15.01.2009 · IWW-Abrufnummer 090158
Landgericht Berlin: Beschluss vom 06.03.2006 – 526 Qs 47-49/06
1. Steueransprüche des Staates schließen die Anordnung des strafrechtlichen Verfalls aus, da der insoweit begünstigte Justizfiskus nicht mit dem Steuerfiskus, dem Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB, identisch ist und nach der gesetzlichen Regelung auf jeden Fall der Justizfiskus hinter dem Steuerfiskus zurückzustehen hat.
2. Sind Angeklagte nach dem bisherigen Ermittlungsstand entweder Steuerschuldner oder als Beteiligte einer Steuerhinterziehung Haftende nach § 71 AO, schließt dieser Umstand den strafrechtlichen Arrest zur Sicherung des Verfalls des Wertersatzes einstweilen aus. Das Recht der Finanzbehörden, statt dessen einen steuerlichen Arrest nach §§ 324 ff. AO zu bewirken, bleibt davon unberührt.
526 Qs 47 - 49/2006
Tenor
Auf die Beschwerden der ...öl GmbH, des ... K und des ... W werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. Januar 2006 aufgehoben.
Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens sowie die dafür notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Berlin und das Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg ermitteln gegen eine Reihe von Personen und Firmen – darunter u. a. die Beschwerdeführer – wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung, indem im Zeitraum zwischen dem 30. November 2004 bis zum 24. Mai 2005 entgegen § 15 MinöStG unberechtigte Mineralöllieferungen von knapp 33.000 Tonnen Diesel im Wege des Steueraussetzungsverfahrens nach Tschechien an eine nicht dazu berechtigte Firma abgewickelt worden seien, wobei ein bereits im Inland an sich steuerbarer Umsatz von 13,7 Mio. EUR nicht der Mineralölsteuer unterworfen worden sei.
Durch die angefochtenen Beschlüsse wurde gemäß den §§ 111 b Abs. 2, 111 d, 111 e Abs. 1 StPO i.V.m. den §§ 73 Abs. 1 und 3, 73 a, 73 c Abs. 1 StGB zur Sicherung des staatlichen Anspruchs auf Verfall des Wertersatzes der dingliche Arrest in Höhe von 820.773,– EUR in das Gesellschaftsvermögen der Beschwerdeführerin zu 1., zu 82.000,– EUR in das Vermögen des Beschwerdeführers zu 2. und zu 111.977,– EUR in das Vermögen des Beschwerdeführers zu 3. angeordnet.
Der angefochtene Beschluß ist wie folgt begründet worden:
Nach den bisherigen Ermittlungen des Zollfahndungsamtes Berlin-Brandenburg wurde bekannt, dass die beschuldigten Geschäftsführer K und W der ...öl GmbH im Zeitraum vom 30. 11. 2004 bis 24. 05. 2005 mindestens 32.830.939 Diesel zum Preis von 13.638.150,70 EUR an die Firma
J AG
...str. ..., ... Jena
verkauft und in Rechnung gestellt haben.
Diese Menge Diesel wurde im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren mit Begleitendem Verwaltungsdokument unter Steueraussetzung von Tanklagerstätten in Berlin und weiteren Orten nach Prag an nicht zum Bezug berechtigte Empfänger durch die J AG weiterveräußert. Damit liegt ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1a Mineralölsteuergesetz – MinöStG – i.V.m. § 28 Abs. 1 Mineralölsteuerverordnung – MinöStVO – vor.
Für den ordnungsgemäßen Ablauf der Beförderung von Mineralöl unter Steueraussetzung ist grundsätzlich der Versender verantwortlich. Er muss sich vor Er öffnung eines Steueraussetzungsverfahren vergewissern, dass der Empfänger über eine entsprechende Bezugsberechtigung verfügt. Fehlt es bei Eröffnung des Verfahrens an der Bezugsberechtigung, so ist eine Beförderung des Mineralöls unter Steueraussetzung ausgeschlossen, da ein rechtswirksames Steueraussetzungsverfahren nicht vorliegt. Das gilt auch dann, wenn der Versender den Empfänger gutgläubig und unverschuldet für bezugsberechtigt hält, dieser aber tatsächlich nicht bezugsberechtigt ist.
Zumindest seit dem 03.02.2005 war den Verantwortlichen der ...öl GmbH bekannt, dass die eigentliche Empfängerfirma in der Slowakischen Republik
C s.r.o.
..., ... Bratislava
nicht zum Empfang von Dieselkraftstoff im innergemeinschaftlichen Versandverfahren berechtigt gewesen ist.
Weitere Ermittlungen dazu ergaben, dass keiner der Transport vom Tanklager in Berlin an die angegebenen Empfängerfirma C s.r.o. durchgeführt wurden. Tatsächlich erfolgten diese Lieferungen in die Tschechischen Republik zur Firma
... s.r.o.
Z, CZ-... Prag ...
Auch diese Firma war zum Zeitpunkt der Lieferungen nicht im Besitz einer Genehmigung zum Betreiben eines Steuerlagers bzw. zum Empfang von Dieselkraftstoff im innergemeinschaftlichen Versandverfahren.
In diesem Zusammenhang besteht der Verdacht, dass sich die Verantwortlichen der Firmen ...öl GmbH, ... AG und die Verantwortlichen des Steuerlagers in Berlin zur fortgesetzten Hinterziehung von Eingangsabgaben zusammengeschlossen haben, in dem sie vorsätzlich die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben (strafbar gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 4 AO).
Obwohl den Verantwortlichen der ...öl GmbH bekannt war, dass die Waren an unberechtigte Empfänger weiterverkauft wurden, haben sie weitere Lieferungen an die ... AG vorgenommen, so dass von einer vorsätzlichen Begehungsweise ausgegangen werden muss. Damit unterliegen alle Gewinne (Verkaufserlöse), die aus der Geschäftsbeziehung zwischen der ...öl GmbH und der ... AG entstanden sind nach § 73 Abs. 1 StGB dem staatlichen Verfall.
Die detaillierte Auswertung vorliegender Rechnungen von der ... GmbH hat Folgendes ergeben:
Im Jahre 2004 lieferte die ...öl GmbH über den Zeitraum vom 29.11. – 31.12.2004 mit ca. 13 Transporten mindestens 427.649 Liter Diesel im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren an die ... AG. Dafür stellte die ...öl GmbH gegenüber der ... AG nachweisbar Rechnungen im Gesamtumfang von 161.701,45 EUR aus.
Vom 03.01. – 24.05.2005 wurden mit ca. 1.036 Transporten weitere 32.403.290 Liter Mineralöl von der ...öl GmbH an die J AG verkauft. Hierfür wurden von der J AG an die ...öl GmbH nachweislich 13.476.449,34 EUR gezahlt.
Nach Recherchen beim HZA B – SG Außenprüfung, liegt der Mittelwert des Verkaufserlöses und damit dem hier aus der Straftat "Erlangten" bei ca. 25,00 EUR pro 1.000 Liter verkauftem Mineralöl.
Auf Grundlage dieses Mittelwertes ergibt sich für die ...öl GmbH aus den Jahren 2004 und 2005 ein nach § 73b StGB geschätzter erzielter Gewinn von insgesamt 820.773,00 EUR, die gem. § 73 Abs. 1 StGB dem Verfall unterliegen.
Es ist davon auszugehen, dass das Erlangte bei der ...öl GmbH nicht mehr individuell vorhanden ist, weshalb sie nach § 73a StGB Wertersatz zu leisten hat.
Es liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass die Voraussetzungen nach den §§ 111b Absatz 2, 111d StPO i.V.m. §§ 73 Absatz 1 und 3, 73a StGB vorliegen und dass gegen die ...öl GmbH in der Hauptverhandlung der Verfall von Wertersatz in Höhe von 820.773,00 EUR ausgesprochen wird.
Der dingliche Arrest ist anzuordnen, da zu befürchten ist, dass die ...öl GmbH bei umfassender Kenntnis der Sach- und Rechtslage alles tun wird, ihr Vermögen bzw. ihren Anteil an den durch die genannte Straftat erlangten Vermögenswerte zu verschieben, um die spätere Vollstreckung des staatlichen Anspruches auf Verfall des Wertersatzes zu vereiteln oder wesentlich zu erschweren (§ 111d Abs. 2 StPO i.V.m. § 917 ZPO).
