21.06.2006 · IWW-Abrufnummer 061804
Oberlandesgericht München: Urteil vom 06.04.2006 – 1 U 4142/05
1. Offenbart ein Arzt, der zufällig am Unglücksort anwesend ist und einem Unfallopfer Erste Hilfe leistet, seinen Beruf, lässt dies noch nicht den Rückschluss auf den Abschluss eines Behandlungsvertrages mit dem Unfallopfer oder anwesenden Angehörigen zu.
2. Dem Arzt kommt in dieser Situation - ebenso wie jedem Dritten - das Haftungsprivileg des § 680 BGB zugute. Die im Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätze zur Beweislastumkehr bei groben Behandlungs- oder Diagnosefehlern finden keine Anwendung.
Aktenzeichen: 1 U 4142/05
Verkündet am 06.04.2006
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
wegen Schmerzensgeld u.a.
erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht V., den Richter am Oberlandesgericht N.und die Richterin am Oberlandesgericht W. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2006 folgendes
Endurteil:
Tenor:
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts T. vom 8.6.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die am 03.05.1999 geborene Klägerin fordert vom Beklagten Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen behaupteter fehlerhafter Behandlung nach einem Ertrinkungsunfall.
Am 24.03.2001 gegen 11.30 h hielt sich die damals knapp zweijährige Klägerin im Anwesen ihrer Eltern in der S.straße 41 in B. auf und spielte im gemeinsamen Hofraum des elterlichen Hauses und des Nachbaranwesens der Familie Sch. Der nicht eingezäunte Hofraum liegt ca. 50 Meter vom Ufer des Chiemsees entfernt am oberen Ende einer leicht abschüssigen Wiese. Der See hatte an diesem Tag einen erhöhten Wasserspiegel, so dass ein Teil der Wiese unter Wasser stand. Die Wassertemperatur betrug 8 Grad Celsius. Gegen 11.50 h bemerkte die Mutter der Klägerin, dass die Klägerin verschwunden war. Gemeinsam machten sich die Mutter und die Großtante der Klägerin, die Zeugin Sch., auf die Suche nach dem Kind. Um ca. 12 Uhr fand die Großtante die Klägerin bewusstlos etwa 3 Meter vom Ufer entfernt mit dem Gesicht unter Wasser im Chiemsee treiben. Sie holte die Klägerin aus dem Wasser und rief um Hilfe. Der Beklagte, ein niedergelassener Gynäkologe, der sich zufällig in der Nähe bei seinem Boot aufhielt, bemerkte die Hilferufe und eilte hinzu. Er gab sich als Arzt zu erkennen und untersuchte die Klägerin. Er hielt deren Kopf schräg nach unten und strich den Oberkörper von unten nach oben aus, worauf hin Wasser aus dem Mund und orangefarbener Schaum aus der Nase der Klägerin herauslief. Der Beklagte entfernte Schaum aus der Nase des Kindes, fühlte mehrfach den Puls und die Temperatur und schaute in die Pupillen, die weit und starr waren. Die stark unterkühlte Klägerin atmete nicht, sie hatte keinen tastbaren Puls mehr und fühlte sich an, "wie eine kalte Wachspuppe". Aufgrund des Zustandes der Klägerin glaubte der Beklagte, die Klägerin sei tot. Er teilte dies den anwesenden Angehörigen und Nachbarn mit und unternahm keine weitere Reanimation.
Die Klägerin wurde daraufhin von ihrer Mutter ins Haus getragen. Um 12.10 h trafen von Nachbarn um 12.02 h alarmierte Mitarbeiter der Wasserwacht ein. Sie führten Wiederbelebungsversuche bei der Klägerin durch, ohne dass diese das Bewusstsein wiedererlangte oder das Herz wieder zu schlagen begann. Erst dem Notarzt, der gegen 12.16 h vor Ort eintraft, gelang es durch Gabe von Suprarenin, eine Herzaktion bei der Klägerin auszulösen. Anschließend wurde die intubierte und beatmete, komatöse Klägerin mit dem Hubschrauber in das Kreiskrankenhaus T. gebracht. Die im Krankenhaus gemessene Körpertemperatur der Klägerin betrug 28,8 Grad Celsius. Etwa 14 Tage nach dem Vorfall erwachte sie nach intensivmedizinischer Versorgung aus dem Koma. Infolge des Sauerstoffmangels hat sie einen hypoxischen Hirnschaden erlitten. Sie ist bis heute stark behindert und pflegebedürftig, leidet insbesondere an einer schweren Tetraspastik, Schmerzzuständen und Sehstörungen.
Ein gegen den Beklagten eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung wurde von der Staatsanwaltschaft T. mit Beschluss vom 12.12.2001 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Az. 201 Js 16016/01).
Die Klägerin hat in 1. Instanz vorgetragen, ihre Mutter habe sie noch um 11.47 h gesehen. Sie habe allenfalls wenige Minuten im Wasser gelegen, bevor man sie gefunden habe. Hätte der Beklagte die Klägerin bis zum Eintreffen der Wasserwacht reanimiert, wäre der Unfall für die Klägerin folgenlos geblieben; zumindest habe sich ihr Gesundheitszustand durch die unterlassene Reanimation exponentiell verschlechtert. Der Beklagte sei im Rahmen eines konkludent geschlossenen Behandlungsvertrages tätig geworden. Er trage die Beweislast dafür, dass die Gesundheitsschäden der Klägerin nicht Folge der fehlerhaften Behandlung seien. Denn seine gesamte Vorgehensweise sei grob fehlerhaft gewesen. Er habe einen groben Diagnosefehler begangen, da er Reanimationsmaßnahmen unterlassen habe, obwohl er ohne sichere Todeszeichen und ohne klinische Untersuchung den Tod der Klägerin nicht zuverlässig habe feststellen k önnen. Dies zähle zum ärztlichen Basiswissen, zumal der Beklagte als niedergelassener Arzt ärztlichen Notfalldienst zu leisten habe. Zugleich habe der Beklagte einen groben Behandlungsfehler begangen, indem er die indizierten Reanimationsmaßnahmen unterlassen habe. Selbst von Laien werde in dieser Situation eine Reanimation nach den ABC-Regeln (Atemwege freimachen, Beamtung durchführen und Zirkulation des Blutes durch Herzdruckmassage anregen) verlangt. Das vom Beklagten durchgeführte Ausstreifen und Bearbeiten der Nase der Klägerin sei ebenfalls grob falsch gewesen. Auch habe der Beklagte unterlassen, Befunde zu erheben. Wäre eine Abklärung erfolgt, hätte sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so gravierender Befund ergeben, dass die Verkennung bzw. Nichtreaktion wiederum als grob fehlerhaft einzustufen sei.
