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09.01.2023 · IWW-Abrufnummer 233106

Finanzgericht Köln: Urteil vom 08.09.2022 – 15 K 2594/20

Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.



Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Die Revision wird zugelassen.
 
1

Tatbestand
2

Die Beteiligten streiten im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer 2018 über die verfassungskonforme Auslegung und/oder die Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschrift in § 56 Investmentsteuergesetz (InvStG).
3

Der einzeln zur Einkommensteuer veranlagte Kläger erzielte neben anderen Kapitaleinkünften im Streitjahr u.a. Einkünfte aus Investmenterträgen, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben (einzutragen in „Anlage KAP-INV“ der Einkommensteuererklärung).
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Hierbei investierte der Kläger u.a. in einen ausländischen Fonds. Bei dem Fonds handelt es sich unstreitig (wegen eines angestrebten Aktienanteils von 70 %) um einen Aktienfonds mit einer Teilfreistellung nach § 20 InvStG n.F. (Rechtslage ab 2018) i.H.v. 30 %. Ausweislich im Klageverfahren vorgelegter Unterlagen wurden per 3. Juli 2015 517,046 Anteile des Fonds zu einem Kaufpreis von 70.000 € erworben. Die Anschaffungskosten pro Anteil betrugen damit 135,3844 €.
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Im Dezember 2018 veräußerte der Kläger insgesamt 399,081 Anteile an dem Fonds und erzielte unstreitig ‒ ausweislich einer Erträgnisaufstellung und weiteren Unterlagen der Depotbank ‒ einen (tatsächlichen) Veräußerungspreis von abgerundet 52.824 € (Wert einzutragen in Zeile 35 Anlage KAP-INV). Die tatsächlichen rechnerischen Anschaffungskosten für die 399,081 Anteile betrugen 54.029 € (399,081 Anteile x 135,3844 €/Anteil).
6

Ausweislich der Bankunterlagen betrugen die steuerlich anzusetzenden Anschaffungskosten, die bei einer Anschaffung vor dem 1. Januar 2018 auch „fiktive Anschaffungskosten“ gem. der Übergangsregelung in § 56 InvStG enthalten, abgerundet 58.317 € (Wert einzutragen in Zeile 36 Anlage KAP-INV zur Einkommensteuererklärung). Veräußerungskosten bestanden keine (Wert einzutragen in Zeile 37 Anlage KAP-INV). Der steuerlich anzusetzende Gewinn/Verlust (Wert einzutragen in Zeile 38 Anlage KAP-INV) betrug demnach -5.493 € (d.h. Verlust; bei Aktienfonds Wert nach Zeile 9 Anlage KAP-INV zu übertragen; Gewinn/Verlust eines Aktienfonds i.S.d. § 2 Abs. 6 InvStG vor Teilfreistellung/Teilabzugsverbot). Nach einer Teilfreistellung (bzw. hier einem Teilabzugsverbot) von 30 % verblieb ein zu berücksichtigter Verlust von 3.845 €.
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Zugleich wies die Erträgnisaufstellung einen (bei Anschaffung nach dem 31.12.2008 und vor dem 01.01.2018 in Zeile 40 der Anlage KAP-INV einzutragenden) sog. „fiktiven Veräußerungsgewinn zum 31.12.2017“ i.H.v. 6.090 € aus. Jener Wert beruht auf der Übergangsregelung in § 56 Abs. 2 InvStG. Sogenannte „bestandsgeschützte Alt-Anteile“ (mit Anschaffung vor dem 1. Januar 2009) bestanden im Streitfall nicht.
8

