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06.05.2005 · IWW-Abrufnummer 050657

Finanzgericht Berlin: Urteil vom 05.07.2004 – 8 K 8313/03

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Berlin

Az.: 8 K 8313/03

URTEIL

Im Namen des Volkes

In dem Rechtsstreit XXX

w e g e n Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung 2000

hat das Finanzgericht Berlin, 8. Senat, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2004 in der Besetzung mit

dem Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Beck,
dem Richter am Finanzgericht Hockenholz und
der Richterin am Finanzgericht Sander-Hellwig
s o w i e den ehrenamtlichen Richterinnen Reinke und Rönicke

für R e c h t erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin war bis zum 18. Juli 1998 als Gastdozentin an der xxxxxxxxxx xxx xxxxxx xxxxxx tätig. Gegen die Befristung des Beschäftigungsverhältnisses hat die Klägerin Klage beim Arbeitsgericht xxxxxx erhoben. Zur Beendigung des inzwischen beim Bundesarbeitsgericht anhängigen Rechtsstreits hat die xxx xxxxxx mit der Klägerin einen Vergleich abgeschlossen, der zum Inhalt hatte, dass zwischen der Klägerin und der xxx ein Arbeitsverhältnis bestanden hatte, das aufgrund betriebsbedingter arbeitgeberseitiger Kündigung zum 18. Juni 1998 endete. Für den Verlust des Arbeitsplatzes sollte die xxx an die Klägerin einen Abfindungsbetrag in Höhe von 150 000,00 DM zahlen. Bei diesem Betrag sollte es sich um einen Auszahlungsbetrag handeln, der netto nach Abzug der Steuern verbleibt.

Der Abfindungsbetrag in Höhe von 150 000,00 DM ist der Klägerin im März des Jahres 2000 zugeflossen. Über die Abrechnung und Einbehaltung der Lohnsteuer ist der Klägerin keine Abrechnung erteilt worden.

Am 11. Oktober 2002 erließ das Finanzamt xxxxxxxxxxxxxx gegenüber der Klägerin und ihrem mit ihr zusammenveranlagten Ehemann den Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2000, aus dem sich ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 17 369,61 DM ergab. Dieser Nachzahlungsbetrag beruhte insbesondere darauf, dass die Klägerin vom 1. April des Jahres 2000 an wiederum nichtselbständig tätig war und daraus im Jahre 2000 Einkünfte erzielt hat.

Auf Antrag der Klägerin stellte die Beklagte ihr im Juni 2002 eine Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2000 aus, in der es wie folgt heißt:

Ermäßigt zu besteuernder Arbeitslohn 161 246,30 DM
einbehaltene Lohnsteuer 10 660,00 DM
einbehaltener Solidaritätszuschlag 586,30 DM

Daraufhin wandte sich die Klägerin an die xxx mit der Bitte, bei Berechnung des Bruttoarbeitslohnes und der einzubehaltenden Lohnsteuer die von ihr vom 1. April 2000 an erzielten laufenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 33 522,00 DM zu berücksichtigen. Da der Beklagte diese laufenden Einkünfte nicht berücksichtigt habe, sei die als ein-behalten berechnete Lohnsteuer viel zu niedrig.

Mit Schriftsatz vom 10. März 2003 hat die Klägerin beim Arbeitsgericht xxxxxx gegen die Beklagte Klage erhoben. Mit der Klage begehrt sie, dass das Gericht die Beklagte verpflichtet, die von der Klägerin ab dem 1. April 2000 erzielten laufenden Einkünfte aus nichtselb-ständiger Arbeit in Höhe von 33 522,00 DM bei Berechnung der einzubehaltenden Lohnsteuer zu berücksichtigen und eine entsprechende berichtigte Lohnsteuerbescheinigung 2000 auszustellen.

Mit Beschluss vom 15. Juli 2003 hat das Arbeitsgericht xxxxxx unter dem Aktenzeichen xx xx xxxxxxx den Rechtsstreit - soweit die Klägerin Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung für 2000 begehrt - gemäß § 145 Zivilprozessordnung ZPO- abgetrennt, festgestellt, dass insoweit die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig sind und den Rechtsstreit an das Finanzgericht Berlin verwiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht Folgendes ausgeführt:
In Betracht für eine Zulässigkeit des eingeschlagenen Rechtswegs komme allenfalls § 2 Abs. 1 Nr. 3 e Arbeitsgerichtsgesetz -ArbGG-. Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen u. a. zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über Arbeitspapiere.

