08.11.2006 · IWW-Abrufnummer 063222
Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 02.03.2006 – 2 AZR 46/05
Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verdrängt die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. Mit dem bestandskräftigen, zustimmenden Verwaltungsakt des Integrationsamtes steht auch nicht etwa zugleich fest, dass die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt ist. Von den Gerichten für Arbeitssachen ist die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eigenständig zu prüfen.
BUNDESARBEITSGERICHT
Im Namen des Volkes!
URTEIL
2 AZR 46/05
Verkündet am 2. März 2006
In Sachen
hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Rost, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Eylert und Schmitz-Scholemann sowie die ehrenamtlichen Richter Lücke und Eulen
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. November 2004 - 8 Sa 292/04 - aufgehoben, soweit es über die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 entschieden hat.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 16. Dezember 2003 - 7 Ca 7237/02 - teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Januar 2003 beendet worden ist.
3. Von den Kosten erster Instanz tragen der Kläger 2/5, die Beklagte 3/5. Von den Kosten der Berufung tragen der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3. Die Kosten der Revision trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten in der Revision noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.
Der Kläger war seit dem 1. September 2000 als Marketingdirektor bei der Beklagten tätig.
Am 15. November 2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos mit der Begründung, der Kläger habe Rechnungen vorfakturiert, die der Beklagten von Werbeagenturen gestellt wurden. Ein Mitarbeiter der Beklagten hatte bereits im August 2002 entsprechende Hinweise erhalten. Das Vorstandsmitglied S war in der Folgezeit von diesem Mitarbeiter unterrichtet worden, wobei der konkrete Zeitpunkt streitig ist. Jedenfalls Ende September 2002 sind Herrn S erste Verdachtsmomente bekannt geworden.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2002 richtete die Werbeagentur ein Schreiben an das Vorstandsmitglied, in dem es ua. heißt:
"Wir möchten nochmals ausdrücklich betonen, dass die Fakturierung der von uns betreuten Werbemaßnahmen und Projekte auf Anweisung von Herrn K komplett im Dezember 2001 erfolgen sollte. Gleichzeitig verlangte Herr K in unserem Schreiben vom 21.12.2001 die Bestätigung, dass alle Projekte in Bearbeitung sind und im Frühjahr 2002 beendet werden."
Der Kläger stellte unter dem 19. November 2002 beim Versorgungsamt Dortmund einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom 26. November 2002 (Zugang bei der Beklagten am 5. Dezember 2002) mit. Bereits am 25. November 2002 hatte die Beklagte eine weitere außerordentliche Kündigung und unter dem 29. November 2002 eine ordentliche Kündigung zum 31. Mai 2003 ausgesprochen. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2002, das beim Integrationsamt am 19. Dezember 2002 einging, beantragte die Beklagte vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Die Zustimmung wurde sowohl zur außerordentlichen als auch zur ordentlichen Kündigung erteilt. Der Bescheid ging beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 3. Januar 2003 ein. Zuvor war der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat mit Schreiben vom 19. Dezember 2002 zu einer beabsichtigten ordentlichen und zu einer außerordentlichen Kündigung - erneut - angehört worden. Mit Schreiben vom 2. Januar 2003, das am 3. Januar durch einen Boten um 9.28 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 14. Januar 2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich fristgerecht zum 31. Juli 2003.
Durch Bescheid des Versorgungsamtes vom 7. Juli 2003 wurde dem Kläger die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch versagt; mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2003 wurde diese Entscheidung bestätigt. Die hiergegen vom Kläger zunächst zum Sozialgericht erhobene Klage hat er im Laufe des Berufungsverfahrens vor dem Landesarbeitsgericht zurückgenommen. Dasselbe gilt für die zum Verwaltungsgericht erhobene Klage gegen den zustimmenden Bescheid des Integrationsamtes.
Der Kläger hat gegen alle Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Die vorgezogene Zahlung der von den Werbeagenturen noch nicht vollständig abgerufenen Leistungen habe dem Interesse der Beklagten an einer raschen Durchführung der Aufträge gedient. Seine Kompetenzen habe er nicht überschritten. Dem Vorstand seien die einzelnen Zahlungen ohne weiteres nachvollziehbar und offensichtlich gewesen. Jedenfalls sei die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht eingehalten. Dies gelte auch bezüglich der - in der Revision allein noch streitigen - Kündigung vom 2. Januar 2003. Dass das Integrationsamt die Einhaltung der zweiwöchigen Antragsfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bejaht habe, stehe der arbeitsgerichtlichen Überprüfung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht entgegen. Bereits das Arbeitsgericht habe aber hinsichtlich der Kündigungen vom 15. und 25. November 2002 erkannt, dass der Beklagten der maßgebliche Kündigungssachverhalt mehr als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigungen bekannt gewesen sei.
Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Januar 2003 beendet worden ist.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, der Kläger habe in Kenntnis der Kürzung des Werbeetats für das Jahr 2002 aus dem unverbrauchten Etat des Jahres 2001 an Werbeagenturen 1,2 Mio. Euro auf Leistungen gezahlt, die von diesen noch nicht erbracht, sondern für das Jahr 2002 geplant gewesen seien. Er habe die Vermögensinteressen der Beklagten auf das Schwerste geschädigt. Die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 sei nicht verfristet. Das Integrationsamt habe den Antrag als fristgerecht gem. § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX angesehen. Die Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei arbeitsgerichtlich deshalb nicht mehr zu überprüfen. Die Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX sei mit Ablauf des 2. Januar 2003 eingetreten. Jedenfalls sei der zustimmende Bescheid am 3. Januar 2003 spätestens bis 8.30 Uhr beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten und damit vor dem Zugang der Kündigung bei dem Kläger eingegangen.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigungen vom 15. und 25. November 2002 stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen, weil es die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 für wirksam gehalten hat. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht nur hinsichtlich der außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom 2. Januar 2003 zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter, dass das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
A. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung vom 2. Januar 2003 für wirksam gehalten. Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Auch die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei gewahrt. § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB werde durch § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX modifiziert bzw. verdrängt. Bei der Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung handele es sich um einen Verwaltungsakt, dessen Rechtswirksamkeit allein im Verwaltungsverfahren zu klären sei. Das Integrationsamt dürfe die beantragte Zustimmung nur erteilen, wenn die Antragsfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gewahrt sei; eine arbeitsgerichtliche Nachprüfung sei ausgeschlossen. Die Rücknahme der Klagen vor dem Sozial- und Verwaltungsgericht führe zu keinem anderen Ergebnis. Dem Kläger sei es zudem nach § 242 BGB versagt, sich auf die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu berufen. Wenn er für sich die Rechte des Sonderkündigungsschutzes nach dem SGB IX in Anspruch nehme, stelle es ein widersprüchliches Verhalten dar, wenn er nachträglich geltend mache, der Sonderkündigungsschutz stehe ihm in Wahrheit gar nicht zu.
B. Dem stimmt der Senat nicht zu. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts durfte die Klage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung vom 2. Januar 2003 nicht abgewiesen werden. Die Kündigung ist wegen Versäumung der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Das Arbeitsverhältnis hat daher erst auf Grund der - wie rechtskräftig feststeht - zum 31. Mai 2003 wirksamen ordentlichen Kündigung vom 29. November 2002 sein Ende gefunden.
I. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verdrängt die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. Mit dem bestandskräftigen, zustimmenden Verwaltungsakt des Integrationsamtes steht auch nicht etwa zugleich fest, dass die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt ist. Von den Gerichten für Arbeitssachen ist die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eigenständig zu prüfen.
1. Gemäß § 91 Abs. 1 SGB IX iVm. § 85 SGB IX bedarf die außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 91 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX). Die zunächst vom Senat vertretene Auffassung, § 91 Abs. 2 SGB IX (ehemals § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 bzw. § 21 Abs. 2 SchwbG 1986) wandle die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ab, indem an die Stelle des Ausspruchs der Kündigung die fristgerechte Einreichung des Zustimmungsantrags bei der Hauptfürsorgestelle - nunmehr: Integrationsamt - trete (22. Januar 1987 - 2 ABR 6/86 - BAGE 55, 9, 12), ist in der Entscheidung vom 15. November 2001 aufgegeben worden (- 2 AZR 380/00 - BAGE 99, 358, 365; nachfolgend 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - BAGE 103, 277, 286). Damit ist klar gestellt worden, dass § 626 Abs. 2 BGB nicht durch die Regelung des § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 (nachfolgend § 21 Abs. 2 SchwbG 1986 bzw. § 91 Abs. 2 SGB IX) verdrängt wird. Nur wenn die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt bereits abgelaufen ist, will § 91 Abs. 5 SGB IX dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen (Senat 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - BAGE 103, 277, 286; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Fristen des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestehen somit selbständig nebeneinander und verdrängen einander nicht gegenseitig (so auch Düwell in LPK-SGB IX § 91 Rn. 9, 12; HaKo-Griebeling 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 132; derselbe in Hauck/Noftz SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 5, 8a; Braasch in Neumann Handbuch SGB IX § 19 Rn. 193; Fenski BB 2001, 570, 571; Joussen DB 2002, 2162, 2163; im Ergebnis so wohl auch GK-SchwbG/Steinbrück 2. Aufl. § 21 Rn. 40; aA ErfK/Müller-Glöge 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 289).
2. Mit der eigenständigen Prüfung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB durch die Gerichte für Arbeitssachen ist keine Aussage über die verwaltungsrechtliche Frage verbunden, ob § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX als Voraussetzung einer wirksamen Zustimmung des Integrationsamts eingehalten ist.
a) Richtig ist, dass die Einhaltung der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX allein Prüfungskompetenz der Integrationsämter unterfällt und im Falle der Anfechtung den Verwaltungsgerichten. An deren Entscheidung sind alle anderen Behörden und Gerichte wegen der so genannten Tatbestandswirkung (vgl. Kopp/Ramsauer VwVfG 9. Aufl. § 43 Rn. 18 f.; Knack VwVfG 8. Aufl. § 43 Rn. 17 f.) gebunden, sofern die Entscheidung nicht ausnahmsweise nichtig ist (Senat 11. Mai 2000 - 2 AZR 276/99 -BAGE 94, 313, 323; 17. Februar 1977 - 2 AZR 687/75 - BAGE 29, 17, 25; BVerwG 2. Mai 1996 - 5 B 186/95 - Buchholz 436.61 SchwbG § 21 Nr. 7; KR-Etzel 7. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 10; ErfK/Rolfs 6. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 4 und § 85 SGB IX Rn. 15; APS/Vossen 2. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 8; HaKo-Griebeling 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 132; derselbe in Hauck/Noftz SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 8a; KDZ-Zwanziger KSchR 6. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 5; MünchKommBGB/Hesse 4. Aufl. vor § 620 Rn. 256; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 11. Aufl. § 91 Rn. 17; Düwell in LPK-SGB IX § 91 Rn. 12; GK-SGB IX/Steinbrück Stand November 2005 § 91 Rn. 309; aA LAG Köln 4. August 2003 - 2 Sa 400/03 - LAGE SGB IX § 91 Nr. 1: § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX stelle eine materielle arbeitsrechtliche Frist dar, deren Einhaltung im arbeitsgerichtlichen Verfahren überprüft werden könne). Soweit die Arbeitsgerichte die Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB als Voraussetzung der außerordentlichen Kündigung prüfen, steht nicht die Wirksamkeit des zustimmenden Verwaltungsaktes zur Kontrolle an. Die Überprüfung, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig ist, insbesondere ob das Integrationsamt das Einhalten der Ausschlussfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu Recht bejahte, wird durch die Prüfung der Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB durch die Arbeitsgerichte nicht berührt (so auch Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 8a; Fenski BB 2001, 570, 571; Joussen DB 2002, 2162, 2163).
b) Anders wäre es nur dann, wenn der zustimmenden Entscheidung des Integrationsamtes nicht nur Tatbestandswirkung, sondern auch Feststellungswirkung zukäme. Auf Grund der Tatbestandswirkung haben alle Behörden und Gerichte die Tatsache, dass ein Verwaltungsakt ergangen ist, und die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung auch weiteren Entscheidungen zugrunde zulegen, dh. ohne dass sie die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes nochmals überprüfen dürften oder müssten. Die Tatbestandswirkung entspricht deshalb hinsichtlich der damit verbundenen Bindungswirkung im Wesentlichen der von gerichtlichen Urteilen (Kopp/ Ramsauer VwVfG 9. Aufl. § 43 Rn. 19, 22). Bei einer zustimmenden Entscheidung nach §§ 85, 91 SGB IX ist daher die Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung von der Tatbestandswirkung umfasst. Eine Feststellungswirkung, dh. eine Bindung an die dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen oder die Beurteilung vorgreiflicher Inzidentfragen, ist dem Verwaltungsakt dagegen in der Regel nicht eigen (vgl. Kopp/Ramsauer VwVfG 9. Aufl. § 43 Rn. 26; Knack VwVfG 8. Aufl. § 43 Rn. 22). Es bedarf vielmehr besonderer gesetzlicher Vorschriften, die diese Feststellungswirkung anordnen (BVerwG 16. Oktober 1969 - I C 20.66 - BVerwGE 34, 90 zu § 15 BVFG aF; 11. Juli 1985 - 7 C 44/83 - BVerwGE 72, 8 zu § 3 SchwbG 1979). § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX beinhaltet jedoch keine solche Regelung dahin. Das folgt aus der vom Gesetz vorgegebenen Zweigleisigkeit des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen. Außerdem richtet sich § 91 Abs. 2 SGB IX nicht an die Parteien des arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens, sondern an die Beteiligten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Fenski BB 2001, 570, 571; Joussen DB 2002, 2162, 2163). Die zustimmende Entscheidung des Integrationsamtes beinhaltet deshalb zwar die Bejahung der Vorfrage, ob die Antragsfrist nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX von der Beklagten eingehalten wurde. Diese Beurteilung des Integrationsamtes ist jedoch für das Arbeitsgericht bei der Prüfung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht bindend.
3. Ist die Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB in eigener Kompetenz der Arbeitsgerichte zu prüfen, so kann die bereits eingetretene Fristversäumung nicht allein dadurch "geheilt" werden, dass der Arbeitnehmer erst danach das Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. eine entsprechende Antragstellung mitteilt und sodann das Integrationsamt auf einen entsprechenden Antrag des Arbeitgebers die Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung erteilt.
a) Die Kenntnis des Arbeitgebers von der festgestellten bzw. beantragten Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers gehört zwar zu den für die positive Kenntnis nach § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX und damit den Fristbeginn maßgeblichen Tatsachen (BAG 14. Mai 1982 - 7 AZR 1221/79 - BAGE 39, 59; KR-Etzel 7. Aufl. SGB IX § 91 Nr. 9; APS/Vossen 2. Aufl. SGB IX § 91 Nr. 7; ErfK/Rolfs 6. Aufl. SGB IX § 91 Rn. 3; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 7; Düwell in LPK-SGB IX § 91 Rn. 11). Hieraus folgt jedoch nicht, dass einem Arbeitgeber, der trotz vollständiger Kenntnis von den sonstigen kündigungsbegründenden Umständen innerhalb der Frist von § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB darauf nicht reagiert hat, nur deshalb über § 91 SGB IX der Weg zu einer außerordentlichen Kündigung (wieder) eröffnet wird, weil er einige Zeit nach Erlangung dieser Kenntnisse auch von der festgestellten bzw. beantragten Schwerbehinderteneigenschaft erfährt und deshalb eine neue 2-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begönne. Für den Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist die fehlende Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft grundsätzlich unerheblich. Soweit die Schwerbehinderung bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung - zB im Rahmen der Interessenabwägung oder Sozialauswahl - Berücksichtigung findet, ist die fehlende Kenntnis von der beantragten bzw. festgestellten Schwerbehinderteneigenschaft nicht kausal dafür, dass ein Arbeitgeber trotz Kenntnis der sonstigen kündigungsbegründenden Umstände keine Kündigung ausspricht. Die Schwerbehinderung ist in aller Regel nicht Teil des "wichtigen Grundes" nach § 626 Abs. 1 BGB.
b) Zu berücksichtigen ist auch, dass die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB innerhalb begrenzter Zeit für den betroffenen Arbeitnehmer Klarheit darüber schaffen soll, ob ein Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung genommen wird (Senat 10. Juni 1988 - 2 AZR 25/88 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 27 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 2; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 312; APS/Dörner 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 116; ErfK/Müller-Glöge 6. Aufl. BGB § 626 Nr. 246). Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren und würde auch eine nicht zu vertretende Schlechterstellung des schwerbehinderten Menschen darstellen, wenn dem Arbeitgeber nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB noch eine Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung nur deshalb eröffnet würde, weil er erst jetzt erfahren hat, dass der Arbeitnehmer schwerbehindert ist (Düwell in LPK-SGB IX § 91 Rn. 9, 12; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 7).
c) Daran ändert auch § 91 Abs. 5 SGB IX nichts. Für den Fall, dass die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Erteilung der Zustimmung bereits abgelaufen ist, verlangt § 91 Abs. 5 SGB IX die unverzügliche Kündigung. Damit ist klargestellt, dass nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlussfrist zu laufen beginnt. § 91 Abs. 5 SGB IX will ferner dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bei einem schwerbehinderten Menschen auch noch die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen (Senat 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 15. November 2001 - 2 AZR 380/00 -BAGE 99, 358, 365). § 91 Abs. 5 SGB IX dehnt damit zwar die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB aus (Senat 27. November 2003 - 2 AZR 601/02 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 11 = EzA BGB 2002 § 626 Krankheit Nr. 1; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 626 Krankheit Nr. 2). Der Anwendungsbereich des § 91 Abs. 5 SGB IX ist aber gar nicht erst eröffnet, wenn die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bereits vor Kenntnis der beantragten bzw. festgestellten Schwerbehinderung und der Antragstellung beim Integrationsamt abgelaufen war.
