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14.03.2022 · IWW-Abrufnummer 228008

Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 24.11.2021 – 3 K 6/20

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern

Urteil vom 07.01.2022


In dem Rechtsstreit
1. ...
2. ...
- Kläger -
Proz.-Bev.:
zu 1. - 2.: ...
gegen
Finanzamt ...
- Beklagter -

wegen Einkommensteuer 2015 bis 2017

hat der 3. Senat des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2021 durch ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Einkommensteuerbescheide 2015, 2016 und 2017, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2019, werden dahingehend geändert, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers

a)
für 2015 der Bruttoarbeitslohn um € 2.599,56 vermindert wird, die Entfernungspauschale entfällt und Verpflegungsmehraufwendungen von 2.136,00 EUR berücksichtigt werden;

b)
für 2016 der Bruttoarbeitslohn um € 2.599,56 vermindert wird, die Entfernungspauschale entfällt und Verpflegungsmehraufwendungen von 1.944,00 EUR berücksichtigt werden;

c)
für 2017 der Bruttoarbeitslohn um € 2.599,56 vermindert wird, die Entfernungspauschale entfällt und Verpflegungsmehraufwendungen von 2.016,00 EUR als Werbungskosten berücksichtigt werden.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Dieses Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Der Streitwert wird auf 2.540,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielt als angestellter Bauleiter Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Beteiligten streiten um das Vorliegen einer "ersten Tätigkeitsstätte" in den Jahren 2015, 2016 und 2017.

1.

Die Kläger wohnen in 17098 A (Landkreis B). Der Kläger war in den Streitjahren als Bauleiter bei der C AG, einem international tätigen großen Bauunternehmen mit Hauptsitz in D, beschäftigt. Die C AG unterhält eine Niederlassung in E.

Für den Arbeitsvertrag des Klägers ab 01.05.2014 wird auf die Streitakte Bl. 79 f. verwiesen. Im Vertrag heißt es unter § 1: "Einstellungsort ist E". Dem Kläger stand in den Streitjahren ein Firmenwagen zur Verfügung, dessen Nutzung der Arbeitgeber in den Lohnabrechnungen als Sachbezug nach der sogenannten 0,03 %-Regelung berücksichtigte. Ausgehend von einem Listenpreis des Fahrzeugs von € 24.900,00 und einer Fahrstrecke von 29 km wurde monatlich der folgende Betrag dem Bruttolohn hinzugerechnet: € 24.900,00 x 0,03 % x 29 = € 216,63.

Die Kläger gaben für die Streitjahre Einkommensteuererklärungen ab. Bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit machte der Kläger - neben anderen Werbungskosten - die Entfernungspauschale für Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte/Sammelpunkt/weiträumigem Tätigkeitsgebiet geltend. Dabei benannte er als erste Tätigkeitsstätte: "E". Die Entfernung gab er mit 30 km an. Außerdem machte er Mehraufwendungen für Verpflegung bei einer inländischen Auswärtstätigkeit geltend. Die insoweit geltend gemachten Werbungskosten ergeben sich aus der folgenden Tabelle:

Entfernungspauschale    Verpflegungsmehraufwendungen
2015    Erste Tätigkeitsstätte E aufgesucht an 234 Tagen    Abwesenheit von mehr als 8 Stunden: 178 Tage
2016    Erste Tätigkeitsstätte E aufgesucht an 209 Tagen    Abwesenheit von mehr als 8 Stunden: 162 Tage
An- und Abreisetage bei einer mehrtägigen Auswärtstätigkeit mit Übernachtung: 6 Tage
Abwesenheit von 24 h: 4 Tage
2017    Erste Tätigkeitsstätte E aufgesucht an 217 Tagen    Abwesenheit von mehr als 8 Stunden: 168 Tage

Für die Verpflegungsmehraufwendungen und die erklärten Abwesenheitstage bezog der Kläger sich auf Bestätigungen seines Arbeitgebers. Verwiesen wird für 2015 auf die Bescheinigung Rechtsbehelfsakte I Bl. 22 f., für 2016 auf die Bestätigung Rechtsbehelfsakte II Bl. 14, und für 2017 auf die Bestätigung Rechtsbehelfsakte III Bl. 13. In den beiden zuletzt genannten Bestätigungen heißt es: "Seine regelmäßige Arbeitsstätte hat er (der Kläger) in E."

Für das Jahr 2015 berücksichtigte der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 14.07.2016 die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen. Dies geschah nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig. In den Erläuterungen heißt es:

"Die Vorläufigkeit erfolgt aufgrund der Verpflegungsmehraufwendungen. Führen Sie hierfür bitte ab 01.08.2016 bis 31.12.2016 eine tägliche Tätigkeitsbeschreibung über Ihren dienstlichen Tagesablauf (aus dem folgende Angaben hervorgehen: wann und wo ist Arbeitsbeginn und -ende, welche Tätigkeiten werden wo ausgeübt und zeitlicher dienstlicher Tagesablauf). Lassen Sie diese Aufstellung dann vom Arbeitgeber bestätigen und reichen Sie diese bitte mit der Einkommensteuererklärung 2016 ein."

Nachdem die Kläger hierzu keine weiteren Unterlagen einreichten, erkannte der Beklagte die Verpflegungsmehraufwendungen für die Jahre 2015 nicht an. Dagegen wurden die Verpflegungsmehraufwendungen für 2016 und 2017 anerkannt und die Anzahl der Fahrten für die Entfernungspauschale gekürzt. Berücksichtigt wurden für 2016 47 Tage und für 2017 49 Tage, Das geschah mit folgenden Bescheiden: geänderter Einkommensteuerbescheid 2015 vom 16.11.2018, Einkommensteuerbescheid 2016 vom 13.04.2018 und Einkommensteuerbescheid 2017 vom 17.04.2018.

2.

Die Kläger legten gegen die Bescheide für 2016 und 2017 mit Schreiben vom 28.04.2018 Einspruch ein, und gegen den Bescheid für 2015 mit Schreiben vom 18.11.2018.

Für das Jahr 2015 legten die Kläger mit dem Einspruch erneut die Bescheinigung der C über die "Einsatztätigkeit 2015" vor. Sie vertraten die Auffassung, dass sie damit ihrer Auskunftspflicht in vollem Umfang nachgekommen seien. Zudem habe der Kläger in E keine erste Tätigkeitsstätte, da er dort nicht seine Haupttätigkeit, sondern nur Nebentätigkeiten ausübe. Seine Haupttätigkeit als Bauleiter übe er auf ständig wechselnden Baustellen aus.

Für die Jahre 2016 und 2017 bezogen sich die Kläger auf die Kürzung der Fahrtage für die Entfernungspauschale. Die Nutzung des Firmen-Pkw durch den Kläger sei mit 0,03 % für das gesamte Jahr berücksichtigt worden. Das treffe konsequenterweise nicht zu; daher werde die Korrektur des Bruttolohnes beantragt.

Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 02.07.2018 auf, bestimmte Unterlagen einzureichen, so eine genaue Tätigkeitsbeschreibung seines typischen Arbeitstages über einen zusammenhängenden Zeitraum je Kalenderjahr. Der Kläger äußerte sich darauf mit Schreiben vom 24.07.2018. Er legte Mietverträge über Baustelleneinrichtungen und Büroflächen vor, eine "Anlage zu der Bescheinigung von ständig wechselnden Arbeitsstellen zur Vorlage beim Finanzamt für das Kalenderjahr 2016", eine "Positionsbeschreibung Bauleiter C" und eine Reihe von monatlichen "Tätigkeitsberichten".

Der Beklagte holte sodann eine ergänzende schriftliche Erklärung des Herrn F (C) vom 10.12.2018 ein. Außerdem wurde mit Herrn F und mit Frau G (ebenfalls C) telefoniert, worüber Vermerke gefertigt wurden, für die auf die Rechtsbehelfsakte I Bl. 78 und 79 verwiesen wird. In seiner schriftlichen Äußerung bezeichnete Herr F das Büro in E als "regelmäßige Anlaufstelle" des Klägers. Die Haupttätigkeit und der Aufgabenschwerpunkt der Bauleiter liege jedoch auf den Baustellen selber.

Der Beklagte verband die Einsprüche zur gemeinsamen Entscheidung. Er änderte die Einkommensteuerbescheide 2016 und 2017 mit Einspruchsentscheidung vom 06.12.2019 ab und wies die Einsprüche im Übrigen als unbegründet zurück.

Die vom Kläger geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen wurden nunmehr insgesamt nicht anerkannt. Für die Entfernungspauschale wurden nunmehr - den Steuererklärungen folgend - für 2015 234 Tage berücksichtigt, für 2016 209 Tage, und für 2017 217 Tage.

Zur Begründung führte der Beklagte aus: Der Kläger habe seine erste Tätigkeitsstätte in E, da er dieser Stätte dauerhaft zugeordnet sei. Das ergebe sich durch umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Es entspreche regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet sei, in der er tatsächlich tätig werden solle. Dass der Arbeitgeber das Büro als "regelmäßige Tätigkeitsstätte" bezeichne, sei unschädlich.

Verpflegungspauschalen im Rahmen einer Auswärtstätigkeit seien nicht zu berücksichtigen, da der Kläger die geltend gemachten Zeiten der Abwesenheit von seiner ersten Tätigkeitsstätte nicht glaubhaft gemacht oder nachgewiesen habe. Aus den eingereichten Abrechnungen sei lediglich die für die jeweilige Baustelle angerechnete Arbeitszeit ersichtlich. Zu Arbeitsorten und Zeiten der Abwesenheit seien keine Aufzeichnungen geführt worden; daher könne ein diesbezüglicher Nachweis nicht erfolgen. Zudem sei es widersprüchlich, wenn der Kläger behaupte, sein Büro in E an den allermeisten Tagen gar nicht aufgesucht zu haben, während sein Arbeitgeber (durch Herrn F) mitgeteilt habe, dass der Kläger fast täglich im Büro sei.

3.

Mit der am 06.01.2020 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgen die Kläger ihr Anliegen weiter. Sie begehren die Berücksichtigung der Verpflegungsmehraufwendungen. Außerdem begehren sie anstelle der bisher gewährten Entfernungspauschale die Kürzung des Bruttolohns, soweit dieser bisher aufgrund der 0,03 %-Regelung berechnet worden ist. Der Bruttolohn sei somit um € 216,63 pro Monat zu kürzen; dafür entfalle die Entfernungspauschale.

Die Kläger vertreten die Auffassung, dass der Kläger keineswegs seine erste Tätigkeitsstätte am Sitz seines Arbeitgebers in E habe. Vielmehr übe der Kläger eine Auswärtstätigkeit in Form der sogenannten Einsatzwechseltätigkeit aus. Der Kläger sei nämlich nicht dauerhaft dem Firmensitz in E zugeordnet. Es fehle an einer dahingehenden schriftlichen Festlegung durch den Arbeitgeber.

Der Kläger sei seinem Arbeitgeber gegenüber in erster Linie verpflichtet, auf den jeweiligen Baustellen tätig zu werden. Er habe am Firmensitz in E zwar einen Büroarbeitsplatz mit Schreibtisch, Bürostuhl, Ablageschrank und Dockingstation für das dienstliche mobile Notebook. Er sei aber nicht verpflichtet, dort arbeitstäglich oder mehrmals wöchentlich tätig zu werden. Pro Jahr habe er allenfalls bis zu 28 Besprechungstermine am Firmensitz wahrzunehmen. Dabei handele es sich um monatliche Besprechungen mit seinem Vorgesetzten, um monatliche Beratungen mit dem dem Kläger zugeordneten Personal und um fünf bis sechs sogenannte Projektstartgespräche pro Jahr. Dagegen übe der Kläger durchschnittlich fast 80 % seiner Tätigkeit an wechselnden Einsatzorten aus.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass der Arbeitgeber unter diesen Umständen eine Zuordnungsentscheidung weder ausdrücklich noch konkludent getroffen habe. Auch die Versteuerung des Dienstwagens sei entgegen der Auffassung des Beklagten kein Indiz für das Gegenteil. Der Arbeitgeber versteuere hier pauschal nach einer von zwei üblichen Methoden, ohne die Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 Einkommensteuergesetz -EStG- näher zu prüfen.

Somit sei für den Verpflegungsmehraufwand die gesetzliche Pauschale von € 12,00 pro Tag zu berücksichtigen. Maßgeblich sei nur die Abwesenheit des Klägers von seiner Wohnung, nicht von einer ersten Tätigkeitsstätte. Für die Berechnung der nach Auffassung der Kläger insgesamt zu berücksichtigenden Beträge wird auf Streitakte Bl. 7 verwiesen.

Für den Nachweis der geltend gemachten Abwesenheitszeiten beruft sich der Kläger auf die Bescheinigungen des Arbeitgebers Streitakte Bl. 49 bis 51 und Bl. 78. Die Abwesenheit sei mit diesen Bescheinigungen ausreichend nachgewiesen.

Die vom Arbeitgeber des Klägers durchgeführte Bruttolohnberechnung für die Nutzung des Firmenwagens sei zu kürzen, da der Kläger keine Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte durchgeführt habe. Die Kläger berufen sich dafür auf BFH, Urt. vom 22.09.2010, VI R 54/09.

Die Dreimonatsfrist des § 9 Abs. 4a S. 6 EStG gelte in Fällen einer Einsatzwechseltätigkeit - wie vorliegend - nach der Rechtsprechung des BFH (VI R 95/13) nicht.

In einem Erörterungstermin am 20.08.2021 hat der Kläger sich persönlich geäußert. Er hat erklärt, dass er von seinem Büro in E unabhängig sei, die Schreibtischarbeit also auch anderswo erledigen könne und tatsächlich auch zu einem großen Teil anderswo erledige. Er erledige nur geschätzt 10 % seiner Schreibtischarbeit im Büro. Im Büro habe er zwar seit einigen Jahren zwei Bildschirme, und das sei angenehmer, wenn er einen Bauablaufplan erstelle. Ein solcher Plan sei jedoch pro Bauvorhaben nur einmal, also insgesamt selten zu erstellen, und angewiesen sei er auf das Büro nicht.

Im Sommer, der im Rahmen seiner Arbeit durchaus neun bis zehn Monate dauere, sei er grob geschätzt vielleicht einmal pro Woche in seinem Büro. Er habe dort zwar ein Postfach, das er hin und wieder leere; in Papierform komme jedoch nur die nicht eilige Post.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen, die Einkommensteuerbescheide 2015, 2016 und 2017 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2019 dahingehend abzuändern, dass für die Kläger bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers

a)
für 2015 Verpflegungsmehraufwendungen von 2.136,00 EUR als Werbungskosten berücksichtigt werden und der Bruttolohn des Klägers nach Anrechnung von 1.935,00 EUR um 664,56 EUR gekürzt wird;

b)
für 2016 Verpflegungsmehraufwendungen von 1.944,00 EUR als Werbungskosten berücksichtigt werden und der Bruttolohn des Klägers nach Anrechnung von 1.881,00 EUR um 718,56 EUR gekürzt wird;

c)
für 2017 Verpflegungsmehraufwendungen von 2.016,00 EUR als Werbungskosten berücksichtigt werden und der Bruttolohn des Klägers nach Anrechnung von 1.953,00 EUR um 646,56 EUR gekürzt wird und die Einkommensteuer 2015, 2016 und 2017 der Kläger entsprechend herabgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält daran fest, dass der Kläger in E seine erste Tätigkeitsstätte habe. Die Aufwendungen für die Wege des Klägers zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte seien in den angefochtenen Bescheiden zutreffend berücksichtigt.

Nach den Kriterien, die der BFH (VI R 27/17 u. a.) aufgestellt habe, habe der Arbeitgeber den Kläger der ersten Tätigkeitsstätte in E zugeordnet. Dafür spreche, dass der Arbeitgeber in den vom Kläger vorgelegten Bestätigungen die H-Straße in E als "regelmäßige Arbeitsstätte" bezeichne. Ob der Arbeitgeber sich der steuerlichen Folgen dieser Formulierung bewusst gewesen sei, sei unerheblich.

Ein erhebliches Indiz für die Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers sei die Versteuerung der Privatnutzung für die Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte. Der Arbeitgeber gehe offensichtlich davon aus, dass das betriebliche Kraftfahrzeug auch für Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte genutzt werde, was das Vorhandensein einer ersten Tätigkeitsstätte voraussetze.

Die geltend gemachte Abwesenheit von mehr als acht Stunden von der ersten Tätigkeitsstätte sei weder glaubhaft gemacht noch nachgewiesen. Der Arbeitgeber habe mehrfach mitgeteilt, dass es keine Zeitnachweise und auch sonst keine Möglichkeiten gebe, die Angaben zu den Abwesenheitszeiten zu kontrollieren.

Der Kläger sei zudem in den Streitjahren überwiegend auf denselben Baustellen tätig gewesen, so dass jedenfalls die Dreimonats-Frist des § 9 Abs. 4a S. 6 EStG zu beachten sei.

Dem Gericht liegen drei Bände Rechtsbehelfsakten vor. Die Zeugen G (Streitakte Bl. 186) und F (Streitakte Bl. 188) sind vernommen worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hatte in den Streitjahren weder eine erste Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 S. 1 EStG (unten 1), noch eine erste Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 S. 4 EStG (unten 2). Die Klage hat deshalb Erfolg (unten 3).

1.

Eine erste Tätigkeitsstätte des Klägers ergibt sich nicht aus einer arbeitsrechtlichen Zuordnung.

a)

Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist (§ 9 Abs. 4 S. 1 EStG). Die Zuordnung wird durch die arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt (§ 9 Abs. 4 S. 2 EStG). Entscheidend ist, ob der Steuerpflichtige nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer bestimmten ortsfesten betrieblichen Einrichtung tätig werden soll. Eine besondere Dokumentationspflicht der Zuordnungsentscheidung besteht nach der Rechtsprechung des BFH (BFH, Urt. vom 11.04.2019, VI R 40/16, BStBl II 2019, 546; Urt. vom 16.12.2020, VI R 35/18, BStBl II 2021, 525) nicht. Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der Finanzgerichtsordnung zugelassenen Beweismittel im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll. Die qualitative Bedeutung der Tätigkeitsstätte bzw. der dort verrichteten Tätigkeiten ist nicht maßgeblich. Der Steuerpflichtige muss am Ort der ersten Tätigkeitsstätte nur in geringem Umfang Tätigkeiten erbringen, die er arbeitsvertraglich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören (BFH a. a. O.; Schmidt-Krüger, EStG, 39. Auflage § 9 Rn. 303 m. w. N.).

b)

Das Gebäude der Niederlassung E in der H-Straße ist eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers C. Eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls ergibt jedoch, dass der Kläger diesem Gebäude in den Streitjahren nicht zugeordnet war.

Eine ausdrückliche Vereinbarung besteht nur insoweit, als im Arbeitsvertrag des Klägers E als "Einstellungsort" bezeichnet ist. Damit wird der Kläger nicht der ortsfesten betrieblichen Einrichtung - dem Niederlassungsgebäude - zugeordnet. Schon dem Wortlaut nach handelt es sich nur um eine Zuordnung zu der Stadt E, nicht aber zu dem Gebäude. Auch die Stadt wird nicht als Tätigkeits- oder Arbeitsort, sondern nur als "Einstellungsort" bezeichnet wird. Was den Sinn und Zweck der Klausel betrifft, so ist sie erkennbar dadurch veranlasst, dass es sich bei dem Arbeitgeber um ein international tätiges Unternehmen mit mehreren über Deutschland verteilten Niederlassungen handelt. Die Klausel ist vor diesem Hintergrund am ehesten dahingehend zu verstehen, dass der Kläger zunächst darauf vertrauen durfte, im Bereich der Niederlassung E eingesetzt zu werden. Wenn der Arbeitgeber den Kläger in einem anderen Bereich - namentlich in anderen Bundesländern - hätte einsetzen wollen, dann hätte dies entweder die Zustimmung des Klägers vorausgesetzt, oder der Kläger hätte einen Anspruch auf Reisekosten oder Umzugskosten gegen seinen Arbeitgeber gehabt. Dem entsprechend hat der Zeuge Arndt auf Nachfrage erklärt, die Klausel über den "Einstellungsort E" bedeute nur, dass der Kläger dem Gruppenleiter E zugewiesen sei und mit diesem zusammenzuarbeiten habe.

Damit ist der Kläger allenfalls dem Bezirk der Niederlassung E, aber nicht der ortsfesten betrieblichen Einrichtung zugeordnet worden. Die Vertragsklausel hätte auch dann ihren Sinn behalten, wenn die Niederlassung an einen anderen Ort innerhalb des bisherigen Bezirks E verlegt worden wäre, oder wenn der Arbeitgeber sich entschieden hätte, auf das Niederlassungsgebäude vollständig zu verzichten und seine Arbeitnehmer ausschließlich auf Heimarbeit und die Arbeit auf den Baustellen zu verweisen.

Weitere ausdrückliche - mündliche oder schriftliche - Absprachen über eine Zuweisung zu der ortsfesten betrieblichen Niederlassung sind nicht getroffen worden. Wie der Zeuge Arndt glaubhaft bekundet, hat es auch keine mündlichen Absprachen oder Weisungen gegeben.

Auch eine konkludente Zuweisung kann den Gesamtumständen nicht entnommen werden.

Insoweit kommt es nicht darauf an, wo der Kläger tatsächlich wie lange gearbeitet hat. Vielmehr ist maßgeblich, ob der aus der Sicht ex ante in nicht nur ganz unerheblichem Umfang im Gebäude der Niederlassung E tätig werden sollte (vgl. BFH, Urt. vom 19.04.2021, VI R 6/19, BStBl II 2021, 727; Urt. vom 02.09.2021, VI R 25/19, bei juris).

Die Tätigkeit des Bauleiters besteht nach der vorgelegten "Positionsbeschreibung Bauleiter E" (Rechtsbehelfsakte III Bl. 48) und nach dem Vortrag des Klägers zu einem Teil aus Büroarbeit (Einarbeiten in die vorhandenen Unterlagen, Erstellen von Bauablaufplänen). Dazu passend wird für den Kläger ein Büro mit Computerarbeitsplatz (zwei Bildschirme) in der Niederlassung E vorgehalten. Dass der Kläger das Büro in E benutzen kann, bedeutet jedoch nicht, dass er es auch benutzen muss. Nach der glaubhaften eigenen Schilderung des Klägers erledigt er den größeren Teil seiner Schreibtischarbeit außerhalb des Büros, insbesondere auf den Baustellen in dazu angemieteten Containern oder sonstigen angemieteten Räumen. Das ist durch den Zeugen Arndt bestätigt worden. Dem Kläger steht es somit auch frei, seine gesamte Schreibtischarbeit außerhalb des Büros in E zu erledigen. Dass dies nicht von Anfang an absehbar gewesen wäre, ist nicht zu erkennen.

Auch aus den regelmäßig stattfindenden Beratungen in dem Gebäude der Niederlassung ergibt sich nichts anderes. Nach der Aussage des Zeugen F nimmt der Kläger einmal wöchentlich an einer Arbeitsberatung teil, außerdem an einer einmal monatlich stattfindenden Leistungsmeldung. Hinzu kommen weitere unregelmäßige Termine (nach dem Vortrag des Klägers fünf bis sechs Projektstartgespräche pro Jahr). Bei diesen Terminen ist einmal nicht zu erkennen, dass sie arbeitsrechtlich vorgegeben in der Niederlassung E stattfinden müssen. Außerdem machen sie nur einen geringfügigen und damit unerheblichen Teil der Arbeitsleistung des Klägers aus. In der "Positionsbeschreibung Bauleiter", für die auf die Rechtsbehelfsakte III Bl. 48 verwiesen wird, sind solche Besprechungen am Ort der Niederlassung nicht erwähnt. Einbezogen sind lediglich die "Koordination der Einsätze" (von Fachingenieuren, Fachberatern u. a.) und "regelmäßige Baubesprechungen", die sich auf einzelne Bauvorhaben beziehen. Davon nicht erfasste Besprechungen am Sitz der Niederlassung können auch nach dem Sinn und Zweck der Abgrenzung zwischen Einsatzwechseltätigkeit und erster Tätigkeitsstätte nicht ausreichen. Es ist zweifelhaft, ob dem Rechtsinstitut der Einsatzwechseltätigkeit überhaupt noch praktische Bedeutung zukommen würde, wenn gelegentliche Besprechungen am Sitz des Arbeitgebers eine Einsatzwechseltätigkeit ausschließen würden. Entsprechendes gilt für das gelegentliche Abholen der in Papierform eingehenden Post.

2.

Fehlt eine dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll, oder an der er je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll (§ 9 Abs. 4 S. 4 Nr. 1 und 2 EStG). Diese Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Der Kläger sollte im Gebäude der Niederlassung E weder an jedem Arbeitstag tätig werden, noch an zwei vollen Arbeitstagen pro Woche oder zu einem Drittel der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit.

3.

Daraus ergeben sich die dem Klageantrag entsprechenden Konsequenzen.

Verpflegungsmehraufwendungen sind nach § 9 Abs. 4a S. 2 bis 4 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung zu berücksichtigen. Da der Kläger keine erste Tätigkeitsstätte hatte, kommt es nur darauf an, ob er ohne Übernachtung mehr als acht Stunden von seiner Wohnung in A entfernt war. Das war unstreitig in dem geltend gemachten Umfang der Fall.

Auf die Dreimonatsfrist des § 9 Abs. 4a S. 6 EStG kommt es nicht an. Diese Frist beginnt erst dann zu laufen, wenn der Steuerpflichtige an derselben Tätigkeitsstelle längerfristig tätig wird, und zwar an mindestens drei Tagen pro Woche (BMF-Schreiben vom 24.10.2014, BStBl I 2014, 1412 Ziff. 55; Brandis/Heuermann-Thürmer, Ertragsteuerrecht, 158. EL § 9 EStG Rn. 597). Das trifft bei dem Kläger nicht zu, da er nicht auf einer bestimmten Baustelle dauerhaft arbeitet, sondern die Arbeiten auf mehreren Baustellen zeitgleich leitet und damit typischerweise von Baustelle zu Baustelle fährt.

Die sogenannte 0,03 %-Regelung (§ 8 Abs. 2 S. 3 EStG) ist nicht anzuwenden, da sie eine erste Tätigkeitsstätte voraussetzt. Das betriebliche Kraftfahrzeug konnte nicht für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte genutzt werden; die Hinzurechnung ist deshalb nicht vorzunehmen,

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.

Der Senat lässt die Revision wegen der möglichen Auswirkungen auf eine Vielzahl von vergleichbaren Fällen und der sich daraus ergebenden grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zu.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 155 S. 1 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.

Der Streitwert wird entsprechend der Berechnung des Beklagten (Schriftsatz vom 05.03.2020, Streitakte Bl. 54 Rückseite) festgesetzt.

RechtsgebietEStGVorschriften§ 9 Abs. 4 S. 1 EStG

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