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19.07.2021 · IWW-Abrufnummer 223561

Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 16.04.2021 – 1 K 2249/17 U

Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.



Tenor:

Der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2015 vom … wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom … dergestalt geändert, dass die Umsatzsteuer vermindert um … auf … festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 79 % und der Beklagte zu 21 %.

Der Streitwert wird auf … festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.
 
1

Tatbestand:
2

Streitig ist die Umsatzsteuerpflicht physiotherapeutischer und allgemein der Gesundheitsförderung dienender Leistungen, die in den Jahren 2014 und 2015 ohne ärztliche Verordnung von der Klägerin erbracht wurden.
3

Die Klägerin ist ein Gesundheitsdienstleister in der Physiotherapie … in der Rechtsform einer …. Der Schwerpunkt liegt auf der gerätegestützten Physiotherapie; außerdem werden Massagen, manuelle Therapie sowie zahlreiche weitere Therapien angeboten. Die Klägerin ist zugelassener Partner aller Krankenkassen und bietet … auch Therapien im Rahmen der Integrierten Versorgung, Rehabilitations-Sport sowie kommerzielle Leistungen zur Gesunderhaltung wie Fitness-Programme und Präventions-Kurse an. ….
4

In der am … beim Beklagten, dem Finanzamt … ‑FA‑, eingereichten Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2014 erklärte die Klägerin bei Gesamtumsätzen iHv … € (brutto) steuerfreie Umsätze iHv … €. In der Anlage zur Umsatzsteuererklärung wies die Klägerin darauf hin, dass in diesen steuerfreien Umsätzen die erbrachten physiotherapeutischen Leistungen ohne ärztliche Verordnung (z.B. weil der Patient nach ausgelaufenem Rezept als Selbstzahler weiterbehandelt wurde) iHv … € enthalten seien. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass diese Umsätze als steuerfreie Heilbehandlung anzusehen seien (Hinweis auf FG Schleswig-Holstein 05.02.2014 - 4 K 75/12, EFG 2014, 590; nachgehend BFH-Urteil 01.10.2014 ‒ XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451). Die Umsatzsteuererklärung stand einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
5

Im Jahr 2016 fand bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung statt. Die Prüferin vertrat die Auffassung, dass die Erlöse von selbstzahlenden Patienten, die ihre Therapie im Anschluss an eine ärztliche Verordnung auf eigene Rechnung fortgesetzt hatten, steuerpflichtige Umsätze zum Regelsteuersatz seien.
6

Behandlungen von Angehörigen von Gesundheitsfachberufen im Anschluss bzw. im Nachgang zu einer Verordnung eines Arztes bzw. Heilpraktikers seien ohne erneute Verordnung grundsätzlich nicht als steuerfreie Heilbehandlung iSd § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG anzuerkennen.
7

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom … über die für den Zeitraum 2014 bis Februar 2016 durchgeführte Umsatzsteuer-Sonderprüfung Bezug genommen.
8

Das FA folgte der Auffassung der Umsatzsteuer-Sonderprüfung und erließ mit Datum vom … einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2014, mit dem bei einem unveränderten Gesamtumsatz iHv … € (brutto) die steuerfreien Umsätze um … € (brutto) gemindert und die dem Regelsteuersatz unterfallenden steuerpflichtigen Umsätze entsprechend um … € (netto) erhöht wurden. Mit Datum ebenfalls vom … berücksichtigte das FA beim Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2015 einen aus der Buchführung entnommenen Gesamtumsatz iHv … € (brutto) sowie Umsätze zu 19 % iHv … € (davon zusätzlich laut Prüferin … €) zzgl USt iHv … €, insgesamt … € (brutto).
9

Hiergegen richteten sich die von der Klägerin erhobenen Einsprüche.
10

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die streitigen Umsätze trotz fehlender ärztlicher Verordnung steuerfrei seien (Hinweis auf BFH 01.10.2014 - XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451). Für die Steuerbefreiung der physiotherapeutischen Leistungen sei eine fortlaufende Verordnung nicht zwingend erforderlich. Zudem unterfielen die fraglichen Umsätze allenfalls dem ermäßigten Steuersatz.
11

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens wurde mit Änderungsbescheiden vom … dem Begehren der Klägerin teilweise entsprochen und physiotherapeutische Leistungen iHv … € (netto), … € (brutto) (2014) und … € (netto), … € (brutto) (2015), die auch nach Auffassung des FA als verordnungsfähige Heilmittel iSd Heilmittel-Richtlinie iVm dem Heilmittelkatalog anzusehen seien, gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterworfen (Hinweis auf das Schreiben des FA vom … ). Die Umsatzsteuerbescheide wurden wie folgt geändert:
12

Umsatzsteuerbescheid 2014:
13


14

Umsatzsteuerbescheid 2015:
15


16

Nachdem die Klägerin die Umsatzsteuerjahreserklärung für 2015 eingereicht hatte, wurde diese mit dem erklärten Gesamtumsatz iHv … € der geänderten Festsetzung vom … zugrunde gelegt. Hinsichtlich der erklärten steuerfrei belassenen Selbstzahler-Leistungen erfolgte eine Korrektur insoweit, als diese Leistungen als Verabreichung von Heilbädern iHv … € brutto den Umsätzen mit dem ermäßigten Steuersatz zugerechnet wurden.
17


18

Mit einheitlicher Einspruchsentscheidung vom … wies das FA sodann die Einsprüche der Klägerin gegen die Umsatzsteuerbescheide 2014 und 2015 als unbegründet zurück.
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Die streitigen Umsätze, soweit sie auf Selbstzahler entfielen, seien zu Recht als umsatzsteuerpflichtig behandelt worden. Die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG lägen nicht vor.
20

Durch § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG würden Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, von der Umsatzsteuer befreit.
21

Die Feststellungslast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung, also das Vorliegen einer Heilmaßnahme, liege nach allgemeinen Grundsätzen bei demjenigen, der sich auf die Steuerbefreiung berufe. Bestünden Zweifel daran, dass es sich bei den Leistungen um eine medizinisch indizierte Heilbehandlung handele, sei es Aufgabe des Steuerpflichtigen, die medizinische Indikation nachprüfbar einzelfallbezogen zu dokumentieren und zum Nachweis Abrechnungen mit Leistungsbeschreibung und ggf. weitere Unterlagen vorzuhalten. Die Zweckbestimmung einer medizinischen Maßnahme müsse auch für einen medizinischen Laien verständlich werden.
22

Angehörige eines Gesundheitsfachberufs dürften ihre Tätigkeit im Unterschied zu Ärzten und Heilpraktikern nicht in diagnostischer und therapeutischer Autonomie ausüben. Sie benötigten eine Anordnung oder Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers, es sei denn, sie würden im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme tätig. Das gelte auch für Behandlungen im Anschluss/Nachgang einer ärztlich verordneten Maßnahme, die vom Patienten frei gewählt und selbst bezahlt würden. Sofern für diese Anschlussbehandlung keine ärztliche Verordnung vorliege, handele es sich um eine steuerpflichtige Präventionsmaßnahme (Hinweis auf UStAE Abschnitt 4.14.1 Abs. 4). Die der Berufsgruppe nach dem Masseur- und Physiotherapeutengesetz erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung berechtige nicht zu Krankenbehandlungen ohne ärztliche Verordnung und somit nicht zur Ausübung der Heilkunde.
23

Die Ausbildung vermittle keine ausreichenden Kenntnisse und Fähigkeiten zu einer selbständigen Erstdiagnose, sondern nur für die nachgelagerte Heilmittelerbringung. Der Arzt ordne eine hinreichend konkretisierte Maßnahme an und übernehme hierdurch die Verantwortung für die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit. Voraussetzung für die Steuerbefreiung der Umsätze der Physiotherapeuten und staatlich geprüften Masseure sei daher das Vorliegen einer ärztlichen Verordnung. Maßnahmen aufgrund bloßer Befürwortung, Anregung oder Empfehlung eines Arztes oder zur allgemeinen Gesundheitsförderung oder Gesunderhaltung, z. B. Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe iSd § 20 SGB V, seien keine therapeutischen Heilmaßnahmen im Sinne der Steuerbefreiungsvorschrift.
24

Die Klägerin habe hinsichtlich der streitigen Umsätze die erforderlichen Nachweise für eine Steuerfreiheit nicht erbracht. Denn für die Gruppe der Selbstzahler habe sie weder ärztliche Verordnungen noch andere Unterlagen, aus denen sich der therapeutische Zweck der Leistung ebenso eindeutig ergebe, vorgelegt.
25

Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Hinweis auf BFH-Urteil 01.10.2014 - XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451). Auch dort werde ausgeführt, dass die Steuerbefreiung ohne ärztliche Verordnung in Form eines Kassen- oder Privatrezepts nur dann gewährt werden könne, wenn andere Unterlagen mit derselben Aussagekraft wie der einer ärztlichen Verordnung vorgelegt würden, aus denen sich der therapeutische Zweck der Leistung ebenso eindeutig ergibt. Derartige Unterlagen habe die Klägerin jedoch nicht vorgelegt.
26

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die ausführliche Einspruchsentscheidung vom … Bezug genommen.
27

Hiergegen richtet sich die Klage. Das FA habe zu Unrecht zum einen die von der Klägerin erbrachten unselbständigen Nebenleistungen zu nach § 14 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerbefreiten Hauptleistungen als eigenständige steuerpflichtige Leistungen und zum anderen die Leistungen an sogenannte Selbstzahler, die ihre Therapie im Anschluss an eine ärztliche Verordnung ohne Vorlage einer erneuten Verordnung für die Anschlussbehandlung auf eigene Rechnung fortgesetzt hätten, als steuerpflichtige Leistungen behandelt.
28

Das … Betätigungs-/ Kompetenzfeld … der Klägerin … sei jede Form chronischer Wirbelsäulenerkrankungen. Die Behandlung erfolge nach einem … Therapiekonzept einschließlich biomechanischer Funktionsanalyse der Wirbelsäule, spezieller Schmerzanamnese und gegebenenfalls anderer funktionsbezogener Messverfahren. Weitere Schwerpunkte lägen im Bereich der Operationsvermeidung bei Knie‑ , Hüft- und Schulterleiden. Kommerzielle Leistungen zur Gesunderhaltung wie Fitness-Programme würden nicht angeboten.
29

1. Die Klägerin habe in großem Umfang unselbständige, aber gesondert entgoltene Nebenleistungen zu unstreitig umsatzsteuerfreien Hauptleistungen erbracht, die das FA zu Unrecht der Besteuerung mit dem ermäßigten Steuersatz unterworfen habe.
30

Die Entgelte für diese Leistungen seien in der Finanzbuchhaltung gesondert unter den Bezeichnungen „Nebenleistungen 1", „Nebenleistung 2", „Rehasport" und „Nebenleistung 3" erfasst worden. Diese Leistungen unterlägen im Einklang mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung, wonach eine Nebenleistung grundsätzlich das umsatzsteuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung teile (Hinweis auf UStAE Abschnitt 3.10 Abs. 5), nicht der Umsatzsteuer, weil sie mit steuerbefreiten Hauptleistungen einhergingen, die sie nebensächlich ergänzten bzw. abrundeten.
31

a. Nebenleistungen 1 iHv … € (2014) und … € (2015) (brutto)
32

Bei den Nebenleistungen 1 handele es sich um den therapeutischen Effekt einer Anwendung verstärkende Maßnahmen, die nach dem Heilmittelkatalog nicht verordnungsfähig seien (z.B. Kinesio-Taping), oder die aufgrund der von den Ärzten zu beachtenden Budget-Restriktionen oftmals nicht mit verordnet würden, obwohl dies in Zusammenhang mit anderen Leistungen durchaus möglich wäre (z.B. Wärme- oder Kältetherapie im Anschluss an eine KGG-Übungseinheit). Ein separater Leistungsbezug losgelöst von einer flankierenden Therapieeinheit sei in beiden Fallgruppen nicht möglich. Diese Leistungen würden zusätzlich zu den ärztlich verordneten Behandlungen erbracht, entweder direkt während einer Therapie oder Trainingseinheit (zB Kinesio-Taping) bzw. zeitlich unmittelbar im Anschluss daran (wie die Wärme- oder Kältetherapie). Etwas anderes gelte nur für Erlöse, die auf nicht im Heilmittelkatalog gelisteten Leistungsangeboten (Aromamassage, Fußreflexzonenmassage, Vibrationstherapie, Hot Stone Massage, Personal Training) beruhten.
33

Bei dem „kinesiologischen Tape" handele es sich um ein elastisches, selbstklebendes, therapeutisches Klebeband aus einem dehnbaren, textilen Material, auf das ein Polyacrylatkleber aufgebracht sei. Unter Anwendung spezieller, unterschiedlicher Techniken (Taping) werde dieses Klebeband auf die Haut aufgebracht, um dort während einer laufenden Trainingseinheit unterschiedliche Wirkungen erzielen (Beeinflussung von sowohl extrinsischen (exterozeptiven) Rezeptoren als auch intrinsischen (propriozeptiven) Rezeptoren, Verbesserung der Mikrozirkulation, verbesserter Lymphabfluss, Einflussnahme auf das viszerale System durch Dauermassage). Durch die Anwendung von kinesiologischen Tapes bei der Therapie würden Muskeln in ihrer Funktion unterstützt und Gelenke bei hohen Belastungen…, stabilisiert.
34

Ergänzend zu ärztlich verordneten physiotherapeutischen Maßnahmen würden den Patienten … nach Abschluss einer einzelnen KGG-Übungseinheit weitere Anwendungen als Nebenleistungen 1 nahegelegt: Wärme- oder Kälteanwendungen (Warmpackung mit Moor und/oder Paraffin, Glühlicht, Heißluft, Ultraschall-Wärmetherapie bzw. Kältetherapie mit speziellen Kompressen) abzielend auf eine Verstärkung therapeutischer Effekte, wie Schmerzlinderung, antiphlogistische Effekte bei chronischen Entzündungen, Muskeldetonisation, verbesserte Dehnbarkeit bindegewebiger Strukturen bzw. Durchblutungssteigerung. Im Vorfeld einzelner Trainingseinheiten würden sogenannte Extensionsbehandlungen angeboten, die für eine Entlastung der Gelenke, Bandscheiben und Nervenbahnen sorgen und Muskeln und Gelenke lockern und dehnen sollten, um die Wirbelsäule auf die folgenden Therapieeinheiten vorzubereiten und die Wirksamkeit zu verstärken.
35

Keine dieser Leistungen habe für den Leistungsempfänger einen eigenen Zweck, sondern stelle lediglich ein Mittel dar, um die -steuerbefreite- Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Ein separater Leistungsbezug ohne eine flankierende Trainingseinheit sei nicht vorgesehen. Zudem handele es sich um eine bloße Entgeltsauffüllung im Zusammenhang mit einer steuerbefreiten Leistung.
36

b. Nebenleistung 2 … € (2014) und … € (2015) (brutto, Bl 40 dA, Bl 147 eA)
37

Unter der Bezeichnung „Nebenleistung 2“ seien von der „Zentralen Prüfstelle Prävention“ zertifizierte Kurse (zB …) durchgeführt worden, die zunächst von den Teilnehmern vollständig selbst zu zahlen seien. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, dass die Kostenrechnung bei Absolvierung einer vorgegebenen Mindestanzahl von Trainingseinheiten vom Teilnehmer bei der jeweiligen Krankenkasse nach § 20 SGB V zur anteiligen Kostenübernahme eingereicht werden könne.
38

Die Krankenkassen seien nach der Konzeption des SGB V zu Primärprävention und Gesundheitsförderung und dementsprechend bei gemäß § 20 Abs. 4 Nr. 1 SGB V zertifizierten Kursen zur Kostenbeteiligung verpflichtet, weil es sich insoweit um komplementäre Strategien zur Verhütung von Erkrankungen und der Sicherung der Gesundheit handele. Hinsichtlich der Einzelheiten der zertifizierten Kurse wird auf Bl 63, 64, 68 ‒ 73 dA (Bl 76, 77; 81 ‒ 86 eA) Bezug genommen.
39

c. Rehasport
40

2014: Rehasport … €, Nebenleistung 3 … €, insgesamt … €
41

2015: Rehasport … €, Nebenleistung 3 … €, insgesamt … €
42

(brutto Bl 147 eA)
43

Unter der Bezeichnung „Rehasport“ seien sowohl Entgelte für Rehasportleistungen im engeren Sinne als auch Nebenleistungen 3 erfasst worden. Die unter der Bezeichnung „Rehasport“ erfassten Leistungen würden aufgrund ärztlicher Verordnung erbracht und unmittelbar mit den Krankenkassen bzw. den übrigen gemäß § 6 SGB XI zur Kostenübernahme verpflichteten Rehabilitationsträgern abgerechnet. Gleichwohl habe die Klägerin für interne Zwecke diese Leistungen ‑irreführend‑ als Selbstzahlerleistungen geschlüsselt. Die Klägerin habe die Leistung „Rehasport“ auch ausdrücklich als „Rehasport … aufgrund ärztlicher Verordnung Rehabilitationssport nach vorheriger Genehmigung durch die Krankenkasse“ beworben (Bl 74, 75 dA; Bl 87, 88 eA).
44

Mit „Nebenleistung 3“ würden zusätzliche Trainingsmöglichkeiten an den Geräten auf der Therapiefläche im Anschluss an eine vorangegangene Übungseinheit des Rehasportkurses bezeichnet; dies könne von den Teilnehmern optional als Ergänzung (zusätzliches individuelles …-training … Bl 75 dA, Bl 88 eA) hinzugebucht werden. Übungen an technischen Geräten seien nicht Bestandteil der über Rehabilitationsträger erlangbaren Leistungen. Das Zusatzprogramm sei losgelöst vom Besuch einer Rehasportgruppe nicht vorgesehen.
45

2. Anschlussbehandlung ohne ärztliche Verordnung (Bl 109 dA)
46

2014: … € (brutto) (…)
47

2015: … € (brutto) (…)
48

Auch die Erlöse von Selbstzahlern, also von idR gesetzlich krankenversicherten Patienten, die ihre Therapie im Anschluss an eine ärztliche Verordnung zur nachhaltigen Linderung ihrer Beschwerden auf eigene Rechnung fortsetzten, seien zu Unrecht der Umsatzsteuer unterworfen worden.
49

Nach Abschluss einer aufgrund einer ärztlichen Verordnung durchgeführten Therapie bei chronischen Rücken-, Knie- und Hüftpatienten werde die Therapie von manchen Patienten als Selbstzahlerleistung fortgeführt. Die Behandlung erfolge weiterhin auf Grundlage der vorangegangenen ärztlichen Verordnung, d.h. grundsätzlich auf die gleiche Art und Weise wie zuvor (vgl. zB … „Anschlussleistung 4“ Bl 131 dA, Bl 174 eA).
50

Die …(Klägerin sei) auf chronische Erkrankungen des Rückens spezialisiert, die sich auf degenerative (verschleißbedingte) Wirbelsäulenveränderungen zurückführen ließen. Am häufigsten sei die Lendenwirbelsäule betroffen. Zu diesem Segment gehörten mehrere Krankheitsbilder, die isoliert oder gemeinsam auftreten könnten und deren gemeinsames Charakteristikum das altersabhängige Auftreten sei. Hinzu komme, dass es sich um lang andauernde Erkrankungen handele, die nach dem heutigen Stand der Schulmedizin nicht vollständig geheilt werden könnten. Dazu zählten im Wesentlichen:
51

• Spinalkanalstenose (Wirbelkanalverengung)
52

• Spondylarthrose (Arthrose der kleinen Wirbelgelenke, sog. Facettensyndrom)
53

• Spondylose / Osteochondrose (Verschleiß der Bandscheiben und Wirbelkörper)
54

• Degenerative Spondylolisthesis (Wirbelkörpergleiten)
55

Neben Rückenleiden würden zudem Chroniker mit Arthrosen, weichteilrheumatischen Beschwerden (Tendomyosen, Tendinosen, Insertionstendinosen, chronische Periarthropathien) sowie chronische Arthritiden behandelt.
56

Die Gesamtzahl der aktiv behandelten Patienten habe sich im Jahr 2014 auf … und im Jahr 2015 auf … belaufen.
57

Die Feststellung, welcher Art die chronische Erkrankung im Einzelfall sei, treffe der die erste Verordnung ausstellende Orthopäde. In der Regel begleite die Erkrankung den Patienten für den Rest seines Lebens. Durch die Physiotherapie könne die Muskulatur des Rückens gezielt aufgebaut und damit die Wirbelsäule entlastet werden, wodurch sich die Beschwerden der Patienten langfristig lindern lassen könnten. Die eigentliche Symptomatik der Erkrankung werde dadurch nicht tangiert, d.h. ein einmal aufgetretener Verschleiß lasse sich nicht rückgängig machen.
58

Auf einer Linie mit UStAE Abschnitt 4.14.1 Abs. 4 S. 9 mache sich das FA die --zumindest für den GKV-Bereich-- lebensfremde Annahme, dass jede kranke Person stets physiotherapeutische Verordnungen durch einen Arzt erhalte, bis die Erkrankung austherapiert sei, zu eigen. Es entspreche aber nicht den Tatsachen, dass das Verordnungsverhalten eines Arztes als Maßstab für die medizinische Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer Maßnahme geeignet sei.
59

Ärztliche Verordnungen müssten gemäß § 12 SGB V zweckmäßig, wirtschaftlich und ausreichend sein. Die verordnungsfähigen Heilmittel seien in dem sog. Heilmittelkatalog zusammengefasst. Die sog. Heilmittelrichtlinien (HMR) seien Vereinbarungen zwischen den Ärzten der Kassenärztlichen Vereinigungen (Vertragsärzte) und den Krankenkassen. Sie sollten einer ergebnisorientierten Verordnung durch den Arzt dienen, da die niedergelassenen Ärzte im Gegensatz zu Krankenhausärzten gesetzlich verpflichtet seien, auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise zu achten. Um dies sicher zu stellen, bekomme jeder Vertragsarzt eine zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen vereinbarte Richtgröße pro Patient zugewiesen - alle „Fälle" würden mit der Richtgröße multipliziert, die so errechnete Summe sei der Maximalbetrag, den der Arzt in einem Quartal verordnen dürfe (individuelles Budget).
60

Die … Klägerin … sei als Heilmittelerbringerin von den HMR unmittelbar betroffen, weil sich die Verordnungen der Vertragsärzte nach den dortigen Vorgaben richten müssten. Für einen gesetzlich versicherten Patienten bedeute dies, dass der Arzt ihm nur eine Physiotherapie verordnen könne, die zur Therapie seiner Erkrankung oder Verletzung wirtschaftlich, zweckmäßig und ausreichend sei. Dazu stelle der Arzt eine Heilmittelverordnung (Rezept) aus, mit der der Patient eine von den Krankenkassen zugelassene Physiotherapiepraxis aufsuchen könne. Die Anzahl der Behandlungen pro Rezept sei auf sechs, höchsten jedoch zehn Behandlungen begrenzt. Die Kosten übernehme die Krankenversicherung.
61

Stelle ein Arzt aus Sicht der HMR zu viele Heilmittelverordnungen aus, könne er sein individuelles Budget überschreiten. Werde dieser Wert um 15 % überschritten, durchlaufe der Arzt ein Prüfverfahren, ob die Verordnungen das Maß des „Ausreichenden“ überschritten hätten. Vielfach müsse der Arzt dann einzelne Verordnungen selbst bezahlen, was Vertragsärzte durch ein entsprechend angepasstes Verordnungsverhalten tunlichst zu vermeiden suchten. Liege ein Vertragsarzt gar 25 % darüber, werde er grundsätzlich in Regress genommen, seine nächste Honorarzahlung werde entsprechend gekürzt. Auch die Anzahl von Folgeverordnungen werde durch die dem Arzt auferlegte Gesamtverordnungsmenge begrenzt; eine Langfristverordnung, d.h. eine dauerhafte Verordnung physiotherapeutischer Maßnahmen, sei grundsätzlich nicht möglich.
62

Da der Arzt gezwungen sei, die Verordnung aus wirtschaftlichen Gründen danach zu bemessen, was soeben noch ausreichend für das zu behandelnde Leiden sei, bekomme ein GKV-Patient nicht in vollem Umfang die tatsächlich in seinem Fall medizinisch indizierte Heilbehandlung verordnet. Das ärztliche Verordnungsverhalten sei als Maßstab für die medizinische Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer durchgeführten Heilbehandlung daher nicht geeignet, zumal das Verordnungsverhalten in Bezug auf privat krankenversicherte Patienten mit gleichgelagerten Krankheitsbildern regelmäßig ein ganz anderes sei.
63

Der den Vertragsärzten auferlegte Zwang, bei jeder Verordnung eine wirtschaftliche Abwägung vorzunehmen, sei dem Umsatzsteuerrecht fremd. Für die Gewährung der Steuerbefreiung komme es darauf an, dass die erbrachte Leistung dem Schutz der Gesundheit des Betroffenen diene und dass bei der Tätigkeit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund stehe. Wirtschaftlich intendierte Sparzwänge spielten grundsätzlich keine Rolle.
64

Das FA stelle zu Unrecht die privat finanzierten therapeutischen Maßnahmen der allein betroffenen Zielgruppe chronisch rückenkranker Patienten auf eine Stufe mit Wellnessanwendungen zur Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens. Diese Patienten litten unter einer länger andauernden, nicht final heilbaren Symptomatik, die vielfach mit einer dauerhaften Beeinträchtigung der Lebensqualität einhergehe. Mittels einer dauerhaften Therapie könne es gelingen, Krankheitsverlauf und -symptome unter Kontrolle zu bekommen, wobei es weder in Bezug auf die von dem Therapeuten eingesetzten Methoden noch hinsichtlich der Erfolgsaussichten einen Unterschied mache, wie diese Behandlung finanziert werde (GKV/ PKV/ Patient als Selbstzahler). Es widerspreche der Grundkonzeption des Umsatzsteuerrechts, diejenigen Patienten einer zusätzlichen finanziellen Belastung in Höhe der Steuer aussetzen zu wollen, die auf der Basis einer existierenden Diagnose auf eigene Kosten weitere physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen würden, weil ihr behandelnder Arzt aufgrund der fortschreitenden Verknappung des Budgets Heilmittel nicht im notwendigen Umfang verschreiben könne.
65

3. Die Klägerin habe auch die erforderlichen Nachweise vorgelegt.
66

Die … Klägerin … (sei) … gesetzlich verpflichtet, die behandelten Fälle umfassend patientenbezogen zu dokumentieren (medizinische Indikation aufgrund ärztlicher Diagnose; gegenüber dem Patienten erbrachte Leistungen; verantwortlich handelnder Therapeut; Therapiefortschritt). Der vom FA geforderte Nachweis, dass der ursprünglich vorhandene therapeutische Zweck trotz erfolgter Behandlung fortbestanden habe, ergebe sich bei den hier betroffenen Chronikern regelmäßig aus dem Krankheitsbild nach der bestehenden Eingangsdiagnose, die vom jeweils behandelnden Orthopäden festgestellt worden sei. Jede einzelne Leistung werde patientenbezogen mittels der selbst erstellten Software „Softwarename“ dokumentiert. Für jeden Kunden werde vor Beginn des Leistungsbezuges ein Stammdatensatz angelegt. Für jede Leistung würden sogenannte „Rezepte“ angelegt, die Leistungsumfang und Abrechnungsstelle enthielten. Die erbrachten Therapieeinheiten würden jeweils dokumentiert. Für die „Selbstzahlerleistungen“ würden entsprechend sogenannte „Selbstzahler-Rezepte“ angelegt. So könne für jeden Patienten nachvollzogen werden, wann er welche Leistungen ‒ ggfs. in Kombination mit anderen Haupt- oder Nebenleistungen ‒ bezogen habe. Auf die exemplarisch zu 4 Patientinnen übersandten Datensätze (Bl 110 ‒ 130 dA, Bl 153 ‒ 173 eA) werde Bezug genommen.
67

Bei den als Selbstzahler weiter behandelten Patienten sei es aufgrund interner, an berufsrechtlichen Vorgaben ausgerichteter Handlungsanweisungen vorgesehen, dass spätestens nach Ablauf eines Jahres eine Wiedervorstellung bei dem behandelnden Arzt erfolgen müsse. Das genannte Zeitintervall orientiere sich an dem medizinisch Gebotenen, nicht an budgetgetriebenen Vorgaben der HMR. Entsprechend würden die betroffenen Patienten jedes Quartal bzw. spätestens nach einem Jahr eine erneute ärztliche Verordnung für die Physiotherapie vorlegen. Nur solche Leistungen seien von der Klägerin als umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen beurteilt worden.
68

Bei der Behandlung von Chronikern durch Gesundheitsfachberufe sei es bei einschlägiger vorheriger ärztlicher Diagnose, wie zB chronische Rückenbeschwerden aufgrund eines HWS- oder LWS-Syndroms, nicht zwingend erforderlich, dass fortlaufende Verordnungen vorgelegt würden. Ausreichend sei eine Erneuerung der ärztlichen Feststellungen in medizinisch gebotenen zeitlichen Abständen (Hinweis auf BFH-Urteil 01.01.2014 ‒ XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451).
69

Bereits während der Umsatzsteuersonderprüfung habe die Klägerin diese Falldokumentationen der Prüferin vorgelegt. Die Einspruchsentscheidung sei nach Abgabe an die Rechtsbehelfsstelle ohne weitere Rückfrage nach etwaigen zusätzlichen Nachweisen ergangen.
70

Mit gemäß § 164 Abs. 2 AO geändertem Umsatzsteuerbescheid 2014 vom … hat das FA die aufgrund eines Rechenfehlers in unzutreffender Höhe angesetzten Umsätze der Klägerin zu 7 % und zu 19 % (Gesamtumsatz brutto … €) korrigiert. Mit weiterem Änderungsbescheid vom … wurden Umsätze iHv … € (brutto) nicht mehr dem Regelsteuersatz, sondern dem ermäßigten Steuersatz unterworfen.
71

Die Klägerin beantragt,
72

die streitbefangenen Umsatzsteuerbescheide für das Jahr 2014 vom … und für das Jahr 2015 vom … dahingehend abzuändern, dass
73

a) die steuerwirksame Heranziehung der zugeflossenen Entgelte für unselbständige Nebenleistungen zu steuerbefreiten Hauptleistungen rückgängig gemacht wird, wodurch sich dann die Umsätze zum ermäßigten Steuersatz um (netto) … € (2014) bzw. … € (2015), die Umsatzsteuer mithin um … € (2014) bzw. … € (2015) verringert, und dass
74

b) die Anschlussbehandlungen von Selbstzahlern als steuerfreie Heilbehandlungen anerkannt werden, wodurch sich dann die Umsätze zum ermäßigten Steuersatz netto um weitere … € (2014) bzw. … € (2015), die Umsatzsteuer mithin um weitere … € (2014) bzw. … € (2015) verringert;
75

hilfsweise, die Revision zuzulassen.
76

Der Beklagte beantragt,
77

die Klage abzuweisen;
78

hilfsweise, die Revision zuzulassen.
79

Die streitigen Leistungen der Klägerin seien zu Recht der Umsatzbesteuerung unterworfen worden.
80

1. Die von der Klägerin unter den Bezeichnungen „Nebenleistungen 1", „Nebenleistung 2", „Rehasport“ und „Nebenleistung 3", erbrachten Leistungen seien keine unselbständigen Nebenleistungen zu den steuerfreien Physiotherapieleistungen. Es handele sich um optionale Leistungen, die nur von einem Teil der Patienten gewünscht würden (Hinweis auf BFH-Urteile 25.06.2009 - V R 25/07, BStBl II 2010, 239; 29.09.2011 ‒ V B 23/10, BFH/NV 2012, 75). Es sei nicht erkennbar, dass die zusätzlichen Leistungen, wie Kinesio-Taping und Wärme- oder Kältebehandlung, mit der verordneten Therapiebehandlung so eng verbunden seien, dass eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung vorliege, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Auch lasse sich aus den eingereichten Unterlagen nicht eindeutig entnehmen, ob oder zu welcher „Haupt“Leistung die jeweilige Maßnahme erbracht worden sei.
81

Hinzu komme, dass es für die einzelnen Leistungen auch gesonderte Gebühren nach der Vergütungsvereinbarung für Physiotherapeuten gebe. Da diese jedoch nicht verschrieben würden, entfalte die vermeintliche Hauptleistung ihre Wirkung auch ohne die ergänzenden Maßnahmen.
82

Die Leistung „KinesioTape“ sei zudem nicht verordnungsfähig, so dass die bislang mit 7 % erfolgte Besteuerung ab dem 01.07.2015 auf 19 % zu erhöhen sei.
83

Die von der Klägerin als Nebenleistung 2 bezeichneten Leistungen seien nicht steuerfrei.
84

Yoga-Kurse, Autogenes Training, Entspannungstraining und ähnliche Leistungen seien nicht als Heilbehandlungen iSd § 4 Nr. 14 UStG zu beurteilen. Diese Kurse mögen zwar den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und einen allgemeinen Beitrag zur Verminderung von Krankheitsrisiken leisten; als allgemeine Übung zur Prävention und Selbsthilfe iSd § 20 SGB V wiesen sie jedoch keinen unmittelbaren Krankheitsbezug auf und seien trotz einer möglichen Kostenerstattung der Krankenkassen nach § 20 SGB V keine Heilbehandlungsleistungen (Hinweis auf BFH-Urteile 07.07.2005 - V R 23/04, BStBl II 2005, 904; 04.10.2012 - XI B 46/12, BFH/NV 2013, 273).
85

2. Da für die streitigen Anschlussbehandlungen keine ärztlichen Verordnungen vorlägen, handele es sich um steuerpflichtige Präventionsmaßnahmen. Unerheblich sei, dass die Leistung auf die ursprüngliche Diagnose des Arztes gestützt werde, weiterhin zur Behandlung der darin festgestellten Symptome diene und erst durch diese Zusatzbehandlung der bereits ursprünglich beabsichtigte Erfolg eingetreten sei. Behandlungen im Anschluss oder Nachgang einer ärztlichen Diagnose, für die die Patienten die Kosten selbst tragen, seien keine steuerfreien Heilbehandlungen. Weder Patient noch Physiotherapeut könnten selbst über die medizinische Indikation einer (weiteren) Behandlung befinden. Die eingereichten Unterlagen zeigten, dass nicht für jede Behandlung eine ärztliche Verordnung vorgelegen habe und es der Entscheidungsgewalt des Patienten oblegen habe, ob weitere Maßnahmen erfolgten.
86

Zwar könne der Nachweis einer medizinisch indizierten Behandlung nicht nur durch eine ärztliche Verordnung in Form eines Kassen- oder Privatrezepts geführt werden, sondern mit allen zulässigen Beweismitteln. Der Nachweis bedürfe jedoch medizinischer Feststellungen durch medizinisch dazu befähigtes Fachpersonal, also von Ärzten oder Heilpraktikern. Zudem sei erforderlich, dass die medizinische Feststellung in gebotenen zeitlichen Abständen erneuert werde, um nachzuweisen, dass der therapeutische Zweck weiter fortbestehe.
87

Es sei Sache des Steuerpflichtigen, der sich auf eine Steuerbefreiung berufe, die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür darzulegen. Überall dort, wo Zweifel an der medizinischen Indikation bestünden, treffe den Steuerpflichtigen eine erhöhte Mitwirkungspflicht.
88

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schrift-sätze der Beteiligten und die dem Gericht übersandten Steuerakten Bezug genommen.
89

Entscheidungsgründe:
90

A.              Die Klage ist in dem aus dem Tenor erkennbaren Umfang begründet. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, weil die Klägerin durch den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid des Jahres 2014 nicht in ihren Rechten verletzt wird, § 100 Abs. 1 FGO.
91

Die Leistungen der Klägerin, die diese unter der Bezeichnung „Rehasport“ erbracht hat, sind umsatzsteuerfrei. Gleiches gilt für die im Anschluss an eine ärztlich verordnete Physiotherapieleistung der Klägerin erbrachten Leistungen, für die als solche keine ärztliche Verordnung vorlagen, deren jeweiliger therapeutischer Zweck jedoch durch erneute ärztliche Verordnungen spätestens nach einem Jahr bestätigt wurde. Die übrigen Leistungen der Klägerin sind nicht von der Umsatzsteuer befreit und unterliegen dem allgemeinen Steuersatz.
92

I.               Die von der Klägerin als „Rehasport“ und „Selbstzahlerleistungen“ erbrachten Leistungen sind steuerfreie Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin iSd § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL.
93

1.              Die unter der Bezeichnung „Rehasport“ erzielten Erlöse der Klägerin sind steuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG. Es handelt sich insoweit um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin. Die Klägerin hat diese Leistungen unter Einsatz ihres medizinischen Fachpersonals erbracht und den Therapiezweck der Leistungen anhand der vorliegenden ärztlichen Verordnung nachgewiesen.
94

§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG befreit die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, von der Umsatzsteuer. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Danach sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, steuerfrei. Die Vorschrift des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ist im Lichte des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL unionsrechtskonform auszulegen, wozu auch weiterhin die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern herangezogen werden kann.
95

Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL betrifft Leistungen, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, erbracht werden. Der autonome unionsrechtliche Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" erfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Bei der Auslegung dieser Vorschrift ist zu berücksichtigen, dass die Steuerbefreiungsregelungen des Art. 132 MwStSystRL eng auszulegen sind, weil sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt. Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist; so fallen medizinische Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung (EuGH-Urteile ‑X-GmbH‑ 05.03.2020 ‒ C-48/19, UR 2020, 298; ‑Unterpertinger- 20.11.2003 - C-212/01, UR 2004, 70; -D' Ambrumenil- 20.11.2003 - C-307/01, UR 2004, 75; -L.u.P- 08.06.2006 - C-106/05, UR 2006, 464; -CopyGene- 10.06.2010 - C-262/08, UR 2010, 526; BFH-Urteile 23.09.2020 ‒ XI R 6/20, BFH/NV 2021, 157; 11.01.2019 ‒ XI R 29/17, BFH/NV 2019, 440; 12.08.2004 ‒ V R 27/02, BFH/NV 2005, 583; jeweils mwN).
96

Bei der Frage, ob eine Leistung therapeutischen oder anderen Zwecken dient, geht es um die Beurteilung einer medizinischen Frage, die auf medizinischen Feststellungen beruhen muss, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind. Die rein subjektive Vorstellung, die der Patient von der Leistung hat, ist als solche für die Beurteilung, ob diese einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich. Auch die eigene Einstufung durch den Steuerpflichtigen, der die Tätigkeit als Physiotherapeut, Hebamme oder eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit ausübt, reicht hierzu nicht aus (EuGH-Urteil -PFC Clinic- 21.03.2013 - C-91/12, UR 2013, 335; BFH-Urteil 01.10.2014 ‒ XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451). Beruhen die von Gesundheitsfachberufen erbrachten Leistungen auf ärztlichen Verordnungen, ist der therapeutische Zweck dieser Leistungen nachgewiesen. In diesem Fall liegen im Zeitpunkt der Leistungserbringung Feststellungen von Personen vor, die zur Feststellung des therapeutischen Zwecks der erbrachten Leistung befähigt sind.
97

Außerdem muss der Leistungserbringer über einen beruflichen Befähigungsnachweis verfügen. Bei Tätigkeiten im Rahmen des durch das Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie gesetzlich geregelten Berufs des Physiotherapeuten führt bereits die erfolgreiche Ablegung der staatlichen Prüfung im Regelfall zu der erforderlichen Berufsqualifikation, weil es sich um einen Katalogberuf des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG handelt. Außerdem kann ‒ entsprechend dem Zweck der Regelung, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten ‒ grundsätzlich vom Vorliegen des Befähigungsnachweises ausgegangen werden, wenn die Leistungen des Unternehmers durch die heilberufliche Tätigkeit idR von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden, wie dies zB bei einer Zulassung des Unternehmers nach § 124 SGB V der Fall ist (BFH-Beschluss 18.09.2018 ‒ XI R 19/15, BStBl II 2019, 178 mwN).
98

Die Mitarbeiter der Klägerin verfügen als Angehörige des Gesundheitsfachberufes des Physiotherapeuten über eine derartige Qualifikation. Die Klägerin ist zudem zugelassener Partner aller Krankenkassen gemäß § 124 Abs. 2 SGB V, so dass sich bereits hieraus die entsprechende Qualifikation der Klägerin ergibt. Nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität ist die Rechtsform des Unternehmers für die Anwendung der Steuerbefreiung unerheblich, so dass es auf die Rechtsform der Klägerin, … , in diesem Zusammenhang nicht ankommt.
99

Soweit die Klägerin unter der Bezeichnung „Rehasport“ die Rehasportleistungen im engeren Sinne erfasst hat, handelt es sich um Heilbehandlungen, weil diese aufgrund ärztlicher Verordnung erfolgten, von qualifiziertem Personal erbracht und zudem unmittelbar mit den Krankenkassen bzw. mit den übrigen gemäß § 6 SGB XI zur Kostenübernahme verpflichteten Rehabilitationsträgern abgerechnet wurden.
100

2.               Die Erlöse von Selbstzahlern, also von gesetzlich versicherten Patienten, die ihre Physiotherapie nach Auslaufen einer ärztlichen Verordnung auf eigene Rechnung fortgesetzt haben, sind ebenfalls steuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, weil es sich auch insoweit um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin handelt. Die Klägerin hat den Therapiezweck dieser Leistungen in den Fällen nachgewiesen, in denen bereits vor der Anschlussbehandlung eine ärztliche Verordnung vorlag und im Nachgang zur nicht ärztlich verordneten Physiotherapie idR im nächsten Quartal, spätestens jedoch nach Ablauf eines Jahres wegen derselben chronischen Erkrankung eine erneute ärztliche Verordnung zur Physiotherapie vorgelegt wurde.
101

Wie bereits dargelegt, ist Voraussetzung der umsatzsteuerfreien Heilbehandlung, dass Krankheitsbild und Grundbeschwerden von fachlich qualifiziertem Personal, also regelmäßig von dem behandelnden Arzt, festgestellt werden; die Einschätzung des Leistungserbringers oder die des Patienten reicht hierzu nicht aus. Gleichwohl führt das Fehlen einer ärztlichen Verordnung vor der zu beurteilenden Leistung nicht zwingend zur Verneinung der Frage, ob die zu beurteilende Leistung unter den Begriff der Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin fällt. Da auch bei bestehenden körperlichen Beeinträchtigungen die Beschwerden nicht zwingend chronisch sind, hat der Leistungserbringer nachzuweisen, dass die medizinischen Feststellungen von dem dazu qualifizierten Fachpersonal in den medizinisch gebotenen zeitlichen Abständen erneuert wurden, damit ersichtlich ist, dass der ursprünglich vorhandene therapeutische Zweck trotz der mittlerweile erfolgten Behandlungen im Zeitpunkt der Erbringung der zu beurteilenden Leistung immer noch fortbesteht (EuGH-Urteil ‑X-GmbH‑ 05.03.2020 ‒ C-48/18, UR 2020, 298; BFH-Urteil 01.01.2014 ‒ XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451).
102

Die Klägerin hat den therapeutischen Zweck der erbrachten Leistungen ‒ gerätegestützte Krankengymnastik - in den Fällen nachgewiesen, in denen zunächst die Leistung auf der Grundlage einer ärztlichen Verordnung mit der Diagnose einer chronischen Erkrankung erfolgte, im Anschluss daran der Patient die sogenannte Selbstzahlerleistung der Klägerin, zB in Gestalt der Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4, in Anspruch nahm, und im Anschluss an die Selbstzahlerleistung erneut ärztliche Verordnungen vom Patienten mit derselben Diagnose vorgelegt wurden; und zwar regelmäßig innerhalb des nächsten Quartals, spätestens jedoch nach 12 Monaten. Die Klägerin erbringt stets gleichartige Physiotherapieleistungen, unabhängig davon, ob Grundlage eine ärztliche Verordnung oder eine Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4 ist. Aufgrund der erneuten ärztlichen Verordnungen im nächsten Quartal bzw. innerhalb eines Jahres steht zur Überzeugung des Senates fest, dass der ursprünglich vorhandene therapeutische Zweck trotz der mittlerweile erfolgten Behand-lungen auch bei Erbringung der Selbstzahlerleistungen immer noch fortbesteht.
103

Dies ergibt sich anhand der von der Klägerin exemplarisch geschilderten und dokumentierten Behandlungsverläufe der Patientinnen M, J und L.
104

M (Bl 110 ‒ 114 dA; Bl 153 - 157 eA) ist seit dem Jahr 2011 Patientin der Klägerin. Am ...04.2014 begann eine (erneute) Bewegungstherapie mit der ärztlichen Verordnung für 6 mal Krankengymnastik wegen Zervikozephalgie. Als Zervikozephalgie bezeichnet man von der Halswirbelsäule ausgehende Schmerzen, die in den Kopf ausstrahlen. Zervikozephalgie ist keine Diagnose, sondern eine Symptombeschreibung, die verschiedene Ursachen haben kann, ua Muskelschwäche aufgrund körperlicher Inaktivität. Im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an die 6 ärztlich verordneten Bewegungstherapien nahm M als Selbstzahler auf der Grundlage der Vereinbarung über Anschlussleistung 4 weitere 10 Behandlungen durch Mitarbeiter der Klägerin in Anspruch. Am ...10.2014 ‒ also 9 Monate nach dem ersten Rezept - wurden M erneut 6 Termine Krankengymnastik von einem Orthopäden verordnet. Weitere Rezepte folgten am ...01.2015, ...06.2015 und ...10.2015 (Liste Bl 110 dA, Bl 153 eA), zeitlich zwischen den ärztlich verordneten Leistungen der Klägerin wurden stets Selbstzahlerleistungen verbucht.
105

J (Bl 115 ff dA; Bl 158 ff eA) war seit 2013 Patientin der Klägerin. Mit Rezept vom …02.2014 verordnete der Orthopädie 6 mal gerätegestützte Krankengymnastik, ua wegen Protrusion und Muskelinsuffizienz. Das Rezept trägt den Vermerk des Arztes: Langfristverordnung bei chronischer Erkrankung. Der erneuten ‒ wortgleichen - Verordnung vom ...04.2014 über 6 mal Krankengymnastik folgten jeweils 10 mal Krankengymnastik auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4 vom ...06.2014 und ...07.2014. Es folgten ärztliche Verordnungen vom ...10.2014 und ...11.2014. Hieran schließt sich 2 mal eine Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4 vom ...12.2014 und ...02.2015 an, gefolgt von erneuten ärztlichen Verordnungen vom ...03., ...04. und ...06.2015, sodann eine Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4 vom ...08.2015, zwei Verordnungen vom ...11. und ...12.2015, gefolgt von einer Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4 am ...01.2016 und einer ärztlichen Verordnung vom ...02.2016.
106

L (Bl 122 ff dA, Bl 165 ff eA) war ebenfalls seit 2013 Patientin der Klägerin. Mit Rezept vom ...02.2014 wurde L 6 Mal Krankengymnastik am Gerät wegen Bandscheibenvorfalls, Wiederherstellung/Besserung der gestörten Muskelfunktion ärztlich verordnet. Entsprechende ärztliche Verordnungen erfolgten am ...04.2014 und ...05.2014. In den Monaten Juni bis September 2014 erbrachte die Klägerin die krankengymnastischen Leistungen auf der Grundlage der Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4 vom …06. und ...08.2014. Am ...09.2014, ...10.2014 und ...01.2015 erfolgten erneute ärztliche Verordnungen, sodann erfolgten die Leistungen der Klägerin wiederum auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4 vom ...04.2015, gefolgt von ärztlichen Verordnungen unter dem ...07., ...09. und ...10.2015. Auf die Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4 vom ...12.2015 folgte die ärztliche Verordnung vom ...04.2016.
107

3.               Die unter den Bezeichnungen „Nebenleistungen 1“, „Nebenleistung 2“ und „Nebenleistung 3“ erbrachten Leistungen der Klägerin sind nicht von der Umsatzsteuer befreit. Die Klägerin vermochte nicht, einen über die allgemeine Gesundheitsförderung hinausgehenden therapeutischen Zweck dieser Leistungen hinreichend nachzuweisen. Für diese Leistungen lagen keine ärztlichen Verordnungen vor. Die erforderliche therapeutische Zielsetzung ergab sich auch nicht aufgrund anderer Umstände. Die Leistungen sind auch keine steuerfreien Nebenleistungen zu den umsatzsteuerfreien Hauptleistungen „Physiotherapie aufgrund ärztlicher Anordnung“ oder „Rehasport aufgrund ärztlicher Anordnung“.
108

a.               Die unter den Bezeichnungen „Nebenleistungen 1“, „Nebenleistung 2“ und „Nebenleistung 3“ erbrachten Leistungen sind nicht von der Umsatzsteuer befreit, weil es an einem Nachweis der für die Anwendung der Steuerbefreiung erforderlichen Therapiezweck der Leistungen fehlt. Ärztliche Verordnungen liegen unstreitig nicht vor. Auch andere Umstände mit vergleichbarer Beweiskraft, dass mit diesen Leistungen Heilbehandlungszwecke verfolgt werden, sind nicht gegeben. Dass die streitigen Leistungen der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands der Patienten dienen, reicht nicht aus.
109

Zwar genügt das Fehlen einer ärztlichen Verordnung vor der zu beurteilenden Leistung nicht zur Klärung der Frage, ob die zu beurteilende Leistung unter den Begriff der Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin fällt (EuGH-Urteil X-GmbH 05.03.2020 ‒ C-48/18, UR 2020, 298). Auf der anderen Seiten reichen weder die subjektive Einschätzung des Leistungsempfängers noch die eigene Einschätzung durch den Steuerpflichtigen, der die ähnliche heilberufliche Tätigkeit ausübt, zum Nachweis des therapeutischen Zwecks der Leistung aus. Vielmehr ist der Begriff der therapeutischen Zweckbestimmung unter Berücksichtigung des Zwecks der Steuerbefreiung auszulegen, der darin besteht, die Kosten ärztlicher Heilbehandlung zu senken und die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten (EuGH-Urteil ‑PFC Clinic‑ 31.02.2013 ‒ C-91/12, UR 2013, 335; BFH-Urteil 01.01.2014 ‒ XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451; BFH-Beschluss 18.09.2018 - XI R 19/15, BStBl II 2019, 178).
110

Können Maßnahmen sowohl Heilbehandlungszwecken als auch bloß der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands dienen und sind daher einem Grenzbereich zuzuordnen, kommt es auf eine Prüfung anhand der Umstände des Einzelfalls an; der Steuerpflichtige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft, trägt insoweit die Feststellungslast (BFH-Urteil 11.01.2019 ‒ XI R 29/17, BFH/NV 2019, 440).
111

aa.              Nebenleistungen 1
112

Die Klägerin versteht unter der Bezeichnung „Nebenleistungen 1“ die von ihr erbrachten Leistungen Kinesio-Taping sowie die ergänzende Anwendung von Wärme- oder Kältetherapie und eine Extensionsbehandlung vor oder im Anschluss an eine ärztlich verordnete Physiotherapieeinheit. Diese Leistungen sind nicht als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Umsatzsteuer befreit, weil die hierzu erforderliche therapeutische Zielsetzung der jeweiligen Leistung unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des EuGH und des BFH aufgestellten Grundsätze nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann.
113

Gegen die Beurteilung der Anwendung von kinesiologischen Tapes als Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin spricht bereits, dass diese nicht ärztlich verordnet werden kann und ‑bislang- wissenschaftlich nicht belegt ist, dass durch die Anwendung die Genesungszeit bei (Sport)Verletzungen verkürzt oder Schmerzen gelindert werden. Soweit durch die Anwendung von kinesiologischen Tapes bei der Therapie … stabilisiert werden, dient die Maßnahme der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes des Patienten. Dies zeigt sich auch darin, dass das Taping nicht nach jeder Therapiestunde entfernt wird, sondern einige Zeit auf der Haut verbleiben kann und sich zB auch beim Duschen nicht von der Haut löst, so dass insbesondere die muskelunterstützende Wirkung des Tapings nicht nur bei der ärztlich verordneten Physiotherapie, sondern auch in der übrigen Zeit bestehen bleibt. Die Wirkung des Taping dürfte mit der Verwendung von medizinischen Binden bzw. Bandagen vergleichbar sein. Aber auch die Lieferung von medizinischen Binden und Bandagen unterliegt grundsätzlich dem regulären Steuersatz und ist nicht als Heilbehandlung von der Umsatzsteuer befreit.
114

Bei der Kälte- und Wärmetherapie handelt es sich ebenfalls um Leistungen, die sowohl der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes als auch einem medizinischen Therapiezweck dienen können.
115

Die Wärmetherapie zählt zur Thermotherapie und kommt zum Einsatz, wenn keine akute Entzündung vorliegt. Sie dient der Schmerzlinderung und Verbesserung der Durchblutung und regt auch die Stoffwechselprozesse an. Sie gehört zu den passiven Maßnahmen, der Patient soll sich während der Anwendung lediglich ausruhen und entspannen.
116

Als Kältetherapie bezeichnet man den gezielten Einsatz von Kälte. Sie kommt durch ihre schmerzlindernde und abschwellende Wirkung sowohl bei akuten als auch bei chronischen Beschwerden zum Einsatz.
117

Bei der Extensionsbehandlung werden durch einen manuellen oder gerätegestützten Zug auf die Gelenke der Extremitäten oder der Wirbelsäule die entsprechende Gelenke entlastet und gleichzeitig Muskeln und Gelenke gelockert und gedehnt. Ein weiterer übergeordneter Effekt ist zudem die Vorbereitung der Wirbelsäule auf andere Therapien.
118

Da es sich bei diesen drei Anwendungen um Leistungen handelt, die sowohl der Heilbehandlung als auch der Verbesserung des Gesundheitszustandes und des Wohlbefindens dienen können, und sie zudem bei entsprechender medizinischer Indikation begleitend zu der gerätegestützen Physiotherapie ärztlich verordnet werden können, spricht bereits das Fehlen einer entsprechenden Verordnung dafür, dass der Zweck dieser Leistung die Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes, nicht aber eine Heilbehandlung ist. Der Zusammenhang dieser Leistungen mit den ärztlich verordneten Heilbehandlungen der Klägerin reicht nicht aus, um den therapeutischen Zweck auch dieser Zusatzleistungen zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisen. Die Zusatzleistungen zu den ärztlich verordneten Leistungen sind nicht vergleichbar mit den Anschlussbehandlungen, bei denen die selben physiotherapeutischen Leistungen von der Klägerin erbracht werden unabhängig davon, ob Grundlage das kassenärztliche Rezept und damit die Rechtsbeziehung zu der gesetzlichen Krankenkasse oder ob Grundlage die private Vereinbarung mit dem Patienten, wie zB die Vereinbarung mit der Klägerin über Anschlussleistung 4, ist. Die Zusatzleistungen unterstützen den Therapieerfolg der ärztlich verordneten Leistungen der Klägerin, sind für diesen Erfolg jedoch nicht notwendig.
119

bb.               Nebenleistung 2
120

Unter der Bezeichnung „Nebenleistung 2“ hat die Klägerin Entgelte für Kurse erfasst, die von der „Zentralen Prüfstelle Prävention“ zertifiziert sind (zB …). Diese sind von den Teilnehmern selbst zu bezahlen, die Krankenkassen können ihren Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten nach § 20 SGB V für Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe anteilig erstatten.
121

Leistungen zur Prävention iSd § 20 SGB V haben keinen unmittelbaren Krankheitsbezug, sondern dienen der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und sollen einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen. Sie sind daher grundsätzlich keine Heilbehandlungen. Etwas anderes kann dann gelten, wenn diese Leistungen im Rahmen einer medizinischen Behandlung aufgrund ärztlicher Anordnung oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt werden (BFH-Urteile 26.08.2014 ‒ XI R 19/12, BStBl II 2015, 310; 04.10.2012 ‒ XI B 46/12, BFH/NV 2013, 273; 07.07.2005 ‒ V R 23/04, BStBl II 2005, 904; 10.03.2005 ‒ V R 54/04, BStBl II 2005, 669).
122

Die unter der Bezeichnung Nebenleistung 2 erbrachten Leistungen wurden weder aufgrund ärztlicher Anordnung noch im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt, so dass die für die Steuerbefreiung erforderliche therapeutische Zielsetzung dieser Leistungen zu verneinen ist.
123

cc.               Nebenleistung 3
124

Auch die unter der Bezeichnung „Nebenleistung 3“ erbrachten Leistungen sind keine Leistungen zu Heilbehandlungszwecken, sondern dienen der allgemeinen Verbesserung des Gesundheitszustandes des Leistungsempfängers.
125

Unter der Bezeichnung „Nebenleistung 3“ eröffnet die Klägerin den Teilnehmern einer ärztlich verordneten Rehabilitationssportmaßnahme die Möglichkeit, im Anschluss an eine vorangegangene Therapieeinheit an Geräten auf der Therapiefläche zu trainieren. Dieses Training dient dem individuellen Muskelaufbau an technischen Geräten.
126

Anders als Leistungen der Klägerin im Bereich des Rehasports können diese Leistungen der Klägerin als Rehabilitationsmaßnahme nicht ärztlich verordnet werden. Bereits hieraus ergibt sich, dass diese Leistungen der allgemeinen Gesundheitsförderung und keinem speziellen therapeutischen Zweck dienen. Die präventive Wirkung eines individuellen Muskelaufbaus an technischen Geräten für die Gesundheit ist für die Annahme eines therapeutischen Zweckes dieser Leistung zu wenig spezifisch und konkret. Das individuelle Training erfolgt ausschließlich auf Wunsch des Kunden, es ist aber zur Erreichung des therapeutischen Zwecks der Rehabilitationsmaßnahme nicht erforderlich.
127

b.               Die streitigen Leistungen der Klägerin „Nebenleistung 2“ und „Nebenleistung 3“ sind auch nicht deswegen Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, weil sie regelmäßig im Zusammenhang mit den ärztlich verordneten Physiotherapieleistungen erbracht werden. Sie sind keine Nebenleistungen dieser Heilbehandlungen.
128

Sie sind bereits deswegen nicht Bestandteil der ärztlich verordneten Physiotherapieleistungen der Klägerin, weil zwei Leistungsempfänger vorliegen: Empfänger der ärztlich verordneten Physiotherapieleistung ist auf der Grundlage der Versorgungsverträge die jeweilige Krankenkasse, die die Physiotherapie in Form der Sachleistung an den Patienten erbringt, § 2 Abs. 2 SGB V.
129

Demgegenüber ist Empfänger der unter den Bezeichnungen „Nebenleistungen 1“, „Nebenleistung 2“ und „Nebenleistung 3“ erbrachten Leistungen der Patient auf der Grundlage des zwischen dem Patienten und der Klägerin abgeschlossenen gesonderten Vertrags über die Inanspruchnahme dieser weiteren, die ärztlich verordneten Leistungen ergänzenden Leistungen der Klägerin.
130

Mehrere Leistungen können unter dem Gesichtspunkt von Haupt- und Nebenleistung nur dann als einheitliche Leistung gelten, wenn die Leistungen gegenüber ein und demselben Leistungsempfänger erbracht werden; Nebenleistungen Dritter oder an Dritte gibt es nicht (BFH-Urteile 14.05.2014 ‒ XI R 13/11, BStBl II 2014. 734; 24.04.2013 ‒ XI R 7/11, BStBl II 2013, 648). Am umsatzsteuerrechtlichen Leistungsverhältnis sind der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger beteiligt. Dritte können mit dem Leistenden oder dem Leistungsempfänger in einem selbständigen Leistungsverhältnis verbunden sein, wenn sie die Leistung auf Weisung des Leistungsempfängers tatsächlich erhalten (vgl. § 3 Abs. 1 UStG). Dritte werden durch die (teilweise) Abgeltung einer Leistung auch nicht Beteiligte des Leistungsverhältnisses zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger (vgl. § 10 Abs. 1 S. 3 UStG). Regelmäßig ergibt sich allein aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender und wer als Leistungsempfänger anzusehen ist (Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger § 31 Leistung, unter III. 8. Beteiligte am Leistungsverhältnis Rn 161 f).
131

Die umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen bei gesetzlich krankenversicherten Patienten und einer ärztlich verordneten Physiotherapie stellen sich wie folgt dar:
132

Der Physiotherapeut erbringt seine Leistung, die Physiotherapie aufgrund ärztlicher Verordnung, auf der Grundlagen von Versorgungsverträgen mit der Krankenkasse unmittelbar an die Krankenkasse. Die Krankenkasse wiederum erbringt die Physiotherapie als Sachleistung an den Patienten. Rechtliche Grundlage hierfür ist § 2 Abs. 2 SGB V, wonach die Versicherten die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen erhalten. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen hierzu Verträge mit den Leistungserbringern.
133

Die Klägerin erbringt auf der Grundlage derartiger, nach Maßgabe des SGB V geschlossenen Verträge die ärztlich verordneten Physiotherapieleistungen an die jeweilige gesetzliche Krankenkasse des Patienten. Die Physiotherapieleistungen kommen den Patienten als Sachleistung zugute. Daneben schließt die Klägerin mit den Patienten gesonderte zivilrechtliche Verträge über die Nebenleistungen 1. Dies kommt auch in der schriftlichen Dokumentation über die Vereinbarung über die Nebenleistungen 1 zum Ausdruck, bei denen die Klägerin ausführt, dass der Kunde im Rahmen und/oder im zeitlichen Zusammenhang mit einer kassenärztlichen Verordnung folgende private Leistungen zur Verbesserung des Therapieerfolges in Anspruch zu nehmen wünsche und der Kunde ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass diese Zusatzleistungen nicht von seiner Krankenversicherung erstattet werden.
134

c.              Die unter den Bezeichnungen „Nebenleistungen 1“ und „Nebenleistung 3“ erbrachten Leistungen der Klägerin sind auch nicht deswegen steuerfrei, weil sie unerlässlicher Bestandteil der von der Klägerin erbrachten Leistungen Physiotherapie und Rehasport sind.
135

Mit therapeutischem Zweck erfolgen auch Leistungen, die unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil der gesamten Heilbehandlung sind, deren einzelne Abschnitte sinnvollerweise nicht isoliert voneinander durchgeführt werden können. Gleichwohl kann der Begriff der Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin nicht auf sämtliche Leistungen, die mit der Behandlung eines Patienten zusammenhängen, ausgedehnt werden (EuGH-Urteile ‑Verigen Transplantation Service International‑ 18.11.2010 ‒ C-156/09, UR 2011, 215; ‑CopyGene‑ 10.06.2010 ‒ C.262/08, UR 2010, 526; BFH-Beschluss 18.09.2018 ‒ XI R 19/15, BStBl II 2019, 178; BFH-Urteile 18.03.2015 - XI R 15/11, BFH/NV 2015, 1215; 29.07.2015 - XI R 23/13, BStBl II 2017, 733).
136

Die unter der Bezeichnung „Nebenleistungen 1“ erbrachten Leistungen der Klägerin sind nicht unerlässlicher Bestandteil der von der Klägerin erbrachten Heilbehandlung Physiotherapie. Sie dienen allein aufgrund des Wunsches des Kunden der Klägerin der Therapieergänzung, so dass ihnen insoweit ein eigener Zweck zukommt. Die Physiotherapie entfaltet ihre Wirksamkeit auch ohne diese zusätzlichen Leistungen, die der Vorbereitung bzw Unterstützung der Physiotherapie dienen, ohne untrennbar mit den von der Klägerin erbrachten Physiotherapieleistungen verbunden zu sein. Wärme-, Kälte- und Extensionstherapie sind Anwendungen, die bei entsprechender Indikation einzeln oder zusammen mit der Physiotherapie verordnet werden können, es im Streitfall jedoch nicht wurden. Die streitigen Leistungen sind nur im Einzelfall und auch nur auf Wunsch des jeweiligen Patienten mit der Physiotherapie verbunden. Die allgemeine gesundheitsfördernde Wirkung dieser Leistungen reicht zum Nachweis eines therapeutischen Zwecks nicht aus.
137

Entsprechende Erwägungen gelten für die im Anschluss an den ärztlich verordneten Rehasport von den Kunden der Klägerin zubuchbare Leistung „Nebenleistung 3“. Auch dieses Training am Gerät ist nicht untrennbar mit der Leistung „Rehasport“ verbunden, vielmehr kann die Leistung Rehasport durchaus und ohne Beeinträchtigung ihres Therapiezwecks ohne anschließendes Muskeltraining an Geräten erbracht werden. Wie die Klägerin selbst ausführt, dient „die Nebenleistung 3“ dem individuellen Muskelaufbau; dieser Leistung kommt damit eine allgemeine und nicht näher zu spezifizierende gesundheitsfördernde Wirkung zu, ohne dass sie unerlässlicher Bestandteil der Leistung „Rehasport“ wäre. Auch diese Leistung wird allein aufgrund des Kundenwunsches zur Therapieergänzung erbracht, sie ist persönlich wünschenswert, aber nicht notwendig.
138

II..               Die unter den Bezeichnungen „Nebenleistungen 1“, „Nebenleistung 2“ und „Nebenleistung 3“ erbrachten Leistungen unterliegen ‒ entgegen der Auffassung des FA ‑ dem regulären Steuersatz des § 12 Abs. 1 UStG. Die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG liegen nicht vor. Diese Leistungen der Klägerin sind nicht als Verabreichung von Heilbädern zu beurteilen.
139

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 S. 1 Fall 2 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für die Verabreichung von Heilbädern.
140

Unionsrechtliche Grundlage ist Art. 98 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 MwStSystRL (vormals Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG). Danach können die Mitgliedstaaten ermäßigte Steuersätze nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien zu dieser Richtlinie anwenden (EuGH-Urteil ‑Kommission/Spanien‑ 18.01.2001 - C-83/99, UR 2001, 210). Zu diesen Dienstleistungen zählen nach Kategorie 17 des Anhangs III medizinische Versorgungsleistungen und zahnärztliche Leistungen sowie Thermalbehandlungen, soweit sie nicht nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b bis e MwStSyst-RL steuerbefreit sind.
141

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des BFH sind Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, eng auszulegen. Dies gilt insbesondere bei Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach Art. 98 Abs. 2 Satz 1 MwStSystRL iVm den in Anhang III abschließend bezeichneten Kategorien (EuGH-Urteil ‑Kommission/Spanien‑ 18.01.2001 - C-83/99, UR 2001, 210; BFH-Urteil 11.02.2010 - V R 30/08, BFH/NV 2010, 2125, jeweils mwN).
142

1.               Bei den streitigen Leistungen der Klägerin handelt es sich bereits nicht um ein Bad iSd § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG.
143

Ein „Bad" erfordert das Eintauchen des Körpers (Vollbad) oder bestimmter Körperteile (Teilbad) in Wasser oder andere flüssige Medien; im übertragenen Sinne spricht man auch von Bad, wenn der unbekleidete Körper den Sonnenstrahlen (Sonnenbad), heißer oder kühler Luft (Heißluftbad, Luftbad) ausgesetzt oder in heißen Sand (Sandbad) eingegraben wird (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 21. Auflage „Bad"). Selbst bei weiter Auslegung des Begriffs ist in allen Fällen eine äußerliche Anwendung auf den Körper erforderlich (BFH-Beschluss 11.02.2011 ‒ V B 64/09, BFH/NV 2011, 868).
144

Beim Taping werden Klebebänder auf die Haut aufgebracht, um die Muskeln zu stützen und durch Dauermassage die Zirkulation von Blut und Lymphe zu unterstützen. Dies ist kein Bad, weil keine Körperteile in Wasser, Luft, Sonne oder Sand eingetaucht werden.
145

Auch bei den Wärme- und Kälteanwendungen der Klägerin wird weder der gesamte Körper noch ein bestimmter Körperteil in ein flüssiges Medium eingetaucht. Ein Bad im übertragenen Sinne vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen. Vielmehr werden einzelne Körperteile der Patienten zur Muskellockerung und Verstärkung der therapeutischen Effekte mit Moor- oder Paraffinkissen, Glühlicht, Heißluft oder Ultraschall erwärmt oder bei der Kältetherapie mit speziellen Kompressen zur Schmerzlinderung gekühlt.
146

Entsprechendes gilt für die Extensionsbehandlung, bei der Muskeln und Gelenke durch Streckung an Geräten gedehnt und gelockert werden sollen.
147

Bei den zertifizierten Kursen zur Prävention werden zB Übungen zur Entspannung und zur Muskelstärkung des Rückens vermittelt. Auch hierbei handelt es sich nicht um ein Bad, sondern um Atem- und Bewegungsübungen.
148

Bei Nebenleistung 3 handelt es sich um Bewegungsübungen am Gerät zum individuellen Muskelaufbau, und damit ebenfalls nicht um ein Bad.
149

2.               Zudem hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass diese streitigen Leistungen zweckbestimmt der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen.
150

Auch ein „Heilbad" iSd § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG muss zweckbestimmt der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen. Der Begriff „Heilbad" iSd § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG ist richtlinienkonform im Sinne des Begriffs „Thermalbehandlung" in Kategorie 17 des Anhangs III der MwStSystRL auszulegen. Die Thermalbehandlung muss bei gebotener enger Auslegung im Rahmen einer medizinischen Heilbehandlung erfolgen und damit Heilzwecken dienen. Dies folgt aus dem Wortlaut Thermal„behandlung" und aus deren Gleichsetzung in Kategorie 17 des Anhangs III der MwStSystRL mit „medizinischen Versorgungsleistungen" und „zahnärztlichen Leistungen". Dementsprechend muss auch die Verabreichung eines Heilbades der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen. Eine allgemeine Eignung der Leistung zur Gesundheitsförderung reicht nicht aus, vielmehr ist der therapeutische Zweck der Leistung jeweils gesondert festzustellen (BFH-Urteile 28.08.2014 - V R 24/13, BStBl II 2015, 194; 12.05.2005 - V R 54/02, BStBl II 2007, 283; entgegen BMF-Schreiben 20.03.2007, BStBl I 2007, 307 iVm der Positivliste im BMF-Schreiben vom 24.03.2014, BStBl I 2014, 606, Nr. 1435).
151

a.              Wie bereits ausgeführt, hat die Klägerin den therapeutischen Zweck dieser Leistungen nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Auch bei einem Heilbad iSd § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG reicht die allgemeine Eignung der Leistung zur Gesundheitsförderung für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des therapeutischen Zwecks der Leistung nicht aus.
152

b.              Der Nachweis des erforderlichen Therapiezwecks der jeweiligen Leistung wird nicht allein dadurch geführt, dass die Leistung im Einzelfall abstrakt nach § 92 Abs. 6 (Nr. 1) SGB V iVm § 4 der Heilmittel-Richtlinie (Bundesanzeiger 2011, Nr. 96, S. 2247) iVm dem Heilmittelkatalog verordnungsfähig ist (aA BMF-Schreiben 28. 10.2014, BStBl I 2014, 1439; UStAE 2014 Abschn. 12.11. Abs. 3). Es ist kein sachlich nachvollziehbarer Grund erkennbar, warum an das Vorliegen des therapeutischen Zwecks der steuerbefreiten Leistung iSd § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL andere Anforderungen zu stellen sein sollten als an das Vorliegen des therapeutischen Zwecks der dem ermäßigten Steuersatz unterfallenden Leistung iSd § 12 Abs. 2 Nr. 9 Fall 2 UStG, Art. 98 Abs. 1 MwStSystRL. In beiden Fällen erfordert die Steuerbegünstigung, dass die entsprechende Leistung der Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dient. In beiden Fällen muss die Leistung im Rahmen einer medizinischen Heilbehandlung erfolgen und der bestimmte Heilzweck im Einzelfall nachgewiesen werden. Die Anwendungsbereiche der Vorschriften zur Steuerbefreiung und Steuerermäßigung unterscheiden sich lediglich insofern, als § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG bestimmte Sachleistungen begünstigt, ohne dass darüber hinaus auch an den Leistenden selbst besondere Anforderungen zu stellen sind (unternehmensbezogene Betrachtungsweise), während § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG zusätzlich bestimmte Anforderungen an die eine Tätigkeit ausübende Person stellt (BFH-Urteil 28.08.2014 ‒ V R 27/13, BStBl II 2015, 194).
153

c.               Die von der Klägerin unter der Bezeichnung „Nebenleistungen 1“, „Nebenleistung 2“ und „Nebenleistung 3“ erbrachten Leistungen unterliegen auch nicht deswegen dem ermäßigten Steuersatz des § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG, weil die Finanzverwaltung der Auffassung ist, dass insbesondere dem Nachweis des therapeutischen Zwecks der jeweiligen Leistung dadurch Rechnung getragen würde, dass es sich bei der Leistung grundsätzlich um ein verordnungsfähiges Heilmittel handelt.
154

Eine von der Rechtsprechung abweichende Verwaltungsanweisung ist bei der Entscheidung durch das Gericht grundsätzlich unbeachtlich. Norminterpretierende Verwaltungsanweisungen, die wie UStAE Abschnitt 12.11. Abs. 4 die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern sollen, können im Allgemeinen weder eine einer Rechtsnorm vergleichbare Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht nur als Ausfluss von Art. 3 Abs. 1 GG ausnahmsweise in dem Bereich der der Verwaltung vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit und der Typisierung oder Pauschalierung (vgl. BFH-Urteil 10.11.2011 - V R 34/10, BFH/NV 2012, 803). Ein derartiger Spielraum steht der Finanzverwaltung bei Anwendung von § 12 Abs. 2 Nr. 9 Satz 1 UStG aber nicht zu (FG Hessen-Urteil 16.03.2017 ‒ 1 K 1488/15, juris; FG München-Beschluss 21.01.2014 - 2 V 3410/13, DStRE 2015, 546).
155

d.               Eine ermäßigte Besteuerung dieser streitigen Leistungen der Klägerin ergibt sich auch nicht aus einer Berufung auf Unionsrecht. Die streitigen Leistungen der Klägerin können nicht statt der Verabreichung eines Heilbads als medizinische Versorgungslei-stungen ermäßigt besteuert werden.
156

Zum einen erfordert auch eine medizinische Versorgungsleistung ebenso wie das Thermalbad den Nachweis des therapeutischen Zwecks der Leistung (BFH-Urteil 28.08.2014 ‒ V R 24713, BStBl II 2015, 194), welcher vorliegend nicht gegeben ist.
157

Zum anderen ermöglicht der zu Art. 98 Abs. 2 S. 1 MwStSystRL ergangene Anhang III den Mitgliedstaaten zwar in Kategorie Nr. 17 die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes u.a. für „medizinische Versorgungsleistungen", hierbei handelt es sich aber um eine „Kann"-Vorschrift. Die Mitgliedstaaten sind nicht gezwungen, sämtliche in den Kategorien des Anhangs H genannten Umsätze ermäßigt zu besteuern, vielmehr ist eine „selektive Auswahl" zulässig (vgl. EuGH-Urteil ‑Kommission/Frankreich‑ 06.05.2010 - C-94/09, BFH/NV 2010, 1401). Hat der Mitgliedstaat --wie im Streitfall Deutschland-- nur für einen Teilaspekt der Kategorie Nr. 17 den ermäßigten Steuersatz vorgesehen, kann der Unternehmer eine weiter gehende Begünstigung auch nicht durch Berufung auf die Richtlinie erreichen (BFH-Beschluss 11.02.2011 ‒ V B 64/09, BFH/NV 2011, 868).
158

B.               Berechnung
159

Unter Berücksichtigung der Auffassung des Senats, dass die von der Klägerin unter der Bezeichnung Rehasport sowie Selbstzahler erbrachten Leistungen als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin umsatzsteuerfrei sind, während die bislang mit dem ermäßigten Steuersatz besteuerten Leistungen dem regulären Steuersatz unterfallen, ergeben sich folgende Auswirkungen:
160

2014:
161


162

Die Umsatzsteuer beläuft sich auf … € abzüglich Vorsteuerbeträgen iHv … €, insgesamt auf … €. Die festgesetzte Umsatzsteuer des Jahres 2014 beträgt demgegenüber … €, so dass die Klage insoweit abzuweisen ist.
163

2015
164

Die Umsatzsteuer des Jahres 2015 beläuft sich auf … € abzüglich Vorsteuerbeträgen iHv … €, insgesamt auf … €.
165

C.              Nebenentscheidungen
166

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 136 Abs. 1 S. 1 FGO.
167

Der Streitwert beläuft sich ausgehend vom zunächst mit Klageschrift vom … bezifferten Begehren, mit dem die Klägerin die Minderung der Umsatzsteuer des Jahres mit insgesamt … € und des Jahres 2015 mit insgesamt … € bezifferte, auf … €.
168

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen. Weder die Frage, welche Anforderungen an den gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL bzw. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG zu führenden Nachweis für den erforderlichen therapeutischen Zweck einer Leistung zu stellen sind, wenn keine ärztliche Verordnung für die zu beurteilende Leistung vorliegt, noch die Frage, ob sämtliche in der jeweils geltenden Heilmittelverordnung gelisteten Heilmittel unabhängig von ihrer weiteren Beschaffenheit und einem individuellen Nachweis des jeweiligen Therapiezwecks unter den Begriff „Verabreichung von Heilbädern“ iSd § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG iVm Art. 98 Abs. 2 und Anhang III Nr. 17 MwStSystRL fallen (so UStAE Abschn. 12.11 Abs. 3), wurde bislang abschließend höchstrichterlich geklärt.

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