Außerdem hätten sich die Anwesenden auf den vermeintlich sachkundigen Beklagten verlassen. Er habe gegenüber diesen eine Mund-zu-Mund-Beatmung ausdrücklich unter Hinweis auf seine ärztlichen Kenntnisse abgelehnt. Auch insoweit trage der Beklagte die Verantwortung dafür, dass die Klägerin nicht sogleich reanimiert worden sei. Im Übrigen seien die Pflichten des Arztes stets die gleichen, egal ob er einen Behandlungsvertrag schließe, zu einem Unglücksort gerufen werde oder zufällig bei einem Notfall Hilfe leiste. Ein zurechenbares Mitverschulden der Mutter, die nach § 1664 BGB nur die eigenübliche Sorgfalt schulde, scheide aus. Angesichts der erlittenen Gesundheitsschäden sei ein Schmerzensgeld von 100.000 Euro gerechtfertigt. Die Schadensentwicklung sei nicht abgeschlossen. Eine - auch teilweise - Bezifferung der Schäden sei der Klägerin derzeit nicht zumutbar.
Die Klägerin hat zuletzt in 1. Instanz beantragt,
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aufgrund des Ertrinkungsunfalls vom 24.03.2001 ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden, die aus dem Ertrinkungsunfall vom 24.03.2001 in B.-M. entstanden sind und künftig entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen.
Der Beklagte hat in 1. Instanz beantragt,
Klageabweisung.
Der Beklagte hat geltend gemacht, er sei aufgrund des körperlichen Zustandes der Klägerin zu dem Schluss gekommen, diese habe längere Zeit im Wasser gelegen und sei ertrunken. Er habe bislang nicht im Notfalldienst gearbeitet, auch nicht vor seiner Facharzttätigkeit als Gynäkologe, die er seit 1980 ausübe. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass ein stark unterkühlter, klinisch toter Patient auch noch nach längerer Zeit erfolgreich reanimiert werden könne. Es sei lediglich als fahrlässig zu bewerten, dass er anhand der von ihm festgestellten Todeszeichen zu einer bedauerlichen Fehleinschätzung gekommen sei. Keinesfalls sei ihm ein grober Fehler vorzuwerfen, wie auch das OLG Hamm in einem vergleichbaren Fall entschieden habe. Ohnehin habe er lediglich entsprechend der allgemeinen Pflicht, in Unglücksfällen Hilfe zu leisten, gehandelt und sei nicht aufgrund eines Behandlungsvertrages tätig geworden. Für die Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze des Arzthaftungsrechts, insbesondere der Beweislastumkehr bei groben Fehlern, sei vorliegend kein Raum. Selbst bei optimaler Reanimation wäre außerdem nicht gewährleistet gewesen, dass der erlittene Gehirnschaden vermieden worden wäre. Die Klägerin sei wesentlich länger verschwunden gewesen, als nunmehr von der Mutter der Klägerin behauptet. Noch bei der ersten polizeilichen Vernehmung habe die Mutter der Klägerin bekundet, sie habe ihre Tochter zuletzt um 11.27 h gesehen. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin mindestens 10 bis 12 Minuten bewusstlos unter Wasser gelegen habe und allenfalls 2 Minuten lang nicht reanimiert worden sei. Auch den Helfern von der Wasserwacht sei nicht gelungen, Atmung und Herzschlag der Klägerin wieder zu aktivieren. Die Klägerin müsse sich zudem ein überwiegendes Mitverschulden ihrer Mutter zurechnen lassen, da diese ihre Aufsichtspflicht gegenüber der Klägerin verletzt habe. Auch greife die Haftungsfreistellung nach § 106 Abs. 1, Abs. 2 SGB VII, § 2 SGB VII.
Das Landgericht hat nach Erholung fachanästhesiologischer Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. Dr. h.c. Klaus P. und Verwertung der im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren (Az. 201 Js 16016/01) erhobenen Zeugenaussagen und polizeilichen Ermittlungen die Klage mit Urteil vom 08.06.2005 abgewiesen. Das Landgericht hat ausgeführt, dass eine maximalen Liegezeit der Klägerin im Wasser ohne Sauerstoffzufuhr von ca. einer halben Stunde und eine vom Beklagten zu verantwortenden fehlerhaften Nichtdurchführung von Reanimationsmaßnahmen von mindestens 4 Minuten wahrscheinlich sei. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die vierminütige Unterbrechung bzw. Nichtausführung der gebotenen Reanimation ursächlich für den erlittenen Hirnschaden gewesen sei. Eine Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten komme nicht in Betracht, da der Beklagte keine "normale" Behandlung durchgeführt, sondern in seiner Freizeit spontan Hilfe geleistet und hierbei versagt habe. Gemäß § 680 BGB habe er deshalb nur Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Halte ein Arzt, der zu einem Notfallpatienten gerufen werde, diesen irrtümlich für tot und unterlasse er deshalb Wiederbelebungsversuche, müsse entsprechend der Entscheidung des OLG Hamm (Urteil vom 11.1.1999, VersR 2000, 1373) zudem dieser Fehler nicht so schwer wiegen, dass dem Patienten für den Nachweis der Kausalität des Fehlverhaltens Beweiserleichterungen zugute kämen. Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Gegen die Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Sie macht geltend, dass das Landgericht von einem unzutreffenden Zeitablauf ausgegangen sei. Die Klägerin sei wesentlich kürzer im Wasser gelegen, als vom Landgericht angenommen; die Zeitspanne zwischen möglicher und tatsächlich begonnener Reanimation sei dagegen deutlich länger zu bemessen. Zu Unrecht habe die Kammer § 680 BGB herangezogen und trotz der Annahme eines groben Behandlungsfehlers die Beweislastumkehr verneint. § 680 BGB sei schon deshalb nicht anwendbar, da ein konkludenter Behandlungsvertrag geschlossen worden sei. Außerdem komme das Haftungsprivileg des § 680 BGB nicht bei professionellen Nothelfern wie dem Beklagten zum Zuge. Abgesehen davon gelte im Vertrags- und Deliktsrecht für Ärzte ein einheitlicher Haftungsmaßstab. Die Vorgehensweise des Beklagten sei zweifelsohne aus ärztlicher Sicht grob fehlerhaft gewesen, was auch das Landgericht so gesehen habe. Jeder Arzt müsse wissen, dass in der streitgegenständlichen Situation der Tod nicht sicher diagnostizierbar sei und dementsprechend Reanimationsmaßnahmen nicht voreilig aufgegeben werden dürften. Der Beklagte sei deshalb beweispflichtig dafür, dass auch bei zeitnaher Reanimation die gesundheitlichen Schäden der Klägerin nicht vermeidbar gewesen wären. Mit der Entscheidung des OLG Hamm sei der streitgegenständliche Sachverhalt nicht vergleichbar.
Die Klägerin beantragt,
1. Das Urteil des Landgerichts T. vom 08.06.2005, Az. 3 O 667/03 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aufgrund des Ertrinkungsunfalls vom 24.03.2001 ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden, die aus dem Ertrinkungsunfall vom 24.03.2001 in Breitbrunn-Mühlen entstanden sind und künftig entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen.
Der Beklagte beantragt,
Zurückweisung der Berufung.
Der Beklagte bestreitet - wie bereits in 1. Instanz - den Abschluss eines Behandlungsvertrags. Er sei nur der jedem Bürger obliegenden Pflicht, in Notfällen Hilfe zu leisten, nachgekommen. Es ginge nicht an, dass ihm in dieser Situation das Haftungsprivileg des § 680 BGB nicht zugute komme, nur weil er Arzt sei. Er habe die in der Situation möglichen Befunde erhoben und hieraus die Überzeugung gewonnen, dass die Klägerin nicht nur klinisch, sondern auch biologisch tot sei, also nicht mehr reanimiert werden könne. Dies sei kein fundamentaler, sondern nur ein einfacher Diagnosefehler gewesen. Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr seien damit nicht gegeben.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze der Klägerin vom 12.10.2005 (Bl. 130/137 d.A.) und 23.11.2005 (Bl. 159/160 d.A.) sowie des Beklagten vom 17.11.2005 (Bl. 151/158 d. A.).
Im Termin vom 1.12.2005 (Sitzungsniederschrift Bl. 161/169 d. A.) hat der Senat die Mutter der Klägerin und den Beklagten persönlich zu dem Ertrinkungsunfall der Klägerin gehört sowie den Sachverständigen Prof. Dr. med. P. C., einen der Mitverfasser der in 1. Instanz erholten fachanästhesiologischen Gutachten, vernommen.
Mit Schriftsätzen vom 23.01.2006 (Bl. 172/177 d.A.) und 24.3.2006 (Bl. 180/185 d.A.), auf die ebenfalls Bezug genommen wird, hat die Klägerin Einwände gegen die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. C. erhoben und die Erholung eines neuen Sachverständigengutachtens beantragt, hilfsweise Strafanzeige gegen den Sachverständigen wegen Falschaussage erstattet, die Zuleitung der Akten an die Staatsanwaltschaft angeregt und beantragt, das Verfahren auszusetzen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Beklagte hat zwar bei der Hilfeleistung anlässlich des Ertrinkungsunfalls der Klägerin Fehler begangen, insbesondere indem er die Klägerin irrtümlich für biologisch tot hielt und demzufolge nicht weiter reanimiert hat (Ziffer 1). Ob und in welchem Umfang das Fehlverhalten kausal für den eingetretenen Gesundheitsschaden der Klägerin geworden ist, ist jedoch nicht mehr aufklärbar. Es ist möglich, dass das Gehirn der Klägerin durch eine zu lange Sauerstoffunterversorgung bereits zum Zeitpunkt ihrer Rettung aus dem See in dem nunmehr vorliegenden Umfang geschädigt war und dass bei einer zeitnahen Reanimation das neurologische outcome der Klägerin nicht besser gewesen wäre (Ziffer 2). Die Beweislast dafür, dass das Fehlverhalten des Beklagten zu dem geltend gemachten Schaden geführt hat, trifft die Klägerin. Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten liegen nicht vor, denn das Verhalten des Beklagten war nicht grob fehlerhaft (Ziffer 3). Da die Klägerin den Nachweis der Kausalität nicht führen kann, steht ihr unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ein Schmerzensgeldanspruch bzw. ein Anspruch auf Feststellung der Schadensersatzpflicht zu. Die Klage wurde damit zu Recht vom Landgericht abgewiesen.
1. a) Der Beklagte ist nicht aufgrund eines Behandlungsvertrages (§ 611 BGB), sondern aufgrund eines Auftragsverhältnisses (§ 662 BGB) tätig geworden.
