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28.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243483

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 29.05.2024 – 3 K 36/24

Teilentgeltliche Übertragungen von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unterhalb der historischen Anschaffungskosten sind keine tatbestandlichen Veräußerungen im Sinne des § 23 EStG.


Finanzgericht Niedersachsen

Urteil vom 29.05.2024


Tatbestand

Streitig ist, ob ein Veräußerungsgewinn oder ein Veräußerungsverlust im Sinne des § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu versteuern ist.

Der Kläger hatte im Jahr 2014 ein bebautes Grundstück für insgesamt 143.950 € erworben und anschließend (weiter) vermietet. Er erzielte insoweit Vermietungseinkünfte. Einen Teil des Erwerbs hatte er durch ein Bankdarlehen finanziert. Anfang März 2019 übertrug der Kläger diese Immobilie mit Wirkung zum 6. Juni 2019 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf seine Tochter. Das Bankdarlehen valutierte noch mit 115.000 €. Die Tochter übernahm diese Verpflichtung im Rahmen der Übertragung und finanzierte diese anderweitig. Beim Notar gaben die Vertragsparteien den aktuellen Verkehrswert der Immobilie - wegen der Notarkosten - mit 210.000 € an.

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung berücksichtigte das Finanzamt (FA) diesen Vorgang als nach § 23 EStG steuerpflichtiges "privates Veräußerungsgeschäft". Die Übertragung sei in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Vorgang aufzuteilen. Maßstab für die Aufteilung sei dabei der Verkehrswert der Immobilie im Zeitpunkt der Übertragung im Verhältnis zu den übernommenen Verbindlichkeiten. Im Einzelnen:

Verkehrswert 2019    210.000 €    100,00%
entgeltlicher Teil    115.000 €    54,76%
unentgeltlicher Teil    95.000 €    45,34%

Die ursprünglichen Anschaffungskosten (143.950 €) seien, so das FA, für die Aufteilung nicht relevant. Abziehbar seien dann nur die anteiligen Anschaffungskosten auf den entgeltlichen Teil. Insgesamt habe der Kläger durch die teilweise schenkweise Übertragung an die Tochter einen Veräußerungsgewinn von 40.653 € erzielt. Dieser berechne sich wie folgt:

Veräußerungserlös    115.000 €
./. Anschaffungskosten (143.950 € x 54,76%)    78.828 €
zzgl. AfA 2014 - 2019 (12.185 € x 54,76%)    6.672 €
./. Vorfälligkeitsentschädigung (4.000 € x 54,76%)    2.191 €
Veräußerungsgewinn    40.653 €

Im Einkommensteuerbescheid 2019 vom 3. März 2021 berücksichtigte das FA deshalb zusätzlich Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 40.655 € (rechnerisch richtig wären 40.653 € gewesen). Dadurch entstand eine um 17.075 € höhere festzusetzende Einkommensteuer. Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.

Der Kläger ist der Ansicht, eine solche Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erfülle bereits nicht den Tatbestand einer "Veräußerung" im Sinne des § 23 EStG. Es handele sich um eine Missbrauchsbekämpfungsvorschrift zu kurzfristig (früher 2 Jahre) bzw. mittelfristig (jetzt 10 Jahre) realisierten Gewinnen aus Immobilienspekulation unterhalb einer gewerblichen Tätigkeit. Es entspreche nicht dem Sinn und Zweck des § 23 EStG, Fälle einer Übertragung im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge im Bereich des Privatvermögens mit Ertragsteuern zu belasten. Durch die schenkweise Übertragung habe sich bei abstrakter Betrachtungsweise das Vermögen des Klägers sogar gemindert.

Im Übrigen sei eine höchstrichterliche Entscheidung zu den dazu auch von der Rechtsprechung vertretenen Lösungsansätzen (sog. strenge Trennungstheorie versus sog. "modifizierte Trennungstheorie") bei teilentgeltlichen Übertragungen im Rahmen des § 23 EStG erforderlich.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2019 vom 3. März 2021, geändert durch Bescheid vom 9. November 2021, in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 13. Juli 2022 dahingehend zu ändern, dass keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mehr berücksichtigt werden und die Steuer entsprechend herabgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und hält daran fest, dass im Streitfall ein steuerbarer Veräußerungsgewinn entstanden sei, den das FA zutreffend in den angefochtenen Bescheiden berücksichtigt habe. Nach der sog. strengen Trennungstheorie, die die Finanzverwaltung anwende, habe eine Aufteilung nach Verkehrswerten zu erfolgen. Die Berechnung sei zutreffend.

Eine solche Entscheidung sei - für das FA bindend - durch Tz. 14 des BMF-Schreibens vom 13. Januar 1993 (BStBl I 1993, 80) unter Berücksichtigung der Änderungen durch das BMF-Schreiben vom 26. Februar 2007 (BStBl I 2007, 269) zur "Ertragsteuerlichen Behandlung der vorweggenommenen Erbfolge" festgelegt.

Im Übrigen habe der Bundesfinanzhof (BFH) noch jüngst diese Verwaltungsauffassung zu § 17 EStG ausdrücklich bestätigt (BFH-Urteil vom 12. Dezember 2023 IX R 15/23, BB 2024, 1317) und dabei ausgeführt, dass die vom FA angewendeten Grundsätze regelmäßig für alle teilentgeltlichen Übertragungen in den Fällen des § 17, des § 20 und auch des § 23 EStG anwendbar seien. Deshalb sei die Besteuerung im Streitfall zu Recht erfolgt.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die (teilentgeltliche) Übertragung der Immobilie vom Kläger auf seine Tochter im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ist nicht als "privates Veräußerungsgeschäft" gemäß §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbar. Die Berücksichtigung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 40.655 € in den angefochtenen Bescheiden verletzt den Kläger in seinen Rechten.

1. Auch teilentgeltliche Übertragungen von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge - jedenfalls unterhalb der historischen Anschaffungskosten wie im Streitfall - sind keine tatbestandlichen Veräußerungen im Sinne des § 23 EStG.

a) Es entspricht bereits der Rechtsprechung des BFH, dass die gänzlich unentgeltliche Übertragung einer Immobilie - also ohne Übernahme von darauf lastenden Verbindlichkeiten - im Wege der vorweggenommenen Erbfolge nicht den Tatbestand des § 23 EStG erfüllt (BFH-Urteil vom 23. April 2021 IX R 8/20, BFHE 272, 328, BStBl II 2021, 743) und zwar selbst dann, wenn die auf diese Weise begünstigten Kinder die Immobilie alsbald weiterveräußern (aaO.). Die Weiterveräußerung unterfalle dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG und stelle daher ungeachtet einer zeitlichen Nähe zwischen der Übertragung und einer Weiterveräußerung grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO dar.

b) Andererseits hat der Große Senat des BFH entschieden, dass eine solche Übertragung mit der Übernahme von Verbindlichkeiten dazu führt, dass der Erwerber hinsichtlich dieser Übernahme von Verbindlichkeiten Anschaffungskosten zu tragen habe (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847). Deshalb sei eine solche Übertragung vor allem zur Ermittlung der AfA-Beträge in einen unentgeltlichen und einen entgeltlichen Teil aufzuteilen.

Der Große Senat erläutert in seinem Beschluss, dass der Übernehmer damit die Lasten des übergehenden Vermögens trage. Damit sei die Übernahme von dinglichen Belastungen, insbesondere von Grundpfandrechten, im allgemeinen aber auch der persönlichen Verbindlichkeiten gemeint. In der Rechtsprechung der Zivilgerichte werde die Übernahme der dinglichen Lasten durch den Beschenkten zwar als "reine" Schenkung behandelt, weil der Gegenstand so geschenkt werde, wie er beim Übergeber vorhanden ist; in der Übernahme der persönlichen Verbindlichkeit werde dagegen eine Schenkungsauflage gesehen (vgl. RG-Urteil vom 7. März 1905 VII 366/04, RGZ 60, 238; BGHZ 107, 156).

In der Übernahme von Verbindlichkeiten des Veräußerers durch den Erwerber lägen in steuerrechtlicher Beurteilung grundsätzlich Anschaffungskosten des Wirtschaftsguts; die Begleichung der Verbindlichkeit führe zu Aufwendungen des Erwerbers, die er auf sich nimmt, um die Verfügungsmöglichkeit über das Wirtschaftsgut zu erlangen. Dies werde deutlich, wenn die Beteiligten vereinbaren, dass die Verbindlichkeit in Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen werde; werde als Kaufpreis nur der zu entrichtende Barbetrag genannt, sei er um die übernommenen Verbindlichkeiten zu erhöhen. In gleicher Höhe entstehe für den Veräußerer ein als Gegenleistung zu wertender Vorteil, weil er von sonst anfallenden Ausgaben befreit werde.

Demgemäß sei auch bei der Veräußerung eines Betriebes die Übernahme von Verbindlichkeiten durch den Erwerber zum Veräußerungsentgelt gezählt worden (BFH-Urteil vom 15. Februar 1957 VI 150/55 U, BFHE 64, 356, BStBl III 1957, 134); das gewährte Entgelt könne allein in der Übernahme von Betriebsschulden bestehen (BFH-Urteile vom 31. Mai 1972 I R 49/69, BFHE 106, 71, BStBl II 1972, 696; vom 17. Januar 1989 VIII R 370/83, BFHE 156, 103, BStBl II 1989, 563). Hiervon sei im Grundsatz ebenfalls auszugehen, wenn ein Wirtschaftsgut unentgeltlich, jedoch unter Übernahme der auf ihm lastenden Verbindlichkeiten übertragen werde. Dabei sei wiederum nicht hinderlich, dass der Übergeber den Vorteil durch eine vom Übernehmer akzeptierte Auflage erhalte; ausschlaggebend sei vielmehr, dass der Übergeber die Vermögensübertragung von der Gewährung des in der Übernahme der Verbindlichkeiten liegenden Vorteils durch den Übernehmer abhängig mache und dadurch ein Entgelt erlange. Im Ergebnis könne es keinen Unterschied machen, ob der Vermögensempfänger den zur Ablösung der Verpflichtung erforderlichen Betrag an den Übergeber zahlt oder ob er die Verpflichtung vom Übergeber übernimmt (Beschluss des Großen Senats, aaO.).

Zu der Übertragbarkeit dieser Vorschrift auf den § 23 EStG in der heutigen Fassung konnte der Große Senat sich noch nicht verhalten, da die aktuelle Rechtslage im Wesentlichen erst ab dem Veranlagungszeitraum 1999 - also weit nach dem vorstehenden Beschluss - eingeführt worden ist. Spätere Verfahren, mit denen eine höchstrichterliche Entscheidung erstritten werden sollte, endeten ohne Urteil (vgl. etwa durch Abhilfe seitens der Finanzverwaltung in dem Verfahren, das der Vorlage an den Großen Senat zum Aktenzeichen GrS 1/16 zugrunde lag; vgl. dortiger Beschluss vom 30. Oktober 2018, BFHE 262, 434, BStBl II 2019, 70).

c) Im Wege der teleologischen Reduktion ist nach Ansicht des Senats auch die teilentgeltliche Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge aus dem Tatbestand des § 23 EStG auszuscheiden. Steuergegenstand der Regelung in § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind realisierte Werterhöhungen oder Wertminderungen aus verhältnismäßig kurzfristigen Umsatzgeschäften von Immobilien im Privatvermögen.

Während Wertsteigerungen des Betriebsvermögens durch die Gewinnermittlungen (§§ 4 ff. EStG) erfasst werden, galt dies lange Zeit nicht generell für Gegenstände des Privatvermögens. § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 EStG besteuert in bestimmten Grenzen den realisierten Wertzuwachs im Privatvermögen als "privates Veräußerungsgeschäft" und zwar als "sonstige Einkünfte". "Private Veräußerungsgeschäfte" (früher lt. amtlicher Überschrift: "Spekulationsgeschäfte") im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG sind Veräußerungsgeschäfte, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung eines Wirtschaftsgutes im Privatvermögen nicht mehr als die jeweils maßgebende Veräußerungsfrist beträgt. Zweck des § 23 EStG ist es also, in bestimmten Grenzen den realisierten Wertzuwachs im Privatvermögen zu besteuern (ebenso etwa Kube in: Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 23. Auflage 2024, Rn. 1 m.w.N.).

Bei Übertragungen von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge - jedenfalls unterhalb der historischen Anschaffungskosten wie im Streitfall - kann es zu keinem "realisierten Wertzuwachs" kommen, der der ertragsteuerlichen Besteuerung zugänglich ist.

Anderenfalls unterläge ein fiktiver steuerlicher Ertrag, nämlich aus einem reinen Vermögenstransfer im Wege der vorweggenommenen Erbfolge als Anknüpfungspunkt (steuerliches Substrat) - hier unter nahen Angehörigen - ohne einen positiven Cashflow beim Übertragenden zusätzlich der Ertragsteuer. Diese Art der Besteuerung ist zwar "keine Besteuerung eines fiktiven Sachverhalts" (so zutreffend BFH in BB 2024, 1317, 1319 [BFH 12.12.2023 - IX R 15/23]), denn die Übertragung auf die Tochter hat tatsächlich stattgefunden. Durch die Berechnungsmethode wird allerdings ein fiktiver Ertrag der Ertragsteuer unterworfen. Im Streitfall ist ein steuerlicher Gewinn von immerhin 40.653 € "berechnet" worden, der zu einer Erhöhung der Steuerlast in Höhe von 17.075 € geführt hat, ohne dass dem Kläger entsprechende Mittel zugeflossen sind, die seine Leistungsfähigkeit erhöht hätten.

d) Zugleich entstünde eine tatsächliche Doppelbesteuerung des identischen Sachverhaltes (steuerlichen Substrats) einerseits in der Ertragsteuer nach § 23 EStG als "privates Veräußerungsgeschäft" und andererseits nach § 7 Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) als "gemischte Schenkung" vom Vater (Kläger) an seine Tochter (Beschenkte).

Wenn die Verwaltungspraxis entsprechend des BMF-Schreibens vom 26. Februar 2007 (aaO.) auch für diese Fälle zutreffend wäre, ergäbe sich sowohl eine Doppelbesteuerung als auch ein Wertungswiderspruch zum Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz. Durch eine solche gemischte Schenkung - wie im Streitfall - wäre ertragsteuerlich beim "Schenker" ein steuerbarer Wertzuwachs als auch beim "Beschenkten" eine steuerbare Zuwendung nach dem ErbStG anzusetzen. Beide Vertragsbeteiligten hätten bei einer solchen Besteuerungspraxis wirtschaftlich "profitiert" und würden dafür steuerlich jeweils mit Steuern belastet werden. Dabei entspricht es zugleich der Wertung des Gesetzgebers in dem spezielleren Steuergesetz (dem ErbStG), dass etwa in der Familie die Übertragung von solchem Vermögen mit hohen Freibeträgen verschont bleiben soll. Dies würde durch eine im Streitfall vom FA angenommene ertragsteuerliche (Doppel-) Erfassung konterkariert.

