10.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221052
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 08.12.2020 – 8 K 1516/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
FG Baden-Württemberg
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid 2016 vom 09.03.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.05.2018 wird dahingehend abgeändert, dass nach § 32d Abs. 1 EStG zu besteuernde Kapitalerträge in Höhe von 10.807 EUR berücksichtigt werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten aufgegeben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu 45% und der Beklagte zu 55% zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der dem Kläger zu erstattenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des mit Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Kostenerstattungsbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig ist die Steuerbarkeit von Ansprüchen des Klägers aus einem widerrufenen Darlehensvertrag.
2
Der Kläger ist nichtselbständig tätig und wurde im Streitjahr 2016 allein zur Einkommensteuer veranlagt. Er schloss am 02.09.2010 einen Darlehensvertrag mit der Bank über 230.000 EUR zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. Die Darlehenszinsen in Höhe von 2,9% p.a. waren bis 31.08.2020 festgeschrieben. Die Bank zahlte das Darlehen am 21.10.2010 in voller Höhe aus. Die monatliche Annuität betrug 2.270 EUR. Mit Schreiben vom 22.01.2016 widerrief der Kläger unter Verweis auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung seine auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Bis einschließlich 01.02.2016 zahlte er insgesamt 143.176,75 EUR auf das Darlehen, davon Zinsen in Höhe 26.681,60 EUR (...) und Tilgung in Höhe von 116.495,15 EUR. Der Darlehenssaldo betrug am 01.02.2016 mithin noch 113.504,85 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf den Darlehensvertrag vom 02.09.2010 sowie die weiteren Darlehensunterlagen verwiesen.
3
Bezüglich der gegenseitigen Ansprüche aus der Rückabwicklung erklärte der Kläger die Aufrechnung. Die Vertragsparteien verständigten sich in der Folge auf „eine Rückabwicklung nach den gesetzlichen Regelungen über die Rückabwicklung nach erfolgtem Widerruf“ (...) und rechneten das Schuldverhältnis zum 22.02.2016 wie folgt ab („Darlehensabrechnung nach erfolgtem Widerruf“ ...):
4
Kapitalforderung nach erfolgter Vollvalutierung 230.000,00 EUR
Sollzinsen 2,90% aus EUR 230.000,00 vom 21.10.2010 bis 22.02.2016 35.591,65 EURForderung Darlehenswiderruf 265.591,65 EUR
abzgl. Erstattung bereits gezahlter Leistungsraten vom 01.11.2010 bis 01.02.2016 -143.176,75 EUR
abzgl. Erstattung Verzinsung auf bereits gezahlte Leistungen -18.979,54 EUR
zzgl. Steuerabzug aus Verzinsung wg. kapitalertragssteuerpflichtigen Ertrag[s] 5.005,85 EUR
Restforderung aus Darlehenswiderruf zum 22.02.2016 108.441,21 EUR
5
Danach ergab sich ein Zahlungsanspruch der Bank in Höhe von 108.441,21 EUR, den der Kläger am 26.02.2016 bezahlte. Von der in der Darlehensabrechnung zugunsten des Klägers berücksichtigten „Erstattung Verzinsung auf bereits gezahlte Leistungen“ (im Folgenden: Nutzungsersatz) in Höhe von 18.979,54 EUR behielt die Bank Kapitalertragsteuer in Höhe von 4.744,89 EUR sowie Solidaritätszuschlag in Höhe von 260,96 EUR ein (...).
6
In seiner Einkommensteuererklärung erklärte der Kläger Kapitalerträge laut (sonstiger) Steuerbescheinigungen in Höhe von 11.560 EUR inklusive darin enthaltener Gewinne aus Aktienveräußerungen in Höhe von 619 EUR sowie ausländische Kapitalerträge in Höhe von 48 EUR. Aus dem Darlehenswiderruf erklärte der Kläger Verluste bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 16.612,11 EUR („Sollzinsen“ in Höhe von 35.591,65 EUR abzüglich Nutzungsersatz in Höhe von 18.979,54 EUR). Der Kläger beantragte sowohl die Günstigerprüfung als auch die Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge.
7
Im Einkommensteuerbescheid 2016 vom 09.03.2018 berücksichtigte das Finanzamt den Nutzungsersatz des Klägers aus dem Darlehensvertrag als Kapitalerträge. Die Sollzinsen aus der Darlehensabrechnung in Höhe von 35.591,65 EUR berücksichtigte es nicht. In der Summe unterwarf es Kapitalerträge in Höhe von 30.583 EUR (nicht aufklärbare Differenz von 4 EUR zugunsten des Klägers: 11.560 EUR + 48 EUR + 18.979 EUR = 30.587 EUR) abzüglich des Sparerpauschbetrags in Höhe von 801 EUR der Besteuerung nach § 32d Abs. 1 EStG.
8
Dagegen erhob der Kläger am 12.03.2018 Einspruch. Er beantragte, den erklärten Verlust aus dem Darlehenswiderruf in Höhe von 16.613 EUR zu berücksichtigen. Insgesamt ergebe sich dadurch ein Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 5.005 EUR, der ins Folgejahr vorzutragen sei. Infolge des Widerrufs des Darlehensvertrags seien ihm keine positiven Kapitalerträge zugeflossen. Der wirtschaftliche Gehalt des Darlehenswiderrufs zeige sich ausschließlich darin, dass das Darlehen nicht kostenlos, sondern nur um 10.069,49 EUR günstiger geworden sei und er trotz Widerruf immer noch insgesamt 16.612,11 EUR aufgewendet habe.
9
Mit Einspruchsentscheidung vom 14.05.2018 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehöre nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 18.01.2016 (BStBl I 2016, 85, Rz 8b) jeglicher Nutzungsersatz für von Kreditinstituten zurückerstattete Zahlungen. Bei dem zugunsten des Klägers berücksichtigten Nutzungsersatz handele es sich um die von der Bank aus den erlangten Zinsleistungen gezogenen Nutzungen, die sie nach § 346 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) herauszugeben habe, also um ein Nutzungsentgelt, das die Bank dem Kläger für die Überlassung von Geld in Form der berechneten Darlehenszinsen erstatte. Die Darlehensvaluta sei nicht zur Erzielung von Kapitalerträgen, sondern zur Finanzierung des einkommensteuerlich nicht relevanten Eigenheims verwendet worden. Daher handele es sich bei den Sollzinsen nicht um Werbungskosten im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Im Übrigen sei der Abzug von tatsächlichen Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 9 EStG ausgeschlossen. Ein Veräußerungsgeschäft nach § 20 Abs. 2 EStG liege nicht vor. Eine Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung der Sollzinsen sei daher nicht erkennbar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Veranlagungs- und Einspruchsverfahrens wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten verwiesen.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 07.06.2018 erhobenen Klage. Er trägt vor, der Widerruf des Darlehensvertrags habe dazu geführt, dass die gegenseitigen Ansprüche Zug um Zug durch Aufrechnung erledigt worden seien. Es sei nach der Aufrechnung allein ein Zahlungsanspruch der Bank verblieben, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dem Kläger seien Kapitalerträge zugeflossen. Aus dem BMF-Schreiben vom 18.01.2016 ergebe sich nichts Gegenteiliges. Dieses befasse sich nur mit der Rückerstattung von Kreditbearbeitungsgebühren. Es sei somit für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Nutzungsentschädigungen seien jedenfalls dann keine Erträge aus Kapitalvermögen, wenn ihnen hohe Zinsaufwendungen gegenüberstünden. Es liege dann kein Überschuss vor, der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erhöhe. Der Kläger habe den Kredit nicht kostenlos, sondern nach der erfolgten Verrechnung lediglich günstiger erhalten. Der Kläger habe dennoch Zinsen an die Bank entrichten müssen. Ein Geldzufluss beim Kläger habe nicht stattgefunden.
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Der Kläger beantragt,
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den Einkommensteuerbescheid 2016 vom 09.03.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.05.2018 dahingehend zu ändern, dass Kapitalerträge ohne Gewinne aus Aktienveräußerungen nur in Höhe von 10.984,46 EUR berücksichtigt werden (Kapitalerträge ohne Gewinne aus Aktienveräußerungen laut Steuerbescheid in Höhe von 29.964 EUR abzüglich 18.979,54 EUR).
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Das Finanzamt beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt es vor, das Darlehensverhältnis sei durch den wirksamen Widerruf ex nunc in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden, auf das die Vorschrift des § 346 BGB Anwendung finde. Danach hätten die Parteien die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und gezogene Nutzungen herauszugeben bzw. Wertersatz für nicht gezogene Nutzungen zu leisten. Der Darlehensgeber sei deshalb verpflichtet, dem Darlehensnehmer bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen herauszugeben und Nutzungsersatz wegen der vermuteten Nutzung der bis zum Wirksamwerden des Widerrufs erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen zu zahlen (z.B. Urteil des Brandenburgischen OLG vom 20.01.2016, 4 U 79/15, m.w.N.). Soweit Darlehensgeber oder Darlehensnehmer gegenüber den gemäß § 348 Satz 1 BGB jeweils Zug um Zug zu erfüllenden Leistungen die Aufrechnung erklärten, habe dies nicht zur Folge, dass der Anspruch des Darlehensnehmers gegen den Darlehensgeber auf Herausgabe von Nutzungsersatz als nicht entstanden zu behandeln sei (BGH-Beschluss vom 22.09.2015 - XI ZR 116/15). Die steuerliche Qualifikation der jeweiligen Ansprüche folge der zivilrechtlichen Zuordnung der Ansprüche. Der Nutzungsersatz des Darlehensgebers für die bereits vereinnahmten Zins- und Tilgungsleistungen des Darlehensnehmers stellten beim Darlehensnehmer Entgelt für eine Kapitalüberlassung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar (BMF-Schreiben vom 18.01.2016, BStBI I S. 85, unter Berücksichtigung der Änderung durch das BMF-Schreiben vom 12.04.2018, BStBI I S. 624, Rz 8b). Das vom Kläger an die Bank für die Nutzung der Darlehensvaluta bezahlte Entgelt habe im Zusammenhang mit der Finanzierung der eigengenutzten Immobilie gestanden und sei deshalb steuerlich unbeachtlich. Die Steuerpflicht des dem Kläger im Wege der Aufrechnung zugeflossenen Kapitalnutzungsentgelts könne nicht dadurch untergehen, dass mit steuerlich nicht abziehbaren Gegenansprüchen aufgerechnet werde und der Kläger noch eine Restzahlung zu leisten habe. Die Kapitalforderung, aus der der Kläger die steuerpflichtigen Erträge erzielt habe, stelle keine Forderung aus dem Darlehensvertrag, sondern aus dem Rückgewährschuldverhältnis dar. Diese Forderung sei erst durch die Erklärung des Widerrufs mit Wirkung für die Zukunft entstanden. Den Widerruf habe der Kläger mit dem Ziel erklärt, Erträge aus der Rückgewährforderung zu erzielen. Dem stehe nicht entgegen, dass die Erträge aus der Nutzung in der Vergangenheit resultierten (Urteil des FG Köln vom 14.08.2019 ‒ 14 K 719/19, EFG 2020, 101). Das dem Kläger rechnerisch zugeflossene Nutzungsentgelt habe auch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gesteigert. Zwar seien ihm aufgrund des Widerrufs des Darlehensvertrags Zinsen mit dem ursprünglich vereinbarten Zinssatz von 2,9% aus der vollen Darlehensvaluta von 230.000 EUR berechnet worden. Im Gegenzug habe er jedoch die bereits bezahlten Tilgungsraten zuzüglich Zins und Zinseszins mit einem Zinssatz in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszins gutgeschrieben bekommen, woraus sich eine Verzinsung zu seinen Gunsten in Höhe von 4,17% bis 5,17% ergeben habe. Nach eigenen Angaben sei das Darlehen für ihn um 10.069,49 EUR billiger geworden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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Der Sach- und Streitstand wurde vom Berichterstatter mit den Beteiligten erörtert. Die beigezogenen Akten des Beklagten waren Gegenstand der Erörterungen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 11.08.2020 verwiesen. Seinen ursprünglich gestellten weiteren Antrag, die Sollzinsen als Abzugsposten und damit im Ergebnis negative Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 5.005 EUR zu berücksichtigen, hat der Kläger im Erörterungstermin zurückgenommen. Auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten verzichtet (vgl. Niederschrift über den Erörterungstermin vom 11.08.2020).
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist ganz überwiegend begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2016 vom 09.03.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.05.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Finanzamt hat den in der Darlehensabrechnung berücksichtigten Anspruch des Klägers auf Nutzungsersatz in Höhe von 18.979,54 EUR zu Unrecht ‒ im Rahmen der (Antrags-)Veranlagung gemäß § 32d Abs. 4 EStG ‒ als Kapitalertrag der Abgeltungssteuer unterworfen.
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1. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage (Satz 2).
22
Unter den Begriff der Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen alle auf eine Geldleistung gerichteten Forderungen, deren Steuerbarkeit sich nicht bereits aus einem anderen Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 oder 8 bis 11 EStG ergibt, und zwar ohne Rücksicht auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs (BFH-Urteile vom 12.05.2015 ‒ VIII R 35/14, BFHE 250, 71, BStBl II 2015, 834, Rz. 12 und vom 16.06.2020 ‒ VIII R 7/17, DStR 2020, 2293, Rz 11). Erträge hieraus sind alle Entgelte, die für eine solche Kapitalüberlassung im weitesten Sinne entrichtet werden, gleichviel ob die Forderung vertraglich oder hoheitlich begründet worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 12.09.1985 ‒ VIII R 306/81, BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252, unter 2. m.w.N. zum Begriff der Zinsen; Buge in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG, Rz 292).
23
Nach der ständigen Rechtsprechung bezieht deshalb Einnahmen aus Kapitalvermögen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlässt (vgl. BFH-Urteile vom 31.10.1989 ‒ VIII R 210/83, BFHE 160, 11, BStBl II 1990, 532; vom 13.11.2007 ‒ VIII R 36/05, BFHE 220, 35, BStBl II 2008, 292 und vom 15.06.2010 ‒ VIII R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503, Rz 15). Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung sind. Unerheblich ist es, ob der Überlassung von Kapital ein Darlehensvertrag, ein Kaufvertrag oder ein anderer Rechtsgrund zugrunde liegt. Auch die vom Schuldner erzwungene Kapitalüberlassung kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen (BFH-Urteile vom 31.10.1989 ‒ VIII R 210/83, BFHE 160, 11, BStBl II 1990, 532; vom 25.10.1994 ‒ VIII R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121; vom 13.11.2007 ‒ VIII R 36/05, BFHE 220, 35, BStBl II 2008, 292 und vom 24.05.2011 ‒ VIII R 3/09, BFHE 235, 197, BStBl II 2012, 254, Rz 14; Schmidt/Levedag, EStG, 39. Aufl. 2020, § 20, Rz 118).
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Nach der Rechtsprechung des BFH führen deshalb insbesondere auch Erstattungs-, Prozess- und Verzugszinsen zu steuerpflichtigen Kapitalerträgen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (vgl. BFH-Urteile vom 29.09.1981 ‒ VIII R 39/79, BFHE 134, 281, BStBl II 1982, 113; vom 12.09.1985 ‒ VIII R 306/81, BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252; vom 25.10.1994 ‒ VIII R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121; vom 13.11.2007 ‒ VIII R 36/05, BFHE 220, 35, BStBl II 2008, 292; vom 15.06.2010 ‒ VIII R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503, Rz 16 und vom 24.05.2011 ‒ VIII R 3/09, BFHE 235, 197, BStBl II 2012, 254, Rz 13). Diese Zinsen sind Entgelt für die unfreiwillige Vorenthaltung des dem Steuerpflichtigen zustehenden Kapitals (BFH-Urteil vom 25.10.1994 ‒ VIII R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121, unter II.3.a).
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2. Nach diesen Grundsätzen stellt der in der Darlehensabrechnung berücksichtigte Anspruch des Klägers auf Nutzungsersatz in Höhe von 18.979,54 EUR keinen Kapitalertrag im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar. Es handelt sich nicht um eine Vermögensmehrung, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalüberlassung ist.
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In der Abrechnung des Schuldverhältnisses zwischen dem Kläger und der Bank wurde zugunsten des Klägers ein Anspruch auf Nutzungsersatz aus den von ihm bereits erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen gemäß § 346 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 100 BGB berücksichtigt (unten a). Dabei handelt es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung des konkreten Lebenssachverhalts nicht um eine Vermögensmehrung aufgrund einer Kapitalüberlassung (unten b).
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a) In der Abrechnung des Schuldverhältnisses zwischen dem Kläger und der Bank wurde zugunsten des Klägers ein Anspruch auf Nutzungsersatz aus den von ihm bereits erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen gemäß § 346 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 100 BGB berücksichtigt.
28
Der Darlehensnehmer kann die auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags (§ 491 Abs. 1 BGB in der bis 20.03.2016 geltenden Fassung; vgl. Art 229 § 38 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche - EGBGB -) gerichtete Willenserklärung gemäß § 495 Abs. 1, § 355 BGB widerrufen. Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt erst, wenn dem Darlehensnehmer spätestens bei Vertragsschluss eine den Anforderungen des § 360 Abs. 1 BGB entsprechende Widerrufsbelehrung in Textform mitgeteilt worden ist (§ 355 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 BGB in der bis 12.06.2014 geltenden Fassung; vgl. Art. 229 § 32 Abs. 1 EGBGB). Das Widerrufsrecht erlischt zwar spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss. Das gilt jedoch nicht, wenn der Verbraucher nicht entsprechend den Anforderungen des § 360 Abs. 1 BGB über sein Widerrufsrecht in Textform belehrt worden ist (§ 355 Abs. 4 Sätze 1 und 3 BGB in der bis 12.06.2014 geltenden Fassung; vgl. auch Art. 229 § 32 Abs. 4 Satz 1 EGBGB). Nach Widerruf seiner auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung in Fällen, in denen ‒ wie hier ‒ § 357a BGB noch nicht anwendbar ist (Art. 229 § 32 Abs. 1 EGBGB), schuldet der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 in der bis 12.06.2014 geltenden Fassung in Verbindung mit § 346 Abs. 1 BGB Herausgabe der gesamten Darlehensvaluta ohne Rücksicht auf eine bereits erfolgte (Teil-)Tilgung und gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB Herausgabe von Wertersatz für Gebrauchsvorteile am jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil der Darlehensvaluta. Gemäß § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB ist der vereinbarte Darlehenszins bei der Berechnung des Wertersatzes zugrunde zu legen, wenn nicht nachgewiesen wird, dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war. Der Darlehensgeber schuldet dem Darlehensnehmer gemäß § 346 Abs. 1 Satz 1 BGB die Herausgabe bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen und Nutzungsersatz wegen der widerleglich vermuteten Nutzung der bis zum Wirksamwerden des Widerrufs erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Soweit Darlehensgeber oder Darlehensnehmer bezüglich der gemäß § 348 Satz 1 BGB Zug um Zug zu erfüllenden Leistungen die Aufrechnung erklären, hat dies nicht zur Folge, dass der Anspruch des Darlehensnehmers auf Herausgabe von Nutzungsersatz als nicht entstanden zu behandeln wäre (vgl. zum Ganzen BGH-Beschluss vom 22.09.2015 ‒ XI ZR 116/15, ZIP 2016, 109, Rz 7 m.w.N.; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 20.01.2016 ‒ 4 U 79/15, juris Rz 91).
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Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage haben sich der Kläger und die Bank dahingehend verständigt (...), dass der Kläger seine auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung wirksam noch im Januar 2016 widerrufen hat. Die Vertragsparteien haben deshalb das Darlehensverhältnis gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 in der bis 12.06.2014 geltenden Fassung in Verbindung mit § 346 BGB rückabgewickelt. In der zu diesem Zweck erfolgten Darlehensabrechnung wurde unter anderem ein Anspruch des Klägers auf Nutzungsersatz in Höhe von insgesamt 18.979,54 EUR aus den von ihm erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen berücksichtigt. Im Ergebnis hatte der Kläger aufgrund der Darlehensabrechnung noch eine Schlusszahlung in Höhe von 108.441,21 EUR zu leisten. Damit waren das Schuldverhältnis beendet und alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Schuldverhältnis abgegolten (...).
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Diese von den Vertragsparteien tatsächlich durchgeführte Abwicklung ist der Besteuerung zugrunde zu legen (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 AO). Sowohl die zivilrechtliche Wirksamkeit des Widerrufs als auch die zivilrechtlich zutreffende Höhe der gegenseitigen Ansprüche können dahinstehen.
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b) Der in der Darlehensabrechnung berücksichtigte Anspruch des Klägers auf Nutzungsersatz stellt keinen steuerbaren Kapitalertrag dar.
32
Nach Abrechnung aller gegenseitigen Ansprüche aus dem rückabgewickelten Darlehensverhältnis verblieb im Ergebnis eine über die Rückzahlung der Darlehensvaluta hinausgehende (Zins-)Belastung des Klägers. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise liegt in diesem Fall keine Vermögensmehrung vor, die Entgelt für eine Kapitalüberlassung des Klägers an die Bank darstellt. Vielmehr sind das Darlehensverhältnis und die Rückabwicklung als eine Einheit zu betrachten mit der Folge, dass die Rückabwicklung zu einer Reduzierung der Zinslast des Klägers führte. Der Nutzungsersatz zugunsten des Klägers aus § 346 Abs. 1 BGB ist keine Vermögensmehrung aufgrund einer entgeltlichen Kapitalüberlassung des Klägers an die Bank im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, sondern lediglich ein der interessengerechten Rückabwicklung des Darlehensverhältnisses dienender Berechnungsposten.
33
aa) Bis zum Wirksamwerden des Widerrufs hat nicht der Kläger der Bank, sondern ‒ im Gegenteil ‒ die Bank dem Kläger Kapital (Darlehen) zur Nutzung überlassen. Dieses Kapital hat der Kläger bis zum Widerruf in Höhe der Tilgungsraten zurückgeführt und in Höhe des Zinsanteils entgeltlich vergütet. Der wirksame Widerruf der auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung hat zivilrechtlich keine Rückwirkung (BGH-Beschluss vom 12.01.2016 ‒ XI ZR 366/15, WM 2016, 454, Rz 7). Vor Wirksamwerden des Widerrufs existierte kein Rückgewährschuldverhältnis (BGH-Beschluss vom 12.01.2016 ‒ XI ZR 366/15, WM 2016, 454, Rz 16), sondern nur das Darlehensverhältnis. Der Rechtsgrund der Zins- und Tilgungsleistungen des Klägers an die Bank ist infolge des Widerrufs auch nicht nachträglich weggefallen. Durch den Anspruch des Darlehensnehmers auf Herausgabe der von ihm erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen sowie der daraus von der Bank gezogenen Nutzungen soll der Verbraucher nach der Rechtsprechung des BGH ‒ zumindest in Teilen ‒ zwar so gestellt werden, als habe er eine verzinsliche Wertanlage getätigt (BGH-Beschluss vom 12.01.2016 ‒ XI ZR 366/15, WM 2016, 454, Rz 20). Dabei handelt es sich aber lediglich um das hinter § 346 BGB stehende gesetzgeberische Motiv, bestenfalls um eine zivilrechtliche Fiktion.
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Steuerrechtlich kann der Widerruf jedenfalls keine Rückwirkung entfalten und den in der Vergangenheit verwirklichten Sachverhalt in Form der Darlehensgewährung durch die Bank an den Kläger einerseits und die darauf erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen des Klägers an die Bank andererseits nicht ungeschehen machen. Das wirtschaftliche Ergebnis des ‒ erst mit dem Widerruf ‒ unwirksam gewordenen Darlehensverhältnisses ist für die Besteuerung des Klägers maßgebend, solange und soweit es die Beteiligten bestehen lassen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 AO).
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Es ist deshalb auch nicht die Rechtsprechung zu Erstattungs-, Prozess- und Verzugszinsen auf den vorliegenden Fall übertragbar. Das Darlehensverhältnis war wirksam zustande gekommen und tatsächlich durchgeführt worden. Aufgrund des Widerrufs wurde es sodann ‒ tatsächlich wie rechtlich ‒ lediglich mit Wirkung für die Zukunft rückabgewickelt. Die Bank hat dem Kläger daher kein Kapital vorenthalten. Das gilt augenscheinlich für die Tilgungsleistungen des Klägers, denn insoweit hat er das ihm von der Bank tatsächlich überlassene Kapital in Raten zurückgezahlt. Das gilt aber auch für die vom Kläger gezahlten Zinsen. Denn auf das ihm zur Verfügung gestellte Darlehen in Höhe von 230.000 EUR hatte der Kläger bis zum Widerruf insgesamt lediglich 143.176,75 EUR bezahlt.
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bb) Ein anderes Ergebnis ließe sich allenfalls dann begründen, wenn man die Ansprüche des Klägers auf Rückgewähr der Zins- und Tilgungsleistungen sowie daraus gezogener Nutzungen isoliert betrachtete (so offenbar das Hessische FG, Urteil vom 06.11.2018 ‒ 12 K 1328/17 und das FG Köln, Urteil vom 14.08.2019 ‒ 14 K 719/19, EFG 2020, 101). Steuerrechtlich können aber weder das Rückgewährschuldverhältnis isoliert vom Darlehensverhältnis noch die Rückgewähransprüche des Klägers isoliert von den gegenläufigen Rückgewähransprüchen der Bank betrachtet werden. Eine derartige isolierte Betrachtung mit der Folge der Annahme einer Kapitalüberlassung des Klägers an die Bank spiegelte nicht den vorliegend verwirklichten Lebenssachverhalt wider, sondern verkehrte ihn in sein Gegenteil.
37
Durch den Widerruf wird schon zivilrechtlich, jedenfalls aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise, kein neues, vom Darlehensverhältnis losgelöstes Schuldverhältnis begründet. Zwar wandelt sich das Darlehensverhältnis durch den wirksamen Widerruf in ein sog. Rückgewährschuldverhältnis (vgl. Röthel/Metzger in Erman, BGB, 16. Aufl., vor § 346, Rz 1 m.w.N.). Das Schuldverhältnis zwischen den Vertragsparteien bleibt aber identisch bestehen (vgl. BGH-Urteil vom 28.11.2007 - VIII ZR 16/07, BGHZ 174, 290, Rz 10). Die Bezeichnung als Rückgewährschuldverhältnis soll lediglich verdeutlichen, dass die noch ausstehenden Leistungen nicht mehr erbracht und die bereits bewirkten Leistungen zurückgewährt werden müssen (vgl. BGH-Urteil vom 10.07.1998 - V ZR 360/96, NJW 1998, 3268 f.). Das Schuldverhältnis besteht also in umgewandelter Form fort und wandelt seinen zivilrechtlichen Charakter lediglich von einem synallagmatischen Austauschgeschäft in ein Abwicklungsverhältnis, das zur vorzeitigen Beendigung des Schuldverhältnisses führt.
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Der wirtschaftlichen Beziehung zwischen Darlehensnehmer und Bank liegt durchgehend eine (tatsächliche) Darlehensgewährung der Bank an den Darlehensnehmer zugrunde, die nunmehr abgewickelt wird. Aufgrund der durch den Widerruf ausgelösten vorzeitigen Abwicklung des Darlehensverhältnisses werden die gegenseitigen Ansprüche neu berechnet und ab- bzw. aufgerechnet. Eine Aufspaltung dieses Sachverhalts in gegenläufige Kapitalüberlassungen samt gegenläufiger Zinszahlungen mag einer zivilrechtlichen Fiktion in § 346 Abs. 1 BGB entsprechen, spiegelt aber nicht den wirtschaftlichen Sachverhalt wider (vgl. auch zur Abgrenzung einer Rückabwicklung von einem neuen Rechtsgeschäft ‒ dort Kaufvertrag ‒ BFH-Urteil vom 06.09.2016 ‒ IX R 27/15, BFHE 255, 176, BStBl II 2018, 335, Rz 22).
39
cc) Tatsächlich wurde dem Kläger von der Bank vom Zeitpunkt der Valutierung des Darlehens am 21.10.2010 bis zur (vorzeitigen) Rückzahlung im Rahmen der Abwicklung am 26.02.2016 Kapital in Höhe von 230.000 EUR zur Nutzung überlassen. Auf das Darlehen hat der Kläger bis zum Widerruf monatliche Annuitäten in Höhe von insgesamt lediglich 143.176,75 EUR bezahlt. Der Kläger hatte das ihm zur Verfügung gestellte Darlehen noch nicht annähernd zurückgeführt. Raum für die Annahme einer Kapitalüberlassung in umgekehrter Richtung vom Kläger an die Bank besteht bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise daher nicht.
40
Der Kläger hat auch keinen irgendwie gearteten Ertrag (Vermögensmehrung) aus dem rückabgewickelten Darlehensverhältnis erzielt (so auch zutreffend Brandenburgisches OLG, Urteile vom 20.01.2016 ‒ 4 U 79/15, juris Rz 110 aE und vom 01.06.2016 ‒ 4 U 125/15, juris Rz 129 aE). Nach dem Widerruf seiner Vertragserklärung hat der Kläger noch eine Abschlusszahlung in Höhe von 103.435,36 EUR (zuzüglich auf seine Rechnung - § 36 Abs. 2 Nr. 2, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, § 44 Abs. 1 Satz 1 EStG - ans Finanzamt abgeführte Kapitalertragsteuer samt Solidaritätszuschlag in Höhe von 5.005,85 EUR) an die Bank erbracht. Insgesamt hat er damit Zahlungen auf das Darlehen in Höhe von 246.612,11 EUR an die Bank geleistet (zuzüglich 5.005,85 EUR mittelbar „an das Finanzamt“). Über die Rückzahlung der Darlehensvaluta hinaus hat der Kläger somit im Ergebnis ein Entgelt (Zinsen) für die Kapitalüberlassung in Höhe von 16.612,11 EUR (246.612,11 EUR - 230.000 EUR) an die Bank bezahlt. Das entspricht der Differenz aus den in die Darlehensabrechnung eingestellten Sollzinsen (35.591,65 EUR) und dem Nutzungsersatz des Klägers (18.979,54 EUR).
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dd) Wie der Zahlungsanspruch der Bank aus der Rückabwicklung des Darlehens berechnet wurde und welche zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen berücksichtigt wurden, ist für die steuerliche Beurteilung unerheblich. Wirtschaftlich betrachtet hat der Widerruf ‒ wie vom Kläger ausgeführt ‒ lediglich zu einer Reduzierung der von ihm entrichteten Darlehenszinsen um 10.069,49 EUR geführt (bis zum Widerruf gezahlte Zinsen in Höhe von 26.681,60 EUR abzüglich Zinsbelastung nach Widerruf in Höhe von 16.612,11 EUR).
42
Eine objektive Leistungssteigerung ist beim Kläger allenfalls in dieser Höhe, nicht jedoch, wie vom Finanzamt unterstellt, in Höhe des gesamten Nutzungsanspruchs von 18.979,54 EUR eingetreten. Die Leistungssteigerung durch Reduzierung der auf das Darlehen erbrachten Zinsen in Höhe von 10.069,49 EUR zugunsten des Darlehensnehmers erfüllt als solches aber nicht den Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
43
ee) Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die gegenseitigen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis zivilrechtlich nicht von Gesetzes wegen automatisch saldiert werden (vgl. BGH-Beschluss vom 12.01.2016 ‒ XI ZR 366/15, WM 2016, 454, Rz 16 und BGH-Urteil vom 25.04.2017 ‒ XI ZR 108/16, WM 2017, 1008, Rz 19). Die Vertragsparteien können und werden regelmäßig ‒ wie vorliegend ‒ die Aufrechnung erklären. Zwar führt die Aufrechnung in der Regel zu einem (gegenseitigen) Zufluss der Forderungen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG (Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 11, Rz 55, m.w.N.). Das setzt jedoch voraus, dass die Aufrechnung wirtschaftlich einer tatsächlichen Leistung gleichsteht (vgl. Kirchhof/Seiler, EStG, 19. Aufl. 2020, § 11, Rz 26; Schmidt/Krüger, EStG, 39. Aufl. 2020, § 11, Rz 16 aE). Daran fehlt es hinsichtlich des Nutzungsanspruchs des Klägers. Die gegenläufigen verrechneten Ansprüche stammen aus ein- und demselben Schuldverhältnis. Sie bedingen sich gegenseitig und entstehen jeweils sofort mit Wirkung ab Widerruf. Der Nutzungsanspruch des Klägers ist nicht ohne die gegenläufigen Ansprüche der Bank denkbar. Diese enge rechtliche Verknüpfung spiegelt sich auch in § 348 Satz 1 BGB wider. Keine der Parteien muss in Vorleistung gehen, sondern kann ihre Leistung zurückbehalten, bis der Gegner seine Leistung anbietet (Staudinger/Kaiser, BGB, § 348, Rz 1). In der Geltendmachung der Einrede liegt konkludent eine Aufrechnung (BGH-Beschluss vom 25.04.2017 ‒ XI ZR 108/16, WM 2017, 1008, Rz 20). Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich bei den gegenläufigen Ansprüchen daher um unselbständige Rechnungsposten, die in die Endabrechnung einfließen. Die Aufrechnung ist zwar zivilrechtlich notwendiges Vehikel zur Abrechnung. In der wirtschaftlichen Realität ist aber kein Sachverhalt vorstellbar, in dem die Ansprüche im Falle der Rückabwicklung eines Darlehensverhältnisses nicht - quasi automatisch ‒ von den Parteien saldiert werden (vgl. auch BGH-Urteil vom 20.02.2008 ‒ VIII ZR 334/06, BGHZ 175, 286, Rz 23: „zu saldieren“).
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Lediglich in Höhe der Entgeltreduzierung (10.069,49 EUR) könnte ‒ aufgrund einer in der Darlehensabrechnung liegenden Verrechnungsabrede (zum Zufluss durch Verrechnungsabrede vgl. Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 11 Rz 55 aE) ‒ ein Zufluss angenommen werden. Denn in dieser Höhe blieb die Abschlusszahlung (103.435,36 EUR zuzüglich Kapitalertragsteuer 5.005,85 EUR) des Klägers hinter dem an sich noch offenen Darlehenssaldo (113.504,85 EUR) zurück, dennoch waren damit alle gegenseitigen Ansprüche erloschen. Das kann jedoch dahinstehen, denn die Entgeltreduzierung stellt, wie ausgeführt, keinen Kapitalertrag dar.
45
3. Der Nutzungsanspruch des Klägers ist auch nicht aus anderem Grund steuerbar.
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Dass einer der Tatbestände des § 20 Abs. 2 EStG, insbesondere § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 (in Verbindung mit Satz 2) EStG erfüllt wäre, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls fehlte es an einem Gewinn des Klägers im Sinne des § 20 Abs. 2 EStG. Trotz Widerruf hatte er Zahlungen in Höhe von insgesamt 246.612,11 EUR (zuzüglich 5.005.85 EUR Kapitalertragsteuer) an die Bank geleistet.
47
Die Reduzierung der Darlehenszinsen könnte einkommensteuererheblich sein, wenn die Darlehenszinsen vom Kläger zuvor im Rahmen einer Einkunftsart als Erwerbsaufwendungen abgezogen worden wären. Die Reduzierung bzw. Rückzahlung der Darlehenszinsen könnten in diesem Fall bei der entsprechenden Einkunftsart ‒ als „negative Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben“ ‒ Einnahmen darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 23.03.1993 ‒ IX R 67/88, BFHE 171, 183, BStBl II 1993, 748; Kirchhof/Seer, EStG, 19. Aufl. 2020, § 8, Rz 13). Das Darlehen diente vorliegend allerdings der Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie des Klägers. Die Darlehenszinsen waren nicht abziehbare Aufwendungen der privaten Lebensführung. Die Entgeltreduzierung ist folglich nicht steuerbar.
48
4. Der angefochtene Steuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung war deshalb dahingehend zu berichtigen, dass der zugunsten des Klägers in der Darlehensabrechnung berücksichtigte Nutzungsanspruch nicht besteuert wird. Der Abgeltungssteuer sind lediglich die erklärten unstreitigen Kapitalerträge zu unterwerfen, und zwar inländische Kapitalerträge in Höhe von 11.560 EUR (inklusive Gewinne aus Aktienveräußerungen in Höhe von 619 EUR) sowie ausländische Kapitalerträge in Höhe von 48 EUR, insgesamt 11.608 EUR. Abzüglich des Sparerpauschbetrags (§ 20 Abs. 9 Satz 1 EStG) ergeben sich somit steuerpflichtige Kapitalerträge in Höhe von 10.807 EUR.
49
Soweit der Kläger beantragt hat, Kapitalerträge ohne Gewinne aus Aktienveräußerungen in Höhe von nur 10.984,46 EUR (statt wie hier 10.989 EUR) zu berücksichtigen, geht er von den im Einkommensteuerbescheid berücksichtigten Kapitalerträgen ohne Gewinnen aus Aktienveräußerungen in Höhe von 29.964 EUR aus (29.964 EUR - 18.979,54 EUR = 10.984,46 EUR). Dem Einkommensteuerbescheid liegt insoweit jedoch ein Rechenfehler in Höhe von 4 EUR zugunsten des Klägers zugrunde, der im Rahmen des gestellten Klageantrags zu berichtigen war (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 96 FGO, Rz 198 m.w.N.). Insoweit war die Klage als unbegründet abzuweisen.
II.
50
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FGO.
51
Der Kläger hatte ursprünglich weitergehend beantragt, die Sollzinsen aus dem Darlehen als Abzugsposten und daher im Ergebnis negative Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von - 5.005 EUR zu berücksichtigen. Diesen Antrag hat er im Erörterungstermin „zurückgenommen“. Mangels teilbaren Streitgegenstands handelte es sich zwar nicht um eine (Teil-)Rücknahme im Sinne von § 72 Abs. 1 Satz 1 FGO, dennoch hat der Kläger insoweit - dem Rechtsgedanken des § 136 Abs. 2 FGO entsprechend - die Kosten zu tragen (45% gemessen am Gesamtstreitwert). Zugunsten des Klägers war auch keine Streitwertminderung aufgrund der Antragsbeschränkung zu berücksichtigen, denn sämtliche Gerichts- und Anwaltsgebühren waren bereits aus dem vollen Streitwert entstanden, insbesondere war aufgrund des Erörterungstermins auch bereits die Terminsgebühr des Klägervertreters aus dem vollen Streitwert angefallen (vgl. Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 139 FGO, Rz 92).
III.
52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3, § 155 FGO i.V. mit § 708 Nr. 10, §§ 709 und 711 ZPO (Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl., § 151 Rz 3 m.w.N.).
IV.
53
Die Revision war wegen Divergenz zu den Urteilen des Hessischen FG vom 06.11.2018 (12 K 1328/17) und des FG Köln vom 14.08.2019 (14 K 719/19) zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).