Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

07.09.2022 · IWW-Abrufnummer 231142

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 11.07.2022 – 1 Sa 39/21

Einzelfallentscheidung zur Aussetzung eines Rechtsstreits betr. eine Auskunfts- und Schadenersatzklage nach den Art. 15 und 82 DS-GVO wegen der Anhängigkeit einschlägiger Vorabentscheidungsersuchen beim Europäischen Gerichtshof.


In der Rechtssache
- Kläger/Berufungskläger/Berufungsbeklagter -
Proz.-Bev.:
gegen
- Beklagter/Berufungskläger/Berufungsbeklagter -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 1. Kammer - durch den
Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Natter, den ehrenamtlichen Richter Oetinger und die ehrenamtliche Richterin Schweizer auf die mündliche Verhandlung vom 11.07.2022
beschlossen:

Tenor:
1. Das Berufungsverfahren wird hinsichtlich der Klageanträge zu 6 bis 8 und zu 20 sowie zu 21 abgetrennt und unter einem neuen, noch zu vergebenden Aktenzeichen fortgeführt.


2. Das Berufungsverfahren wird hinsichtlich der Klageanträge zu 6 bis 8 und zu 20 bis zur Erledigung der Vorabscheidungsersuchen des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2021 - Geschäftszahl W211 2222613-2 - und des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2022 - VI ZR 1352/20 - sowie hinsichtlich des Klageantrags zu 21 bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesarbeitsgerichts vom 26. August 2021 - 8 AZR 253/20 (A) - ausgesetzt.



Gründe



I.



Die Parteien streiten im Rahmen eines Rechtsstreits betreffend die befristete Übertragung einer Abteilungsleiterfunktion und die Bereitstellung von Geldmitteln für Filmproduktionen auch darüber, ob die Beklagte zur Auskunftserteilung nach Art. 15 DS-GVO und zur Zahlung von Schadenersatz nach Art. 82 DS-GVO verpflichtet ist.



Wegen des Sachverhalts wird auf das Urteil der Kammer vom 11. Juli 2022 verwiesen. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zu 6 betr. die Auskunftserteilung hinsichtlich der personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten des Klägers zu den im Antrag aufgeführten Sachverhaltskomplexen mit Urteil vom 25. Oktober 2021 mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, dass der Begriff der Leistungs- und Verhaltensdaten nicht hinreichend bestimmt sei. Den Antrag zu 20 betreffend die Auskunftserteilung hinsichtlich der personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten im Zusammenhang mit der Erstellung der Abschlussprüfung der D. GmbH hat das Arbeitsgericht ebenfalls als unzulässig abgewiesen, weil der Antrag im weiter gefassten Antrag zu 6 enthalten sei und damit eine doppelte Rechtshängigkeit vorliege. Den Antrag zu 21 betr. Schadenersatz wegen Verletzung der Vorschriften der DS-GVO hat das Arbeitsgericht als zulässig, aber als unbegründet erachtet.



Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen diese Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts. Er trägt vor, der Bundesgerichtshof habe mit Urteil vom 15. Juni 2021 klargestellt, dass ein Klageverlangen, Auskunft über alle vom Auskunftsverpflichteten verarbeiteten und gespeicherten personenbezogenen Daten zu erteilen, in jedem Fall ausreichend bestimmt sei. Außerdem habe der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass der Begriff der personenbezogenen Daten sehr weit auszulegen sei. Hilfsweise stelle er den Antrag, ihm über die von der Beklagten verarbeiteten und ihn betreffenden personenbezogenen Daten Auskunft zu erteilen. Der Antrag zu 20 sei nicht im Antrag zu 6 enthalten, weil er einen anderen Sachverhalt betreffe. Schließlich sei der Antrag zu 21 begründet. Für die Entstehung des Anspruchs genüge jeglicher Verstoß gegen eine Vorschrift der DS-GVO einschließlich der Formvorschriften. Es sei von einem weiten Schadensverständnis auszugehen.



Der Kläger beantragt,



Hilfsweise:



Die Beklagte beantragt,



Sie trägt vor, das Arbeitsgericht habe zutreffend entschieden, dass der Antrag zu 6 mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig sei. Der nunmehr gestellte Hilfsantrag, Auskunft über alle im Rahmen des Arbeitsverhältnisses verarbeiteten personenbezogenen Daten zu erteilen, sei ebenfalls unbegründet. Sie mache von ihrem Recht Gebrauch, nach Art. 15 Abs. 4 DS-GVO eine Präzisierung zu verlangen, auf welche Informationen sich das Auskunftsersuchen beziehe.



Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Schadenersatz nach Art. 82 DS-GVO zu. Allein die Verletzung der Auskunftspflicht stelle keine der Verordnung widersprechende Datenverarbeitung dar. Entgegen der Auffassung des Klägers sei die Darlegung eines konkreten, tatsächlich entstandenen Schadens erforderlich. Der österreichische Oberste Gerichtshof habe mit Beschluss vom 12. Mai 2021 dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, wie der Schadensbegriff in Art. 82 DS-GVO zu verstehen sei. Insoweit beantrage sie die Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens.



Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird in entsprechender Anwendung des § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen verwiesen.



II.



Der Rechtsstreit ist, soweit der Kläger mit den Klageanträgen zu 6 bis 8, 20 und 21 Auskunftserteilung nach Art. 15 DS-GVO und Schadenersatz nach Art. 82 DS-GVO begehrt, bis zur Erledigung der im Tenor genannten Vorabentscheidungsersuchen auszusetzen.



1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 28. Juli 2021 - 10 AZR 397/20 (A) - Rn 35 ff.; BAG 7. September 2021 - 9 AZR 3/21 (A) - Rn 41 ff.) kann ein Rechtsstreit in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO ausgesetzt werden, wenn entscheidungserheblich ist, wie Unionsrecht auszulegen ist, und zu dieser Frage bereits ein Vorabentscheidungsersuchen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union anhängig ist. Die Aussetzung des Rechtsstreits ist bei Anhängigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens mit derselben oder einer weitgehend gleichen Rechtsfrage aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und Prozessökonomie gerechtfertigt. Der Entscheidung des Gerichtshofs über ein anderes anhängiges Vorabentscheidungsersuchen kommt präjudizielle Bedeutung zu. Beantwortet der Gerichtshof die Frage nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. a AEUV, wie Unionsrecht auszulegen ist, hat eine solche Entscheidung unmittelbare Wirkung grundsätzlich nur für die am Ausgangsverfahren beteiligten Gerichte und Parteien. Allerdings ergibt sich aus dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, dass der Entscheidung des Gerichtshofs präjudizielle Bedeutung für weitere Rechtsstreitigkeiten zukommt, in denen sich die identische unionsrechtliche Frage stellt.



Die Aussetzung ermöglicht es dem Gerichtshof, das bereits anhängige Verfahren abzuschließen, ohne durch weitere Vorabentscheidungsersuchen belastet zu werden. Für die Beteiligten des ausgesetzten Verfahrens entfällt der Aufwand im Zusammenhang mit einer eigenen Vorlage. Wegen dieser Vorteile nimmt das Gesetz den zeitweiligen Stillstand und die hierdurch bewirkte Verzögerung des Verfahrens in Kauf.



Die Aussetzung einer Rechtsstreitigkeit kommt jedoch nur in Betracht, wenn sich die Rechtsfrage trotz zum Teil abweichender Sachverhalte in gleicher Weise stellt. Sie setzt voraus, dass ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen nicht dazu führte, dem Gerichtshof einen Erkenntnisgewinn oder eine breitere Entscheidungsgrundlage zu verschaffen. Anderenfalls müssen Gesichtspunkte der Verfahrensbeschleunigung und der Prozessökonomie zurücktreten.



2. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Berufungsverfahrens sind im Streitfall erfüllt, soweit der Kläger die Erteilung von Auskunft nach Art. 15 DS-GVO verlangt.



a) Nach dem Inkrafttreten der DS-GVO hat der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DS-GVO in der gerichtlichen Praxis eine große Bedeutung erlangt. Es ist festzustellen, dass der Auskunftsanspruch mit einer gewissen Regelhaftigkeit ergänzend zu den Streitgegenständen geltend gemacht wird, die den Schwerpunkt des Rechtsstreits bilden. Teilweise wird das Auskunftsverlangen als "Modeerscheinung" oder sogar als "neues Geschäftsmodell" bezeichnet (Lembke/Fischels, NZA 2022, 513). Außerdem wird hervorgehoben, mit dem Auskunftsverlangen werde auch der - nicht von der DS-GVO gedeckte - Zweck verfolgt, die eigene Prozesssituation zu verbessern und den Vergleichsdruck auf den Arbeitgeber zu erhöhen (Schulte/Welge, NZA 2019, 1110, 1111).



b) Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 27. April 2021 (2 AZR 342/20) entschieden, dass ein Antrag, der lediglich den Wortlaut der Verordnung (hier: Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO) wiedergebe, nicht hinreichend bestimmt sei. In einem weiteren Urteil vom 16. Dezember 2021 (2 AZR 235/21) hat das Bundesarbeitsgericht ergänzend ausgeführt, ein Antrag, der die Auskunftserteilung auf "Leistungs- und Verhaltensdaten" beschränke, sei nicht hinreichend bestimmt.



Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 15. Juni 2021 (VI ZR 576/19) gegen einen Antrag, wonach eine vollständige Datenauskunft durch Überlassen in Kopie zu erteilen ist, keine Bedenken erhoben. Zudem hat der Bundesgerichtshof in einem Vorabentscheidungsersuchen vom 29. März 2022 (VI ZR 1352/20) zur Auffassung tendiert, dass ein Auskunftsverlangen, das allein zur Prüfung des Bestehens arzthaftungsrechtlicher Ansprüche diene, von Art. 15 DS-GVO noch gedeckt sei.



Schließlich hat das österreichische Bundesverwaltungsgericht mit Vorlage des Beschlusses vom 9. August 2021 (Geschäftszahl W211 2222613-2) dem Europäischen Gerichtshof die Frage gestellt, ob der DS-GVO ein extensives Verständnis von personenbezogenen Daten zugrunde liege. Vor allem der Erwägungsgrund 63 zur DS-GVO deute auf eine extensive Auslegung hin. Hiernach spreche viel dafür, dass unter "Kopie" sämtliche gespeicherten und/oder verarbeiteten personenbezogenen Daten zu übermitteln seien. Demgegenüber plädiert das Schrifttum teilweise für eine restriktive Auslegung (Wybitul/Brams, NZA 2019, 672, 675).



Lembke/Fischels haben dem Bundesarbeitsgericht zwar einen kreativen Ansatz bescheinigt, um ausufernden Auskunftsverlangen Grenzen zu setzen. Der prozessual eingekleidete Ansatz des Bundesarbeitsgerichts überzeuge aber letztlich nicht, weil er verhindere, dass es bei einem umfassenden Auskunftsbegehren zu einer materiell-rechtlichen Prüfung der Voraussetzungen und Grenzen des Auskunftsanspruchs komme, obwohl dies gerade der Zweck des Erkenntnisverfahrens sei. Außerdem verhindere der Lösungsansatz des BAG, dass die im Erwägungsgrund 63 Satz 7 erwähnte Konkretisierungsobliegenheit des Betroffenen zur Anwendung komme, wenn dieser umfassend Auskunft über alle verarbeiteten personenbezogenen Daten verlange.



c) Mit seinen Auskunftsanträgen hat sich der Kläger an der Antragstellung im Entscheidungsfall vom 16. Dezember 2021 orientiert. Der Antrag zu 6 erstreckt sich hierbei umfassend, allerdings mit der Einschränkung auf "Leistungs- und Verhaltensdaten", auf nahezu alle personenbezogenen Daten, die im Rahmen des nahezu 30-jährigen Arbeitsverhältnisses verarbeitet wurden. Mit dem Auskunftsverlangen wird, zumindest teilweise, auch der Zweck verfolgt, die eigene Rechtsposition in eventuellen rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Beklagten zu verbessern. Dies gilt etwa insoweit, als der Kläger Auskunft betreffend die Erstellung des Revisionsberichts und der Abschlussprüfung der Firma D. begehrt.



Folgte die Kammer der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, müsste sie die Anträge zu 6 und 20 mangels hinreichender Bestimmtheit als unzulässig betrachten. Die Kammer hält es aber für denkbar, dass der Europäische Gerichtshof auf das Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts eine grundsätzlich umfassende Auskunftspflicht des Verantwortlichen befürwortet und eine Begrenzung der Auskunftspflicht ausschließlich im materiellen Recht sucht. Dem prozessrechtlichen Ansatz des Bundesarbeitsgerichts könnte damit nicht mehr gefolgt werden. Insoweit ist es prozessökonomisch, die Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens abzuwarten.



Da der Kläger mit seinem Auskunftsverlangen zumindest teilweise andere als die im Erwägungsgrund 63 genannten Zwecke verfolgt, erscheint es zudem prozessökonomisch, auch die Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2022 abzuwarten. Im Rahmen dieses Verfahrens dürfte geklärt werden, ob mit einem Auskunftsverlangen auch der Zweck verfolgt werden kann, die eigene Rechtsposition in bereits anhängigen oder beabsichtigten gerichtlichen Verfahren zu verbessern.



3. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Berufungsverfahrens sind auch erfüllt, soweit der Kläger Schadenersatz nach Art. 82 DS-GVO begehrt.



a) Im Rahmen des Antrags zu 21 streiten die Parteien darüber, ob für die Entstehung des Schadenersatzanspruches jeglicher Verstoß gegen die Vorschriften der DS-GVO genügt. Sie streiten weiter darüber, wie der zu ersetzende immaterielle Schaden zu bemessen ist.



b) Diese Fragen sind Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesarbeitsgerichts vom 26. August 2021 (8 AZR 253/20 (A)). Im Grunde genommen hat das Bundesarbeitsgericht dieselben Fragen aufgeworfen, die auch der österreichische Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 12. Mai 2021 gestellt hat. Insoweit erscheint es prozessökonomisch, die Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten.



III.



Über die Abtrennung und Aussetzung war unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zu befinden, nachdem die Beschlussfassung aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2022 erfolgte.

Dr. Natter
Oetinger
Schweizer

VorschriftenArt. 15 DS-GVO, Art. 82 DS-GVO, Art. 15 Abs. 4 DS-GVO, § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG, § 148 Abs. 1 ZPO, Art. 267 Abs. 1 Buchst. a AEUV, Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr