25.09.2007 · IWW-Abrufnummer 072969
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 25.04.2007 – 20 U 239/04
1.
Auch bei einem Einbruchdiebstahl kann der VN ggf. allein durch seine eigene Angaben beweisen, dass ein als gestohlen gemeldeter Gegenstand vor dem Diebstahl am angegebenen Ort vorhanden war (Abgrenzung zum Urteil des BGH vom 18.10.2006 - IV ZR 130/05 -, VersR 2007, 102 = NJW 2007, 372).
Es bleibt offen, ob auch hier (wie es im Fall von Kfz-Diebstählen allgemein anerkannt ist) für den VN die Vermutung der Redlichkeit streitet (so OLG Oldenburg, VersR 1999, 1490; OLG Düsseldorf, VersR 1999, 182).
2.
Inwieweit das Berufungsgericht an die Würdigung einer Zeugenaussage durch das Erstgericht gebunden ist, wenn der Zeuge in zweiter Instanz berechtigt das Zeugnis verweigert oder aus sonstigem Grund eine erneute Vernehmung nicht möglich ist, ist zweifelhaft (Abgrenzung zum Urteil des BGH vom 18.10.2006 - IV ZR 130/05 -, VersR 2007, 102 = NJW 2007, 372).
OBERLANDESGERICHT HAMM
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
20 U 239/04 OLG Hamm Verkündet am 25. April 2007
4 O 1/04 LG Bochum
In dem Rechtsstreit
hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 25.04.2007 durch die Richter am Oberlandesgericht Betz, Dr. Gundlach und Lopez Ramos
für R e c h t erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das am 06.10.2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Kosten der beiden Berufungsverfahren und die Kosten der Revisionsinstanz werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der nach dem Urteil vollstreckbaren Beträge abzuwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der beizutreibenden Beträge leistet.
Gründe:
I.
Mit der Behauptung, es sei in der Zeit vom 18. bis 21.10.2002 in seine Wohn- und Büroräume in R eingebrochen und dabei ein Tresor mit Schmuck und Bargeld entwendet worden, begehrt der Kläger aus einer bei der Beklagten genommenen Geschäftsversicherung Zahlung von - nunmehr noch - 61.374,05 EUR nebst Zinsen.
Das Landgericht hat als Zeugin u.a. die Mutter des Klägers gehört. Diese hat dessen Behauptung bestätigt, dass er von seinen Eltern in den Jahren 2001 und 2002 zwei Darlehen - 50.000 DM und 30.000 EUR - erhalten habe. Das Landgericht hat diese Aussage als nicht lebensnah, wenig plausibel und nicht nachvollziehbar erachtet. Es ist deshalb und wegen anderer Indizien - u.a. hat, was das Landgericht sogar als "entscheidend" bezeichnet hat (S. 5 letzter Absatz des Urteils), nach dem Sachstand in erster Instanz das von dem Kläger geführte Kassenbuch die angebliche Darlehensgewährung des Jahres 2001 nicht ausgewiesen - zu der Überzeugung gelangt, dass es die behaupteten Darlehen tatsächlich nicht gegeben habe. Das Landgericht ist insgesamt zu dem Ergebnis gekommen, dass der behauptete Diebstahl mit erheblicher Wahrscheinlichkeit vorgetäuscht sei, und hat daher die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit welcher er seinen erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt hat.