II. Die Kündigung vom 2. Januar 2003 ist wegen Versäumung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB unwirksam. Das kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 ZPO). Eine Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht ist nicht erforderlich, da unter Berücksichtigung des bisherigen Parteivorbringens weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 75 Rn. 36) und weiterer Vortrag der Parteien auch nicht zu erwarten ist.
1. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 -AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 32/71 - BAGE 23, 475; 6. Juni 1972 - 2 AZR 386/71 - BAGE 24, 341). Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 32/71 - aaO; 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4; 15. November 1995 - 2 AZR 974/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89; 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - BAGE 73, 42; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Um den Lauf der Frist aber nicht länger als unbedingt notwendig hinauszuschieben, muss die Anhörung innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (Senat 10. Juni 1988 - 2 AZR 25/88 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 27 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 2; 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - BAGE 73, 42; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 841). Bei Vorliegen besonderer Umstände darf diese Frist auch überschritten werden. Sind die Ermittlungen danach abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt und von den erforderlichen Beweismitteln, so beginnt der Lauf der Ausschlussfrist.
2. Aus dem unstreitigen Sachverhalt und dem Vortrag der darlegungsbelasteten Beklagten ist die Wahrung der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht ersichtlich.
a) Ein Dauertatbestand, auf Grund dessen die 2-Wochen-Frist erst gar nicht zu laufen begonnen hätte, liegt ersichtlich nicht vor. Die von der Beklagten geäußerte Auffassung, das Vertrauen sei "auf Dauer" zerstört, führt nicht zu einem "Dauertatbestand" iSd. Rechtsprechung. Es kommt nicht auf die Dauer des Vertrauensverlustes, sondern auf die Dauer der Tatsachen an, die den Vertrauensverlust hervorrufen. Das Fehlverhalten des Klägers ist jedoch abgeschlossen.
b) Im Streitfall sind dem zuständigen Vorstandsmitglied der Beklagten, Herrn S, Ende September 2002 erste Verdachtsmomente bekannt geworden. Welche weitere Sachverhaltsaufklärung danach bis zum Schreiben der Werbeagentur N vom 25. Oktober 2002 erfolgte, ist nicht erkennbar. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb nach dem Schreiben vom 25. Oktober 2002, wodurch die Beklagte nach eigener Einschätzung "detaillierte Kenntnisse" erhielt, erneut drei Wochen vergingen, bis die beiden Telefonate mit der Werbeagentur am Ende der Kalenderwoche 46/2002 sowie die Anhörung des Klägers erfolgten. Die pauschale Behauptung "geschäftlicher Verpflichtun-gen" sowie der Hinweis, "Herr S ist als Vertriebsvorstand häufig auf Geschäftsreisen" ändern daran nichts. Welche Vorgänge im Schreiben vom 25. Oktober 2002 vom Inhaber der Werbeagentur "nochmals erläutert und bekräftigt" wurden und welcher weiteren Sachverhaltsermittlung sie dienten, ist nicht erkennbar. Es ist deshalb auch nach dem Vortrag der Beklagten nichts dafür ersichtlich, dass und wie lange der Lauf der 2-Wochen-Frist seit dem ersten Zeitpunkt der Erlangung von Kenntnissen Ende September 2002 gehemmt gewesen wäre. Folgerichtig hat das Arbeitsgericht auch schon die Kündigungen vom 15. und 25. November 2002 wegen Versäumung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB für unwirksam befunden. Die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 ist gleichfalls unwirksam.
III. Der Kläger handelt nicht treuwidrig, indem er sich auf die Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB beruft. Derartiges wäre denkbar, wenn der Kläger etwa missbräuchlich die Vorschriften zum Schutz schwerbehinderter Menschen bei Kündigungen ausgenutzt hätte, um dadurch die Fristversäumung herbeizuführen. Davon kann hier schon deshalb nicht gesprochen werden, weil die Frist schon abgelaufen war, als der Kläger seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch beantragte.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO. Für die erste Instanz wird dabei von einem Streitwert von 70.000 Euro, für die zweite Instanz von einem Streitwert von 50.000 Euro ausgegangen.