23.11.2023 · IWW-Abrufnummer 238456
Oberlandesgericht Bremen: Beschluss vom 14.06.2023 – 3 U 41/22
1. Der geschädigte Versicherungsnehmer einer KfZ-Vollkaskoversicherung kann der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast zum Schadensumfang bereits dann nicht durch Vorlage eines von ihm beauftragen Privatgutachtens nachkommen, wenn dem Versicherungsnehmer bekannt war, dass das Fahrzeug Vorschäden aufwies und der Versicherungsnehmer es unterlassen hat, gegenüber dem von ihm beauftragten Gutachter die Vorschäden offenzulegen und der Gutachter deshalb unstreitig vorhandene Vorschäden bei der Ermittlung der Schadenshöhe unberücksichtigt lässt.
2. Dem Versicherungsnehmer obliegt es, den Versicherer auf ihm bekannte Vorschäden des versicherten Fahrzeugs hinzuweisen. Diese Obliegenheit besteht auch dann, wenn der Versicherungsnehmer selbst davon ausgeht, es liege ein vollständig fachgerecht reparierter Vorschaden vor.
Prozessbevollmächtigte:
gegen
X Versicherung AG
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Die Klägerin erhält erneut Gelegenheit, hierzu bis zum 06.07.2023 schriftsätzlich Stellung zu nehmen (§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Der Senat hat die Klägerin mit Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 darauf hingewiesen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet und der Senat beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst vollumfänglich auf diesen Beschluss Bezug.
Im Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 hat der Senat es offengelassen, ob ein Anspruch der Klägerin daran scheitert, dass eine fachgerechte Reparatur der unstreitigen Vorschäden vorliegend nicht dargelegt worden ist. Denn der Senat war zu der Überzeugung gelangt, die Klägerin habe arglistig ihre Obliegenheiten gegenüber der Beklagten verletzt, indem sie wahrheitswidrig gegenüber der Beklagten angab, ihr sei kein Vorschaden bekannt gewesen.
Mit Schriftsatz vom 10.05.2023 hat die Klägerin hierzu Stellung genommen und die Schadensanzeige vom 23.01.2018 (Anlage K11) zur Akte gereicht, zu der die Beklagte bisher noch nicht Stellung genommen hat. Entscheidend für die Beurteilung der Arglist gemäß Abschnitt E 2.2 der AKB (entspricht § 28 Abs.3 S.2 VVG) ist jedoch, dass die Klägerin im Anschluss an diese Schadensanzeige auf ausdrückliche Nachfrage der Beklagten in deren Schreiben vom 19.06.2019 unter Ziff.3) antwortete "Mir war von einem Vorschaden nichts bekannt" (Anl. K 7 Bl.15 Rs. d.A., offensichtlich identisch mit: Anlage B 5 Rs. zum Schriftsatz der Beklagten vom 16.09.2020). Diese Angabe war im Hinblick auf die Angaben im Kaufvertrag vom 22.11.2018 schlicht falsc Die Klägerin hat damit ihre Obliegenheit zur wahrheitsgemäßen Angabe verletzt. Auch wenn die Klägerin - ihren eigenen Angaben nach - im Zeitpunkt des Kaufs kein Interesse an der Art der Vorschäden gehabt haben sollte, so war sie - spätestens - auf die Nachfrage der Beklagten verpflichtet, sich bei dem Voreigentümer genauer über die ihr offenbarten Vorschäden zu erkundigen. Der Senat lässt es an dieser Stelle ausdrücklich offen, ob eine solche Pflicht nicht sogar bereits bei Erstellung der Schadensanzeige, insbesondere vor der Begutachtung durch den Sachverständigen der Beklagten bestanden hätte.
Aus den im Beschluss vom 19.04.2023 (S. 5/6) genannten Gründen lag in dieser falschen Angabe ein arglistiges Verschweigen von Tatsachen. In dem Verschweigen der Vorschäden liegt angesichts des späteren Verkaufs des Fahrzeugs eine erhebliche Beeinträchtigung der Schadensfeststellung (s.u.).
II.
Ergänzend weist der Senat nunmehr auch darauf hin, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, weil das Landgericht zutreffend erkannt hat, dass die Reparatur der Vorschäden nicht dargelegt worden ist und auch eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO vorliegend unmöglich ist.
Auch insoweit ist eine Entscheidung durch Urteil unter Zulassung der Revision nicht gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil es sich auch insoweit um eine Tatsachenentscheidung in einem Einzelfall handelt Schließlich ist auch eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).
1.
