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28.02.2008 · IWW-Abrufnummer 080621

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 14.11.2007 – L 11 Ka 112/06

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

L 11 KA 112/06

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 06.11.2006 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen.

Der Kläger nimmt als Arzt für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung teil. In den Quartalen II/2002 und III/2002 verordnete er das Fertigarzneimittel Wobe Mugos E für eine bei der Beigeladenen zu 2) versicherte Patientin und im Quartal II/2002 für eine bei der Beigeladenen zu 3) versicherte Patientin. Beide Patientinnen litten an einem Mammakarzinom.

Das verordnete Präparat befand sich auf Grund einer im Juni 1978 erstatteten Anzeige bei dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt auf dem Markt; die Anzeige erfolgte für eine rektale Anwendungsform. Im Verlängerungsantrag des neuen Herstellers im Dezember 1989 wurde eine orale Darreichungsform angegeben. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte den Verlängerungsantrag mit Bescheid vom 09.06.1998 ab, weil auf Grund des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978 angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe. Die Klage des Herstellers war in allen Instanzen erfolglos (zuletzt OVG Berlin, Urteil vom 07.05.2005 - 5 B 8.03). Mangels Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 09.06.1978 hatte die Klage aufschiebende Wirkung. Der Hersteller hat das Mittel zum 01.09.2005 aus dem Verkehr genommen.

Auf Prüfanträge der Beigeladenen zu 2) und 3) setzte der Prüfungsausschuss mit Beschlüssen vom 20.08.2003 und 08.11.2003 jeweils Regresse in Höhe von 263,45 Euro bzw. 263,44 Euro fest. Zur Begründung führte er aus, die fiktive Zulassung von Wobe Mugos E bestehe nach der Ablehnung des Verlängerungsantrags nur auf Grund der aufschiebenden Wirkung der Klage fort. Ein Arzneimittel mit einem nicht ausreichend gesicherten therapeutischen Nutzen dürfe ein Arzt nach den Arzneimittelrichtlinien nicht verordnen. Der Kläger wandte ein, Wobe Mugos sei verkehrsfähig, dies hätten auch Sozialgerichte und verschiedene Prüfgremien bestätigt. Es sei jeweils im zugelassenen Anwendungsgebiet eingesetzt worden. Zahlreiche Studien belegten die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments beim primären Mammakarzinom. Somit seien die Verordnungen nicht unwirtschaftlich gewesen. Der Beklagte wies die Widersprüche mit Beschlüssen vom 13.08.2004 bzw. 19.01.2005 zurück. Mit der Ablehnung der Verlängerung der Zulassung sei Wobe Mugos E nicht mehr verkehrsfähig und dürfe im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht mehr verordnet werden. Das Einlegen von Rechtsmitteln gegen den ablehnenden Bescheid des BfArM und die daraus folgende aufschiebende Wirkung der Klage bewirke keine sozialrechtliche Verordnungsfähigkeit. In der Ablehnungsentscheidung des BfArM spiegelten sich Zweifel an der Unbedenklichkeit und/oder einem ausreichenden Beleg der therapeutischen Wirksamkeit wider. Insoweit könne bei Versagung eines Nachzulassungsantrages eine fiktive Zulassung nicht ausreichen, um die Verordnungsfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung zu begründen.

Der Kläger hat gegen beide Beschlüsse fristgerecht Klage erhoben, die das Sozialgericht mit Beschluss vom 15.08.2005 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 27.09.2005 (SozR 4-2500 § 31 Nr. 3) entschieden, dass zwar Wobe Mugos E auf Grund der aufschiebenden Wirkung der verwaltungsgerichtlichen Klage arzneimittelrechtlich verkehrsfähig gewesen sei, diese auf der bloßen Inanspruchnahme einer verfahrensrechtlichen Position beruhende Verkehrsfähigkeit aber nicht ausreiche, um die Leistungspflicht innerhalb der GKV zu begründen, weil es an der positiven Bewertung von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels fehle.

Der Kläger hat zur Begründung der Klage vorgetragen, er habe eine fehlende Verordnungsfähigkeit nicht erkennen können. Unter anderem das Sozialgericht Dortmund habe früher entschieden, dass Wobe Mugos von den Versicherten beansprucht werden könne. Selbst der Beklagte sei nicht in der Lage gewesen, seine Auffassung zutreffend zu begründen, denn nach der Entscheidung des BSG sei nicht die Verkehrsfähigkeit entfallen gewesen, vielmehr habe das BSG nur in Fortentwicklung seiner Rechtsprechung trotz fortbestehender Verkehrsfähigkeit die Verordnungsfähigkeit verneint. Ohnehin sei die Rechtsprechung des BSG auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) überholt. Das BVerfG habe entschieden, dass bei lebensbedrohlichen Erkrankungen Versicherte schon dann eine Leistung beanspruchen könnten, wenn es ernsthafte Hinweise auf eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gebe. Solche Wirksamkeitsnachweise für die Behandlung eines Mammakarzinoms lägen für das hier streitige Präparat vor. Ihm sei ferner Vertrauensschutz zuzubilligen, denn die Entscheidung des BSG vom 27.09.2005 sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen. In dieser Situation habe das LSG Bayern den Krankenkassen geraten, wegen Vertrauensschutz Regressanträge zurückzunehmen, was in zahlreichen Fällen geschehen sei. Die angefochtenen Beschlüsse seien auch deshalb rechtswidrig, weil nach dem Gesetz eine Beratung Vorrang vor der Festsetzung eines Regresses habe. Der Beklagte habe daher Ermessenserwägungen dazu anstellen müssen, welche Sanktionen er für angemessen halte.

Mit Urteil vom 06.11.2006 hat das Sozialgericht die Klagen unter Zulassung der Berufung abgewiesen. Die Regresse seien rechtmäßig, weil Wobe Mugos E in den streitigen Quartalen nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig gewesen sei. Eine andere rechtliche Beurteilung sei nicht auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 geboten, denn für die Behandlung des Mammakarzinoms stehe eine dem medizinischen Stand entsprechende Behandlung zur Verfügung. Die Beschlüsse seien auch nicht deshalb rechtswidrig, weil zunächst hätte eine Beratung erfolgen müssen. Es gebe keinen grundsätzlichen Vorrang der Beratung vor der Verhängung eines Regresses, aus diesem Grund seien auch Ermessenserwägungen nicht erforderlich gewesen. Dies gelte selbst dann, wenn für den Kläger die fehlende Verordnungsfähigkeit nicht vorhersehbar gewesen sei, da die Verhängung eines Regresses in Fällen dieser Art kein Verschulden voraussetze.

Mit der fristgerecht eingelegten Berufung hält der Kläger daran fest, die Rechtsauffassung des BSG sei für ihn im Hinblick auf anders lautende Entscheidungen von Sozialgerichten und Prüfgremien nicht vorhersehbar gewesen. Dieser Aspekt sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts von Bedeutung, denn eine verschuldensunabhängige Haftung sei bei Regressen unverhältnismäßig und bedeute einen Verstoß gegen das Rechtsstaatprinzip. Wegen der unklaren Rechtslage sei ihm Vertrauensschutz zuzubilligen; insoweit verweist der Kläger auch auf entsprechende erstinstanzliche Entscheidungen aus anderen Bundesländern, in denen unter diesem Gesichtspunkt Vertrauensschutz zugebilligt worden ist. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts erfordere die gesetzliche Regelung, wonach im Regelfall einem Regress eine Beratung vorausgehen solle, eine Ermessensentscheidung des Beschwerdeausschusses, an der es hier fehle.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 06.11.2007 die Beschlüsse des Beklagten vom 13.08.2004 und 19.01.2005 aufzuheben, hilfsweise, unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 06.11.2007 die Beschlüsse des Beklagten vom 13.08.2004 und 19.01.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Widersprüche des Klägers gegen die Beschlüsse des Prüfungsausschusses vom 20.08.2003 und 08.11.2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Grund des Urteils des BSG stehe fest, dass für Wobe Mugos E keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden habe. Ein schuldhaftes Verhalten des Vertragsarztes sei für Maßnahmen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht erforderlich. Ein Ersatzanspruch sei auch dann zulässig, wenn der Arzt gutgläubig von der Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels ausgegangen sei. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, denn eine schwer zu beurteilende und nicht abschließend geklärte Rechtslage zur Verordnungsfähigkeit wirke sich eher zu seinen Lasten aus. Wenn er sich dazu entschlossen habe, das Präparat auf einem Kassenrezept zu verordnen, übernehme er mit dieser Entscheidung die Verantwortung für die Verordnungsfähigkeit. Bei unzulässigen Verordnungen sei als Schaden die Summe festzusetzen, die der Krankenkasse durch die Verordnung des betreffenden Arzneimittels entstanden sei. Ein Ermessen der Prüfgremien bestehe insoweit nicht.

Die Beigeladenen zu 2) und 3) schließen sich dem Antrag und der Rechtsauffassung des Beklagten an. Die Beigeladene zu 2) betont ebenfalls, dass eine rechtliche Unsicherheit nicht zu einem Vertrauensschutz führen könne.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, auch hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die jedenfalls kraft Zulassung statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Die wegen der Verordnung von Wobe Mugos E verhängten Regresse sind rechtmäßig.

1. Rechtsgrundlage für die Entscheidung der Prüfgremien ist § 9 Abs. 4 2. Spiegelstrich der ab dem 01.01.2002 geltenden Prüfvereinbarung (Westfälisches Ärzteblatt 2/03, 56 ff.). Diese Bestimmung sieht die Einzelfallprüfung ärztlich verordneter Leistungen vor, die nach dem letzten Satz der Regelung insbesondere die Prüfung der Verordnungsfähigkeit zum Gegenstand hat. Sie beruht auf der Ermächtigung in § 106 Abs. 2 Satz 4 5. Buch Sozialgesetzbuch ((SGB V) hier in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung). Danach können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit der Kassenärztlichen Vereinigung über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungen vereinbaren. Das BSG nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass die Prüfgremien im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfungen auch befugt sind, die Einhaltung der das Wirtschaftlichkeitsgebot umsetzenden Bestimmungen im Einzelfall zu überprüfen und gegebenenfalls einen Regress festzusetzen. Solche Regresse sind von Regressen wegen eines sonstigen Schadens (hier geregelt in § 9 Abs. 5 der Prüfvereinbarung) zu unterscheiden; der durch einen Verordnungsregress auszugleichende "Schaden" entspricht demjenigen, der durch eine unwirtschaftliche Verordnungsweise im Sinne des § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V auszugleichen ist (zusammenfassend BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52).

2. Der Kläger durfte Wobe Mugos E nicht zu Lasten der Beigeladenen zu 2) und 3) verordnen, denn die Versicherten hatten keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V. Das BSG hat im Urteil vom 27.09.2005 (a. a. O.) überzeugend begründet, dass die auf der bloßen Inanspruchnahme einer verfahrensrechtlichen Position beruhende Verkehrsfähigkeit von Wobe Mugos E nicht ausreichte, um einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln nach dem SGB V zu begründen. Es hat zu Recht darauf hingewiesen, dass keine arzneimittelrechtliche Prüfung mit einem für den Hersteller positiven Ergebnis stattgefunden hatte und somit der für den Versorgungsanspruch erforderliche Nachweis der Qualität und Wirksamkeit nach dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse gefehlt habe.

Auch die Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 (a. a. O.) führen zu keiner anderen Beurteilung. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung gemeint, es sei mit Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einem gesetzlich Krankenversicherten bei einer lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, die Leistung einer selbst gewählten Behandlungsmethode zu verweigern, wenn eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Erweiterung des Leistungsrahmens der GKV fordert das BVerfG also nur für lebensbedrohliche Erkrankungen, für die eine allgemein anerkannte Behandlung nicht verfügbar ist. Unabhängig von der Frage, ob tatsächlich bei den Versicherten nach der konkreten Ausprägung ihrer Erkrankung eine lebensbedrohliche Erkrankung im Sinne dieser Rechtsprechung vorlag (verneinend etwa für ein Prostatakarzinom im Anfangsstadium BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 8), fehlt es jedenfalls an der Voraussetzung, dass keine Behandlungsalternative bestand. Es ist zum einen allgemein bekannt, dass es für die Behandlung des Mammakarzinoms Standardtherapien gibt. Das Präparat Wobe Mugos E diente zum anderen nach der "Roten Liste" zur Langzeitbehandlung bei Tumoren und der Zusatzbehandlung während der Strahlentherapie und zur Metastasenprophylaxe. Ein Einsatz zur unmittelbaren Bekämpfung eines lebensbedrohlichen Krankheitszustandes erfolgte somit nicht. Auch im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die Verordnungen wegen erfolgloser Ausschöpfung aller anderen Behandlungsmöglichkeiten erfolgt wären.

3. Ob der Kläger die fehlende Verordnungsfähigkeit von Wobe Mugos E erkennen konnte, ist irrelevant. Auf Verschulden kommt es für einen Arzneimittelregress nicht an. Wie dargelegt handelt es sich bei der Einzelfallprüfungen, die die Einhaltung der das Wirtschaftlichkeitsgebot konkretisierenden Bestimmungen zum Gegenstand haben, um Wirtschaftlichkeitsprüfungen "im weiteren Sinn". Im Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfung kommt es auf die Vorwerfbarkeit für die festgestellte unwirtschaftliche Behandlungsweise nicht an. Selbst eine "im guten Glauben" vorgenommene Verordnung kann daher zu Ersatzansprüchen gegen den Arzt führen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52; SozR 4-2500 § 106 Nr. 1; zuletzt Beschluss vom 30.05.2006 - B 6 KA 14/06 B; s. auch Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, § 106 Randnr. 92; Bahner, Honorarkürzungen, Arzneimittelregresse, Heilmittelregresse, 2006, S. 238 f.).

4. Ebenso wenig kann sich der Kläger auf Vertrauensschutz berufen. Vertrauensschutz setzt einen gegenüber dem betroffenen Arzt gesetzten besonderen Vertrauenstatbestand voraus (Engelhard, a.a.O., Randnr. 356). Hinsichtlich der rückwirkenden Korrektur von Honorarbescheiden hat das BSG in der bloßen Duldung einer objektiv fehlerhaften Abrechnungspraxis durch eine Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung keinen Vertrauenstatbestand gesehen (BSG SozR 4-2500 § 106a Nr. 1; s. auch SozR 4-2500 § 95 Nr. 8). Selbst wenn - was allerdings selbst der Kläger nicht behauptet hat - in der Vergangenheit entsprechende Verordnungen von Wobe Mugos E unbeanstandet geblieben wären, wäre dies nach diesen Maßstäben unbeachtlich. Dass in Kenntnis der Gesamtumstände eine der Beigeladenen dem Kläger ausdrücklich die Verordnungsfähigkeit bestätigt hätte, macht er selbst nicht geltend.

Entgegen anderer Auffassung kann allein die unklare Rechtslage nicht zu Vertrauensschutz führen. Zwar mag die Rechtslage bis zur Entscheidung des BSG unklar gewesen sein. So hatte das LSG Rheinland-Pfalz in seinem (rechtskräftig gewordenen) Urteil vom 22.10.1998 (L 5 K 22/97) entschieden, dass Wobe Mugos mangels Zulassung nicht als Leistung der GKV beansprucht werden könne. In der Folgezeit hatten dann erstinstanzliche Gerichte (SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2000 - S 5 KR 5/00; SG Dortmund, Urteil vom 04.02.2003 - S 8 KR 276/00) und auch Prüfgremien eine Verordnung zu Lasten der Krankenkassen für zulässig gehalten, nachdem die Arzneimittelbehörden die Verkehrsfähigkeit von Wobe Mugos Ebejaht hatten. Das LSG Bayern hatte schließlich in dem dem Urteil des BSG zu Grunde liegenden Verfahren in seinem Urteil vom 22.01.2004 (L 4 KR 217/02) gemeint, Wobe Mugos E sei zwar verkehrsfähig, werde jedoch von der sogenannten "Negativliste" nach § 34 Abs. 3 SGB V erfasst und daher von der Verordnung ausgeschlossen.

Diese - keine Vollständigkeit beanspruchende - Übersicht zeigt, dass die Verordnungsfähigkeit von Wobe Mugos E kontrovers beurteilt wurde. Eine solch unklare Rechtslage ist von vornherein nicht geeignet, Vertrauensschutz zugunsten des verordnenden Arztes zu begründen, da sie ihm nicht die Gewissheit von der Rechtmäßigkeit seines Handelns vermitteln kann. Er kann in dieser Situation allenfalls hoffen, dass sich die von ihm vertretene Ansicht als die zutreffende erweisen wird. Der Kläger hatte aber ebenso in Erwägung zu ziehen, dass sich die andere Ansicht durchsetzen könnte und sich seine Verordnung als unzulässig erweisen werde. Die Argumentation, es könne nicht zu Lasten des Arztes gehen, wenn die Rechtslage in Folge eines Meinungsstreits unklar sei (so SG Potsdam, Urteil vom 18.07.2007 - S 1 KA 101/06) bedeutet im Ergebnis die Einführung eines Verschuldenserfordernisses hinsichtlich der Verordnung, weil sie die subjektive "Erkennbarkeit" der Unzulässigkeit der Verordnung voraussetzt. Zu Recht weist das SG Berlin (Urteil vom 20.06.2007 - S 83 KA 383/06) demgegenüber darauf hin, dass sich die ungeklärte Rechtslage im Zeitpunkt der Verordnung zu Lasten des Arztes auswirken muss. Dieser hat bei unklarer Rechtslage die Möglichkeit, das Präparat auf Privatrezept zu verordnen und so den Kostenträger in die Lage zu versetzen, eine Entscheidung über seine Leistungspflicht zu treffen. Bei einer vertragsärztlichen Verordnung hat die Krankenkasse in jedem Fall gegenüber dem Versicherten die Kosten zu übernehmen; sie hat in diesem Fall nur die Möglichkeit, ihre fehlende Leistungspflicht im Wege des Regresses gegenüber dem Arzt geltend zu machen. Der Arzt übernimmt damit mit einer vertragsärztlichen Versorgung die Verantwortung dafür, dass das Mittel zum Leistungsspektrum der GKV zählt. Wenn sich hier der Kläger dafür entschieden hat, die Verordnungen zu Lasten der Beigeladenen zu 2) und 3) vorzunehmen, so hat er auch für diese objektiv fehlerhaften Verordnungen einzustehen und kann sich nicht darauf berufen, er habe ungeachtet der die Verordnungsfähigkeit in Frage stellenden Stimmen darauf "vertraut", dass seine Rechtsansicht zutreffend sei.

5. Die angefochtenen Beschlüsse sind auch nicht unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtswidrig. Der Beklagte musste weder den Kläger vor einem Regress beraten noch musste er Ermessenserwägungen hinsichtlich der Festsetzung der Regresse anstellen. Zwar sieht die hier anzuwendende Prüfvereinbarung nicht ausdrücklich vor, dass bei unzulässigen Verordnungen immer ein Regress festzusetzen ist (so aber § 15 Abs. 4 der im Bereich der KV Nordrhein geltenden Prüfvereinbarung). § 106 Abs. 5 Satz 2 SGB V fordert aber entgegen der Ansicht des Klägers weder, dass einem Regress eine Beratung vorangehen müsse (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 1; SozR 3-2500 § 106 Nr. 53; Beschluss vom 30.05.2006, a. a. O.; s. aber Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht, 1994, Randnr. 849, der meint, bei unklarer Rechtslage sei vor einem Regress eine Beratung zu fordern, um Verhaltenssicherheit herzustellen), noch lässt sich der Vorschrift entnehmen, dass die Prüfgremien in jedem Fall darlegen müssten, dass sie eine Beratung als Sanktion in Erwägung gezogen haben. Soweit in der Literatur eine erkennbare Ermessensbetätigung bei erstmaligen Prüfungen erörtert wird (Engelhard, a. a. O., Randnr. 541; Hesral in Ehlers (Hrsg), Wirtschaftlichkeitsprüfungen, 2. Aufl., Kapitel 2, Randnr. 233) betrifft dies Prüfungen wegen übermäßiger Behandlungs- bzw. Verordnungsweise. Bei Einzelprüfungen, die die Verordnungsfähigkeit einzelner Mittel zum Gegenstand haben, kommt nach Auffassung des Senats bei Feststellung einer "Unwirtschaftlichkeit" im Regelfall nur die Verhängung eines Regresses in Betracht. Eine effektive Prüfung wegen unzulässiger Verordnungen wäre kaum möglich, wenn die Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel für den Arzt ohne finanziellen Folgen blieben (Engelhard, a.a.O., Randnr. 91). Zu Recht verweist das SG Berlin (a. a. O.) auch auf die generalpräventive Wirkung solcher Regressfestsetzungen, um den Vertragsärzten die Folgen einer unzulässigen Arzneimittelverordnung vor Augen zu führen und sie zur peniblen Prüfung der Verordnungsfähigkeit anzuhalten. Auch das BSG geht in seinem Urteil vom 27.06.2007 (B 6 KA 44/06 R) offenbar selbstverständlich davon aus, dass die Verhängung von Verordnungsregressen keine Ermessensentscheidung erfordert, denn es hat in dem genannten Urteil die Verhängung eines Regresses wegen der unwirtschaftlichen Verordnung eines Arzneimittels für einen Patienten gebilligt, ohne die Frage der Ermessensausübung des Beschwerdeausschusses aufzuwerfen.

6. Die Regresse sind auch der Höhe nach zutreffend in Höhe der den Beigeladenen zu 2) und 3) tatsächlich entstandenen Kosten unter Berücksichtigung der Apothekenrabatte und der Zuzahlungen der Versicherten festgesetzt worden. Auch der Kläger erhebt insoweit keine Einwendungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Senat hat davon abgesehen, dem Kläger Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen.

Der Senat hat auch im Hinblick auf die divergierenden erstinstanzlichen Entscheidungen eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits bejaht und daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).

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