25.05.2009 · IWW-Abrufnummer 090851
Bundesfinanzhof: Urteil vom 20.11.2008 – III R 107/06
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
III R 107/06
Gründe:
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1998 (Streitjahr), die sie ohne Mitwirkung eines steuerlichen Beraters erstellten, nannten sie in der Anlage "Kinder" ihren 1968 geborenen Sohn O. In der Rubrik "Ausbildungsfreibetrag" vermerkten sie dessen auswärtige Anschrift in A. In einer beigefügten "Erläuterung zur Einkommensteuererklärung 1998" gaben sie an, dass O in A studiere und Einkünfte von 4 683 DM bezogen habe.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) gewährte für O keinen Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Der Einkommensteuerbescheid 1998 vom 1. Juni 1999 wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 24. April 2001 beantragten die nunmehr steuerlich vertretenen Kläger, den Einkommensteuerbescheid 1998 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ihren Gunsten zu ändern und die im Streitjahr ihrem Sohn gewährte finanzielle Unterstützung von insgesamt 14 159,60 DM als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 EStG zu berücksichtigen. Zur Begründung führten sie aus, sie hätten für ihren Sohn O den Ausbildungsfreibetrag beantragt, so wie sie dies in den Vorjahren getan hätten. Das FA habe den Freibetrag zu Recht versagt. Erst bei der Einkommensteuererklärung 1999 habe das FA einen Hinweis auf die Möglichkeit einer steuerlichen Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 EStG gegeben.
Das FA kam dem Änderungsbegehren nicht nach, der gegen den Ablehnungsbescheid gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage überwiegend statt (Urteil vom 4. Mai 2006 14 K 90/02, Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1132). Es war der Ansicht, es liege eine neue Tatsache vor, da das FA erst nachträglich von der finanziellen Unterstützung des Sohnes der Kläger in Höhe von 14 159,60 DM erfahren habe. Ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsache sei zu verneinen. Denn wäre die Auffassung der Kläger zu den Voraussetzungen des Ausbildungsfreibetrages richtig gewesen, dann hätten sie keinen Anlass gehabt, Angaben zu einer Berücksichtigung nach § 33a Abs. 1 EStG zu machen. Den Klägern könne auch nicht vorgeworfen werden, sie hätten nach Erlass des Einkommensteuerbescheides Nachforschungen darüber anstellen müssen, ob eine anderweitige steuerliche Abzugsmöglichkeit bestehe, denn das grobe Verschulden beziehe sich auf die Zeit vor Festsetzung der Steuer. Das FG berücksichtigte bei anzurechnenden Einkünften des Sohnes von 1 483 DM eine außergewöhnliche Belastung von 10 517 DM und setzte die Einkommensteuer herab.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Das FG habe zu Unrecht bei Prüfung des groben Verschuldens der Kläger den Zeitraum, in dem diese Einspruch hätten einlegen können, außer Betracht gelassen und sei damit von ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie führen im Wesentlichen aus, grobes Verschulden habe nicht vorgelegen, weil sie den Erklärungsvordruck so ausgefüllt hätten, wie sie es in der Vergangenheit getan hätten. Auch das Nichtausfüllen der Rubrik "Unterhalt für bedürftige Personen" im Erklärungsvordruck sei nicht als grobes Verschulden zu werten, da sie --wenn auch zu Unrecht-- der Auffassung gewesen seien, sie hätten Anspruch auf Gewährung des Ausbildungsfreibetrages, so dass entsprechende Eintragungen nicht erforderlich seien. Das FG habe auch zutreffend entschieden, dass sich ihnen nicht die Einlegung eines Einspruchs aufdrängen musste.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG war zu Unrecht der Ansicht, der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 1998 könne nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zugunsten der Kläger geändert werden, weil diesen kein grobes Verschulden vorzuwerfen sei.
1.
Nach 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
a)
Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866, m.w.N.). Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (BFH-Urteile vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346; vom 16. September 2004 IV R 62/02, BFHE 207, 269, BStBl II 2005, 75; in BFH/NV 2007, 866). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 10. August 1988 IX R 219/84, BFHE 154, 481, BStBl II 1989, 131; vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2005 VIII B 18/02, BFH/NV 2005, 1212).
b)
Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige allerdings dann nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet (BFH-Urteile vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441; in BFH/NV 2007, 866). Dies gilt auch dann, wenn er eine derartige, im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nur deshalb nicht oder nur unvollständig beantwortet, weil er infolge eines Rechtsirrtums der Ansicht ist, die unterlassenen Angaben hätten in seinem Einzelfall keine Auswirkung (BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 441, sowie in BFH/NV 2007, 866).
c)
Ob ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG dürfen --abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen-- nur darauf hin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht. Dies hindert das Revisionsgericht allerdings nicht, selbst zur Annahme eines groben Verschuldens zu kommen, wenn hierfür ausreichende tatsächliche Feststellungen vorliegen (Senatsurteile vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; in BFH/NV 2003, 441).
2.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kann das Urteil des FG keinen Bestand haben. Das FG hat nicht beachtet, dass grobes Verschulden nach Rechtsprechung des BFH auch dann vorliegt, wenn ein Steuerpflichtiger deshalb keine Angaben in einem Erklärungsvordruck macht, weil er aufgrund eines Rechtsirrtums der Meinung ist, sie seien in seinem Fall nicht von Bedeutung (Urteile in BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; in BFH/NV 2003, 441; in BFH/NV 2007, 866). Die Kläger waren der Ansicht, die Unterhaltsaufwendungen könnten unabhängig vom Alter des Sohnes im Rahmen des Ausbildungsfreibetrages nach § 33a Abs. 2 EStG geltend gemacht werden. Sie schenkten deshalb der Rubrik des Erklärungsvordrucks "Unterhalt für bedürftige Personen" (Zeilen 107 bis 114), in der detaillierte Angaben zur unterhaltsbedürftigen Person, zu dessen Einkommensverhältnissen und zu Art und Höhe des Unterhalts zu machen sind, keine Beachtung und nahmen dort keine Eintragungen vor. Dies ist nach den vorstehenden Rechtsgrundsätzen, an denen der Senat festhält, als grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu werten.