Rechnet der Geschädigte - wie hier die Klägerin - auf der Grundlage eines (Privat-) Gutachtens, das einen wirtschaftlichen Totalschaden ausweist, den (Netto-) Wiederbeschaffungsaufwand fiktiv ab, gilt es zu beachten, dass sowohl der Wiederbeschaffungs- als auch der Restwert von Vorschäden beeinflusst sein können. Grundsätzlich vermag im Fall von Vorschäden der Geschädigte mit dem späteren Schadensereignis kompatible Schäden dann ersetzt verlangen, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gem. § 287 ZPO auszuschließen ist, dass sie bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden sind. Dazu muss der Geschädigte insbesondere im Fall von Schadensüberlagerungen den Umfang des Vorschadens und gegebenenfalls dessen Reparatur belegen, da sich der Ersatzanspruch lediglich auf den Ersatz derjenigen Kosten erstreckt, die zur Wiederherstellung des vorbestehenden Zustands erforderlich sind (OLG Düsseldorf VersR 2017, 1032 = BeckRS 2017, 104786). Im Rahmen einer Schadensersatzklage trägt der Geschädigte darüber hinaus die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der von ihm behauptete, auf das Gutachten eines Sachverständigen gestützte Wiederbeschaffungswert zutrifft (OLG Saarbrücken, NJW-RR 2022, 964 [OLG Dresden 04.05.2022 - 4 W 251/22] Rn. 17, beck-online).
Hierzu muss der Geschädigte erstens darlegen und gegebenenfalls beweisen, ob und in welchem Umfang Schäden (abgrenzbar) auf den in Rede stehenden Schadensfall und nicht etwa auf den Vorschadensfall zurückzuführen sind. Zweitens muss er darüber hinaus Art und Umfang der Beseitigung von Vorschäden darlegen und gegebenenfalls beweisen, weil ohne detaillierte Kenntnis über den Umfang des Vorschadens und seine gegebenenfalls erfolgte Reparatur der aktuelle Wiederbeschaffungswert nicht bestimmt werden kann. Denn in Bezug auf den Wiederbeschaffungswert ist die Schätzung eines aktuellen Werts ohne detaillierte Kenntnis vom Umfang etwaiger Vorschäden und deren Reparatur nicht möglich (OLG Bremen, NJW-RR 2021, 1468 [OLG Bremen 30.06.2021 - 1 U 90/19] Rn. 29, beck-online). Der Geschädigte kann hier seiner Darlegungslast nicht durch Vorlage eines Privatgutachtens nachkommen, wenn dem Sachverständigen die Vorschäden nicht offengelegt worden sind (OLG Bremen, aaO).
2.
Gemessen an diesen Maßstäben hat das Landgericht zutreffend darauf erkannt, dass weder die ordnungsmäße Reparatur des Vorschadens von der Klägerin hinreichend dargelegt worden ist noch Tatsachen für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO unter Berücksichtigung der Vorschäden vorliegen.
a)
Die Klägerin schätzt den Wiederbeschaffungswert anhand der Ermittlungen des von der Beklagten beauftragten Gutachters H.. Eine Schadensberechnung auf der Grundlage der Ermittlungen des Gutachters H. ist vorliegend jedoch nicht möglich, denn die Klägerin hat den Gutachter H. nicht über das Vorhandensein der ihr bekannten Vorschäden informiert. Fehl geht die Klägerin in der Annahme, der Gutachter habe etwaige Vorschäden zu ermitteln, sondern die Klägerin war gehalten, die ihr bekannten und vermeintlich fachgerecht reparierten Vorschäden gegenüber dem Gutachter H. offenzulegen. Dies hat sie nicht getan. Auch deshalb ist das Gutachten des Gutachters H. nicht zur Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes bzw. des Restwertes heranzuziehen.
Dem Gutachten vom 17.01.2019 (Anlage B1), auf den sich die Berechnung der Schadenshöhe durch die Klägerin stützt, liegt daneben die Annahme zugrunde, das Fahrzeug sei mit Originalteilen vollständig und fachgerecht repariert worden. Die zum Nachweis der Reparatur durch den Vorbesitzer Y zur Akte gereichte Rechnung der Firma Z, Hamburg, vom 12.11.2018 (Anlage K6, Bl. 14 d.A.), weist indes nicht aus, dass Originalteile in das Fahrzeug eingebaut worden sind.
b)
Eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO kommt nur bei Vorliegen hinreichender greifbarer Tatsachen in Betracht, da auch § 287 ZPO eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens grundsätzlich nicht zulässt, auch nicht in Form der Schätzung eines Mindestschadens (BGH NJW 2020, 393 [BGH 15.10.2019 - VI ZR 377/18]; OLG Bremen, aaO). Die für eine Schätzung erforderlichen Tatsachen sind nicht vorgetragen und sie können ohnehin nicht (mehr) bewiesen werden, da das Fahrzeug von der Klägerin veräußert worden sein soll.
III.
Da die Berufung unverändert keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat erneut aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).