Tatsächlich realisierte der "Schenker" gar keinen tatsächlichen Wertzuwachs. Der Ertragsteuer unterliegen keine Vermögensverschiebungen im Privatvermögen. Deshalb ist der Wertzuwachs nur beim Beschenkten spezialgesetzlich im ErbStG wegen der damit verbundenen Vermögensverschiebung als Anknüpfungskriterium der Steuer zu unterwerfen.

Im Streitfall könnte die Tochter des Klägers ihre schenkungsteuerlichen Freibeträge (400.000 €) theoretisch durch sogenannte Vorschenkungen sogar schon ausgeschöpft haben. Dann wäre von ihr hier eine freigebige Zuwendung in Höhe von 95.000 € nach dem ErbStG zu versteuern (210.000 € [Verkehrswert] ./. 95.000 € [übernommene Verbindlichkeiten] plus 400.000 € (Vorschenkungen] minus 400.000 € [Freibetrag]): Diese 95.000 € wären mit 11% zu versteuern. Dies entspräche 10.450 € Schenkungssteuer und der Vater (Kläger) müsste noch einmal 17.075 € als Einkommensteuer zahlen. Darin läge erkennbar für den identischen Sachverhalt eine Doppelbesteuerung. Falls die Freibeträge nach dem ErbStG noch nicht ausgeschöpft gewesen wären, würde der steuerliche Nachteil, nämlich die Doppelbesteuerung, durch weitere Schenkungen des Vaters oder einen Erbfall entstehen.

2. Jedenfalls ist die Betrachtung der Finanzverwaltung, dass bei solchen teilentgeltlichen Übertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge wie im Streitfall rechnerisch - also durch eine formale Berechnungsmethode - für den Übertragenden ein privater Veräußerungsgewinn entstehen könne, unzutreffend. Vor allem besteht in solchen Fällen kein Anlass, eine Aufteilung des einheitlichen Übertragungsvertrages im Wege der vorweggenommenen Erbfolge in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil anhand des Verkehrswertes vorzunehmen.

a) Der Kläger verfügte am Tag vor der Übertragung über eine Immobilie, für die er im Jahr 2014 insgesamt 143.950 € bezahlt hatte. Diese war noch mit 115.000 € belastet. Per Saldo war die Immobilie mit einem Anteil von 28.950 € lastenfrei. Durch die Übertragung auf die Tochter ist sein Vermögensbestand vermindert und nicht erhöht worden. Bei ihm entstand gar kein Wertzuwachs. Letztlich versucht die Finanzverwaltung hier einen rein fiktiven Wertzuwachs der Besteuerung zu unterwerfen. Dies geschieht rechnerisch durch die Heranziehung nicht der Anschaffungskosten, sondern des Verkehrswertes der Immobilie. Die Besteuerung von fiktiven Einkünften - hier immerhin 40.653 € - entspricht indes nicht den Grundprinzipien des Einkommensteuerrechts und stellt zugleich einen Verstoß gegen die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit dar. Der Kläger ist durch die Übertragung auf seine Tochter gerade nicht leistungsfähiger geworden.

b) Im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 23 EStG sind im Streitfall keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften zu versteuern.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 145, 106 [BVerfG 29.03.2017 - 2 BvL 6/11] und 152, 274 [BVerfG 19.11.2019 - 2 BvL 22/14] - Erstausbildungskosten). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 160, 41 [BVerfG 08.12.2021 - 2 BvL 1/13] - Privilegierung von Gewinneinkünften; 162, 277 <305 Rn. 68> - Kindergeld für Drittstaatsangehörige; vgl. dazu BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 28. November 2023 2 BvL 8/13, DStR 2024, 155 m.w.N.).

Danach ist es zwar grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils Betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Im Einzelnen:

(1) Willkür des Gesetzgebers kann zwar nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat. Es genügt aber Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand. Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt. Willkür in diesem Sinne kann erst festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist.

(2) Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich insbesondere ergeben, wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind.

(3) Art. 3 Abs. 1 GG bindet den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit, der gebietet, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Dies gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen hin angelegt ist (vgl. BVerfGE 152, 274 [BVerfG 19.11.2019 - 2 BvL 22/14]; 160, 41 [BVerfG 08.12.2021 - 2 BvL 1/13]; 162, 277). Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss.

Der Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten verlangt eine gesetzliche Ausgestaltung der Steuer, die den Steuergegenstand in den Blick nimmt und mit Rücksicht darauf eine gleichheitsgerechte Besteuerung des Steuerschuldners sicherstellt. Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen. Die Bemessungsgrundlage muss - in Einnahmen und Aufwand - den wirtschaftlichen Vorgang sachgerecht aufnehmen und realitätsgerecht abbilden. Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstands getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung (d.h. folgerichtigen Umsetzung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands) bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag.

Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als Rechtfertigungsgrund für Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands anzuerkennen.

3. Im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Rechtsprechung kommt eine Besteuerung nur fiktiver Einkünfte nach dem Einkommensteuerrecht im Streitfall nicht in Betracht.

Insbesondere kennen die anderen Besteuerungstatbestände für Einkünfte nach § 2 EStG ebenfalls keine Besteuerung fiktiver Einkünfte. Arbeitnehmer müssen nicht ein Gehalt versteuern, das sie erzielen könnten, wenn sie sich einen besser entlohnenden Arbeitgeber suchen würden (etwa als "Verkehrswert" ihrer Arbeitsleistung). Auch die Einkünfte etwa als Vermieter bestimmen sich nicht danach, welche Mieten fiktiv erlangt werden könnten (im Sinne des "Verkehrswertes" der Mietobjekte am Mietmarkt). Erst recht besteht kein Anlass, gerade bei den Einkünften nach § 23 EStG eine vom Gesetzgeber vorgesehene Besteuerung rein fiktiver Einkünfte annehmen zu wollen. Im Tatbestand oder in der Entstehungsgeschichte der Norm finden sich dafür keine Anhaltspunkte.

Gleichwohl versucht die Finanzverwaltung eine solche Besteuerung fiktiver Einkünfte durch die Regelungen in dem zitierten BMF-Schreiben durchzusetzen. Ganz evident hat der Kläger im Streitfall keinen Wertzuwachs realisiert.

Überdies dürfte eine solche Besteuerung sogar dem verfassungsrechtlich geschützten Erbrecht und der Eigentumsgarantie jeweils wegen der darin gewährleisteten Freiheit zur Übertragung von Vermögen innerhalb des Generationenverbandes - und damit grundrechtlich geschützter Freiheiten - widersprechen.

4. Soweit das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz die hier erfolgte Vermögensverschiebung unter Rückgriff auf den aktuellen Verkehrswert / gemeinen Wert der Immobilie - und nicht der Anschaffungskosten des Klägers - der Besteuerung unterwirft, geschieht dies ausdrücklich aufgrund einer spezialgesetzlichen Grundlage nach § 12 ErbStG in Verbindung mit dem Bewertungsgesetz und ist sogar wegen der Notwendigkeit der Belastungsgleichheit unabhängig von der Art des übertragenen Vermögens verfassungsrechtlich geboten.

Eine gesetzliche Ermächtigung, im Einkommensteuerrecht ebenfalls nach Verkehrswerten zu besteuern, besteht hier aber nicht.

5. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. In der Rechtsprechung des BFH ist weiterhin ungeklärt, ob bei teilentgeltlichen Übertragungen im Rahmen des § 23 EStG durch die Heranziehung von Verkehrswerten auf den Zeitpunkt der Übertragung lediglich fiktive, aber nicht tatsächlich realisierte Überschüsse im Sinne der sog. strengen Trennungstheorie der Besteuerung unterliegen (vgl. zu § 17 EStG: Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. März 2023 2 K 1617/19 und nachgehend BFH, IX R 15/23, aaO.).

RechtsgebietEStGVorschriften§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3 EStG

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