14.11.2024 · IWW-Abrufnummer 244829
Bundesgerichtshof: Urteil vom 24.09.2024 – X ZR 109/23
a) Zu den zumutbaren Maßnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO gehört es, dem Fluggast eine mögliche anderweitige direkte oder indirekte Beförderung mit einem Flug anzubieten, den das betroffene oder ein anderes Luftfahrtunternehmen durchführt und der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommt, es sei denn, die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung stellt für das betreffende Unternehmen angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer dar (Bestätigung von BGH, Urteil vom 10. November 2022 - X ZR 97/21, NJW-RR 2023, 202 Rn. 14; Urteil vom 10. Oktober 2023 - X ZR 123/22, NJW-RR 2024, 51 = RRa 2024, 23 Rn. 17).
b) Dies gilt auch dann, wenn noch am gleichen Tag eine Ersatzbeförderung durch das Luftfahrtunternehmen selbst möglich ist.
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2024 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, den Richter Dr. Deichfuß und die Richterinnen Dr. Kober-Dehm, Dr. Marx und Dr. von Pückler
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 87. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 2. August 2023 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wedding vom 5. August 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch.
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Der Zedent verfügte über eine bestätigte Buchung für einen von der Beklagten durchzuführenden Flug, der planmäßig am 29. Juli 2019 um 18:55 Uhr (Ortszeit) in Berlin-Tegel starten und um 20:10 Uhr in Düsseldorf landen sollte.
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Die Beklagte annullierte sowohl diesen als auch den im Anschluss vorgesehenen und von demselben Flugzeug durchzuführenden (Rück-)Flug von Düsseldorf nach Berlin-Tegel. Sie bot dem Zedenten über den Login-Bereich ihrer Homepage mehrere Flüge ihres Unternehmens als Ersatzbeförderung an, von denen einer noch am selben Tag und die übrigen an den Folgetagen vorgesehen waren. Der Zedent entschied sich für eine Beförderung mit der Bahn.
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Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 250 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
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I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Der Klägerin stehe die begehrte Ausgleichszahlung aus abgetretenem Recht nicht zu. Die Beklagte könne sich auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO berufen.
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Eine Verspätung des Vorflugs wegen gewitterbedingter Slotzuteilungen durch Eurocontrol habe dazu geführt, dass ein Rückflug von Düsseldorf nach Berlin-Tegel wegen des Nachtflugverbots nicht mehr möglich gewesen sei. Mangels Verfügbarkeit eines Stellplatzes, einer Crewunterkunft, einer einsatzbereiten Crew am Folgetag und der erforderlichen Wartungsarbeiten am Flughafen Düsseldorf sowie angesichts von Beeinträchtigungen des am nächsten Tag bereits ab 4:50 Uhr startenden Flugbetriebs der Maschine ab Berlin-Tegel sei der Beklagten der vom Zedenten gebuchte Flug nach Düsseldorf nicht zumutbar gewesen.
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Die Beklagte habe hinreichende Maßnahmen ergriffen, um die Annullierung auszugleichen, indem sie auf ihrer Internetseite mehrere Ersatzflüge angeboten habe, darunter einen Flug am 29. Juli und vier Flüge am 30. Juli. Angesichts der ausreichenden Anzahl an eigenen Ersatzflügen sei die Beklagte nicht gehalten gewesen, auch Beförderungsmöglichkeiten mit anderen Luftfahrtunternehmen anzugeben. Durch die Entscheidung für eine Bahnfahrt habe der Zedent zudem zum Ausdruck gebracht, kein Interesse an einem frühestmöglichen Ersatzflug zu haben.
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II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
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Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Annullierung des Fluges auf außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO beruht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte jedenfalls nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die Folgen der Annullierung auszugleichen.
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1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss das Luftfahrtunternehmen alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um zu vermeiden, dass es durch außergewöhnliche Umstände genötigt ist, einen Flug zu annullieren, oder dass der Flug nur mit einer großen Verspätung durchgeführt werden kann, deren Folgen für den Fluggast einer Annullierung gleichkommen (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 - C-549/07, NJW 2009, 347 = RRa 2009, 35 Rn. 41 - Wallentin-Hermann/Alitalia; Urteil vom 4. Mai 2017 - C-315/15, NJW 2017, 2665 = RRa 2017, 174 Rn. 34 - Pesková/Travel Service).
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Zu den danach gebotenen Maßnahmen gehört es, dem Fluggast eine mögliche anderweitige direkte oder indirekte Beförderung mit einem Flug anzubieten, den das betroffene oder ein anderes Luftfahrtunternehmen durchführt und der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommt, es sei denn, die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung stellt für das betreffende Unternehmen angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer dar (EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020 - C-74/19, NJW-RR 2020, 871 = RRa 2020, 185 Rn. 59 ff. - TAP; Beschluss vom 14. Januar 2021 - C-264/20, RRa 2021, 75 Rn. 33 - Airhelp/Austrian Airlines). Dem Luftfahrtunternehmen obliegt dabei der Nachweis, dass es ihm offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, die betroffenen Passagiere ohne angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer durch Maßnahmen wie die Suche nach verfügbaren Sitzplätzen auf etwaigen Flügen von anderen Luftfahrtunternehmen schnellstmöglich anderweitig zu befördern (EuGH, Beschluss vom 14. Januar 2021 - C-264/20, RRa 2021, 75 Rn. 32 f. - Airhelp/Austrian Airlines).
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In Einklang mit dieser Rechtsprechung hat es der Senat bereits in mehreren Entscheidungen als nicht ausreichend angesehen, dass das Luftfahrtunternehmen nur eine Ersatzbeförderung mit eigenen Flügen anbietet (BGH, Urteil vom 6. April 2021 - X ZR 11/20, NJW-RR 2021, 926 = RRa 2021, 188 Rn. 41; Urteil vom 10. November 2022 - X ZR 97/21, NJW-RR 2023, 202 Rn. 14; Urteil vom 10. Oktober 2023 - X ZR 123/22, NJW-RR 2024, 51 = RRa 2024, 23 Rn. 17).
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2. Das von der Beklagten unterbreitete Angebot genügt den genannten Anforderungen nicht.
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a) Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte nur eigene Ersatzflüge angeboten.
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Dies genügt den oben dargelegten Anforderungen nur dann, wenn frühere Möglichkeiten der Ersatzbeförderung mit anderen Luftfahrtunternehmen nicht bestanden haben oder deren Ermittlung oder Nutzung für die Beklagte ein nicht tragbares Opfer dargestellt hätte.
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b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war ein Angebot von Ersatzbeförderungen mit anderen Luftfahrtunternehmen nicht schon deshalb entbehrlich, weil die Beklagte eine ausreichende Anzahl von Ersatzbeförderungen am Tag des gebuchten Fluges und am Folgetag angeboten hat.
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Die Pflicht, Möglichkeiten einer Ersatzbeförderung mit anderen Unternehmen anzubieten, besteht auch dann, wenn noch am gleichen Tag eine Ersatzbeförderung durch das Luftfahrtunternehmen selbst möglich ist.
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Den angeführten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union lagen zwar Fälle zugrunde, in denen eine Ersatzbeförderung erst für den Folgetag angeboten worden war. Der Gerichtshof hat jedoch entschieden, dass das Luftfahrtunternehmen nur dann alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat, wenn kein Platz auf einem anderen Flug verfügbar ist, der es dem betreffenden Fluggast ermöglicht, mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens an seinem Endziel anzukommen, oder wenn die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung für das Luftfahrtunternehmen angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer darstellt (EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020 - C-74/19, NJW-RR 2020, 871 = RRa 2020, 185 Rn. 59 - TAP; Beschluss vom 14. Januar 2021 - C-64/20, RRa 2021, 75 Rn. 31 - Airhelp/Austrian Airlines). Er hat dies nicht auf den Fall beschränkt, dass eigene Flüge erst am Folgetag verfügbar sind.
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c) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung liegt es nicht an der Klägerin, anderweitige Möglichkeiten der Ersatzbeförderung aufzuzeigen.
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aa) Nach der oben angegebenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union obliegt der Nachweis, dass eine zumutbare anderweitige Beförderungsmöglichkeit nicht bestanden hat, dem Luftfahrtunternehmen.
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Das Luftfahrtunternehmen hat deshalb darzulegen, welche Möglichkeiten bestanden, den Fluggast durch eine Ersatzbeförderung mit anderen Luftfahrtunternehmen früher an das Endziel zu befördern. Soweit es bestehende Möglichkeiten nicht angeboten hat, muss es ferner die Gründe dafür darlegen.
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bb) Im Streitfall kann offenbleiben, ob den Fluggast eine sekundäre Darlegungslast trifft, wenn das Luftfahrtunternehmen geltend macht, eine anderweitige Beförderungsmöglichkeit habe nicht bestanden. Diesbezügliches Vorbringen der Beklagten ist weder festgestellt noch von der Revisionserwiderung aufgezeigt. Insbesondere ergibt es sich nicht aus dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeführten Vortrag der Beklagten in erster Instanz.
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Die Beklagte hat nach diesem Vortrag nur eigene Ersatzflüge angeboten und bereits in erster Instanz geltend gemacht, dass sie nicht verpflichtet war, Ersatzflüge mit anderen Luftfahrtunternehmen anzubieten. Ihre bestrittene Behauptung, der vom Zedenten gebuchte Flug hätte wegen der im Laufe des Tages eingetretenen Verzögerungen vor Inkrafttreten des Nachtflugverbots nicht einmal mehr in Düsseldorf landen können, schließt nicht aus, dass es andere Flüge gab, die Düsseldorf rechtzeitig erreicht hätten und deshalb als Ersatzbeförderung in Betracht kamen.
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d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Klageanspruch nicht entgegen, dass sich der Zedent für eine Bahnfahrt entschieden hat.
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Dieser Umstand könnte für die Entscheidung allenfalls dann erheblich sein, wenn die Entscheidung des Fluggastes in Kenntnis anderweitiger Beförderungsmöglichkeiten gefallen wäre. Letzteres ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
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III. Das Berufungsurteil ist hiernach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
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Da weitere tatsächliche Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind und sich die Klage auf Grundlage der getroffenen Feststellungen als begründet erweist, kann der Senat abschließend in der Sache entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung der Beklagten ist zurückweisen.
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IV. Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.
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Der Gerichtshof hat die für den Streitfall entscheidenden Gesichtspunkte bezüglich der Auslegung von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO in den oben angeführten Entscheidungen bereits aufgezeigt. Die Subsumtion einzelner Fälle unter diese Rechtsgrundsätze ist Aufgabe der nationalen Gerichte.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.
Bacher Deichfuß Kober-DehmMarx von PücklerVon Rechts wegen