II.
Die dagegen erhobenen zulässigen Beschwerden erweisen sich im Ergebnis als begründet.
1. Die angefochtene Entscheidung geht allerdings zu Recht vom Verdacht einer Steuerhinterziehung aus, bei der auch die Beteiligung der beiden Beschwerdeführer zu 2. und 3. zumindest naheliegend erscheint.
Die Kammer folgt der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und der herrschenden Meinung zum MinöStG, wonach die Steuerentstehung an das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen für die wirksame Eröffnung eines Steueraussetzungsverfahrens geknüpft ist und es auf die subjektiven Vorstellungen der Wirtschaftsbeteiligten hierüber nicht ankommt (vgl. FG Düsseldorf, Urt. V. 6. Feb. 2002 – 4 K 1441/01 VBr; Alexander, in: Teichner/Alexander/Reiche, MinöStG-Komm., § 9 Rn. 8; § 14 Rn. 13, § 15 Rn. 12). Da im vorliegenden Fall weder die tats ächlichen tschechischen noch die vorgeschobenen slowakischen Empfängerfirmen C und ...-Oil zur Teilnahme am Steueraussetzungsverfahren berechtigt gewesen waren, bleibt es dabei, daß ein Steueraussetzungsverfahren nicht wirksam eröffnet werden konnte und demnach die Mineralölsteuer gemäß § 9 MinöStG in Deutschland entstanden ist.
Hinzu kommt folgendes:
Es waren Mitarbeiter der von den Beschwerdeführern zu 2. und 3. kontrollierten und geführten Firmengruppe, die seit Anfang Februar 2005 wiederholt beim Hauptzollamt S die Empfangsberechtigung der Firma C abgefragt hatten, worauf der Beschwerdeführerin zu 1. von dort stets mitgeteilt worden war, daß die Firma C zum Empfang von Mineralöl im Steueraussetzungsverfahren zu keinem Zeitpunkt berechtigt gewesen war. Der Kammer ist aus eigener forensischer Erfahrung als Wirtschaftsstrafkammer gewärtig, daß insbesondere Geschäftsanbahnungen, die sich auf zukünftige Geschäftsbeziehungen im Millionenumfang beziehen, nicht ohne Kenntnis und Billigung der höchsten Entscheidungsträger einer Firma vonstatten gehen und derartig einschneidende Rückmeldungen wie die des Hauptzollamtes Stuttgart nicht von Sachbearbeitern und auch höheren Angestellten wie einem Verkaufsleiter gegenüber der Firmenleitung verheimlicht werden, weil erstere daran kein Interesse haben können, ihren Arbeitsplatz wegen einer ihnen spätestens zu diesem Zeitpunkt offenkundigen "Steuerproblematik" – die im Falle ihrer Entdeckung durch die Finanzbehörden die Ertragslage ihres Arbeitsgebers entscheidend schmälern würde – aufs Spiel zu setzen.
2. Die Kammer erachtet auch die Voraussetzungen eines Arrestgrundes zur Sicherung des Verfall des Wertersatzes an sich für gegeben.