Hinsichtlich der Erteilung und Berichtigung von Arbeitsbescheinigungen differenziere die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts -BAG- danach, ob der Erfüllungsanspruch auf (erstmalige) Erteilung geltend gemacht wird, oder ein Sekundäranspruch auf Berichtigung (vgl. BAG vom 13. Juli 1988, NZA 1989, 321 und vom 15. Januar 1992, NZA 1992, 996). Hinsichtlich letzteren Anspruchs handele es sich nicht um einen bürgerlich-rechtlichen Streit, sondern um einen solchen, der seine Wurzel im SGB III habe (vgl. heute § 312 SGB III). Nichts anderes gelte aber für die begehrte Lohnsteuerbescheinigung, soweit hier bestimmte inhaltliche Vorgaben begehrt würden. Dieser Anspruch folge aus dem Einkommensteuergesetz EStG-. Insoweit handele es sich aber bei der entsprechenden Verpflichtung des Arbeitgebers um eine solche öffentlich-rechtliche Art, so dass es sich um eine gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO- vor die Finanzgerichte gehörende öffentlich-rechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten handelt.

Die hiergegen von der Klägerin erhobene sofortige Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht xxxxxx mit Beschluss vom 20. August 2003 zurückgewiesen.

Beim Finanzgericht Berlin ist der Rechtsstreit aufgrund des Beschlusses des Arbeitsgerichts unter dem Aktenzeichen 8 K 8313/03 übernommen worden.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Beklagte hätte bei Berechnung der einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer sowie bei Berechnung des Bruttoarbeitslohns berücksichtigen müssen, dass sie in der Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 2000 aus einem anderen Arbeitsverhältnis einen laufenden Bruttoarbeitslohn in Höhe von 33 522,00 DM erhalten habe. Da sie dies unterlassen habe, ergebe sich eine viel zu niedrige Lohnsteuer.
Nach § 39 b Abs. 3 Satz 1 EStG habe der Arbeitgeber für die Einbehaltung der Lohnsteuer von einem sonstigen Bezug den voraussichtlichen Arbeitslohn ohne den sonstigen Bezug festzustellen. Die Beklagte hätte deshalb bei Berechnung der Lohnsteuer nicht einfach nur den Abfindungsbetrag selbst der Lohnsteuer unterwerfen dürfen, sondern sie hätte stattdessen im Schätzungswege feststellen müssen, wie hoch der voraussichtliche Arbeitslohn der Klägerin sein würde. Insofern sei zunächst zu berücksichtigen, dass die Beklagte die streitige Bescheinigung der Klägerin erst im Sommer 2002 ausgestellt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits festgestanden, welchen laufenden Arbeitslohn die Klägerin im Jahre 2000 erzielt habe.
Außerdem sei der Beklagten nach der Erinnerung der Klägerin bereits bei Abschluss der Vereinbarung bekannt gewesen, dass die Klägerin vom 1. April 2000 an wieder als Arbeitnehmerin tätig sein würde. Die Beklagte hätte deshalb dem nachgehen und prüfen müssen, welchen Arbeitslohn die Klägerin ab dem 1. April erzielen würde.

Die Klägerin verweist insofern auf die Regelung in Abschnitt 119 Abs. 4 der Lohnsteuerrichtlinien ?LStR- und hier insbesondere auf Satz 6. Darin ist geregelt, dass der Arbeitgeber den voraussichtlichen Jahresarbeitslohn schätzen muss, wenn die von dem Arbeitnehmer vorgelegte Lohnsteuerbescheinigung keine Eintragung enthält, gleichwohl aber anzunehmen ist, dass dem Arbeitnehmer künftig Arbeitslohn in mehr als unerheblichem Umfang zufließen wird. Daraus ergibt sich, dass die Beklagte bei Berechnung der Lohnsteuer ihre Verpflichtung, wie sie sich aus Abschn. 119 der LStR ergibt, verletzt hat.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihr eine Lohnsteuerbescheinigung folgenden Inhalts zu erteilen:
ermäßigt zu besteuernder Arbeitslohn 224 000,00 DM
einbehaltene Lohnsteuer 70 120,00 DM
einbehaltener Solidaritätszuschlag 3 857,00 DM.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt zunächst die Ansicht, das Arbeitsgericht habe den Rechtsstreit zu Recht an das Finanzgericht verwiesen. Die Pflicht des Arbeitgebers, Eintragungen in Lohnsteuerkarten vorzunehmen und Lohnsteuerbescheinigungen auszustellen, beruhe nicht auf einer zivil-rechtlichen Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der Arbeitgeber sei hierzu viel mehr aufgrund zwingender öffentlich-rechtlicher Vorschriften verpflichtet (§ 41 b EStG).
Außerdem meint die Beklagte, die Klage sei unzulässig, weil der Klägerin das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Klägerin habe nämlich eine wesentlich einfachere Möglichkeit, das von ihr erstrebte Ziel zu erreichen. Letztendlich gehe es nämlich der Klägerin darum, dass das Finanzamt bei der Besteuerung eine Lohnsteuer in Höhe von 70 120,00 DM und einen Solidaritätszuschlag in Höhe von 3 857,00 DM als vom Arbeitgeber einbehalten und abgeführt anrechne. Für eine solche Anrechnung sei aber die von der Klägerin erstrebte Korrektur der Lohnsteuerbescheinigung nicht erforderlich. Es genüge, dass die Klägerin bei ihrer Einkommensteuerveranlagung die betreffenden Lohnsteuerbeträge gegenüber dem Finanzamt ? als einbehalten - geltend mache.
Gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG wird auf die Steuerschuld die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer angerechnet. Mit der Auszahlung vom Arbeitslohn aufgrund einer Nettolohnvereinbarung gelte die Lohnsteuer in der gesetzlich geschuldeten Höhe automatisch als einbehalten. Durch Steuerabzug erhoben ist nicht nur die tatsächlich angemeldete und an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer, sondern die gesamte gesetzlich geschuldete Lohnsteuer (vgl. hierzu Heinicke, in Ludwig Schmidt, Kommentar zur Einkommensteuer, § 36 Rdnr. 5 sowie Drenseck in Ludwig Schmidt, Kommentar zur Einkommensteuer, § 39 b Rdnr. 11 am Ende). Eine Versagung der Anrechnung liefe auf eine indirekte Inanspruchnahme des Arbeitnehmers hinaus, die dem Zweck des § 42 d Abs. 3 Satz 4 EStG widerspreche (vgl. Brönner in Kirchhoff/Söhn/Mellinghoff, § 36 EStG Rdnr. B 81).

Die Abgeltungswirkung bestehe ? als Umkehrschluss aus § 42 d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG nur ausnahmsweise dann nicht, wenn der Arbeitnehmer seinerseits vom Finanzamt in Anspruch genommen werden könnte, also immer dann, wenn der Arbeitnehmer weiß, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß angemeldet und abgeführt hat. Der Haftungstatbestand des § 42 d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG sei dagegen bei einer Nettolohnvereinbarung nicht denkbar, weil die Lohnsteuer in diesem Fall stets als vorschriftsmäßig einbehalten gilt.

Selbst wenn man also davon ausginge, dass die Beklagte zu wenig Lohnsteuer einbehalten und abgeführt habe, müsste die gesamte gesetzlich geschuldete Lohnsteuer bei der Einkommensteuerveranlagung der Klägerin angerechnet werden. Aus diesem Grund müsste der hier geführte Streit über die richtige Höhe der von der Beklagten einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer zwischen der Klägerin und ihrem Finanzamt ausgetragen werden. Die Beklagte verweist insofern auch auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs ?BFH- vom 29. Juni 1993, (Aktenzeichen VI B 108/92, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs BFHE- 171, 409).

Im Übrigen hält die Beklagte die Klage für unbegründet.

Insofern ist sie zunächst der Auffassung, die Klage sei deshalb abzuweisen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf eine falsche Bescheinigung habe. Unstreitig sei die Lohnsteuer in der von der Beklagten angegebenen Höhe einbehalten und abgeführt worden. Die Beklagte dürfe aber nur solche Vorgänge bescheinigen, die auch tatsächlich stattgefunden haben. Sie können schon deshalb nicht zur Korrektur der Lohnsteuerbescheinigung verpflichtet werden, weil sie dann eine falsche Bescheinigung ausstellen müsste.

Schließlich ist die Beklagte aber auch der Auffassung, dass sie die Lohnsteuer in richtiger Weise berechnet habe.

Die Beklagte hatte die Lohnsteuer gemäß § 39 b Abs. 3 EStG zu berechnen. Bei der Berechnung der Lohnsteuer auf einen sonstigen Bezug komme es maßgeblich auf den voraus-sichtlichen Jahresarbeitslohn an. Dieser habe im vorliegenden Fall jedoch 0,00 DM betragen.

Wie jede andere Steuer auch entstehe die Lohnsteuer mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands. Die Lohnsteuer entstehe deshalb in dem Zeitpunkt, in dem der steuerpflichtige Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließe. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Beklagte die Höhe der Lohnsteuer feststellen müssen. Es sei demnach der voraussichtliche Arbeitslohn zu berechnen gewesen, wie er an diesem Stichtag vorherzusehen war.
Die Auffassung der Klägerin würde dagegen dazu führen, dass der tatsächlich bezogene Jahresarbeitslohn im Rahmen einer so genannten ex pos Betrachtung festzustellen wäre. Dies entspricht jedoch nicht den Grundsätzen des Lohnsteuerrechts. Nach dem Lohnsteuer-recht sei vielmehr die Höhe der Lohnsteuer festzustellen, wie sie sich in dem Augenblick der Auszahlung des Lohnes ergebe.

Zum Zeitpunkt der Auszahlung sei aus Sicht der Beklagten der voraussichtliche Jahresarbeitslohn null gewesen. Die von der Klägerin vorgelegte Lohnsteuerkarte habe keine Eintragung enthalten. Das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten sei zu diesem Zeitpunkt bereits seit 1 1/2 Jahren beendet gewesen.
Für die Berechnung des voraussichtlichen Jahresarbeitslohns habe der Arbeitgeber allein solche Umstände zu berücksichtigen, die sich aus dem aktuellen Arbeitsverhältnis ergeben oder zumindest aus Unterlagen, die dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer zur Verfügung gestellt werden (z. B. Eintragungen in der Lohnsteuerkarte aufgrund eines früheren Arbeitsverhältnisses). Den Arbeitgeber treffe keine Verpflichtung, Nachforschungen anzustellen, ob der Arbeitnehmer möglicherweise noch andere Arbeitsverhältnisse habe. Ebenso wenig könne man von einem Arbeitgeber verlangen, bei Auszahlung der Abfindung Spekulationen darüber anzustellen,
- ob der Arbeitnehmer in demselben Kalenderjahr wieder eine neue Anstellung finden werde
- wie lange er in der Zwischenzeit arbeitslos sein werde
- und wie hoch der betreffende Arbeitslohn möglicherweise sein werde.

Dementsprechend komme die steuerrechtliche Fachliteratur zu dem Ergebnis, dass unter dem voraussichtlichen Jahresarbeitslohn nur solche Bezüge zu verstehen seien, von denen der betreffende Arbeitgeber selbst Lohnsteuer einzubehalten habe und dass deswegen Bezüge aus einem weiteren Dienstverhältnis außer Ansatz bleiben müssten (vgl. Trzaskalik in Kirchhoff/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum EStG, § 39 b Rdnr. d 2).

Zwar sei es richtig, dass nach Abschnitt 119 Abs. 4 Satz 6 LStR der voraussichtliche Jahresarbeitslohn nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu schätzen sei, sofern anzunehmen sei, dass dem Arbeitnehmer künftig Arbeitslohn zufließen werde. Diese Auffassung sei aber nach Ansicht der Klägerin abzulehnen.
Selbst wenn man aber den Einkommensteuerrichtlinien ?EStR darin folge, dass der voraus-sichtliche Jahresarbeitslohn zu schätzen sei, so hätte die Klägerin im vorliegenden Fall diesen Jahresarbeitslohn zu Recht mit 0,00 DM schätzen dürfen. Dies ergibt sich insbesondere aus folgenden Gesichtspunkten:

- Die Klägerin sei bereits seit 1 1/2 Jahren arbeitslos gewesen.
- Wegen ihrer Ausbildung und Fähigkeiten sei die Klägerin nicht davon abhängig gewesen, eine neue unselbständige Beschäftigung zu finden. Die Beklagte hätte daher eher annehmen dürfen, dass die Klägerin ihre selbständige Tätigkeit ausweitet.
- Die Klägerin sei auch auf weitere Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit im Jahre 2000 nicht angewiesen gewesen.

Entscheidungsgründe

Der Finanzrechtsweg ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles gegeben, weil das Arbeitsgericht den Rechtsstreit an das Finanzgericht verwiesen hat. Zwar sind nach Auffassung des erkennenden Senats die Voraussetzungen des § 33 FGO nicht gegeben, weil es sich nicht um einen Rechtsstreit über öffentlich-rechtliche Abgabenangelegenheiten handelt, sondern der Rechtsstreit in Wahrheit über den Umfang der Ansprüche geführt wird, den die Klägerin aus der von ihr mit der Beklagten getroffenen Abfindungsvereinbarung hat (vgl. insofern auch den Beschluss des BFH vom 29. Juni 1993 Aktenzeichen VI B 108/92, Bundessteuerblatt BStBl II 1993, 760). Gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz GVG ist das Finanzgericht an den Beschluss des Arbeitsgerichts jedoch gebunden (vgl. hierzu BFH, Beschluss vom 26.02.2004, AZ.: VII B 341/03).

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die vorliegende Klage auch nicht etwa deshalb unzulässig, weil es der Klägerin an dem hierfür erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde. Zwar ist es richtig, dass dieses Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde, wenn die Klägerin die Möglichkeit hätte, auf andere Art ihr Begehren leichter und einfacher durchzusetzen. Wie der Bundesfinanzhof in dem von der Beklagten erwähnten Beschluss vom 29. Juni 1993 (BStBl II 1993, 760) unter c) ausgeführt hat, hat der Steuerpflichtige in Fällen wie dem vorliegenden die Möglichkeit, die Frage der einzubehaltenden und anzurechnenden Steuer durch einen Rechtsstreit gegenüber seinem Finanzamt entscheiden und klären zu lassen. Denn wie die Beklagte mit Recht ausführt, gilt bei einer Nettolohnvereinbarung, wie sie die Beteiligten hier geschlossen haben, die gesetzlich einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer fiktiv ? als tatsächlich einbehalten. Grundsätzlich ist deshalb das Finanzamt verpflichtet, in solchen Fällen die nach den gesetzlichen Vorschriften von dem Arbeitgeber einzubehaltende Lohnsteuer bei der Veranlagung des Arbeitnehmers so anzurechnen, als ob sie tatsächlich einbehalten und abgeführt worden wäre.

Dennoch hält der erkennende Senat im vorliegenden Fall ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für gegeben. Denn insofern muss nach Ansicht des Gerichts berücksichtigt werden, dass das Wohnsitzfinanzamt der Klägerin bisher eine Aussetzung der Vollziehung der streitigen Steuern abgelehnt hat, und dass zwischen der Klägerin und ihrem Wohnsitzfinanzamt bisher auch noch nicht geklärt ist, ob insofern durch das Finanzamt ein Abrechnungsbescheid zu ergehen hat und ob die betreffende Streitigkeit durch eine Anfechtung dieses Abrechnungsbescheides zu klären ist. Würde man die Klägerin deshalb auf einen Streit mit ihrem Finanzamt verweisen, so hätte dies letztlich zur Folge, dass die Klägerin zumindest eine erhebliche zeitliche Verzögerung in Kauf nehmen müsste und auf eine gerichtliche Entscheidung noch einige Zeit warten müsste. Aus diesem Grund hält das Gericht es für geboten, über die vorliegende Klage in der Sache zu entscheiden.

Die zulässige Klage ist entgegen der Ansicht der Klägerin jedoch nicht begründet.

Dies ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten jedoch nicht bereits daraus, dass eine Stattgabe der Klage bedeuten würde, dass man die Beklagte zur Ausstellung einer unrichtigen Lohnsteuerbescheinigung verpflichtet. Denn wie sich aus dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2004 gestellten Klageantrag ergibt, soll die Beklagte lediglich verpflichtet werden, den Betrag von 70 120,00 DM als einbehalten zu bescheinigen. Dagegen soll die Beklagte nicht verpflichtet werden, zu bescheinigen, dass sie diesen Betrag auch tatsächlich abgeführt habe. Wie zwischen den Beteiligten letztlich unstreitig ist, ergibt sich die Höhe der von dem Arbeitgeber bei einer Nettolohnvereinbarung einbehaltenen Lohnsteuer aber nicht aus seinem tatsächlichen Verhalten, sondern lediglich aus der Höhe der Lohnsteuer, die er rechtlich hätte einbehalten und abführen müssen. Diejenige Lohnsteuer, zu deren Einbehaltung und Abführung der Arbeitgeber rechtlich verpflichtet ist, gilt jedenfalls als einbehalten (vgl. Drenseck in Ludwig Schmidt, Kommentar zum EStG, § 39 b Rdnr. 10 ff.). Auch wenn der Arbeitgeber die betreffenden Lohnabzüge nicht abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer für die nicht abgeführten Lohnsteuern nicht in Anspruch genommen werden, sondern es ist die einzubehaltende Lohnsteuer im Abrechnungsverfahren zu seinen Gunsten als abgeführt anzusetzen (vgl. BFH, BStBl II 1986, 186 sowie Drenseck in Ludwig Schmidt, Kommentar zum EStG, § 39 b Rdnr. 11 am Ende).

Die Klage ist jedoch deshalb unbegründet, weil die Beklagte bei Berechnung der einzubehaltenden Lohnsteuer nicht verpflichtet gewesen ist, die von der Klägerin aufgrund ihres am 1. April 2000 aufgenommenen Arbeitsverhältnisses erzielten Einkünfte zu berücksichtigen.

Bei der Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten handelt es sich unstreitig um eine Nettolohnvereinbarung. Dies bedeutet, dass der vereinbarte Nettolohn um die Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag zu erhöhen ist und die sich daraus ergebende Summe den steuerpflichtigen Bruttolohn darstellt. Bei einem laufenden Arbeitslohn ist die Lohnsteuer bei einer solchen Nettolohnvereinbarung in der Weise zu berechnen, dass die sich aus der betreffenden Lohnsteuertabelle ergebende Lohnsteuer zu ermitteln ist. Dies bedeutet im Ergebnis, dass von dem Arbeitgeber zu unterstellen ist, der betreffende Arbeitslohn sei in gleicher Höhe während des gesamten Kalenderjahres erzielt worden.

Ergibt sich bei einer späteren Jahresveranlagung eine niedrigere oder eine höhere Steuer, so geschieht dies auf Rechnung des Arbeitnehmers. Erzielt der Arbeitsnehmer beispielsweise aus anderen Einkunftsarten positive oder negative Einkünfte, ist dies im Rahmen des Lohnsteuerabzugs unberücksichtigt zu lassen. Unberücksichtigt bleibt in diesen Fällen auch, ob der Arbeitnehmer aus anderen Arbeitsverhältnissen bei anderen Arbeitgebern weitere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erhält. Der Arbeitgeber, der die Nettolohnvereinbarung geschlossen hat, hat insofern lediglich den von ihm ausgezahlten Arbeitslohn, zu berücksichtigen.

Betrifft die Nettolohnvereinbarung einen sonstigen Bezug, kann diese Rechenmethode nicht in gleicher Weise zugrunde gelegt werden. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der sonstige Bezug in gleicher Höhe in jedem Lohnzahlungszeitraum geleistet wird. Aus diesem Grund bestimmt § 39 b Abs. 3 Satz 1 EStG, dass für die Einbehaltung der Lohnsteuer von einem sonstigen Bezug der Arbeitgeber den voraussichtlichen Jahresarbeitslohn festzustellen hat. Dies entspricht der Regelung in § 38 a Abs. 3 Satz 2 EStG, wonach von sonstigen Bezügen die Lohnsteuer mit dem Betrag erhoben wird, der zusammen mit der Lohnsteuer für den laufenden Arbeitslohn des Kalenderjahres und für etwa im Kalenderjahr bereits gezahlte sonstige Bezüge die voraussichtliche Jahreslohnsteuer ergibt.

Da die Beteiligten in der Abfindungsvereinbarung keine Regelung getroffen haben, welche laufenden Einkünfte die Beklagte bei Berechnung der Lohnsteuer zugrunde legen sollte, ist diese Vereinbarung nach Auffassung des erkennenden Senats dahingehend auszulegen, dass die Beklagte die Lohnsteuer in der Weise berechnen sollte, wie sich dies aus § 39 b Abs. 3 EStG und aus Abschnitt 119 Abs. 4 der LStR ergibt.

Insofern weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass nach Abschnitt 119 Abs. 4 Satz 6 EStR der Arbeitgeber verpflichtet ist, in solchen Fällen den zukünftigen Arbeitslohn zu schätzen. Nach Ansicht des Gerichts muss insofern aber eine Risikoabgrenzung erfolgen. Im Rahmen dieser Schätzung muss der Arbeitgeber jedenfalls den Arbeitslohn berücksichtigen, den der Arbeitnehmer von ihm bezieht und diesen ggf. in einen Jahresarbeitslohn hochrechnen. Demgegenüber ist der Arbeitgeber ? sicherlich unstreitig ? nicht verpflichtet, zu schätzen, welche weiteren Einkünfte außerhalb der Einkunftsart nichtselbständiger Arbeit der Arbeitnehmer in dem betreffenden Jahr voraussichtlich erzielen wird und erzielt hat. Nach Ansicht des Gerichts ist der Arbeitgeber aber grundsätzlich auch nicht verpflichtet, im Schätzungswege zu ermitteln und festzustellen, welche Arbeitseinkünfte der Arbeitnehmer von einem anderen Arbeitgeber erhalten wird (so insbesondere auch Trzaskalik, in Kirch-hoff/Söhn/Mellinghoff, § 39 b EStG Anm. D 2). Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die der Arbeitnehmer bei einem anderen Arbeitgeber erzielt, fallen in gleicher Weise in die Risikosphäre des Arbeitnehmers wie Einkünfte aus anderen Einkunftsarten. Unter dem voraus-sichtlichen Arbeitslohn im Sinne der oben genannten Bestimmungen fallen danach nur Bezüge, von denen der Arbeitgeber selbst die Lohnsteuer einzubehalten hat. Dagegen bleiben Bezüge aus einem Dienstverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber grundsätzlich außer Ansatz. Derartige Bezüge könnten zur Bestimmung des einzubehaltenden Arbeitslohns im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung nur dann berücksichtigt werden, wenn dies von den Beteiligten ausdrücklich vereinbart ist.

Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte im vorliegenden Fall die von ihr einzubehaltende Lohnsteuer richtig berechnet und bescheinigt. Denn entgegen der Ansicht der Klägerin musste sie bei dieser Berechnung nicht berücksichtigen, dass die Klägerin vom 1. April des Jahres an ein Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber haben würde. Dabei kommt es nach Ansicht des erkennenden Senats nicht darauf an, ob die Beklagte bei Berechnung der Lohnsteuer davon ausgehen musste, dass die Klägerin in dem betreffenden Jahr ein neues Arbeitsverhältnis aufnehmen würde. Ausschlaggebend ist insofern lediglich, dass es sich dabei nicht um Arbeitsverhältnis bei derselben Arbeitgeberin handelte. Zu einer Berücksichtigung der Arbeitseinkünfte bei dem neuen Arbeitgeber wäre die Beklagte nur verpflichtet gewesen, wenn dies mit der Klägerin konkret vereinbart worden wäre.

Aus dem gleichen Grund war die Beklagte bei Berechnung der einzubehaltenden Lohnsteuer auch nicht verpflichtet, die Lohnsteuerklasse VI zugrunde zu legen. Denn dies wäre allenfalls dann erforderlich gewesen, wenn die Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Auszahlung ein neues Arbeitsverhältnis aufgenommen hätte und wenn sie dies der Beklagten entsprechend mitgeteilt hätte.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision hat das Gericht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.

Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.

Bei der Einlegung und Begründung der Revision sowie in dem weiteren Verfahren vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugte Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

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