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16.11.2023 · IWW-Abrufnummer 238313

Bundesfinanzhof: Urteil vom 20.06.2023 – IX R 17/21

1. Bei der Vermietung eines Objekts mit einer Wohnfläche von mehr als 250 qm besteht eine Ausnahme von der typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit, die Anlass zu deren Überprüfung mittels einer Totalüberschussprognose gibt.

2. An den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit und den diesbezüglichen Ausnahmen, insbesondere bei der Vermietung eines Objekts mit mehr als 250 qm Wohnfläche, hält der Senat auch nach der Einfügung von § 21 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 fest.


Tenor:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 22.01.2021 - 5 K 1938/19 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Gründe

I.

1

Streitig ist, inwieweit eine Totalüberschussprognose bei der Vermietung von Immobilien mit jeweils mehr als 250 qm zum Nachweis einer Einkünfteerzielungsabsicht angezeigt ist.

2

Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) vermieteten in den Streitjahren 2011 bis 2014 drei Einfamilienhäuser. Die Anschaffung aller drei Objekte wurde in voller Höhe fremdfinanziert. Zum 01.12.2017 beziehungsweise 01.12.2019 erfolgte eine Anpassung der hieraus resultierenden Zinsen. Die Mietverhältnisse wurden jeweils unbefristet abgeschlossen.

3

Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Objekte:

Objekt I:

  • Kaufvertrag vom 13.12.2005

  • ab dem 01.07.2006 vermietet an die Tochter und deren Ehemann

  • vereinbarte Kaltmiete: 2.400 €/Monat‚ ab 01.06.2019 3.010 €/Monat

  • Wohnfläche: 322 qm

Objekt II:

  • Kaufvertrag vom 11.10.2007

  • ab dem 01.04.2008 vermietet an den Sohn und dessen Ehefrau

  • vereinbarte Kaltmiete: 2.050 €/Monat‚ ab 01.06.2019 2.620 €/Monat

  • Wohnfläche: 290,50 qm

Objekt III:

  • Kaufvertrag vom 23.12.2008

  • ab dem 01.05.2009 vermietet an die Tochter und deren Ehemann

  • vereinbarte Kaltmiete: 2.415 €/Monat‚ ab 01.06.2019 2.580 €/Monat

  • Wohnfläche: 331 qm

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) veranlagte die Kläger hinsichtlich der geltend gemachten Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus den drei streitgegenständlichen Objekten zunächst für die Veranlagungszeiträume 2011 bis 2013 erklärungsgemäß (2011 mit Bescheid vom 09.09.2014; 2012 mit Bescheid vom 12.05.2015; 2013 mit Bescheid vom 16.08.2016). In der Folge einer bei den Klägern durchgeführten Außenprüfung versagte das FA jedoch deren steuerliche Anerkennung (für 2011 bis 2013 mit geänderten Bescheiden vom 15.11.2018 und für 2014 mit Bescheid vom 15.11.2018). Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 08.07.2019).

5

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab (Urteil vom 22.01.2021). Mangels Einkünfteerzielungsabsicht seien die bezüglich der drei streitgegenständlichen Objekte geltend gemachten Werbungskostenüberschüsse nicht zu berücksichtigen. Auch bei den nach § 21 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als vollentgeltlich überlassen geltenden Vermietungen der streitgegenständlichen Objekte könne die Einkünfteerzielungsabsicht zweifelhaft sein. Hieran habe sich auch nichts durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 01.11.2011, BGBl I 2011, 2131 (StVereinfG 2011) geändert. Ungeachtet der weiteren Ausstattungsmerkmale bestehe eine Veranlassung zur Überprüfung der Einkünfteerzielungsabsicht, da die jeweilige Wohnfläche der streitgegenständlichen Objekte 250 qm übersteige.

6

Dagegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie eine Verletzung materiellen Rechts rügen. Nach § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 sei bei einer Miete, die mindestens 66 % der Marktmiete betrage, nicht nur von einer Vollentgeltlichkeit, sondern auch von der Einkünfteerzielungsabsicht auszugehen. Diese Auffassung werde sowohl durch die Gesetzesbegründung als auch durch Teile des Schrifttums bestätigt. Jedenfalls könne das Überschreiten der Wohnflächengrenze von 250 qm für sich alleine die typisierte Annahme einer Einkünfteerzielungsabsicht bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit nicht in Zweifel ziehen. Steuerpflichtigen müsse zudem zumindest die Möglichkeit zustehen, Zweifel an der Einkünfteerzielungsabsicht durch den Nachweis zu entkräften, dass die höchste am Markt erzielbare Marktmiete dem Wohnwert des Objekts entspreche. Das Abstellen auf eine starre Grenze von 250 qm sei jedenfalls gleichheitswidrig. Die Entscheidung des FG sei ferner widersprüchlich. Einerseits komme das FG zu dem Ergebnis, dass die tatsächlich vereinbarte und bezahlte Miete über 75 % der Marktmiete liege, während es an anderer Stelle ausführe, dass eine Marktmiete nicht ermittelbar sei. Unzutreffender Weise habe das FG ferner für die Totalüberschussprognose nicht die unter Berücksichtigung der höchsten am Markt erzielbaren Mieten hochgerechneten Einkünfte in der Investitionsphase beziehungsweise der fünfjährigen Investitionsfolgephase, sondern die tatsächlichen Einkünfte, soweit diese bekannt seien, und ansonsten geschätzte Einkünfte berücksichtigt.

7

Mit Bescheid vom 03.09.2021 ist die Einkommensteuerveranlagung 2011 erneut wegen der Mitteilung von Beteiligungseinkünften geändert worden.

8

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 22.01.2021 - 5 K 1938/19 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2014 (2011: vom 09.09.2014, zuletzt geändert am 03.09.2021; 2012: vom 12.05.2015, zuletzt geändert am 15.11.2018; 2013: vom 16.08.2016, zuletzt geändert am 15.11.2018; 2014: vom 15.11.2018) in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass die vom FA nicht anerkannten Werbungskostenüberschüsse aus Vermietung und Verpachtung der streitgegenständlichen Objekte (2011: 195.173 €; 2012: 216.785 €; 2013: 172.728 €; 2014: 190.696 €) berücksichtigt werden.

9

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

10

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung ( § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die bisherigen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um abschließend zu entscheiden, ob das FG zu Recht die Überschusserzielungsabsicht der Kläger verneint hat.

11

1. Das angefochtene Urteil ist hinsichtlich des Streitzeitraums 2011 bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat ( § 127 FGO ). Das FG hat über den Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 15.11.2018 entschieden. An dessen Stelle ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 03.09.2021 getreten, der nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Damit liegt der Vorentscheidung ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde. Das angefochtene Urteil ist daher insoweit gegenstandslos geworden und aufzuheben (Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 22.02.2018 - VI R 17/16 , BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 17, m.w.N.). Da sich durch die Bescheidänderung hinsichtlich des streitigen Punkts keine Änderungen ergeben und die Kläger auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt haben, bedarf es allein deshalb keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO . Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats in der Sache ( BFH-Urteil vom 15.03.2007 - VI R 29/05 , BFH/NV 2007, 1076, unter II.1.).

12

2. Die Vorentscheidung verletzt im Übrigen § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG . Zwar hat das FG im Ergebnis zutreffend eine Überprüfung der Einkünfteerzielungsabsicht für erforderlich gehalten (hierzu unter a), diese genügt jedoch nicht in vollem Umfang den hierfür durch die Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben (hierzu unter b).

13

a) Die Einkünfteerzielungsabsicht der Kläger war hinsichtlich der drei streitgegenständlichen Objekte —wovon auch das FG ausgegangen ist— zu überprüfen.

14

aa) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erzielt, wer ein Grundstück, Gebäude oder Gebäudeteil gegen Entgelt zur Nutzung überlässt und beabsichtigt, auf die voraussichtliche Dauer der Nutzung einen Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu erzielen (z.B. Senatsurteil vom 17.04.2018 - IX R 9/17 , BFHE 261, 400, BStBl II 2019, 219, Rz 13, m.w.N.). Nach dem Regelungszweck des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ist bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit grundsätzlich und typisierend davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige beabsichtigt, einen Einnahmenüberschuss zu erwirtschaften, auch wenn sich über längere Zeiträume Werbungskostenüberschüsse ergeben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteile vom 06.10.2004 - IX R 30/03 , BFHE 208, 142, BStBl II 2005, 386, unter II.2.b aa; vom 16.09.2015 - IX R 31/14 , Rz 9 und vom 17.04.2018 - IX R 9/17 , BFHE 261, 400, BStBl II 2019, 219, Rz 14). Diese Aussage bezieht sich auf Wohnungen, die üblicherweise vermietet werden. Der Gebrauchswert solcher Wohnungen spiegelt sich in der ortsüblichen Marktmiete wider ( Senatsurteil vom 06.10.2004 - IX R 30/03 , BFHE 208, 142, BStBl II 2005, 386, unter II.2.b aa).