In Anbetracht der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles, wonach die Beschwerdeführer nicht nur in steuerbemakelte Lieferungen nach Tschechien – die sie über kleine Drittfirmen abgewickelt haben –, sondern auch in gleichgelagerte noch größere direkte Lieferungen nach Polen verwickelt sind (vgl. Beschuß des AG Stralsund vom 18. April 2005, 15 Gs 119/05), kann unter Berücksichtigung der von allen drei Beschwerdeführern zu gewärtigenden Steuerschulden im Millionenbereich nicht ausgeschlossen werden, daß sie in zunehmendem Bewußtsein der ihnen drohenden existentiellen wirtschaftlichen Konsequenzen aus Eigeninteresse Vermögensverfügungen bzw. -verschleierungen vornehmen. Insoweit erachtet die Kammer – vergleichbar dem Haftgrund der Fluchtgefahr, der bei einer sehr hohen Straferwartung auch ohne konkrete Vorbereitungen zur Flucht angenommen werden kann – allein den drohenden äußerst hohen Verfall des Wertersatzes bzw. die existenzbedrohenden Steuerschulden für ausreichend (vgl. OLG Frankfurt a. M., NStZ-RR 2005, 111 f.; Bittmann/Kühn, wistra 2002, 248 ff; a. A.: LR-Schäfer, § 111d StPO, Rn. 17 ff; Wulf, Praxis Steuerstrafrecht 2006, S. 10 ff.). Dem steht auch nicht entgegen, daß der Beschwerdeführer zu 2. den im Beschwerdeschriftsatz als Zeugen benannten zuständigen Mitarbeitern des Bundesministeriums der Finanzen die im Zusammenhang mit den Lieferungen nach Polen erwirtschafteten Erträge mündlich offengelegt und um den Erlaß der sich aus diesen Lieferungen möglicherweise ergebenden Steuern nachgesucht hat. Die Kammer weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, daß es während eines (steuer-)strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens weniger vom Verhalten gegenüber Mitarbeitern des Bundesministeriums der Finanzen, sondern eher vom Verhalten eines Beschuldigten gegenüber den Ermittlungsbehörden abhängen kann, ob er als bisher gut beleumundeter Kaufmann trotz zweier gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren gleichwohl weiterhin das Vertrauen rechtfertigt, er werde auch in Zukunft keine Vermögensverschleierungen vornehmen.
3. Der Arrest zur Sicherung des Verfalls des Wertersatzes scheitert nach derzeitigem Verfahrensstand allerdings an § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB.
Nach dieser Vorschrift darf Verfall insoweit nicht angeordnet werden, als dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Danach schließen Steueransprüche des Staates die Anordnung des strafrechtlichen Verfalls aus, da der insoweit begünstigte Justizfiskus nicht mit dem Steuerfiskus – dem Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB – identisch ist und nach der gesetzlichen Regelung auf jeden Fall der Justizfiskus hinter dem Steuerfiskus zurückzustehen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 28. Nov. 2000 – 5 StR 371/00). Im vorliegenden Fall sind die Beschwerdeführer nach bisherigem Ermittlungsstand und vorläufiger Einschätzung indes entweder Steuerschuldner oder als Beteiligte der Steuerhinterziehung Haftende nach § 71 AO (vgl. Halaczinsky in Koch/Schulz, AO, 5. Aufl. § 71 Rn. 3; Klein/Rüsken, AO, 7. Aufl., § 71 Rn. 3).
Dieser Umstand schließt den strafrechtlichen Arrest zur Sicherung des Verfalls des Wertersatzes einstweilen aus. Das Recht der Finanzbehörden, statt dessen einen steuerlichen Arrest zu bewirken, bleibt davon unberührt (vgl. Wulf, a.a.O., S. 13).
4. Ungeachtet des von den Strafverfolgungs- und Finanzbehörden noch zu prüfenden Komplexes des von den Beschwerdeführern "unmittelbar Erlangten" im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. BGH, NStZ 2002, 477 ff.) hat die Kammer von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Sicherung von tatbedingten Ansprüchen des Geschädigten (Zurückgewinnungshilfe) gemäß § 111b Abs. 5, 111d StPO abgesehen: Dem geschädigten Steuerfiskus steht nämlich – im Unterschied zu anderen Geschädigten – nach den §§ 324 ff. AO ein originäres Recht zu, mittels eines eigenen dinglichen Arrestes seinen Steueranspruch zu sichern. Dies ist der von der Abgabenordnung vorgesehene und adäquate Weg (vgl. Käbisch, wistra 1984, 10, 14). Macht der Steuerfiskus – so wie im vorliegenden Verfahren – von dem ihm ebenfalls zustehenden Mittel keinen Gebrauch, sieht die Kammer keine Veranlassung, dieses anstelle des Steuerfiskus zu tun.
III.
Die Landeskasse Berlin trägt mangels eines anderen Kostenschuldners die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens und die dafür notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer.