04.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235062
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 01.12.2022 – 15 K 1131/19 G, F
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf
15 K 1131/19 G,F
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten des Beigeladenen. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird zugelassen.
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G r ü n d e :
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013 bis 2016 mit Bescheiden vom 21.12.2018, die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2013 bis 2016 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 jeweils vom 08.01.2019 (Einspruchsentscheidung vom 26.03.2019) macht die Klägerin mit der Klage geltend, der in § 4 Abs. 4a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes ‒EStG- bestimmte typisierende Zinssatz von 6 v.H. unterliege verfassungsrechtlichen Zweifeln. Hier gälten die gleichen Bedenken, die in den derzeit anhängigen Verfahren betreffend die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes in § 238 der Abgabenordnung ‒AO- vorgebracht würden. In den Streitjahren, während anhaltender Niedrigzinsphase, habe der typisierte Zinssatz keinen Bezug mehr zum langfristigen Marktzinsniveau; der angemessene Rahmen einer wirtschaftlichen Realität sei erheblich überschritten.
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Der Senat hat die Klage mit Gerichtsbescheid (mit Zulassung der Revision) vom 31.05.2019 abgewiesen. Auf die Revision hat der Bundesfinanzhof ‒BFH- das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (Gerichtsbescheid vom 22.03.2022 ‒ IV R 19/19). Das Finanzgericht ‒FG- habe noch Feststellungen zu der betrieblichen Veranlassung der Schuldzinsen und zu der Frage zu treffen, ob überhaupt Überentnahmen vorlägen; zudem sei der ‒ über den Sonderbetriebsgewinn ‒ betroffene Mitunternehmer notwendig beizuladen.
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Das Gericht hat die Beiladung mit Beschluss vom 25.07.2022 vorgenommen.
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Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 28.09.2022, nebst Anlagen 1 ‒ 4, im Einzelnen dargelegt, dass sich die betrieblichen Schuldzinsen auf ... EUR (2013), ... EUR (2014), ... EUR (2015) sowie ... EUR (2016) beliefen und die Überentnahmen des Beigeladenen betrugen: ... EUR (2013), ... EUR (2014), ... EUR (2015) und ... EUR (2016). Wegen der Einzelheiten des Klagevorbringens wird auf diese schriftliche Stellungnahme nebst Nachweisen Bezug genommen.
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Die Klägerin beantragt,
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die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013 bis 2016 mit Bescheiden vom 21.12.2018, die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2013 bis 2016 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 jeweils vom 08.01.2019 sowie die Einspruchsentscheidung vom 26.03.2019 dahin zu ändern, dass bei der Ermittlung der Schuldzinsenkürzung gemäß § 4 Abs. 4a EStG für den Gesellschafter A ein Zinssatz von 2,9 v.H. zugrunde gelegt wird.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor: Dem Klagevortrag könne er hinsichtlich sowohl der betrieblichen Veranlassung der Schuldzinsen als auch der ermittelten Überentnahmen folgen; der Sachverhalt sei unstreitig. Nach diesem Zahlenmaterial führe die Berücksichtigung der kumulierten Entnahmen und des jeweiligen kumulierten Entnahmeüberschusses auch bei Anwendung der neueren BFH-Rechtsprechung (Urteile vom 14.03.2018 ‒ X R 17/16 bzw. vom 06.12.2018 - IV R 15/17) zu keiner Änderung der in den streitbefangenen Bescheiden hinzugerechneten Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG. Bei dem Zinssatz handele es sich um eine vom Gesetzgeber festgelegte und auch zulässige Typisierung, die der aktuellen Rechtslage entspreche; die anhängigen Verfahren betr. § 238 AO seien hier nicht übertragbar. Der zwischenzeitlich ergangene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ‒BVerfG- vom 08.07.2021 - l BvR 2237/14, l BvR 2422/17 über die Verfassungsbeschwerden betreffend die Vollverzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 AO bestätige im Ergebnis die hier angewandten Grundsätze. Wegen der Einzelheiten des Beklagtenvorbringens wird auf insbesondere auf dessen Schriftsatz vom 02.11.2022 Bezug genommen.
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Der Beigeladene hat weder eine Stellungnahme abgegeben noch einen Antrag gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Steuerakten Bezug genommen.
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Die Klage ist unbegründet.
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Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‒FGO-.
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Der Beklagte hat den streitgegenständlichen Bescheiden die betrieblich veranlassten Schuldzinsen und die Überentnahmen sämtlicher Streitjahre in zutreffender Höhe zugrunde gelegt, wie auch die Beteiligten übereinstimmend vorbringen. Dabei hat er auch der zwischenzeitlich ergangenen BFH-Rechtsprechung zutreffend Rechnung getragen. Insbesondere beruht die ‒ vom Beklagten unstreitig gestellte ‒ Berechnung der Klägerin auf den Grundsätzen der BFH-Urteils vom 14.03.2018 ‒ X R 17/16, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2018, 744; das BFH-Urteil vom 06.12.2018 - IV R 15/17, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH ‒BFH/NV- BFH/NV 2019, 526 führt entsprechend dem Beklagtenvortrag ebenfalls nicht zu einer Änderung der angefochtenen Bescheide.
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Zudem hat der Beklagte den zutreffenden gesetzlich typisierten Zinssatz des § 4 Abs. 4a EStG angewendet. Der Senat hält auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin für nicht berechtigt. § 4 Abs. 4a EStG bezweckt, die nicht zum Betriebsausgabeabzug zugelassenen Zinsaufwendungen in pauschalierter Art und Weise festzustellen. Die Regelung, dass die nichtabziehbaren Schuldzinsen typisiert mit 6 v.H. der Überentnahmen des Wirtschaftsjahres zu ermitteln sind, bestätigt dies (Urteil des Finanzgerichts ‒FG- Münster vom 06.08.2004 11 K 4399/03, Entscheidungen der Finanzgerichte ‒EFG- 2005, 263; Revision unbegründet lt. Urteil des Bundesfinanzhofs ‒BFH- vom 07.03.2006 - X R 44/04, BStBl II 2006, 588).
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Die Typisierung dient einem Vereinfachungszweck, welcher die in der Abkehr vom Individualmaßstab liegende Gleichbehandlung von Ungleichem (namentlich infolge der je nach genauem Entnahmezeitpunkt verschiedenen Finanzierungslaufzeit) vor Art. 3 Abs.
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1 des Grundgesetzes ‒GG- rechtfertigt. Insbesondere erspart sie dem Steuerpflichtigen
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wie der Verwaltung eine genaue umfangmäßige und zeitanteilige Zuordnung der angefallenen Zinslasten, die sich letztlich nur bei einer liquiditätsbezogenen Betrachtungsweise leisten ließe. Die Typisierung erweist sich als technische Bedingung der praktikableren kapitalbezogenen Sichtweise (BFH-Urteil vom 17.08.2010 - VIII R 42/07, BStBl II 2010, 1041; Seiler in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rdnr. Ea 83). Das BVerfG hat mit Beschluss vom 08.07.2021 (l BvR 2237/14, l BvR 2422/17, Bundesgesetzblatt ‒BGBl- 2021, 4303) über die Verfassungsbeschwerden betreffend die Vollverzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 AO ebenso entschieden, dass Typisierung bedeute, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Der Gesetzgeber dürfe sich dabei grundsätzlich am Regelfall orientieren und Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, generalisierend vernachlässigen. Er könne auch bei der Auswahl des Zinsgegenstands und der Bemessung des Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und sich dabei in erheblichem Umfang von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung leiten lassen. Das muss hier umso mehr gelten, als es sich bei den streitgegenständlichen Zinsen nicht um eine Zusatzleistung über die ohnehin schon zu entrichtende Steuer handelt, sondern um eine pauschalierende Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen. Aus der außerbilanziellen Hinzurechnung muss sich noch nicht einmal eine Abgabenlast ergeben.
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Der Kritik einer mit 6 v.H. übermäßigen Verzinsung der Überentnahmen ist entgegen zu halten, dass der Nachteil durch einen entsprechenden Vorteil ‒ gleiche Behandlung von Einlagen und Gewinnen ‒ bei pauschalierender Betrachtung aufgehoben wird. Zudem hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit einer abweichenden, die Verzinsung vermeidenden Gestaltung (Nacke in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 4 EStG Rdnr. 1658d); er hat die Wahl, ob er Überentnahmen tätigt und damit den Zins- und Hinzurechnungstatbestand bewusst eintreten lassen will. Der Zinssatz führt zudem jedenfalls dann zu durchaus angemessenen Ergebnissen, wenn die Überentnahme sehr früh im Jahr erfolgt ‒ jedenfalls vor dem Hintergrund der bezweckten Pauschalierung und im Hinblick auf den Vereinfachungseffekt (Frotscher/Watrin in Frotscher, EStG, § 4 Rdnr. 654).
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Ohnehin hat das BVerfG mit obigem Beschluss vom 08.07.2021 (l BvR 2237/14, l BvR 2422/17, Bundesgesetzblatt ‒BGBl- 2021, 4303) über die Verfassungsbeschwerden betreffend die Vollverzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 AO die Vollverzinsung mit 0,5 % monatlich erst ab dem 01.01.2014 für mit dem Gleichheitssatz unvereinbar festgestellt und zudem die Weiterregelung bis zum 31.12.2018 angeordnet. Das vorliegende Verfahren betr. § 4 Abs. 4a EStG betrifft indes nur den Zeitraum 2013 bis 2016.
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Soweit die generell als noch vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasste Typisierung im extrem gelagerten Einzelfall jedoch zu grob sachwidrigen Ergebnissen führt, kommen ggf. Billigkeitsmaßnahmen in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 17.08.2010 - VIII R 42/07, BStBl II 2010, 1041; Schallmoser in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 4 Rdnr. 1036). Diese sind im vorliegenden Festsetzungsverfahren indes nicht zu prüfen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 4 FGO.
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Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO zuzulassen; der BFH hat mit dem obigen zurückverweisenden Gerichtsbescheid eine Vorlage der aufgeworfenen Frage der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes in § 4 Abs. 4a EStG als „etwa erforderlich“ eingestuft.