03.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235051
Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 16.02.2023 – 10 WF 168/22
Setzen beide Kindeseltern ihren Machtkampf untereinander zu Lasten des Umgangs der Kinder mit dem Vater bis an die Grenze der wechselseitigen Schikane fort und wird in der Gesamtschau deutlich, dass beide Elternteile jeweils auf ihre formale Rechtsposition pochen und nicht bereit sind, zugunsten des Rechts der Kinder auf Umgang mit dem Vater flexibler zu agieren, rechtfertigt dies nicht, bei Verstößen gegen eine gerichtlich gebilligte Umgangsregelung von Ordnungsmitteln abzusehen.
Vielmehr ist gerade bei derartig zerstrittenen Eltern, die nicht in der Lage sind, im Sinne ihrer Kinder vernünftig zu handeln, auf die Einhaltung gerichtlicher Regelungen besonders zu achten.
Andernfalls wären solche obsolet.
Im Rahmen vereinbarter Telefonate hat der umgangspflichtige Elternteil nicht nur die telefonische Erreichbarkeit der Kinder sicherzustellen, sondern auch für eine ungestörte Umgebung bzw. Atmosphäre Sorge zu tragen hat, in der ein gute Verständigung ohne ablenkende Umstände möglich ist.
621 F 1822/22 Amtsgericht Hannover
Beschluss
In der Familiensache
betreffend den Umgang mit den beteiligten Kindern
‒ pp. ‒
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Richter am Oberlandesgericht …, den Richter am Oberlandesgericht … und die Richterin am Oberlandesgericht … am 16. Februar 2023 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers (Kindesvaters) wird der Beschluss des Amtsgerichts ‒ Familiengericht ‒ Hannover vom 15. September 2022 geändert.
Gegen die Antragsgegnerin (Kindesmutter) wird ein Ordnungsgeld i. H. v. 150 € und ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für jeweils 50 € ein Tag Ordnungshaft festgesetzt.
Die gerichtlichen Kosten des Ordnungsmittelverfahrens erster Instanz werden der Antragsgegnerin auferlegt. Für das Beschwerdeverfahren fallen gerichtliche Kosten nicht an (Ziff. 1912 KV FamGKG). Die außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen trägt jede/r Beteiligte/r selbst.
Gründe:
I.
Zu entscheiden ist über die Festsetzung von Ordnungsmitteln wegen Verstoßes gegen eine gerichtlich gebilligte Umgangsvereinbarung.
Die beteiligten Kindeseltern haben im erstinstanzlichen Anhörungstermin am 18. Juli 2022 den Umgang des Kindesvaters mit den beiden gemeinsamen Söhnen E., geb. 2013, und K., geb. 2019, durch Vereinbarung geregelt. Ziffer 1. dieser Vereinbarung lautet:
„Die Kindeseltern sind sich darin einig, dass dem Vater, der sich zurzeit in Hamburg aufhält, die Möglichkeit gegeben werden soll, noch in der ersten Ferienzeit in Niedersachsen Umgang mit den beiden Söhnen zu haben. Sollte in dieser Woche, vom 18.07. bis zum 23.07.2022, der Pass K.s bei der Mutter eingehen, wird sie den Vater sofort verständigen, damit er die Möglichkeit erhält, die Kinder bei der Mutter abzuholen und mit ihnen nach Bosnien zu fliegen, wobei die Abholung einen Tag vor dem Abflug erfolgen soll.“
Die Kindeseltern haben zudem u. a. festgehalten,
„dass zwischen den Elternteilen Einigkeit besteht, dass der Kindesvater samstags vormittags, 10:00 Uhr, mit den Kindern telefoniert. …“
Durch anschließenden Beschluss des Amtsgerichts ist die Umgangsvereinbarung familiengerichtlich gebilligt und die Eltern sind auf die Folgen einer Zuwiderhandlung gem. § 89 FamFG hingewiesen worden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Anhörungsprotokoll vom 18. Juli 2022 Bezug genommen.
Der vom Kindesvater jeweils geschilderte Sachverhalt ist unstreitig.
Das Amtsgericht hat den Ordnungsmittelantrag des Kindesvaters durch Beschluss vom 15. September 2022, auf den Bezug genommen wird, zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung hat der Kindesvater form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er seinen Ordnungsgeldantrag weiterverfolgt.
Die Kindesmutter verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Kindesvaters hat nach Maßgabe des Tenors Erfolg.
Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Ordnungsgeldes ist § 89 Abs. 1 S. 1 FamFG. Nach dieser Norm kann das Gericht u. a. bei der Zuwiderhandlung gegen einen Vollstreckungstitel zur Regelung des Umgangs gegenüber dem Verpflichteten Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft anordnen.
Hintergrund der Kann-Regelung ist dabei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur zwangsweisen Durchsetzung der Umgangspflicht (vgl. Prütting/
Helms/Hammer, FamFG, 5. Aufl., § 89 Rn 16; Sternal/Giers, 21. Aufl. 2023, FamFG § 89 Rn 6 m. w. N.). Danach dient ein Umgang mit dem Kind, der nur mit Zwangsmitteln gegen seinen umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden kann, in der Regel nicht dem Kindeswohl (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 845ff). Die Kann-Regelung ermöglicht dem Gericht insoweit eine flexible Handhabung. Im Übrigen muss sich das Gericht jedoch bei der Ermessensausübung in erster Linie davon leiten lassen, dass die Vollstreckung der effektiven Durchsetzung einer gerichtlichen Entscheidung dient, die auch und gerade unter Berücksichtigung des Kindeswohls getroffen wurde. Daher wird sich das (Entschließungs-)Ermessen regelmäßig auf Null reduzieren und dem Gericht nur das Auswahlermessen hinsichtlich der Auswahl des Ordnungsmittels verbleiben (vgl. Prütting/Helms/Hammer a. a. O.; Sternal/Giers, a. a. O.)
Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Amtsgerichts nicht gerecht, soweit die vereinbarten Samstags-Telefonate um 10.00 Uhr am 30. Juli 2022, 6. August 2022 und 13. August 2022 betroffen sind.
In Bezug auf den Telefontermin am 13. August 2022 liegt entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ebenfalls ein Verstoß gegen die gerichtlich gebilligte Elternvereinbarung vor.
Eine Zuwiderhandlung i. S. v. § 89 FamFG ist ein Verhalten, das im Widerspruch zu der sich aus dem Titel ergebenden Verpflichtung steht. Dabei handelt einer Umgangsregelung nicht nur derjenige zuwider, der den Umgang aktiv vereitelt. Vielmehr besteht die Wohlverhaltenspflicht des § 1684 Abs. 2 S. 1 BGB, wonach die Eltern alles zu unterlassen haben, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert, auch bei der Durchführung einer Umgangsregelung (vgl. jeweils m. w. N. Sternal/Giers, 21. Aufl. 2023, FamFG § 89 Rn 10; MüKoFamFG/Zimmermann, 3. Aufl. 2018, FamFG § 89 Rn 10). Für die vorliegend vereinbarten samstäglichen Telefonate folgt daraus, dass die Kindesmutter nicht nur die telefonische Erreichbarkeit der Kinder sicherzustellen, sondern auch für eine ungestörte Umgebung bzw. Atmosphäre Sorge zu tragen hat, in der ein gute Verständigung ohne ablenkende Umstände möglich ist.
Dies trifft auf ein Hotel-Restaurant mit lauter Geräuschkulisse nicht zu, zumal die Kindesmutter das Gespräch auch noch selbst mit Zwischenfragen an die Kinder nach Strandsachen gestört hat.
Soweit das Amtsgericht einen Verstoß der Kindesmutter gegen die in Ziffer 1. vereinbarte Ferienregelung verneint hat, ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Insoweit nimmt der Senat auf ihre zutreffenden Gründe Bezug.
Umgekehrt hat aber auch der Kindesvater nicht gegen die in Ziffer 1. vereinbarte Ferienregelung verstoßen. Denn er war nach deren eindeutigem Wortlaut zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet, die Kinder bei rechtzeitigem Eingang des Passes von K. bei der Mutter abzuholen und mit ihnen nach Bosnien zu fliegen.
Nach alledem erscheint unter Berücksichtigung von Häufigkeit und Schwere der der Mutter zur Last zu legenden Verstöße ein Ordnungsgeld i. H. v. 150 € angemessen.
Dabei hat der Senat nicht verkannt, dass ‒ wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt ‒ beide Kindeseltern ihren Machtkampf untereinander zu Lasten des Umgangs der Kinder mit dem Vater fortsetzen bis an die Grenze der wechselseitigen Schikane und dass in der Gesamtschau deutlich wird, dass beide Elternteile jeweils auf ihre formale Rechtsposition pochen und nicht bereit sind, zugunsten des Rechts der Kinder auf Umgang mit dem Vater flexibler zu agieren. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, bei Verstößen gegen die gerichtlich gebilligte Umgangsregelung von Ordnungsmitteln abzusehen. Vielmehr ist gerade bei derartig zerstrittenen Eltern, die nicht in der Lage sind, im Sinne ihrer Kinder vernünftig zu handeln, auf die Einhaltung gerichtlicher Regelungen besonders zu achten. Andernfalls wären solche obsolet. Es bleibt dem Gericht schließlich unbenommen, einer Elternvereinbarung zum Umgang die gerichtliche Billigung zu versagen, sofern es eine solche für „ungünstig“ bzw. nicht mit dem Kindeswohl vereinbar hält. Liegt jedoch ein Gerichtsbeschluss vor, sind Verstöße dagegen grundsätzlich mit den entsprechenden Mitteln zu ahnden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 87 Abs. 5, 81 FamFG. Sie entspricht in Anbetracht des Erfolgs des Ordnungsmittelantrages sowie der konfliktreichen Elternbeziehung der Billigkeit.
Der Wert für die Bemessung der Anwaltsvergütung im Beschwerdeverfahren dürfte mit 4.000 € zu bemessen sein.