Nach einem Erstbescheid zur Einkommensteuer vom 8. November 2019, sowie einem Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2019, legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein und begehrte ‒ seinerzeit bei teilweise noch unklarer Sachlage bzgl. des streitigen Fonds ‒ eine Überprüfung der steuerlichen Erfassung. Im Einspruchsverfahren legte er Bankunterlagen vor.
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Unter dem 15. Juni 2020 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid, der gem. § 365 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde. Dabei setzte er u.a. bei der Berechnung der der Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 1 Einkommensteuergesetz ‒ EStG) unterliegenden Einkünfte „Investmenterträge, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben“ i.H.v. 6.926 € sowie „Verrechnung laufender Verluste aus Kapitalvermögen (ohne Verluste aus der Veräußerung von Aktien)“ i.H.v. -4.183 € (= Verlust) an. Ausweislich der Erläuterungen des Beklagten im Schriftsatz vom 15. September 2020 ist in dem Wert von 6.926 € u.a. der vorgenannte „fiktive Veräußerungsgewinn“ des Fonds mit 6.090 € enthalten. Der Verlust von 4.183 € im Bescheid enthält nach der Berechnung des Beklagten einen Veräußerungsverlust (nach Teil-Abzugsverbot 30 %) aus dem vorgenannten Fonds i.H.v. 3.845 €.
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Bei einer Zusammenschau des Gewinns und Verlustes ergibt sich ein rechnerischer Saldo von 2.245 € (6.090 € angesetzter fiktiver Veräußerungsgewinn abzüglich 3.845 € nach Teilabzugsverbot abgezogener Veräußerungsverlust), der im Rahmen der Abgeltungssteuer zu einer Einkommensteuer von gerundet 561 € und einem Solidaritätszuschlag von gerundet 31 €, insgesamt also 592 €, führte.
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Zusammenfassend dargestellt ergaben sich damit folgende Besteuerungsparameter bzw. rechnerisch ermittelte Werte:
12

I. Tatsächliche (unstreitige) Werte:
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tatsächlicher Veräußerungspreis (für 399,081 Anteile):
    

52.824 €

tatsächliche Anschaffungskosten (für 399,081 Anteile):
    

54.029 €

tatsächlicher Gewinn/Verlust (für 399,081 Anteile):
    

- 1.205 €
14

II. Steuerlich anzusetzende Werte laut Bankbescheinigung:
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steuerlich anzusetzende fiktive Anschaffungskosten
    

nach § 56 Abs. 2 InvStG:
    

58.317 €

Veräußerungsgewinn/-verlust in 2018 nach InvStG n.F.
    

vor Teilfreistellung/Teilabzugsverbot (hier: 30 %)
    

- 5.493 €

nach Teilfreistellung/Teilabzugsverbot (hier: 30 %)
    

- 3.845 €

fiktiver Veräußerungsgewinn nach § 56 Abs. 3 InvStG per 31.12.17
    

  6.090 €
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III. Rechnerisch ermittelte Werte und rechnerische Steuerbelastung:
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Rechnerischer Saldo aus
    

steuerlichem fiktiven Veräußerungsgewinn (per 31.12.17: 6.090 €)
    

sowie steuerlichem Veräußerungsverlust (in 2018: 3.845 €):
    

2.245 €

hierauf entfallende Einkommensteuer (25 % von 2.245 €):
    

   561 €

hierauf entfallender Solidaritätszuschlag (5,5 % der ESt):
    

     31 €

Rechnerische Gesamtsteuerbelastung:
    

   592 €
    

Rechnerischer Saldo aus
    

tatsächlichem Veräußerungspreis (in 2018: 52.824 €)
    

sowie korrigierten steuerlichen Anschaffungskosten (52.227 €)
    

(58.317 € fiktive Anschaffungskosten nach § 56 Abs. 2 InvStG
    

abzüglich 6.090 € fiktiver Veräußerungsgewinn nach § 56 Abs. 3 InvStG):
    

   597 €
18

Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2020 unter Hinweis auf den Änderungsbescheid sowie den Schriftverkehr im Einspruchsverfahren als unbegründet zurück.
19

Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage begehrt der Kläger im Wege einer verfassungskonformen Auslegung oder der Rüge einer Verfassungswidrigkeit eine andere Gesetzesanwendung. Hierzu legt er eine Vergleichsberechnung (Anlage K2 der Klagebegründung, siehe Blatt - Bl. - 38 der elektronischen Gerichtsakte ‒ eGA) vor:
20

Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.
21

Hierin berechnet er einen „realen Veräußerungsgewinn“ ohne die Übergangsregelung in § 56 InvStG. Bei Ansatz korrigierter Anschaffungskosten (52.227 €; Berechnung siehe oben) hätte er ‒ der Kläger ‒ nur einen Veräußerungsgewinn von 597 € erzielt, bei Ansatz der tatsächlichen Anschaffungskosten (54.029 €) sogar einen Verlust von 1.205 €. Gleichwohl sei der Vorgang mit einer Steuer (Einkommensteuer/ Solidaritätszuschlag) von insgesamt 592 € belastet worden, wodurch praktisch der gesamte rechnerische Veräußerungsgewinn abgeschöpft bzw. bei Ansatz tatsächlicher Anschaffungskosten eine Steuer auf einen erlittenen Verlust erhoben werde.
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Der Kläger führt an, in der Versteuerung eines „fiktiven Veräußerungsgewinns“ (ermittelt per 31. Dezember 2017, aber nach § 56 Abs. 3 InvStG 2018 erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung der Anteile berücksichtigt; Versteuerung nach „alter Rechtslage“ ohne Teilfreistellung) und der Berücksichtigung „fiktiver Veräußerungsverluste“ (durch Berücksichtigung des vorgenannten fiktiven Veräußerungsgewinns als fiktive Anschaffungskosten per 1. Januar 2018; Versteuerung nach „neuer Rechtslage“ mit Teilfreistellung/Teilabzugsverbot) liege ein Verstoß gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vor. Außerdem werde in die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsgarantie unverhältnismäßig eingegriffen. Die Besteuerung sei auch nicht mit dem Gebot der Folgerichtigkeit vereinbar.
23

In Höhe von 1.648 € (klägerische Ermittlung: 2.245 € fiktiver saldierter Gewinn abzüglich 597 € vom Kläger ermittelter „steuerlicher Gewinn“; zur Herleitung siehe obige Berechnung) liege eine rechtswidrige Besteuerung vor, die auch nicht durch Typisierungsbefugnisse verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sei. Als Rechtfertigung könne insbesondere nicht die zum 1. Januar 2018 eingeführte Körperschaftsteuerpflicht in- und ausländischer Investmentfonds herangezogen werden. Die Körperschaftsteuerpflicht erstrecke sich nicht auf bloße Wertveränderungen im Fondsvermögen, insbesondere durch Kursschwankungen der darin enthaltenen Wertpapiere. Auch die eingeführte Teilfreistellung sei ‒ wie an der Gesetzesbegründung näher dargelegt wird ‒ ganz auf die vom Investmentvermögen erzielten laufenden Erträge ausgerichtet. Die hier angewandte Übergangsbesteuerung führe hingegen durch die Vollversteuerung eines fiktiv errechneten Übergangsgewinns und die nur teilweise (hier: zu 70 %; der Teilfreistellung oder dem Teilabzugsverbot unterliegen auch Veräußerungen, siehe § 16 Abs. 1 Nr. 3, § 20, § 21 InvStG) erfolgte Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes zu einer systemwidrigen, unausgewogenen Besteuerung.
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Der Kläger beantragt,
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die Einkommensteuerfestsetzung 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2020 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen um 1.648 € vermindert werden,
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              hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Der Beklage beantragt,
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              die Klage abzuweisen,
29

              hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Er erachtet die Besteuerung für gesetzeskonform. Die Berechnung des fiktiven Veräußerungsgewinns per 31. Dezember 2017 und auch die Berechnung des Veräußerungsgewinns/-verlustes im tatsächlichen Verkaufszeitpunkt sei ‒ was auch der Kläger nicht angreift ‒ nach den Regularien des InvStG erfolgt. Der fiktive Veräußerungsgewinn errechne sich nach einem Berechnungsschema, welches auf dem letzten Rücknahmepreis im Jahre 2017 (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 InvStG) beruhe und dann mit diversen Werten korrigiert werde. Dieser fiktive Veräußerungsgewinn sei hier auf Bankebene zutreffend ermittelt worden. Ebenso sei die darauf beruhende Ermittlung eines Veräußerungsgewinns oder -verlustes (mit Anwendung der Teilfreistellung bzw. des Teilabzugsverbots) in 2018 zutreffend erfolgt. Die vom Kläger angeführten „tatsächlichen Anschaffungskosten“ seien steuerlich nicht relevant. Die gesetzliche Regelung erachtet der Beklagte für verfassungskonform. Der Gesetzgeber habe mit der Übergangsregelung seine Regelungs- und Typisierungsbefugnisse nicht überschritten.
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Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist unbegründet. Die angefochtene Einkommensteuerfestsetzung 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat die Besteuerung gesetzeskonform durchgeführt (hierzu nachfolgend 1.). Der Senat ist auch nicht von einer Verfassungswidrigkeit überzeugt, so dass keine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erfolgt (hierzu nachfolgend 2.).
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1. Die Besteuerung erfolgte gesetzeskonform.
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Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG u.a. Investmenterträge nach § 16 InvStG. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 InvStG (in der im Veranlagungszeitraum 2018 geltenden Neufassung) zählen zu den Investmenterträgen auch Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen nach § 19 InvStG. Ausweislich der Bankbescheinigung, bei welcher der Senat und auch beide Beteiligten keine Zweifel an dessen sachlicher und rechnerischer Richtigkeit haben, betrug der in 2018 erlittene steuerliche Veräußerungsverlust 5.493 € vor Teilabzugsverbot und 3.845 € nach Teilabzugsverbot (vgl. §§ 20, 21 InvStG). Dieser Verlust wurde steuerlich berücksichtigt, er ist als Teilbetrag des Verlustes von 4.183 € im Einkommensteuerbescheid vom 15. Juni 2020 enthalten. Ferner wurde steuerlich ein per 31. Dezember 2017 gem. § 56 Abs. 2 InvStG ermittelter und im Streitjahr (2018) gem. § 56 Abs. 3 InvStG anzusetzender „fiktiver Veräußerungsgewinn“ berücksichtigt (Betrag 6.090 €; als Teilbetrag des Gewinnes von 6.926 € im Einkommensteuerbescheid enthalten). Dieser Gewinn wurde materiell-rechtlich zutreffend in voller Höhe, d.h. ohne Teilfreistellung, angesetzt. Durch volle Berücksichtigung eines fiktiv ermittelten Veräußerungsgewinns (basierend auf einem Rücknahmepreis per 31. Dezember 2017) und eines modifiziert ermittelten Veräußerungsverlustes (mit Teilabzugsverbot; basierend auf einem tatsächlich erhaltenen Rücknahmepreis bei Veräußerung im Dezember 2018) ergab sich in Höhe des Differenzbetrags ein der Abgeltungsteuer unterliegender Überschuss.
35

Der Senat sieht keine Möglichkeit für eine anderweitige „verfassungskonforme Auslegung“, da die Berechnungsmethodik in § 56 InvStG eindeutig vorgegeben ist und eine Auslegung gegen den Wortlaut der Vorschrift rechtsmethodisch nicht zulässig ist.
36

2. Der erkennende Senat hält eine Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Entscheidung des BVerfG für nicht geboten.
37

Gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) hat ein Gericht, welches ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, das Verfahren auszusetzen und unmittelbar die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BFH besteht diese Vorlagepflicht jedoch nur dann, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer entscheidungserhebliche Gesetzesvorschrift überzeugt ist; bloße Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift vermögen das Gericht dagegen nicht von der Pflicht zur Anwendung des Gesetzes zu entbinden (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 20. März 1952, 1 BvL 12, 15, 16, 24, 28/51, BVerfGE 1, 184, 188 f.; BVerfG-Beschluss vom 6. April 1989, 2 BvL 8/87, BVerfGE 80, 59, 65; BFH-Urteil vom 22. Juli 1997, VI R 121/90, BStBl II 1997, 692).
38

Im Streitfall ist der erkennende Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit überzeugt.
39

Das Investmentsteuergesetz 2018 vom 19. Juli 2016 (Bundesgesetzblatt I 2016, 1730) beruht auf einer Neukonzeption der Investmentbesteuerung (zur Begründung siehe etwa Bundestag-Drucksache 18/8045; eingehend zur Rechtsentwicklung etwa Klein in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 56 InvStG Rn. 1 ff., 305. Lfg 8/2021). Zur zeitlichen Abgrenzung zwischen dem „alten InvStG 2004“ und dem „neuen InvStG 2018“ hat sich der Gesetzgeber für eine Übergangsregelung in § 56 InvStG entschlossen, die ‒ vereinfacht dargestellt ‒ darauf beruht, dass Anteile aus entsprechenden Investmentfonds als mit Ablauf des 31. Dezember 2017 als veräußert und mit Beginn des 1. Januar 2018 als angeschafft gelten (§ 56 Abs. 2 Satz 1 InvStG). Im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung der Anteile erfolgt nach Maßgabe des § 56 Abs. 3 InvStG eine modifizierte Berechnung mit fiktiv erhöhten Anschaffungskosten einerseits und der Versteuerung des bis dahin nicht versteuerten „fiktiven Veräußerungsgewinns“ andererseits. Für den der alten Rechtslage unterfallenden (fiktiven) Veräußerungsvorgang gilt dabei keine im neuen Recht vorgesehene Teilfreistellung gem. § 20 InvStG, so dass jener Gewinn oder Verlust (bei einer Anschaffung nach dem 31. Dezember 2008; Abgrenzung zur Rechtslage vor Einführung der Abgeltungsteuer) in voller Höhe bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen anzusetzen ist. Bei der Besteuerung des nach „neuem“ Recht ermittelten Gewinns oder Verlustes gelten dagegen pauschalierte Prozentsätze für eine Teilfreistellung (bei Veräußerungsgewinnen) bzw. ein Teilabzugsverbot (bei Veräußerungsverlusten).
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Jene Übergangsregelung kann ‒ wie der Kläger rechnerisch zutreffend darstellt ‒ bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Kursverlauf (hoher fiktiver Veräußerungsgewinn per 31. Dezember 2017; wegen Kursverfall in 2018 oder später sodann tatsächlich niedrigerer Veräußerungsgewinn oder Veräußerungsverlust) dazu führen, dass ein Veräußerungsgewinn bei wirtschaftlicher Betrachtung überproportional mit Einkommensteuer belastet oder gar ein Veräußerungsverlust wie ein Gewinn besteuert wird (siehe hierzu auch Rechenbeispiel in der Fachinformation des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 2. Juni 2022, Az. S 1908.1.1-116, BeckVerw 571779 und Juris). Umgekehrt kann es auch zu einer Nichtversteuerung oder im Vergleich zum Regelsteuersatz geringeren Versteuerung eines tatsächlich erzielten Gewinns kommen. Jene Übergangseffekte entstehen dabei durch die unverminderte Versteuerung eines fiktiven Veräußerungsgewinns per 31. Dezember 2017 (bzw. eine unverminderte Verlustberücksichtigung eines per 31. Dezember 2017 ermittelten Verlustes) einerseits sowie einen bei Aktienfonds im tatsächlichen Veräußerungszeitpunkt ermittelten und um 30 % gekürzten Ansatz eines Gewinns oder Verlustes andererseits. Sie sind zwangsläufige Folge der gesetzgeberischen Konzeption eines möglichst klaren Übergangs vom alten Besteuerungsregime zum neuen Besteuerungsregime (so Hartmann in BeckOK InvStG, 14. Edition Stand 8/2022, § 56 InvStG Rn. 7 f.). Im Schrifttum hiergegen geäußerte Bedenken sind für den Senat nicht ersichtlich, Rechtsprechung zu dieser Frage existiert‒ soweit ersichtlich ‒ derzeit nicht.
41

Der Senat ist vorliegend nicht davon überzeugt, dass der Gesetzgeber den ihm bei einer Umgestaltung komplexer Regelungssysteme zustehenden weiten Gestaltungsspielraum (vgl. hierzu etwa BVerfG-Beschluss vom 29. September 2015, 2 BvR 2683/11, BStBl II 2016, 310, Rn. 32 der in Juris abgedruckten Entscheidungsgründe, m.w.N.) in unzulässiger Weise verlassen hat. Das gewählte Typisierungsmodell führt zwar zu Abweichungen (zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen) gegenüber einer anderweitigen Gewinn- oder Verlustermittlung (bspw. durch Ermittlung eines einheitlichen Veräußerungsgewinns oder -verlustes, welcher dann zeitanteilig nach verschiedenen Rechtslagen besteuert wird, einer vollständigen Versteuerung nach neuem Recht o.ä.). Dies erscheint dem Senat aber insbesondere durch die gesetzgeberisch verfolgten Besteuerungs- und Vereinfachungszwecke gerechtfertigt. Es lag nach Überzeugung des Senats in der gesetzgeberischen Freiheit, die während der alten Rechtslage entstandenen Wertveränderungen nach dem damaligen Besteuerungsregime zu berechnen (ohne Teilfreistellungen/Teilabzugsverbote; zudem bestehende weitere Unterschiede bspw. in der Verlustverrechnung, vgl. zum Ganzen etwa das BMF-Schreiben vom 21. Mai 2019 zu Anwendungsfragen zum Investmentsteuergesetz in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung, BStBl I 2019, 527). Die Veräußerungsfiktion zum 31. Dezember 2017 und die Anschaffungsfiktion zum 1. Januar 2018 waren hierzu ein praktikables Mittel, insbesondere weil die hieraus resultierende Steuer erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung erhoben wird. Anders als in anderen in der verfassungsrechtlichen Judikatur entschiedenen Fällen (vgl. etwa BVerfG-Beschluss vom 17. November 2009, 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1 zum Übergang vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren) drängt sich für den Senat kein anderweitiges Regelungssystem auf, welches gleichsam praktikabel gewesen wäre.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revisionszulassung beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, weil die verfassungsrechtlichen Fragen grundsätzliche Bedeutung haben und die in § 56 Abs. 2, 3 InvStG normierte Übergangsregelung aufgrund der aufschiebend bedingten Besteuerung auch in Zukunft Auswirkungen für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen haben kann.

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