15

bb) Ist die Marktmiete aber keine angemessene Gegenleistung für den besonderen Gebrauchswert der Wohnung, so fehlt die Grundlage für die typisierende Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht. Es liegt ein Ausnahmefall vor, der für eine private Veranlassung und indiziell gegen das Vorliegen einer Einkünfteerzielungsabsicht spricht ( Senatsurteil vom 06.10.2004 - IX R 30/03 , BFHE 208, 142, BStBl II 2005, 386, unter II.2.b aa; vgl. auch Schmidt/Kulosa, EStG, 42. Aufl., § 21 Rz 47; Schallmoser in Spiegelberger/Schallmoser/Wachter/Wälzholz, 4. Aufl. 2023, Rz 1.861). Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist dies bei der Vermietung einer aufwendig gestalteten oder ausgestatteten Wohnung der Fall (vgl. Senatsurteil vom 06.10.2004 - IX R 30/03 , BFHE 208, 142, BStBl II 2005, 386, unter II.2.c). Bei einem solchen Objekt spiegelt die Marktmiete den besonderen Wohnwert offensichtlich nicht angemessen wider ( Senatsurteil vom 06.10.2004 - IX R 30/03 , BFHE 208, 142, BStBl II 2005, 386, unter II.2.b).

16

cc) Ob eine aufwendig gestaltete oder ausgestattete Wohnung gegeben ist, bemisst sich nach den Kriterien, die der Senat in der Vergangenheit zum Ansatz der Kostenmiete bei eigengenutztem Wohnraum entwickelt hat ( Senatsurteil vom 06.10.2004 - IX R 30/03 , BFHE 208, 142, BStBl II 2005, 386, unter II.2.b bb, m.w.N.). Danach ist eine aufwendig gestaltete oder ausgestattete Wohnung unter anderem anzunehmen, wenn das Objekt eine Wohnfläche von mehr als 250 qm aufweist ( Senatsurteil vom 06.10.2004 - IX R 30/03 , BFHE 208, 142, BStBl II 2005, 386, unter II.2.b cc, m.w.N.).

17

dd) Die Bezugnahme auf diese Senatsrechtsprechung wegen der Annahme einer aufwendig gestalteten oder ausgestatteten Wohnung bei einer Wohnfläche von mehr als 250 qm ist entgegen dem klägerischen Vorbringen auch nicht widersprüchlich. Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG in der bis zum 31.12.1999 gültigen Fassung (EStG 1999) gehörte zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus oder der Nutzungswert einer dem Steuerpflichtigen ganz oder teilweise unentgeltlich überlassenen Wohnung einschließlich der zugehörigen sonstigen Räume und Gärten. Diese gesetzlich angeordnete Besteuerung des Nutzungswerts durfte nicht durch die Anwendung der Grundsätze der sogenannten Liebhaberei unterlaufen werden ( Senatsurteil vom 22.10.1993 - IX R 35/92 , BFHE 174, 51, BStBl II 1995, 98, unter II.1.e). Diese Versagung der Anwendung der Grundsätze der sogenannten Liebhaberei bezieht sich nach der genannten Senatsrechtsprechung jedoch nur auf die Besteuerung des Nutzungswerts nach § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG 1999, schränkt deren Anwendung im Übrigen jedoch nicht ein.

18

ee) Die Grenze von 250 qm findet ihre Rechtfertigung darin, dass im Regelfall Mietspiegel für Wohnungen dieser Größe aufgrund der geringen Fallzahlen nicht anwendbar oder aussagekräftig sind. Unerheblich ist dabei, dass solche Wohnungen ausnahmsweise vermietet werden ( Senatsurteil vom 22.10.1993 - IX R 35/92 , BFHE 174, 51, BStBl II 1995, 98, unter II.1.c aa). Zudem handelt es sich bei der Ausnahme von der typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht aufgrund eines aufwendig gestalteten oder ausgestatteten Objekts bei einer Wohnfläche von über 250 qm nicht um eine unwiderlegbare Vermutung, die allein dem Gesetzgeber vorbehalten wäre ( BFH-Urteil vom 18.01.2001 - IV R 58/99 , BFHE 194, 377, BStBl II 2001, 393, unter 3.). Es liegt lediglich eine Ausnahme von der von der Rechtsprechung entwickelten typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht vor. Es bleibt den Steuerpflichtigen in diesen Fällen unbenommen, die Einkünfteerzielungsabsicht nachzuweisen.

19

ff) Verfassungsrechtliche Zweifel an dieser Rechtsprechung vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes ( Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ) bestehen nicht. Bei Fragen der Einkünfteerzielungsabsicht nach der Art des vermieteten Objekts zu unterscheiden, stellt einen tauglichen Unterscheidungsgrund dar.

20

gg) An den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit und den diesbezüglichen Ausnahmen, insbesondere bei der Vermietung eines aufwendig gestalteten oder ausgestatten Objekts, hält der Senat auch nach der Einfügung von § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG durch das StVereinfG 2011 zum 01.01.2012 fest. § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 (EStG 2012) fingiert bei einer auf Dauer angelegten Wohnungsvermietung zu mindestens 66 % der ortsüblichen Miete deren Vollentgeltlichkeit. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht unter Einbeziehung von deren Ausnahmen gelten hiervon unberührt fort (so wohl auch Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 21 EStG Rz 211 i.V.m. Rz 70a, 74; vgl. Drüen in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 21 Rz C8; Stein, Deutsche Steuerzeitung 2012, 19, 26; Eggers in Korn, § 21 EStG Rz 134; a.A. [wohl] Brandis/Heuermann/Schallmoser, § 21 EStG Rz 194 und 549; Egner in Fuhrmann/Kraeusel/Schiffers, eKomm Ab VZ 2021, § 21 EStG Rz 49 [Aktualisierung v. 25.04.2021]).

21

aaa) Der Wortlaut von § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG 2012 schließt die Durchführung einer Totalüberschussprognose zur Überprüfung der Einkünfteerzielungsabsicht auch bei einer Vermietung zu mehr als 66 % der ortsüblichen Miete nicht aus. Der Regelungsbereich betrifft ausweislich des eindeutigen Wortlauts nur den Umfang der objektiven Entgeltlichkeit der Vermietungstätigkeit. Beträgt das Entgelt bei auf Dauer angelegter Wohnungsvermietung mindestens 66 % der ortsüblichen Miete, gilt die Wohnungsvermietung nach § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG 2012 als entgeltlich. Die subjektive Einkünfteerzielungsabsicht ist hingegen ausweislich des Wortlauts nicht Regelungsgegenstand des § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG 2012.

22

bbb) Aus den Gesetzesmaterialien zur Einfügung von § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG 2012 durch das StVereinfG 2011 kommt nichts Gegenteiliges zum Ausdruck.

23

(1) Ziel der Änderung war nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf die Vereinfachung der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei verbilligter Vermietung sowie die Vermeidung von Streitigkeiten hinsichtlich der bis zur Änderung bei einem Mietzins zwischen 56 % und 75 % der ortsüblichen Miete vorzunehmenden Totalüberschussprognose (BTDrucks 17/5125, S. 38). Durch die Einführung von § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG 2012 sollte die bislang nach der Rechtsprechung ( Senatsurteil vom 05.11.2002 - IX R 48/01 , BFHE 201, 46, BStBl II 2003, 646, unter II.1.b dd) und Verwaltungsauffassung (Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 08.10.2004, BStBl I 2004, 933, Rz 13) in der letztgenannten Spanne vorzunehmende Totalüberschussprognoseprüfung entfallen (BTDrucks 17/5125, S. 38). Soweit es in der Gesetzesbegründung heißt, dass mit der Änderung in § 21 Abs. 2 EStG generell die bislang erforderliche Prüfung der zweiten Prozentgrenze entfalle (BTDrucks 17/5125, S. 38), bezieht sich dies auf die vorgenannte Obergrenze des Korridors von 56 % bis 75 %. Folgerichtig wird in der Gesetzesbegründung auch ausgeführt, dass damit insbesondere die im Korridor von 56 % bis 75 % vorzunehmende Totalüberschussprognose entfällt (BTDrucks 17/5125, S. 38).

24

(2) Im Übrigen kommt in den Gesetzesmaterialien nicht zum Ausdruck, dass durch die Änderungen des § 21 Abs. 2 EStG durch das StVereinfG 2011 über die verbilligte Vermietung hinaus eine Totalüberschussprognose auch in anderen Ausnahmekonstellationen von der typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht entfallen sollte. Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber neben der Teilentgeltlichkeit auch in anderen Fällen, in denen nach der ständigen Rechtsprechung Ausnahmen von der typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht bestehen (vgl. Senatsurteil vom 17.04.2018 - IX R 9/17 , BFHE 261, 400, BStBl II 2019, 219, Rz 20, m.w.N.), eine Totalüberschussprognose entfallen lassen wollte, bestehen nicht. Die Begründung zum Gesetzentwurf des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 nimmt lediglich auf die Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung zur verbilligten Wohnraumüberlassung, nicht jedoch auf die Rechtsprechung zur typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht bei einer auf Dauer angelegten Vermietung sowie deren Ausnahmen im Übrigen Bezug.

25

ccc) Auch der Sinn und Zweck der Fiktion der Vollentgeltlichkeit steht einer Überprüfung der Einkünfteerzielungsabsicht in den von der Rechtsprechung entwickelten Fällen nicht entgegen. § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG 2012 dient der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens bei teilentgeltlichen Vermietungen, indem insbesondere die bis dahin im Korridor von 56 % bis 75 % vorzunehmende Totalüberschussprognose entfällt (vgl. BTDrucks 17/5125, S. 38). Dass darüber hinaus das Besteuerungsverfahren durch das Entfallen der Totalüberschussprognose in den von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen von der typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht vereinfacht werden sollte, ist vom Zweck der Vorschrift nicht umfasst.

26

hh) Daran gemessen hat das FG hier zu Recht die Einkünfteerzielungsabsicht der Kläger geprüft. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, die den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden, betrug die vermietete Wohnfläche der drei streitgegenständlichen Objekte jeweils deutlich mehr als 250 qm.

27

ii) Die Rechtfertigung, die von den Klägern durchgeführte Vermietung der drei Objekte einer Überschussprognose zu unterwerfen, zeigt sich im Urteilsfall auch darin, dass nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG der Mietspiegel 2019/2020 der Stadt … unter anderem für Wohnungen mit mehr als 160 qm aufgrund der geringen Fallzahlen nicht anwendbar ist. Wenn die Anzahl der Vermietungsobjekte mit mehr als 160 qm bereits so gering ist, dass keine statistische Erfassung im Mietspiegel erfolgt, ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Vermietungsobjekte mit mehr als 250 qm noch geringer ist und sich die Vermietung entsprechender Objekte damit als Ausnahme darstellt.

28

jj) Die Annahme eines aufwendig gestalteten oder ausgestatteten Objekts bei mehr als 250 qm Wohnfläche kann entgegen dem klägerischen Vorbringen nicht durch eine "Hochrechnung" der Mieteinnahmen zum Nachweis eines marktgerechten Verhaltens entkräftet werden. Wird eine Immobilie verbilligt vermietet, mag dies zwar nach § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG als vollentgeltlich zu behandeln sein, ist aber dennoch kein Zeugnis für eine marktgerechte Ausrichtung. Eine marktgerechte Ausrichtung kann als tatsächliches Geschehen nur anhand tatsächlicher Umstände bestimmt werden. Entgegen der Annahme der Kläger ist die Vorentscheidung im Übrigen auch nicht widersprüchlich, als die Miete jeweils über 75 % der ortsüblichen Miete liege, während sie in der Folge ausführen, dass für aufwendig gestaltete oder ausgestattete Wohngebäude keine Marktmiete feststellbar sei. Denn Letzteres stellt nach den Ausführungen der Vorentscheidung nur den Regelfall dar, was impliziert, dass auch Ausnahmen möglich sind.

29

b) Allerdings genügt die vom FG durchgeführte Überprüfung der Einkünfteerzielungsabsicht anhand einer Totalüberschussprognose nicht in vollem Umfang den Anforderungen, die hieran nach der Rechtsprechung des Senats zu stellen sind (vgl. Senatsurteil vom 06.11.2001 - IX R 97/00 , BFHE 197, 151, BStBl II 2002, 726, unter II.1.e ff). Die nicht spruchreife Sache ist daher aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuweisen.

30

aa) In zutreffender Weise hat das FG keine "Hochrechnung" der Einkünfte wegen einer verbilligten Vermietung vorgenommen. Wie bereits dargelegt, kann auch die Einkünfteerzielungsabsicht als subjektives tatsächliches Element nur auf tatsächlichen Umständen beruhen. Ein Steuerpflichtiger wird sich hinsichtlich der Einkünfteerzielungsabsicht nur fragen, ob ein Totalüberschuss tatsächlich und nicht rein fiktiv erzielt werden kann.

31

bb) Das FG ist zutreffend von einem Prognosezeitraum von 30 Jahren jeweils ab dem Erwerb der streitgegenständlichen Objekte ausgegangen. Der Prognosezeitraum beginnt grundsätzlich mit dem Erwerb oder der Herstellung des für die Prognoseentscheidung maßgeblichen Objekts ( Senatsurteile vom 06.11.2001 - IX R 97/00 , BFHE 197, 151, BStBl II 2002, 726, unter II.1.e cc sowie vom 19.02.2019 - IX R 16/18 , Rz 18). Daran gemessen hat es diesen jedoch nicht zutreffend ermittelt. Für das Objekt I nimmt die Vorentscheidung einen im Jahr 2036 endenden Prognosezeitraum an. Hieraus ist zu folgern, dass die Vorentscheidung, was diese nicht explizit zum Ausdruck bringt, von einem Beginn des Prognosezeitraums im Jahr 2007 ausgeht. Nach den für die Revision bindenden Feststellungen des FG ( § 118 Abs. 2 FGO ) wurde das Objekt I jedoch bereits aufgrund des Kaufvertrags vom 13.12.2005 erworben und ab dem 01.07.2006 vermietet.

32

cc) Zwar ist es trotz des Grundsatzes, dass die Totalüberschussprognose zum Schluss des jeweils streitigen Veranlagungszeitraums aufzustellen ist, nicht generell zu beanstanden, wenn die Überprüfung der Einkünfteerzielungsabsicht —wie vom FG vorgenommen— für mehrere Veranlagungszeiträume nur anhand einer Totalüberschussprognose für alle Zeiträume überprüft wird. Dies gilt jedoch nur, wenn innerhalb der streitigen Veranlagungszeiträume keine Änderung der für die Totalüberschussprognose relevanten Umstände eingetreten ist (vgl. Senatsurteile vom 08.01.2019 - IX R 37/17 , Rz 23 und vom 19.02.2019 - IX R 16/18 , Rz 18).

33

aaa) Die Totalüberschussprognose ist aus der Sicht ex ante und auf den Schluss des jeweils streitigen Veranlagungszeitraums aufzustellen ( Senatsurteil vom 19.02.2019 - IX R 16/18 , Rz 17). Nachträgliche tatsächliche Veränderungen wirken auf sie nicht zurück ( Senatsurteil vom 12.07.2016 - IX R 21/15 , Rz 34). Zukünftig eintretende Faktoren sind in die Beurteilung nur einzubeziehen, wenn sie bei objektiver Betrachtung vorhersehbar waren ( BFH-Urteil vom 15.12.1999 - X R 23/95 , BFHE 190, 460, BStBl II 2000, 267, unter II.4.a cc).

34

bbb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze fehlt es der Vorentscheidung an Feststellungen, inwieweit die Mieterhöhungen in den Streitjahren bereits objektiv vorhersehbar waren. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Berücksichtigung der Zinsanpassungen zum 01.12.2017 beziehungsweise 01.12.2019 für den Abzug der Schuldzinsen. Auch fehlt es an erforderlichen Feststellungen zur berücksichtigten Gebäudeabschreibung. Soweit das FG die in den Veranlagungszeiträumen steuerlich berücksichtigten Abschreibungen auch für die Totalüberschussprognose anzuwenden scheint, fehlt es an Ausführungen, wieso die Erhöhung der Abschreibung des Objekts II im Veranlagungszeitraum 2014 unterblieben ist.

35

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO .

Vorschriften§ 21 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung, § 127 FGO, § 68 Satz 1 FGO, § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG, Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 21 Abs. 2 EStG, § 118 Abs. 2 FGO, § 143 Abs. 2 FGO

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