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07.04.2021 · IWW-Abrufnummer 221611

Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 13.02.2020 – 6 K 1753/19

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom 13.02.2020


In dem Finanzrechtsstreit
1. des Herrn
2. der Frau
- Kläger -
gegen
das Finanzamt
- Beklagter -

wegen Einkommensteuer 2017

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 6. Senat - im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung am 13. Februar 2020 durch die Richterin am Finanzgericht xxx für Recht erkannt:

Tenor:

I.
Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 vom 26. Juli 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2019 wird dahin geändert, dass weitere Unterhaltleistungen gemäß § 33a EStG in Höhe von 350 € zu berücksichtigen sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu 89% und der Beklagte zu 11% zu tragen.

III.

Das Urteil ist wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Streitig ist im Rahmen der Anwendung des § 33a EStG die Berechnung der Einkünfte und Bezüge des Kindes.

Die Kläger sind zusammen veranlagte Eheleute.

Mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2017 reichten die Kläger eine Anlage Unterhalt ein, in der sie die Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen in Höhe von 9.920 € für die am 01.07.1988 geborene Tochter V gemäß § 33a Abs. 1 EStG beantragten.

Die in M in einer den Klägern gehörenden Wohnung wohnende Studentin V hatte eigene Bezüge - öffentliche Ausbildungshilfen - in Höhe von 4.020 € (Bafög-Bescheid Bl. 22 ESt-Akte). Aus einem geringfügigen Arbeitsverhältnis hatte V Einnahmen in Höhe von insgesamt 1.830,37 € lt. elektronischer Übermittlung des Arbeitgebers (Bl. 18/19 ESt-Akte), bzw. 1.869,62 € lt. den von den Klägern vorgelegten Abrechnungen (Bl. 24-26 ESt-Akte).

In 2017 hatte V Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 1.098,38 € geleistet (Bl. 23 ESt-Akte).

Im Einkommensteuerbescheid der V für das Jahr 2017 wurden Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit in Höhe von 1.830 € und Werbungskosten in Höhe von 2.180 € angesetzt. Die Werbungskosten setzen sich zusammen aus Studiengebühren in Höhe von 605,93 €, Fahrten zur Lerngemeinschaft in Höhe von 150 € und Familienheimfahrten in Höhe von 1.425,12 €, wobei die Entfernungspauschale angesetzt wurde. Hieraus ergab sich ein Verlust in Höhe von 350 €.

Die Kosten zu den eigenen Bezügen bezifferten die Kläger auf 5.753 €. Sie gaben an, Unterhaltsleistungen in Höhe von über 8.820 € erbracht und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.100 € übernommen zu haben.

Die Unterhaltsleistungen seien in Form von Sachleistungen - Wohnungsüberlassung - erbracht worden.

Im Veranlagungsverfahren wurden die Kläger mit Schreiben vom 15.06.2018 und vom 05.07.2018 aufgefordert, Nachweise über Baujahr, Lage, Größe und Ausstattung der überlassenen Wohnung vorzulegen.

Mit Einkommensteuerbescheid vom 26.07.2018 wurden die geltend gemachten Unterhaltsaufwendungen nicht anerkannt. Berücksichtigt wurden bei den Sonderausgaben Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der V in Höhe von 1.099 €. Hierzu wurde ausgeführt:

"Die Unterhaltsleistungen an Ihre Tochter i.H.v. 9.920 € wurden nicht anerkannt, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Die Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da gem. R 33a.1 Abs. 1 Satz 5 EStR 2012 keine Haushaltsgemeinschaft besteht. Ihre Tochter war 2017 ganzjährig mit Hauptwohnsitz in M gemeldet. Der Nebenwohnsitz in D, S-Straße liegt ebenfalls nicht in Ihrem Haushalt. Somit ist der Abzug des Unterhaltshöchstbetrages nicht möglich.

Trotz Aufforderungen vom 15.06.2018 und 05.07.2018 haben Sie keine Nachweise zu den Unterhaltszahlungen eingereicht. Ebenso wurden keine Angaben zur Wohnung in M gemacht, welche unentgeltlich an Ihre Tochter überlassen wurde.

Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Tochter wurden lt. vorliegender elektronischer Daten berücksichtigt."

Die Kläger legten gegen den Einkommensteuerbescheid für 2017 Einspruch ein mit der Begründung, die gesamte Familie sei zum 01.05.2015 von der Mietwohnung in D, S-Straße in die eigene Wohnung in der Sch-Straße umgezogen. An den Verhältnissen, dass V ein eigenes Zimmer zur Verfügung stand, das sie an Wochenenden und in den Semesterferien nutze, habe sich durch den Umzug nichts geändert.

Das FA hat über den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 22.07.2019 entschieden. Unterhaltsaufwendungen gemäß § 33a EStG wurden wie folgt anerkannt:

ungekürzter Höchstbetrag gem. § 33a EStG    8.820 €
Erhöhungsbetrag gem. § 33a Abs. 1 S. 2 EStG    1.099 €
Gesamt    9.919 €
anrechenbare Einkünfte, Bezüge u. Zuschüsse der V    
Einkünfte  Arbeitslohn    1.830 €
./. Werbungskosten    - 2.180 €
- 350 €
anzurechnende Einkünfte    0 €
Bezüge    0 €
Zuschüsse    
Bafög    4.020 €
./. Kostenpauschale gem. R 33a.1 (3) S. 5 EstR    - 180 €
anzurechnende Zuschüsse 3.840 €    - 3.840 €
abzugsfähige Unterhaltsleistungen    6.079 €

Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor, die Berechnung der gemäß § 33a EStG zu berücksichtigenden Unterhaltsleistungen sei unzutreffend. Die Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit seien mit den Bafög-Leistungen zu verrechnen.

Es sei folgende Berechnung vorzunehmen:

ungekürzter Höchstbetrag gem. § 33a EStG    8.820 €
Erhöhungsbetrag gem. § 33a Abs. 1 S. 2 EStG    1.100 €
erhöhter Betrag    9.920 €
anrechenbare Einkünfte, Bezüge u. Zuschüsse der V    
Einkünfte Arbeitslohn    1.830 €
./. Werbungskosten    - 2.915 €
- 1.085 €
anzurechnende Einkünfte    0 €
Bezüge    0 €
Zuschüsse    
Bafög    4.020 €
./. Kosten zu den Bezügen    - 6.404 €
anzurechnende Zuschüsse 0 €    - 0 €
abzugsfähige Unterhaltsleistungen    9.920 €

Die Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung seien zu berücksichtigen.

Ergänzend wird auf die Klageschrift nebst Anlagen (Bl. 3-18 Prozessakte -PA-) und den Schriftsatz vom 17.10.2019 (Bl. 69-76 PA) Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 vom 26. Juli 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2019 dahin zu ändern, dass die Unterhaltsleistungen gemäß § 33a EStG in Höhe von 9.920 € berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Begründung der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, die Berücksichtigung von Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung führe zu negativen Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit. Unabhängig davon, wie hoch negative Einkünfte seien, seien diese nicht auf die Bafög-Leistungen anzurechnen. Deshalb spiele es für den Streitfall keine Rolle, ob überhaupt Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung anzuerkennen seien.

Die als Ausbildungshilfe aus öffentlichen Mitteln erhaltenen Zahlungen seien gem. § 33a Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 EStG steuerlich als Zuschüsse zu behandeln und damit in vollem Umfang - ohne anrechnungsfreien Betrag - von dem nach § 33a Abs. 1 EStG ermittelten Höchstbetrag abzuziehen.

Ergänzend wird auf den Schriftsatz vom18.09.2019 (Bl. 46-50 PA) Bezug genommen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet, soweit der Beklagte den Verlust in Höhe von 350 € nicht berücksichtigt hat, im Übrigen ist sie unbegründet.

Das Gericht folgt hinsichtlich der Anwendung des anrechnungsfreien Betrages von 624 € auf die als Zuschuss gewährten Bafög-Leistungen der nach seiner Auffassung zutreffenden Begründung der Einspruchsentscheidung und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 105 Abs. 5 FGO).

Was die begehrte Saldierung mit einem Verlust bei den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit anbelangt, bezieht sich das FA auf die Definition der Einkünfte in § 2 Abs. 2 EStG als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten und schließt daraus, dass negative Einkünfte im Rahmen der Ermittlung des Kürzungsbetrages nicht zu berücksichtigen seien. Zwingend ist diese Argumentation allerdings nicht, da § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG auch einen negativen Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zulässt und dieser zu einer Verlustfeststellung gemäß § 10d Abs. 4 EStG führen kann (Weber-Grellet in Schmidt § 2EStG Rz. 10).

Hillmoth in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 33a EStG, Rz. 75 vertritt ausdrücklich die Auffassung, dass auch negative Einkünfte zu berücksichtigen und mit etwaigen positiven Einkünften und Bezügen zu verrechnen seien. Ebenso äußert sich Mellinghoff in Kirchhof, Kommentierung zu § 33a EStG, Rz. 19, da die Summe der Einkünfte maßgeblich sei.

Das Urteil des FG Münster Urteil vom 27.04.2006 - 8 K 1375/03 E (EFG 2006, 1427) ist nicht einschlägig, da es dort um die Berücksichtigung eines Verlustvortrages ging, der systematisch erst im Anschluss an die Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte steuerlich berücksichtigt wird.

In dem vom BFH mit Urteil vom 18.06.2015 - VI R 45/13 (BFHE 250, 138, BStBl II 2015, 928) entschiedenen Fall ging es um die Berücksichtigung von Beiträge der unterhaltenen Person zur gesetzlichen Renten-, Arbeitslosen,- Kranken- und Pflegeversicherung. Auch hierbei handelt es sich um Positionen, die erst nach der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte zu berücksichtigen sind.

In Rz. 13 dieses Urteils führt der BFH allerdings aus, dass anrechenbare andere Einkünfte i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG die nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zu ermittelnden Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG seien, da der Begriff der Einkünfte in § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG entspreche. Konsequenz hieraus sei, dass Verlustabzüge gemäß § 10d EStG, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen nicht zu berücksichtigen seien. Eine Aussage zu der Berücksichtigung negativer Einkünfte trifft das Urteil nicht.

Die Identität der Begriffsbestimmungen legt vielmehr nahe, dass auch negative Einkünfte bei der Berechnung der für § 33a EStG maßgeblichen Einkünfte zu berücksichtigen sind.

Das Gericht schließt sich daher den erwähnten Literaturmeinungen an und nimmt eine Saldierung der positiven und negativen Einkünfte vor und zwar nicht - wie das FA - beschränkt auf den positiven Betrag, sondern in der Weise, dass auch ein negatives Ergebnis anzusetzen ist. Dies folgt nach Auffassung des Gerichts aus der Maßgeblichkeit der Definition der Einkünfte in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG.

Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG für die Anerkennung der doppelten Haushaltsführung sind bei V nicht erfüllt.

Hierzu wird auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 18.09.2019 - 9 K 209/18 (Juris, Revision anhängig, Az. des BFH: VI R 39/19) hingewiesen. Dort wird ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG gegenüber der BFH-Rechtsprechung eine Verschärfung dergestalt bezweckt hat, dass es für das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung nicht mehr genügen soll, wenn der Steuerpflichtige im Haushalt der Eltern ein Zimmer bewohnt (Rz. 45). In Fällen von sog. Mehr-Generationen-Haushalten soll hierfür eine relevante finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung erforderlich sein; die Wesentlichkeitsgrenze könne bei 10% gezogen werden (Rz. 75).

Ausweislich der Akten hat V sich an den Kosten der Lebensführung überhaupt nicht beteiligt; hierzu haben die Kläger auch nichts vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten beruht auf §§ 151 Abs. 2 und 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Fassung des Tenors erfolgt gemäß § 100 Abs. 2 FGO.

Die Berichterstatterin hat gemäß §§ 79a Abs. 3 und 4, 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entschieden.

RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 33a Abs. 1

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