Mit Urteil vom 20.04.2005 hat der Senat das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte - wegen der von dem Kläger geltend gemachten Beschädigungen, des Tresors und des als gestohlen gemeldeten Schmucks - verurteilt, an den Kläger 61.374,05 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
Vor dem Senat ist unstreitig gewesen, dass in erster Instanz die Kopien aus dem Kassenbuch unvollständig gewesen sind und auch das Darlehen des Jahres 2001 in dem Buch verzeichnet war. Der Senat ist u.a. deshalb zu der Auffassung gelangt, dass im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO neue Feststellungen zu treffen seien. Er hat die Mutter des Klägers erneut gehört; diese hat aber das Zeugnis verweigert (§ 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Der Senat hat die von dem Landgericht protokollierte Aussage der Mutter und die sonstigen Umstände erneut gewürdigt und ist - anders als das Landgericht - zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht (positiv) feststehe, dass es die behaupteten Darlehen tatsächlich nicht gegeben habe (Senatsurteil S. 6 ff. unter II 2 b bb (1), dort erster, dritter und vierter Absatz sowie - S. 8 - letzter Absatz vor (2)). Er hat die Aussage der Mutter vor dem Landgericht nicht als glaubhaft, aber eben auch nicht - anders als das Landgericht - als widerlegt angesehen (vgl. S. 7 des Senatsurteils: "kann es durchaus sein"; "durchaus vorstellbar"; "nicht widerlegbar"; "erscheint ungewöhnlich, ist aber gleichfalls durchaus vorstellbar"; "nicht zu widerlegen"). Auch im Übrigen hat der Senat gemeint, dass die Beklagte, die hierfür die Beweislast trifft, keine Tatsachen bewiesen habe, aus welchen sich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung ergebe.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung und des damaligen Sach- und Streitstandes wird auf das Urteil Bezug genommen.
Auf die hiergegen von der Beklagten eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof das Senatsurteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und hat die Sache zurückverwiesen. Auf das Revisionsurteil (VersR 2007, 102 = NJW 2007, 372) wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt nunmehr,
abändernd den im Senatsurteil vom 20.04.2005 ausgeurteilten Betrag zuzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung insgesamt zurückzuweisen.
Die Beklagte hat sich nunmehr hilfsweise aus der Aussage der Mutter des Klägers vor dem Landgericht zu eigen gemacht, dass der Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte an die Eltern des Klägers abgetreten sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2007 - im Beisein des Klägers - zunächst erklärt, der Anspruch sei "lediglich zur Sicherheit abgetreten" worden; er sei der Auffassung, dass der Kläger den Anspruch trotzdem geltend machen k önne. Auf Hinweis des Senats, dass diese Auffassung unrichtig sein dürfte, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers dann erklärt, er bestreite nunmehr eine Abtretung. Weitere Erklärungen dazu haben er und der Kläger nicht abgegeben, auch nicht auf weiteren Hinweis des Senats, dass der Vortrag widersprüchlich und das zuletzt erklärte Bestreiten deshalb unbeachtlich sein dürfte.
Eine erneute Ladung seiner Mutter hat der Kläger nicht beantragt, vielmehr vor dem Senat ausdrücklich erkl ärt, dass diese aus gesundheitlichen Gründen zu einer Aussage nicht in der Lage sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens nach Zurückverweisung wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
II.
Die Berufung ist insgesamt unbegründet. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte besteht nicht.
1.
Dies gilt bereits deshalb, weil nach dem jetzigen Sach- und Streitstand ein etwaiger Entschädigungsanspruch nicht dem Kläger, sondern - aufgrund der zwischen dem Kläger und dessen Eltern vereinbarten Sicherheitsabtretung - den Eltern zustehen würde.
Die Beklagte hat eine solche (Sicherheits-) Abtretung hilfsweise vorgetragen, was beachtlich ist. Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung eine solche Abtretung zuletzt pauschal hat "bestreiten" lassen, ist demgegenüber gemäß § 138 Abs. 1 und 2 ZPO unbeachtlich. Dieses Bestreiten steht nämlich in unauflöslichem und durch nichts erklärtem Widerspruch dazu, dass der Kläger unmittelbar zuvor in der Verhandlung hat erklären lassen, der Anspruch sei "lediglich zur Sicherheit abgetreten".
Mangels beachtlichen Bestreitens durch den Kläger ist der Vortrag der Beklagten zur Abtretung zu berücksichtigen, auch wenn er neu ist (vgl. nur Zöller-Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl., § 531 Rn. 21 m.w.N.).
2.
Unabhängig von Vorstehendem ist unter Beachtung des Revisionsurteils ein Entschädigungsanspruch aber, wie vor dem Senat erörtert, ohnehin nicht gegeben.
a)
Ein Anspruch wegen des als gestohlen gemeldeten Schmucks besteht schon deshalb nicht, weil hiernach das sogenannte äußere Bild eines Einbruchdiebstahls im Hinblick auf den Schmuck nicht bewiesen ist.
Der Beweis wäre nur erbracht, wenn feststünde, dass der als gestohlen gemeldete Schmuck in etwa (im Wesentlichen) in der angegebenen Menge vor dem Diebstahl in der Wohnung vorhanden war (Revisionsurteil unter I 1 a und b = Rn. 14 ff.). Dies ist nicht der Fall.
aa)
Zeugenbeweis steht dem Kläger hierfür nicht zur Verfügung. Denn in der letzten Zeit vor dem behaupteten Diebstahl hat kein Dritter den Schmuck gesehen.
bb)
Allerdings wird der Versicherungsnehmer den erforderlichen Beweis auch durch eigene Angaben erbringen können und dürfte dabei für ihn die Vermutung der Redlichkeit streiten (vgl. allgemein etwa Römer, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 49 Rn. 24, 26 ff. m.w.N.; zum Einbruchdiebstahl vgl. OLG Oldenburg, VersR 1999, 1490; OLG Düsseldorf, VersR 1999, 182; Senat, r+s 2001, 382, und - ausdrücklich offen gelassen - VersR 2006, 1490).
Zwar hat der Bundesgerichtshof in dem Revisionsurteil ausgeführt, es bestehe kein Anlass, dem Versicherungsnehmer für das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls "weitere Beweiserleichterungen" zuzubilligen, da dieser sich hinsichtlich des Vorhandenseins der als gestohlen gemeldeten Sachen nicht in einer typischen Beweisnot befinde (unter II 1 b = Rn. 18 und c) = Rn. 20 am Ende); es ist aber nicht ersichtlich, dass der Bundesgerichtshof damit auch dem Beweis durch Angaben des klagenden Versicherungsnehmers selbst oder auch nur der Rechtsprechung zur Redlichkeitsvermutung eine Absage erteilen wollte - gerade der Fall eines Tresordiebstahls zeigt, dass der Versicherungsnehmer häufig nur durch seine eigenen Angaben beweisen kann, welche Gegenstände unmittelbar vor dem Diebstahl am Versicherungsort vorhanden waren.
Dies bedarf indes vorliegend keiner Vertiefung. Bei Beachtung des Revisionsurteils ist nämlich die Redlichkeitsvermutung in jedem Fall widerlegt.
(1)
Der Senat sieht sich durch das Revisionsurteil daran gebunden, die Aussage der Mutter des Klägers vor dem Landgericht dahingehend zu würdigen, dass (positiv) feststeht, dass es die vom Kläger behaupteten Darlehen tatsächlich nicht gegeben hat.
Dies ergibt sich daraus, dass der Bundesgerichtshof die in dem Senatsurteil vorgenommene Würdigung der Aussage der Mutter des Klägers als rechtsfehlerhaft bezeichnet und entschieden hat, der Senat dürfe, nachdem die Mutter des Klägers im Berufungsrechtszug das Zeugnis verweigert hat, von der Würdigung des Landgerichts nicht abweichen (unter II 2 vor a) = Rn. 22 und unter b) = Rn. 24 f.). Eine abweichende Würdigung enthält das Senatsurteil aber nur insoweit, als der Senat die Aussage der Mutter, welche ja den Vortrag des Klägers über die Gewährung zweier Darlehen bestätigt hat, - anders als das Landgericht - nicht als widerlegt angesehen hat und hiernach (unter Berücksichtigung auch der übrigen Umstände) zu dem Ergebnis gekommen ist, dass nicht (positiv) feststehe, dass es die behaupteten Darlehen tatsächlich nicht gegeben habe (ebenso Rn. 9 f. des Revisionsurteils). Der Senat hat, wie sich auch aus den oben (unter I) zitierten Urteilsstellen ergibt, nicht etwa (was ohne erneute Vernehmung zweifelsfrei unzulässig gewesen wäre) die Mutter als glaubwürdig oder deren Aussage als glaubhaft angesehen; er hat lediglich das Beweisergebnis der Aussage der Mutter als offen (non liquet) angesehen und, davon ausgehend, die Gesamtumstände neu gewürdigt (vgl. nochmals auch Rn. 9 f. des Revisionsurteils).
Die nach Auffassung des Revisionsurteils von dem Senatsurteil missachtete Bindung an die Würdigung des Landgerichts kann hiernach nur bedeuten, dass eben diese Annahme eines non liquet unstatthaft ist und der Senat vielmehr dahin gebunden ist, dass (positiv) feststeht, dass es die Darlehen nicht gegeben hat. Es kann nicht etwa angenommen werden, dass das Revisionsurteil eine Bindung an einzelne Argumente der Beweiswürdigung des Landgerichts hat vorschreiben wollen, z.B. daran, dass ein bestimmtes, von der Zeugin bekundetes Verhalten nach der allgemeinen Lebenserfahrung "nicht nachzuvollziehen" oder "nicht lebensnah" sei. Ebenso wenig kann angenommen werden, dass das Revisionsurteil lediglich eine Bindung daran hat vorschreiben wollen, dass die Mutter des Klägers vor dem Landgericht persönlich "unglaubwürdig" erschienen sei; denn zum einen hat das Senatsurteil - der Annahme eines non liquet entsprechend - zur persönlichen Glaubwürdigkeit der Zeugin keine Aussage getroffen; und zum anderen ist nicht ersichtlich, wie ein solcher Umstand der Annahme eines non liquet entgegenstehen könnte.
Ob der Auffassung des Revisionsurteils zu folgen ist, bedarf hier keiner Erörterung. Dem Kläger ist zuzugeben, dass u.a. fraglich erscheint, ob eine Bindung des Berufungsgerichts an die Würdigung einer Zeugenaussage z.B. auch dann bestehen soll, wenn das Erstgericht eine Zeugenaussage ohne überzeugende Begründung als glaubhaft erachtet und darauf sein Urteil gestützt hat, das Berufungsgericht an der Richtigkeit der Aussage aber erhebliche Zweifel hat (oder sogar aufgrund bestimmter Indizien vom Gegenteil überzeugt ist) und der Zeuge vor dem Berufungsgericht das Zeugnis berechtigterweise verweigert oder etwa unerreichbar ist. Dies gilt erst recht, wenn - ähnlich wie hier - das Erstgericht bei seiner Würdigung eine Tatsache (hier unvollständiges Kassenbuch) berücksichtigt und sogar als entscheidend bezeichnet hat, dieser Umstand aber nach dem unstreitigen Sachstand im Berufungsrechtszug gar nicht zutrifft. Diese Fragen müssen aber dahingestellt bleiben. Der Senat ist im vorliegenden Rechtsstreit an die Beurteilung des Revisionsurteils gebunden (§ 563 Abs. 2 ZPO).
(2)
Da hiernach feststeht, dass es die vom Kläger behaupteten Darlehen tatsächlich nicht gegeben hat, hat der Kläger in einem für den Rechtsstreit wesentlichen Punkt (siehe dazu noch sogleich unter b) die Unwahrheit gesagt. Die Redlichkeitsvermutung ist deshalb in jedem Fall widerlegt.
b)
Aber auch im Übrigen (Diebstahls des Tresors selbst, Anspruch wegen Beschädigungen) besteht hiernach kein Entschädigungsanspruch.
Denn mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ist der Einbruchdiebstahl vorgetäuscht.
Dies ergibt sich schon aus Folgendem: Nach dem eigenen Vortrag des Klägers "stammte" das als gestohlen gemeldete Bargeld und Schmuck im Wert von immerhin ca. 16.000 EUR (Summe des zweiten Darlehens abzüglich Bargeldbestand) aus dem zweiten Darlehen. Da es die Darlehen nicht gegeben hat, kann jedenfalls dieser Schmuck und das als gestohlen gemeldete Bargeld tatsächlich nicht vorhanden gewesen sein. Die nach Behauptung des Klägers vor dem Einbruch gefertigten Geschäftsbücher weisen aber die behaupteten Darlehen, die Schmuckkäufe und den Bargeldbestand auf. Plausible Erklärung hierfür kann - auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände - nur die beabsichtigte Vortäuschung eines Einbruchdiebstahls sein.
Ein Anspruch wäre daher nur zu bejahen, wenn der Vollbeweis des Diebstahls erbracht wäre (vgl. nur Römer, ebd. Rn. 17 am Ende); dies ist nicht der Fall.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).