es ihr jedoch nicht unmöglich, schlechthin einen eigenen Haushalt zu führen.

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Zweitens greift im Streitfall der Nachversteuerungstatbestand des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG auch deshalb ein, d.h. die Steuerbefreiung entfiel, weil die Klägerin das Familienheim mit notariellem Vertrag vom 06.12.2018 innerhalb des Zehnjahreszeitraums veräußerte. Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 28.09.2016, 3 K 3757/15 Erb, EFG 2016, 2077, ‒ dort im Falle einer Fortnutzung zu eigenen Wohnzwecken ‒ entschieden hat, ergibt die Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG nach Sinn und Zweck der Norm und unter Berücksichtigung systematischer Gesichtspunkte, dass die Steuerbefreiung auch dann entfällt, wenn der Erwerber das Eigentum am Familienheim auf Dritte überträgt, unabhängig davon, ob er das Familienheim weiter selbst zu Wohnzwecken nutzt. Dieser Auffassung ist der BFH in seiner Revisionsentscheidung vom 11.07.2019 II R 38/16, BFHE 265, 437, BStBl. II 2020, 314, im Ergebnis gefolgt. Der erkennende Senat schließt sich den Ausführungen des BFH in seiner Entscheidung an. Danach wäre eine konsequente Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG nicht gegeben, wenn für die Bewilligung der Steuerbefreiung ein Eigentums- oder Miteigentumserwerb gefordert, bei Aufgabe des Eigentums oder Miteigentums aber auf eine rückwirkende Versagung der Befreiung verzichtet würde. Im Fall der Veräußerung des Grundbesitzes ist es aus Sicht des Senats besonders augenfällig, dass der Gesetzeszweck, das Familiengebrauchsvermögen nicht nur wertmäßig sondern gegenständlich zu schützen, nicht mehr erreicht werden kann und die Rechtfertigung der Steuerbefreiung deshalb entfallen ist.

27

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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3. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

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