Gegen den Abschluss eines Behandlungsvertrages spricht, dass der Beklagte nicht in seiner Eigenschaft als Arzt, sondern wie ein beliebiger Dritter zufällig und überraschend in seiner Freizeit mit einer Notsituation konfrontiert wurde. Rechtlich hatte er keine Wahl, ob er der Klägerin Hilfe leistet oder nicht. Unabhängig von seiner beruflichen Qualifikation war er vielmehr wie jeder am Unfallort Anwesende verpflichtet, sich um die bewusstlose Klägerin zu kümmern (§ 323 c StGB). Im Gegensatz zu einem Arzt, der in seiner Praxis aufgesucht oder als diensthabender Notarzt zu einem Unfallort gerufen wird, verfügte der Beklagte vor Ort auch nicht über besondere ärztliche Hilfsmittel, wie beispielsweise einen Arztkoffer oder medizinische Geräte. Allein aus dem Umstand, dass der Beklagte die Klägerin untersuchte, lässt sich somit nicht schließen, dass er einen Behandlungsvertrag mit der anwesenden Großtante oder der später hinzugekommenen Mutter der Klägerin schließen wollte. Auch die Äußerung des Beklagten, er sei Arzt, ist aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers in der konkreten Situation nicht als Angebot zum Abschluss eines Behandlungsvertrages zu verstehen, sondern als bloßer Hinweis auf eine gewisse Sachkunde. Denn zum einen war vor Ort eine über die Erste Hilfe hinausgehende qualifizierte ärztliche Behandlung nicht möglich. Zum anderen hing - wie dargelegt - die Pflicht zur Hilfeleistung nicht von der Bereitschaft der Beteiligten ab, einen entgeltlichen Vertrag zu schließen. Auch erscheint lebensfremd, dass ein Arzt in einer Situation, in der ein Menschenleben in Gefahr ist und dringend Hilfe benötigt wird, vorsorglich seinen Beruf verschweigen oder seine Fachrichtung und Qualifikation ausdrücklich erläutern muss, um einen Vertragsschluss und daraus resultierende besondere Haftungsrisiken zu vermeiden. In einem Notfall wie dem Streitgegenständlichen lässt der bloße Hinweis eines zufällig anwesenden Arztes auf seinen Beruf somit nicht den Rückschluss zu, dieser wolle einen Behandlungsvertrag mit dem Unfallopfer bzw. dessen gesetzlichen Vertretern abschließen. Die Übernahme der Hilfeleistung im Einvernehmen mit den Angehörigen der Klägerin durch den Beklagten erfolgte vielmehr aufgrund eines unentgeltlichen Auftrags (§ 662 BGB).
b) Unabhängig davon, ob man von einem Auftragsverhältnis oder von einem Behandlungsvertrag ausgeht, hat der Beklagte objektiv und subjektiv sorgfaltspflichtwidrig gehandelt (§ 276 BGB) Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte er erkennen können und müssen, dass er die Chancen der Klägerin auf eine erfolgreiche Reanimation anhand ihres körperlichen Zustandes nicht zuverlässig beurteilen konnte; er hätte vorsorglich Wiederbelebungsversuche nach den sogenannten ABC-Regeln durchführen, also die Atemwege der Klägerin freimachen und anschließend eine Mund-zu-Mund-Beamtung sowie eine Herzdruckmassage durchführen müssen, bis ein Notarzt die Klägerin übernimmt.
Im Einzelnen sind die von der Klägerin zum Vorwurf gemachten Maßnahmen des Beklagten entsprechend der vorliegenden Sachverständigengutachten wie folgt zu beurteilen:
Nicht als fehlerhaft zu werten ist das Befreien der Nase der Klägerin von orangefarbigem Schaum, das sowohl die Mutter der Klägerin als auch der Beklagte bei der Befragung durch den Senat übereinstimmend geschildert haben. Diese Maßnahme hatte die Funktion, die Atemwege frei zu machen und war in der konkreten Situation eine geeignete Maßnahme zur Hilfeleistung.
Fehlerhaft war dagegen, den Kopf der Klägerin nach unten zu halten und die Klägerin "auszustreichen". Ein derartiges Manöver beinhaltet die Gefahr des Erbrechens und der Aspiration von Fremdmaterial in die Lunge. Von ihr wird aus ärztlicher Sicht abgeraten, was dem Beklagten als Arzt hätte bekannt sein können und müssen.
Trotz der vom Beklagten festgestellten körperlichen Anzeichen des klinischen Todes der Klägerin hätte er sodann nicht auf weitere Wiederbelebungsbemühungen verzichten dürfen. Bei unterkühlten Personen können klassische Symptome des klinischen Todes, wie etwa Bewusstlosigkeit, Herz-Kreislaufstillstand, weite lichtstarre Pupillen und fehlender Muskeleigentonus vorliegen, obwohl der Betroffene noch nicht biologisch tot ist und bei zeitgerecht und effizient einsetzenden Wiederbelebungsmaßnahmen noch gerettet werden kann. Zwar ist bei normaler Körpertemperatur nach Eintritt eines Atem- und Kreislaufstillstandes in einem Zeitraum von etwa drei bis fünf Minuten mit dem (biologischen) Tod des Betroffenen zu rechnen, da die sauerstoffmangelempfindlichen Gehirnzellen eine längere Unterversorgung nicht tolerieren. Durch Unterkühlung wird jedoch der Sauerstoffverbrauch insbesondere im zentralen Nervensystem reduziert, was die Überlebenszeit nach einem Herz-Kreislaufstillstand verlängern kann. Hinzu kommt, dass Kinder im kalten Wasser schneller als Erwachsene auskühlen, da sie weniger subcutanes Fettgewebe haben und eine höhere Körperoberfläche im Vergleich zum Körpergewicht. Sie haben auch nach einem längeren Herz-Kreislaufstillstand noch die Chance auf eine erfolgreiche Reanimation. Bei Ertrinkungsopfern sollen deshalb Reanimationsbemühungen durchgeführt werden, sofern nicht mit dem Leben unvereinbare äußere Verletzungen vorliegen, sichere Todeszeichen (wie Fäulnis, Leichenstarre oder Totenflecke) erkennbar sind oder mittels technischer Geräte der Hirntod festgestellt werden kann. Der Beklagte hätte sich somit nicht auf die bei der Klägerin vorhandenen äußeren Anzeichen des Todes verlassen dürfen, da diese keinen zuverlässigen Rückschluss auf den biologischen Tod zuließen.
Dagegen hat der Beklagte - ungeachtet der Frage, ob überhaupt von einem Behandlungsvertrag auszugehen ist - nicht pflichtwidrig die Erhebung gebotener Befunde unterlassen. Der Beklagte hat die Klägerin in der Weise untersucht, wie dies ohne Hilfsmittel vor Ort möglich war. Technische Geräte, mit deren Hilfe feststellbar gewesen wäre, dass die Klägerin noch lebt, standen nicht zur Verfügung. Der Fehler des Beklagten lag nicht darin, dass er auf eine gebotene aufschlussreiche Untersuchung verzichtet hat und ihm deshalb wesentliche Informationen entgangen sind. Seine Fehlleistung erschöpfte sich vielmehr darin, dass er aufgrund der Befunde, die er in der konkreten Situation erheben konnte, eine falsche Diagnose gestellt und deshalb die gebotenen Maßnahmen unterlassen hat. Im Übrigen hat das Fehlverhalten des Beklagten die nachfolgende Untersuchung und Behandlung der Klägerin durch den Notarzt bzw. in der Klinik weder verzögert noch verhindert.
2. Es lässt sich nicht feststellen, dass das fehlerhafte Vorgehen des Beklagten kausal für den Gesundheitsschaden der Klägerin geworden ist. Insbesondere kann nicht ausgeschlossen werden, dass selbst bei Durchführung der gebotenen Reanimation die Klägerin heute in gleicher Weise gesundheitlich beeinträchtigt wäre.
a) Soweit der Beklagte die Klägerin mit dem Kopf nach unten gehalten und "ausgestrichen" hat, ist es ersichtlich nicht zu einer Verwirklichung des damit verbundenen Risikos, nämlich zu einem Erbrechen bzw. einer Aspiration von Fremdmaterial gekommen. Dieser Fehler hat am Gesundheitszustand der Klägerin nichts geändert und ist damit irrelevant geblieben.
b) Ob sich das Unterlassen weiterer Reanimationsmaßnahmen bis zum Eintreffen der Mitarbeiter der Wasserwacht kausal auf den Gesundheitszustand der Klägerin ausgewirkt hat, ist nach allen dem Gericht vorliegenden Sachverständigengutachten nicht feststellbar.
Wie der Sachverständige Prof. Dr. P. in seinen schriftlichen Gutachten vom 16.6.2004 und 29.12.2004 überzeugend dargelegt hat, soll durch Mund-zu-Mund-Beatmung und Herz-Kreislaufmassage bei einem Ertrinkungsopfer ein minimaler Kreislauf und eine minimale Sauerstoffversorgung erzielt werden. Bestenfalls wird dadurch allerdings ein Fortschreiten der Schädigung vermieden. Hoch differenzierte Zellen wie die des zentralen Nervensystems können jedoch bereits nach wenigen Minuten der fehlenden Sauerstoffversorgung Schäden (bis hin zum Zelltod) erleiden, die durch Reanimationsbemühungen nicht reversibel sind.
Die Frage, ob die Klägerin bei Reanimationsbemühungen durch den Beklagten bis zum Eintreffen der Mitarbeiter der Wasserwacht nicht oder nicht in dem Ausmaß unter den Folgen eines hypoxischen Hirnschadens leiden würde, könnte aus medizinischer Sicht nur dann beantwortet werden, wenn bekannt wäre, wie lange die Klägerin unter Sauerstoffmangel gelitten hat, wann der Herz-Kreislaufstillstand eingetreten ist und ob bzw. in welchem Umfang das Gehirn der Klägerin zum Zeitpunkt der ersten möglichen Reanimation durch den Beklagten bereits geschädigt war.
Zum zeitlichen Ablauf des Geschehens gibt es folgende Anhaltspunkte:
Wie sich aus der schriftlichen Aussage des Zeugen Schnorr ergibt, wurde die Klägerin nicht vor 12 h aus dem Chiemsee geborgen. Der Zeuge Schnorr berichtete, er habe den Notruf gewählt, während er beobachtet habe, wie das Kind von der Zeugin Sch. aus dem Wasser gezogen worden sei. Der erste Notruf ging ausweislich der Ermittlungsakten um 12.02 h bei der Polizei ein. Zu der Frage, ab wann die Klägerin verschwunden war, machte deren Mutter variierende Angaben. Im Ermittlungsverfahren gab sie zunächst an, sie habe das Kind noch um 11.27 h im Hofraum bei den Hasen gesehen. Um 11.47 h habe sie im Zusammenhang mit einer Diskussion mit ihrer zweiten Tochter zuletzt auf die Uhr geschaut. Danach habe sie gefragt, wo die Klägerin sei. Bei ihrer zweiten polizeilichen Aussage bekundete die Mutter, sie habe die Klägerin um 11.47 h im Eingangsbereich des Anwesens gesehen. In der Klageschrift vom 28.4.2003 wurde vorgetragen, die Mutter der Klägerin habe ihre Tochter um 11.47 h noch vom Küchenfenster aus im Hof bei den Hasen spielen sehen. Bei der Anhörung im Termin vom 1.12.2005 gab die Mutter der Klägerin an, die Klägerin sei ihrer Schwester ins Haus gefolgt und habe um 11.47 h in der Eingangstür gestanden, während die Schwester auf der Treppe gesessen habe. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehen würde, dass sie von ihrer Mutter noch um 11.47 h im oder am elterlichen Anwesen gesehen worden sei, verbleibt ein Zeitraum von etwa 13 Minuten, in denen die Klägerin verschwunden war. Berücksichtigt man den Weg von ca. 50 Metern zwischen dem elterlichen Haus und dem See, den auch ein kleines Kind binnen 2 Minuten zurücklegen kann, ist nicht ausschließbar, dass die Klägerin von 11.50 h bis 12 h, also 10 Minuten lang, im 8 Grad kalten Wasser lag und nicht mehr atmen konnte und dass frühestens 12.02 h konkrete Wiederbelebungsmaßnahmen durch den Beklagten möglich gewesen wären. Auch anhand der im Krankenhaus gemessenen Körpertemperatur von 28,8 Grad konnte der Sachverständige Prof. Dr. C. keine weitergehenden Aussagen über die Dauer der Liegezeit des Kindes im bzw. unter Wasser machen.
Wie der Senat den vorliegenden schriftlichen Gutachten entnehmen kann, werden in der medizinischen Fachliteratur auch von Unfällen berichtet, in denen stark unterkühlte Kinder nach einem Herz-Kreislaufstillstand von 30 Minuten wieder reanimiert werden konnten und nur geringe bleibende Schäden erlitten hatten. Auf der anderen Seite kann bereits eine vier bis fünf Minuten dauernde vollständige Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn eine schwere bleibende Hirnschädigung verursachen. Auch gibt es keinen linearen Zusammenhang zwischen der Dauer einer Herz-Kreislaufbeeinträchtigung und der resultierenden Schädigung des Gehirns. Es lässt sich weder feststellen, dass bestimmte Funktionen zuerst verloren gehen, noch dass bestimmte Teile des Gehirns jedenfalls intakt bleiben, wenn der Betroffene mehr als vier oder fünf Minuten lang nicht mehr atmen kann. Selbst bei Vorliegen von prognostisch günstigen Faktoren und bei sofort einsetzender suffizienter medizinischer Behandlung ist in einer solchen Konstellation weder ein Überleben noch ein gutes neurologisches outcome garantiert.
Dementsprechend hat der Sachverständige Prof. Dr. C. bei seiner mündlichen Anhörung nochmals betont, dass die Klägerin zwar bei sofortiger Reanimation vermutlich in einem besseren Zustand wäre, als sie jetzt ist. Je länger die Zeit zwischen Herzstillstand und Wiederbelebung sei, umso ungünstiger sei die Lage für die Wiederherstellung normaler Organfunktionen. Insbesondere wegen der individuellen Unterschiede konnte der Sachverständige jedoch keine Aussage dazu treffen, wie der Zustand wäre, wenn mit der Reanimation früher begonnen worden wäre.
Da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Klägerin ab 11.50 h im Wasser lag und dass ihre Atmung ab diesem Zeitpunkt - also 10 bis 12 Minuten lang bis zur möglichen Reanimation durch den Beklagten - unterbrochen war, ist es damit zwar möglich, dass einzelne Gehirnzellen nicht geschädigt oder abgestorben wären, wenn die Klägerin von 12.02 h bis 12.10 h reanimiert worden wäre. Angesichts des langen Zeitraums möglicher Sauerstoffunterversorgung kann die Klägerin trotz günstiger Begleitfaktoren aber auch bereits um 12.02 h einen schweren Hirnschaden erlitten haben. Anhand der sachverständigen Stellungnahmen lässt sich insbesondere auch keine zuverlässige Aussage über eine prozentuale Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin im Falle einer zeitnahen Reanimation treffen oder abgrenzen, welche Teile des Gehirns ohne das Fehlverhalten des Beklagten noch intakt wären.
3. Für die Kausalität zwischen fehlerhafter Vorgehensweise bzw. Unterlassen der gebotenen Maßnahmen und dem eingetretenen Schaden ist die Klägerin beweispflichtig. Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr liegen nicht vor.
a) Die im Zuge des Arzthaftungsrechtes entwickelten Grundsätze zur Beweislastverteilung sind vorliegend nicht anwendbar. Der Beklagte hat - wie dargelegt - keinen Behandlungsvertrag abgeschlossen, sondern er kam zufällig zu einem Unglücksfall, bei dem er uneigennützig diejenige Hilfe geleistet hat, zu der auch jeder Dritte verpflichtet gewesen wäre. Jedem anderen (Nichtarzt) würde in einer solchen Situation zum einen das Haftungsprivileg des § 680 BGB zugute kommen, das nicht nur bei Geschäftsführung ohne Auftrag greift, sondern auch bei der Übernahme eines Auftrags zur Abwendung einer dringenden Gefahr regelmäßig stillschweigend vereinbart wird (vgl. Sprau in Palandt, BGB, 65. Aufl., § 662 BGB, Rn. 11; Seiler in Münchner Kommentar, BGB, 4. Aufl. § 662 BGB, Rn. 56). Zum anderen müsste auch im Falle eines grob fahrlässigen Fehlverhaltens des Helfers der Geschädigte die Beweislast für die Kausalität zwischen Fehler und eingetretenem Schaden tragen.
Bezüglich § 680 BGB ist streitig, ob die Vorschrift auf professionelle Nothelfer wie beispielsweise Notärzte oder Rettungssanitäter anwendbar ist (bejahend z.B. Wittmann in Staudinger, BGB, 13. Aufl., Rn. 1 zu § 680 BGB; Seiler in Münchner Kommentar, § 680 BGB, Rn. 6 m.w.N.; verneinend Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rn. 65; Gehrlein, Leitfaden zur Arzthaftpflicht, Abschnitt A, Rn. 17). Hat ein Arzt oder Sanitäter eine Tätigkeit im Bereich der Notfallmedizin gewählt, sprechen gute Gründe dafür, das Haftungsprivileg des § 680 BGB zu versagen. Denn dieser Personenkreis stellt sich bewusst und gewollt für medizinische Hilfeleistung in Notfällen zur Verfügung und wird dafür bezahlt. Für ihn ist ein Unglücksfall beruflicher Alltag. Dagegen hat ein zufällig am Unglücksort anwesender Arzt nicht die Wahl, ob er Hilfe leistet. Er ist auch nicht auf die Situation vorbereitet. Insoweit mag es noch zumutbar und gerechtfertigt sein, einen Arzt in dieser Situation bezüglich der Anforderungen an den objektiven Sorgfaltsmaßstab an denjenigen Kenntnissen und Fähigkeiten zu messen, über die er berufsbedingt verfügen muss, zumal wenn er - wie vorliegend - zu erkennen gibt, dass er Arzt ist und damit die Anwesenden auf seine Qualifikation vertrauen. Weitergehende Haftungsverschärfungen aus dem Beruf des Helfers abzuleiten, erscheinen jedoch nicht sachgerecht, selbst wenn dieser von sich aus oder auf Nachfrage offenbart, dass er Arzt ist. Ansonsten könnte sich beispielsweise auch ein Arzt, nach dem bei einem Notfall in einem Zug oder einem Flugzeug gesucht wird, nicht mehr als solcher zu erkennen geben, ohne weit reichende Haftungsrisiken einzugehen, wenngleich er andererseits zur Hilfeleistung rechtlich verpflichtet wäre.
Aus den gleichen Erwägungen hält der Senat auch die im Arzthaftungsrecht entwickelten Beweislastgrundsätze vorliegend nicht für anwendbar. Die Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes bei groben Behandlungs- oder Diagnosefehlern ist nach der Rechtsprechung dadurch gerechtfertigt, dass das Aufklärungsgeschehen im Falle eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die Regeln der ärztlichen Kunst in besonderer Weise erschwert worden ist, so dass der Arzt nach Treu und Glauben dem Patienten den vollen Kausalitätsnachweis nicht zumuten kann (vgl. Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. §110, Rn. 2 m.w.N.). Liegt dagegen kein Behandlungsverhältnis vor, sondern leistet ein zufällig am Unfallort anwesender Arzt entsprechend der gesetzlichen Pflicht die Hilfe, die jeder Dritte auch zu erbringen hätte, würde die Anwendung dieser Grunds ätze zu einer sachlich nicht gerechtfertigten und für einen Arzt unvermeidbaren Haftungsverschärfung in Notfällen führen.
b) Selbst wenn man jedoch die Beweislastregeln des Arzthaftungsrechts vorliegend heranziehen würde, hat die Klägerin die Beweislast für die Kausalität zwischen Fehler und eingetretenem Gesundheitsschaden zu tragen. Denn nach dem Ergebnis der Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. C. ist das Fehlverhalten des Beklagten aus ärztlicher Sicht nicht als grober Fehler zu qualifizieren.
Ein grober Behandlungsfehler ist gegeben, wenn ein Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH VersR 2002, 1026, 1027). Ein Diagnosefehler wird nur dann als grober Behandlungsfehler bewertet, wenn es sich um einen fundamentalen Irrtum handelt. Die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, ist dabei hoch anzusetzen (BGH NJW 1981, 2360). Ein fundamentaler Diagnosefehler bzw. Diagnoseirrtum liegt regelmäßig vor, wenn eine Krankheitserscheinung in völlig unvertretbarer Weise gedeutet, elementare Kontrollbefunde nicht erhoben werden oder das diagnostische Vorgehen des Arztes als nicht mehr vertretbar und unverständlich bewertet wird (vgl. OLG Hamm VersR 2002, 315, 316).
Wie dargelegt, war es zweifelsfrei fehlerhaft, dass der Beklagte aus dem körperlichen Zustand der Klägerin den Schluss gezogen hat, diese sei biologisch tot. Aus ärztlicher Sicht ist dies als Diagnosefehler zu qualifizieren. Wie der Sachverständige Prof. Dr. C. bei seiner mündlichen Anhörung dargelegt hat, war der Irrtum des Beklagten jedoch angesichts des körperlichen Zustands der Klägerin nicht schlechthin unverständlich, da die Klägerin klinisch tot war und der Beklagte kein erfahrener Notarzt ist.
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass der Beklagte als niedergelassener Arzt Notfalldienst leisten müsse, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Der Beklagte hat bestritten, jemals im Notfalldienst gearbeitet zu haben, auch nicht vor 1980, dem Beginn seiner Facharzttätigkeit. Er übernimmt nach seinem Bekunden lediglich turnusmäßig Notdienste seiner Fachrichtung. Das bedeutet, dass er außerhalb der normalen Sprechzeiten für Patienten zur Verfügung steht, die einen Facharzt für Gynäkologie benötigen. Erfahrungen oder Kenntnisse im Bereich der Notfallmedizin, insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung der Reanimationschancen bei Ertrinkungsopfern, lassen sich hieraus nicht ableiten.
Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat des Weiteren ausgeführt, dass die ABC-Regeln zum Basiswissen jeden Arztes gehört, es jedoch keine ärztliche Regel gebe, nach der jeder Arzt verpflichtet sei, die ABC-Regel so lange durchzuführen, bis ein Notfallarzt mit entsprechenden Geräten zum Unfallort komme und den sicheren Tod des Opfers feststelle.
Entgegen der Argumentation der Klägerin besteht zwischen den mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. und den vorliegenden schriftlichen Gutachten kein inhaltlicher Widerspruch. Denn sowohl in den beiden vom Gericht erholten schriftlichen Sachverständigengutachten, die Prof. Dr. P. zusammen mit Prof. Dr. C. erstellt hat, als auch in dem im Ermittlungsverfahren erholten Gutachten von Dr. P. sowie den ärztlichen Stellungnahmen von Prof. Dr. S. und Prof. Dr. St., die die Klägerin vorgelegt hat, wurde nur dazu Stellung genommen, ob der Beklagte aus ärztlicher Sicht fehlerhaft gehandelt hat. Keiner der Gutachter hat sich dagegen konkret zu der Frage geäußert, ob das Fehlverhalten als grober Behandlungs- bzw. Diagnosefehlers zu bewerten ist. Dies ergibt sich auch nicht aus den Hinweisen in den schriftlichen Gutachten, wonach die ABC-Regel zum Basiswissen jeden Arztes gehört und auch von Laien verlangt wird, diese Regel anzuwenden.
Die ABC-Regel dient lediglich dazu, anschaulich und gerade für Laien einprägsam aufzuzeigen, wie eine Reanimation durchgeführt werden soll, ohne dass besondere ärztliche Kenntnisse oder Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Diese so genannte Basisreanimation erfolgt durch Freimachen der Atemwege, Mund-zu-Mund Beamtung und Herzdruckmassage. Die ABC-Regel sagt dagegen nichts darüber aus, ob bei einer verunglückten Person noch Reanimationsbemühungen durchgeführt werden sollen oder ob aufgrund des Zustandes der Person eine Reanimation von vorneherein aussichtslos erscheint.
Auch die weiteren Einwände der Klägerin gegen die Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. C. greifen nicht durch. Soweit die Klägerin beanstandet, dass der Sachverständige den Begriff des Todes undifferenziert verwendet habe, ist dies unzutreffend. Aufgrund des jeweiligen Kontextes ergaben sich weder für das Gericht noch für die sonstigen Verfahrensbeteiligten diesbezüglich Unklarheiten, auch wenn der Sachverständige nicht stets die Zusätze "klinisch" oder "biologisch" hinzugefügt hat.
Entscheidend ist auch nicht, ob Medizinstudenten lernen, dass Herz- und Atemstillstand, fehlende Eigenreflexe und Auskühlung nur unsichere Todeszeichen sind, bei denen es die Möglichkeit der Reanimation gibt. Nicht alle in der universitären Ausbildung vermittelte Kenntnisse zählen zu den fundamentalen Grundlagen, deren Außerachtlassen für einen Arzt schlechterdings unverständlich ist. Auch wenn anhand von medizinischen Fach- bzw. Lehrbüchern feststellbar ist, dass der Beklagte aufgrund des körperlichen Zustands der Klägerin deren (biologischen) Tod der Klägerin nicht sicher beurteilen konnte und deshalb auf Reanimationsmaßnahmen nicht hätte verzichten dürfen, belegt dies nur, dass der Beklagte aus ärztlicher Sicht nicht lege artis gehandelt hat. Hieran besteht auch nach den vorliegenden Gutachten kein Zweifel. Die Frage, ob er einen groben Fehler begangen hat, ist damit allerdings noch nicht beantwortet.
Dem Sachverständigen Prof. Dr. C. folgend hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass das Unterlassen weiterer Reanimationsmaßnahmen durch den Beklagten in der konkreten Situation nicht grob fehlerhaft war Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Beklagte, ein seit über 20 Jahren als Gynäkologe tätiger Arzt ohne besondere Erfahrungen oder Kenntnisse im Bereich der Notfallmedizin, unvorbereitet mit der Situation konfrontiert war. Er hatte die bewusstlose, stark unterkühlte Klägerin vor sich, die keine Atmung und keinen tastbaren Puls mehr hatte, deren Pupillen weit und lichtstarr waren und die sich wie eine "Wachspuppe" anfühlte, also keinerlei Muskeleigenspannung mehr hatte. Es erscheint dem Senat nicht schlechthin unverständlich, dass der Beklagte - wie er bei seiner Anhörung glaubhaft bekundete - aus diesen Anzeichen den falschen Rückschluss gezogen hat, die Klägerin habe bereits so lange im Wasser gelegen, dass sie ertrunken sei (vgl. auch OLG Hamm, VersR 2000, 1373, 1374, das die Annahme eines Internisten aufgrund klinischer - und damit unsicherer - Todeszeichen, der Notfallpatient sei tot und nicht mehr reanimierbar, nicht schlechthin für grob fehlerhaft beurteilte).
c) Die Voraussetzungen für die Erholung eines Obergutachtens liegen nicht vor (§ 412 BGB). Wie dargelegt enthalten die vorliegenden schriftlichen Gutachten nur die Aussage, dass der Beklagte aus ärztlicher Sicht fehlerhaft gehandelt hat. In keinem Gutachten wurde festgestellt, dass die Fehleinschätzung des Beklagten so grob falsch war, dass sie einem Arzt schlechterdings nicht passieren darf. Dass die Klägerin die Auffassung des Sachverständigen nicht teilt und vorgerichtliche Gutachten teilweise anders interpretiert, ist im Arzthaftungsprozess eher die Regel als die Ausnahme, gibt jedoch keine Veranlassung ein gerichtliches Gutachten eines anderen Sachverständigen zu erholen. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. C. ist weder widersprüchlich, noch ist es unvollständig oder grob mangelhaft. Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen, einem leitenden Oberarzt des Klinikums der Universität München, Klinik für Anaesthesiologie, bestehen ebenfalls nicht. Auch dem Antrag auf Zuleitung der Akten an die Staatsanwaltschaft und Aussetzung des Verfahrens war nicht nachzukommen. Der Senat hat weder Anhaltspunkte dafür, dass sich der Sachverständige Prof. Dr. C. nicht nach bestem Wissen und Gewissen gutachterlich geäußert hat, noch Veranlassung, diesbezüglich ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anzuregen und dessen Ergebnis abzuwarten.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.
Ein Grund für die Zurückweisung der Berufung und Abweisung der Klage ist, dass der Senat sachverständig beraten das Verhalten des Beklagten in der konkreten Situation aus medizinischer Sicht nicht als grob fehlerhaft beurteilt. Die Rechtssache hat damit keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts.