14.03.2013
Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 19.09.2012 – 3 K 362/10
Entsprechend dem zu § 1 Abs. 2a GrEStG ergangenen BFH-Urteil v. 18.4.2012 (II R 51/11, BFH/NV 2012, 1390) kann die teilweise Aufhebung eines die Übertragung von GmbH-Anteilen beinhaltenden und die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 GrEStG erfüllenden Vertrages als Rückgängigmachung i. S. d. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG angesehen werden, wenn durch die Rückübertragung der Geschäftsanteile die 95 % Beteiligungsschwelle nicht mehr erreicht wird. Nicht erforderlich ist, dass das Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile begründet hat, in vollem Umfang rückgängig gemacht wird.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 3. Senat des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
durch den Präsidenten des Finanzgerichts …, die Richterin am Finanzgericht … und … den Richter am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … und …
für Recht erkannt:
Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 30. November 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. September 2010 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Der Streitwert beträgt 20.820,00 EUR.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die Voraussetzungen für die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 2 Grunderwerbsteuergesetz – GrEStG – vorliegen.
Die Klägerin war mit einem Geschäftsanteil von 16.200,00 EUR (= 64,8 %) an der … (Stammkapital 25.000,00 EUR) beteiligt. Weitere Geschäftsanteile an der … GmbH … in Höhe von 10 v. H. hielten Frau F. (2.500,00 EUR) und die H. in Höhe von 25,2 v. H. (6.300,00 EUR). Mit notariellem Kauf- und Abtretungsvertrag des Notars … vom 18. Dezember 2008 erwarb die Klägerin von der H. den Geschäftsanteil in Höhe von 25,2 v. H. sowie von Frau F. einen Geschäftsanteil in Höhe von 5 v. H. und besaß somit insgesamt 95 v. H. der Anteile an der … GmbH. Die GmbH verfügt über Grundbesitz. Der Notar zeigte den Kauf- und Abtretungsvertrag über Geschäftsanteile vom 18. Dezember 2008 gemäß § 18 Absatz 1 GrEStG dem FA … mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2008 an.
Aufgrund des Kauf- und Abtretungsvertrages über den GmbH-Geschäftanteil vom 18. Dezember 2008 ging das FA … davon aus, dass mindestens 95 v. H. der Anteile an der … GmbH in einer Hand vereinigt seien und unterwarf mit Bescheid vom 30. November 2009 den Vorgang gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer war der Grundbesitzwert für das Grundstück der … GmbH nach § 138 BewG. Der Grundbesitzwert ist mit Bescheid vom 17. November 2009 festgestellt worden.
Gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 30. November 2009 legte die Klägerin mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass der Vertrag vom 18. Dezember 2008 mit Anfechtungsschreiben vom 23. November 2009 gemäß … §§ 119, 142 BGB angefochten und daher als nichtig anzusehen sei.
Während des Einspruchsverfahrens schloss die Klägerin mit Frau F. am 10. Februar 2010 einen Vertrag über die Aufhebung und Rückabtretung des Geschäftsanteils von 1.250,00 EUR an der … GmbH. Gleichzeitig teilte Frau F. ihren Geschäftsanteil von 1.250,00 EUR in einen solchen von 25,00 EUR und einen solchen von 1.225,00 EUR und verkaufte letzteren erneut an die Klägerin. Der Kaufpreisanspruch wurde mit dem Anspruch der Klägerin auf Rückerstattung des bereits gezahlten Kaufpreises aufgrund des Vertrages vom 18. Dezember 2008 verrechnet.
Mit Einspruchsentscheidung vom 15. September 2010 erklärte das FA … den Grunderwerbsteuerbescheid vom 30. November 2009 hinsichtlich der Frage, ob die Her-anziehung der Grundbesitzwerte im Sinne des § 138 BewG als Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß sei, gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AO für vorläufig und wies im Übrigen den Einspruch als unbegründet zurück.
Am 14. Oktober 2010 hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung trägt sie vor, mit dem Aufhebungsvertrag vom 10. Februar 2010 sei der ursprüngliche Vertrag über die Geschäftsanteilsübertragung vom 18. Dezember 2008 rückgängig gemacht worden. Gemäß BFH-Urteil vom 18.04.2012 (II R 51/11, BFH/NV 2012, 1390) sei eine Teilrückübertragung von Geschäftsanteilen mit dem Ergebnis der Unterschreitung der 95 v. H. Grenze für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 GrEStG ausreichend. Zwar sei das Urteil zu § 1 Abs. 2a GrEStG ergangen, müsse aber auch für Grunderwerbsteuertatbestände nach § 1 Abs. 3 GrEStG geltend.
Zudem sei der Geschäftsanteilserwerb von 5 v. H. der Anteile der Frau F. lt. notariellem Vertrag vom 18. Dezember 2008 von Anfang an unwirksam gewesen. Bei der Unterzeichnung der Urkunde sei die Klägerin davon ausgegangen, dass sie einen Teilgeschäftsanteil im Nennbetrag von 1.225,00 EUR erwerbe, nicht wie in der Urkunde ausgewiesen einen Teilgeschäftsanteil in Höhe von 1.250,00 EUR. Im Vorfeld des Vertrages habe die Klägerin gegenüber dem Veräußerer darauf hingewiesen, dass sie lediglich 94,9 v. H. an der … GmbH erwerben wolle und eine entsprechende Beurkundung in Auftrag gegeben.
Rechtsanwalt … habe vom Geschäftsführer der Klägerin Herrn … telefonisch den Auftrag bekommen, den Entwurf eines Geschäftsanteilsabtretungsvertrages zu erstellen, nach dem die Klägerin von der H. den dort gehaltenen Geschäftsanteil im Nennbetrag von 6.300,00 erwerbe. RA … habe sodann einen Entwurf gefertigt. In der Folgezeit sollte der Entwurf ergänzt werden um den zusätzlichen Erwerb von Anteilen des Geschäftsanteils der Gesellschafterin F. in einem Umfang von EUR 1.225,00 nämlich einer 4,9 % Beteiligung, um den Erwerb von der H. insgesamt noch unter 95 % der Geschäftsanteile zu halten. RA … habe dann die Übertragung eines Teilgeschäftsanteils von der Gesellschafterin F. an die Klägerin in den Entwurf eingearbeitet. Der Entwurf sei sodann an den Geschäftsführer … und von diesem an den Notar … übermittelt, der diesen zur Grundlage seiner Beurkundung gemacht habe. Bereits in diesem Entwurf sei die fehlerhafte Teilung in Geschäftsanteile von 1.250,00 EUR und 1.250,00 EUR statt in EUR 1.225,00 und EUR 1.275,00 EUR enthalten. RA … habe nach seiner Erinnerung eine Teilung in EUR 1.225,00 und EUR 1.275,00 auch diktiert. Ob das Diktat tatsächlich aber fehlerhaft gewesen sei, oder bei Übernahme des Diktates von den Bürokräften ein Fehler aufgetreten sei, sei nicht mehr aufklärbar. Der Geschäftsführer … sei ohne weitere Prüfung des Entwurfs davon ausgegangen, dass der Entwurf den Erwerb von einem Geschäftsanteil im Nennbetrag von EUR 1.225,00 enthalte. Herr … habe den Erwerb von weiteren Geschäftsanteilen an der … GmbH dann im Dezember 2008 mit seinem Mitgeschäftsführer … besprochen, der wegen seiner Einzelvertretungsbefugnis bei der Beurkundung handeln sollte. Herrn … sei ebenfalls mitgeteilt worden, dass sich die Beurkundung auf den Erwerb von Geschäftsanteilen im Nennwert von 6.300,00 EUR (H.) und im Nennwert von EUR 1.225,00 (F.) beziehen würde. Im Beurkundungstermin sei der Fehler den handelnden Personen nicht aufgefallen. Es sei bekannt, dass bei notariellen Beurkundungen das Vorlesen des Notars in der Regel nicht aufmerksam verfolgt werde. Herr … habe dann bei der Beurkundung entsprechend geirrt.
Die in der Urkunde enthaltenen Erklärungen der Klägerin mit Inhalt einer Einigung über den Erwerb von 5 v. H. der Geschäftsanteile an der Gesellschaft entsprächen somit nicht dem tatsächlichen Willen des bei der Beurkundung handelnden Vertreters der Klägerin. Es liege ein sog. Inhaltsirrtum vor. Die Klägerin habe ihre gesamte Beteiligung an der Gesellschaft lediglich auf grunderwerbsteuerlich unschädliche 94,9 % erhöhen wollen, indem sie von Frau F. eine Beteiligung v. 4,9 % an der … GmbH erwerben wollte. Das rechtsgeschäftlich Gewollte decke sich nicht mit dem rechtsgeschäftlich Erklärten. Der Klägerin seien die grunderwerbsteuerlichen Folgen eines Erwerbs einer 95-prozentigen Beteiligung bekannt gewesen.
Die gegenüber Frau F. erklärte Anfechtung habe gemäß § 142 BGB die Nichtigkeit der Übertragung des Geschäftsanteils im Nennbetrag von 1.250,00 EUR herbeigeführt. Die Anfechtung habe sowohl das schuldrechtliche Grundgeschäft als auch das dingliche Übertragungsgeschäft vernichtet.
Die Klägerin beantragt,
den Grunderwerbsteuerbescheid vom 30. November 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. September 2010 aufzuheben und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, die teilweise Aufhebung des Anteilsübertragungsvertrages vom 18. Dezember 2008 erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges nach § 16 Abs.2 GrEStG. Auch aus dem BFH-Urteil vom 18. April 2012 (II R 51/11, BFH/NV 2012, 1390) ergebe sich keine andere rechtliche Wertung. Zwar habe der BFH entschieden, dass auch eine teilweise Rückgängigmachung eines Gesellschafterwechsels eine für § 16 Abs. 2 GrEStG ausreichende vollständige Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 2a GrEStG sein könne, wenn hierdurch der in § 1 Abs. 2a GrEStG vorausgesetzte Übergang von mindestens 95 v. H. der Gesellschaftsanteile auf neue Gesellschafter innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nicht mehr erreicht werde. Aus diesem Urteil ergebe sich aber nicht, ob das entsprechend bei einem Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 GrEStG auch gelte. So forderten Stimmen in der Literatur, dass der die Anteilsvereinigung begründende Übertragungsakt vollständig beseitigt werden müsse und die Rückübertragung nur eines Teils der Anteile sich als neuer Übertragungsakt darstelle, der nicht als Rückerwerb i. S. d. § 16 Abs. 2 GrEStG anzusehen sei (Pahlke, § 16 GrEStG zu Rn. 75; Loose in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl. § 16 Rz. 275). Für diese Differenzierung liege auch ein sachlicher Grund vor.
Die Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG knüpfe daran an, dass eine grundstückshaltende Personengesellschaft infolge der Veränderungen in ihrem Gesellschafterbestand in der Weise, dass ein Gesellschafter einen Anteil von mindestens 95 % aller Anteile halte, dazu führe, dass die in ihrem Kern so gewandelte Personengesellschaft als neue Gesellschaft fingiert werde, die an die Stelle der alten Gesellschaft trete. Grunderwerbsteuerlich gleiche dies der Situation, dass ein Grundstück von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand übergehe. Folgerichtig sei Steuerschuldner gemäß § 13 Abs. 6 GrEStG auch die grundstückshaltende Gesellschaft und unterliege der Übergang des Grundstücks auf die „neue” Gesellschaft gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 6 Abs. 1 GrEStG nur insoweit der Steuer, als durch den die Steuer auslösenden Vorgang der Anteil eines Gesellschafters auf mindestens 95 % anwachse, denn soweit sich im Gesellschafterbestand keine Veränderungen ergeben, entsprechen die Anteile der Gesellschafter vor der steuerauslösenden Situation und danach einander und es werde nach dieser Vorschrift keine Steuer erhoben. Bei der Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG sei dies – jedenfalls sofern es sich um eine Kapitalgesellschaft handele – nicht so. Steuerschuldner sei hier nach § 13 Nr. 5 Buchstabe a) GrEStG der Gesellschafter, der in seiner Hand mindestens 95% der Anteile vereinige, nicht aber die Gesellschaft, die das Grundstück halte. Der Erwerber werde so behandelt, als habe er erstmalig ein Grundstück erworben, wobei nicht etwa berücksichtigt werde, in welcher Weise er vor dem die Grunderwerbsteuer auslösenden Vorgang an der grundstückshaltenden Gesellschaft beteiligt gewesen sein möge. Eine Vorschrift wie in § 6 GrEStG gebe es für diese Vorgänge nicht.
Des Weiteren liege auch kein Erklärungsirrtum vor, der zur Anfechtung des Anteilsübertragungsvertrages vom 18. Dezember 2008 berechtigt hätte. Die Anfechtung sei unwirksam, da kein Anfechtungsgrund nach § 119 Abs. 1 BGB vorliege. Die Klägerin sei einem unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum unterlegen.
Der vorgetragene Irrtum sei zum Teil mit einem Kalkulationsirrtum vergleichbar. Ein Kalkulationsirrtum berechtige aber nur dann zur Anfechtung, wenn die Kalkulationsgrundlage zum Gegenstand des Vertrages bzw. der Erklärung gemacht worden sei. Dies sei aber nicht der Fall. Im Vertrag vom 18. Dezember 2008 komme nicht zum Ausdruck, dass die vereinbarten Abtretungen bestimmter Geschäftsanteile auch den Zweck verfolgten, eine Anteilsvereinigung von 95 % zu vermeiden. Ein derartiger Irrtum betreffe daher nicht den Inhalt der Erklärung, sondern außerhalb der Erklärung liegende Tatsachen.
Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2010 hat das FA S. dem Gericht angezeigt, dass durch die fünfte Verordnung zur Änderung der Landesverordnung über die Zuständigkeiten der Finanzämter vom 24. Februar 2010 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern 2010, S. 130) die Bearbeitung aller Grunderwerbsteuerfälle dem Finanzamt … übertragen worden und damit ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel eingetreten sei.
Dem Gericht lag zur Entscheidung ein Band Grunderwerbsteuerakten vor.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Zwar hat im Streitfall keine wirksame Anfechtung des Anteilsübertragungsvertrages stattgefunden (vgl. dazu Punkt 1), aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 10. Februar 2010 ist die Klage jedoch unter Berücksichtigung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 18. April 2012 (II R 51/11, BFH/NV 2012, 1390) begründet (vgl. Punkt 2).
1.
Soweit die Klägerin davon ausgegangen ist, dass die Anteilsübertragung aufgrund eines Erklärungsirrtums nichtig ist, folgt der Senat dem nicht. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG aufgrund einer wirksamen Anfechtung des Kauf- und Abtretungsvertrages vom 18. Dezember 2008 liegen nicht vor.
Nach § 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG liegt ein begünstigter Rückerwerb vor, wenn das dem Erwerbsvorgang zugrundeliegende Rechtsgeschäft nichtig oder infolge einer Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Tatbestandsmäßige Voraussetzung des § 16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG ist danach in jedem Fall, dass das betreffende zivilrechtliche Rechtsgeschäft – objektiv – nichtig ist. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien das Rechtsgeschäft für nichtig halten und deshalb eine Rückabwicklung erfolgt (BFH-Urteil v. 27.1.1999 II R 78/96, BFH/NV 1999, 964).
Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen die Voraussetzungen für eine Anfechtung der Willenserklärung zum Abschluss des Kauf- und Abtretungsvertrages vom 18. Dezember 2008 wegen eines Erklärungsirrtums nicht vor.
Gemäß § 119 Abs. 1 BGB kann derjenige, der bei der Abgabe seiner Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum) die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte. Irrtum ist das unbewusste Auseinanderfallen von Wille und Erklärung (BGH-Urteil vom 15.01.2002 – XI ZR 98/01, NJW 2002, 956). Ein Erklärungsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Satz 2. Fall BGB liegt vor, wenn der Erklärende bei der Abgabe der Willenserklärung eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Der Erklärende will das benutzte Erklärungsmittel zwar verwenden, hat jedoch von dessen rechtlicher Bedeutung und Tragweite falsche Vorstellungen und befindet sich somit im Irrtum über den objektiven Sinn seiner Erklärung.
§ 119 Satz 1 BGB ist nicht anwendbar, wenn der Irrtum sich auf Folgen bezieht, die sich nicht aus dem Inhalt des Geschäfts ergeben. sondern kraft Gesetzes eintreten. d.h. der Eintritt zusätzlicher zu den gewollten Folgen hinzutretender Rechtswirkungen, stellt keinen Rechtsirrtum dar, sondern wird als unbeachtlicher Motivirrtum bewertet.
§ 119 Absatz 1 Alternative 1 und Alternative 2 BGB ist gemeinsam, dass sie einen Irrtum, also eine unbewusst unrichtige Vorstellung von der tatsächlichen Bedeutung der Erklärung voraussetzen. Ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum liegt demgegenüber nicht vor, wenn dem Erklärenden der abweichende objektive Erklärungsinhalt bewusst ist oder er zumindest die Möglichkeit eines abweichenden Erklärungsinhalts sehenden Auges in Kauf nimmt. Praktisch besonders wichtige Einschränkungen der Anfechtung ergeben sich beim Unterschreiben einer nicht gelesenen Urkunde. Nimmt der Unterzeichner einer Urkunde von ihrem Inhalt keine Kenntnis und hat er auch keinerlei Vorstellung von ihrem Inhalt, so scheidet eine Anfechtung mangels Irrtums von vornherein aus (Hefermehl in Soergel, BGB, § 119 Rz. 12).
So liegen die Dinge im Streitfall. Die Klägerin bzw. ihr Geschäftsführer … haben RA … telefonisch den Auftrag erteilt, einen Vertragsentwurf für die Übertragung der GmbH-Anteile an der … GmbH zu entwerfen. Hierbei mag RA … bzw. seinem Büroangestellten ein Fehler unterlaufen sein. Diesen Fehler muss der Geschäftsführer der Klägerin – … – aber gegen sich gelten lassen, wenn er den Vertragstext zuvor nicht gelesen hat oder der Verlesung des Vertragstextes beim Notar nicht gefolgt ist. In diesem Fall nimmt er die Möglichkeit eines abweichenden Erklärungsinhalts sehenden Auges in Kauf.
Zudem wurde die Anfechtung des Anteilsübertragungsvertrages erst mit Schreiben vom 23. November 2009 und damit zu einem Zeitpunkt erklärt, als die grunderwerbsteuerlichen Folgen des Rechtsgeschäfts der Klägerin bekannt gewesen sein dürften (vgl. Mitteilung über Grundbesitzwert vom 17. November 2009). Das Anfechtungsschreiben vom 23. November 2009 verweist auch nicht darauf, dass sich die Parteien des Geschäftsanteilsübertragungsvertrages im Vorfeld darüber einig geworden sind, dass lediglich 4,9 v. H. der Anteile übertragen werden. Dies spricht dafür, dass der Geschäftsführer der Klägerin keinem Erklärungsirrtum unterlegen ist, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt. Die Gründe für die Anfechtung liegen in den grunderwerbsteuerlichen Folgen der Vereinbarungen vom 18. Dezember 2008. Ein solcher Irrtum ist aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Motivirrtum unbeachtlich und löst nicht die Rechtsfolgen der §§ 119, 142 BGB aus (s. z. B. BFH-Urteil v. 30.4.1985, VIII R 203/80, BFH/NV 1986, 22; BFH-Urteil v. 20.9.1989, X R 140/87, BStBl II 1990, 368).
2.
Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG, in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung, unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 v. H. der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers oder in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen oder in der Hand von abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen allein vereinigt werden und zum Vermögen der Gesellschaft ein inländisches Grundstück gehört. Diese Voraussetzungen erfüllt der Vertrag vom 18. Dezember 2008. Mit der Übertragung der Geschäftsanteile der … GmbH auf die Klägerin ist es unstreitig zu einem Übergang der Gesellschaftsanteile von mehr als 95 % gekommen. Dies stellt einen der Grunderwerbsteuer unterliegenden Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG dar. Durch § 1 Abs. 3 GrEStG werden nicht gesellschaftsrechtliche Vorgänge, sondern fingierte Grundstückserwerbe der Steuer unterworfen (vgl. BFH-Urteil v. 4.2.2008, II B 38/07, BFH/NV 2008, 927). § 1 Abs. 3 GrEStG behandelt den Inhaber von mindestens 95 % der Anteile so als gehörten ihm zufolge der Vereinigung dieser Anteile in seiner Hand die Grundstücke, die dieser Gesellschaft gehören, ihr also grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen sind.
Die Steuerfestsetzung für den Erwerbsvorgang der Geschäftsanteile in Höhe von 5 v. H. an der … GmbH ist jedoch gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG aufzuheben. Wird ein Erwerbsvorgang – wie im Streitfall- noch vor der Entscheidung über einen gegen die ursprüngliche Grunderwerbsteuerfestsetzung eingelegten Einspruch rückgängig gemacht, ist das Finanzamt verpflichtet, einen sich aus § 16 GrEStG ergebenden Aufhebungsanspruch spätestens in der Einspruchsentscheidung zu berücksichtigen (BFH-Urteil v. 16.02.2005, II R 53/03, BFH/NV 2005, 979).
Gemäß § 16 Abs. 2 GrEStG wird unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück erwirbt. Diese Vorschrift betrifft über ihren Wortlaut hinaus auch Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 3 GrEStG. Dies folgt aus § 16 Abs. 5 GrEStG, wonach § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG nicht gelten, wenn u. a. ein nach § 1 Abs. 3 GrEStG grunderwerbsteuerbarer Erwerbsvorgang rückgängig gemacht wird, der nicht ordnungsgemäß angezeigt worden war. Diese Regelung setzt die grundsätzliche Anwendbarkeit der Begünstigungsvorschrift des § 16 GrEStG auch auf den Steuertatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG voraus (vgl. BFH-Beschluss vom 2. März 2011, II R 64/08, BFH/NV 2011, 1009, unter B.IV.2.a cc, m. w. N.).
Im Streitfall erfüllt der Aufhebungs- und Übertragungsvertrag vom 10. Februar 2010 die an einen Rückerwerb i. S. des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG zu stellenden Anforderungen.
Die Beteiligung der Klägerin an der … GmbH hatte sich aufgrund dieses Vertrages insgesamt um 0,1 % auf 94,9 % vermindert. Darin liegt ein nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG begünstigter Rückerwerb, weil innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer aus § 1 Abs. 3 GrEStG die Beteiligung der Klägerin an der … GmbH auf die gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG nicht tatbestandsmäßige Größe von 94,9 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen beschränkt wurde.
Der Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG steht nicht entgegen, dass gemäß Vertrag vom 10. Februar 2010 die von Frau F. übertragenen Geschäftsanteile an der … GmbH nur teilweise zurück übertragen wurden.
Unter Berücksichtigung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 18. April 2012 (II R 51/11) hält es der Senat für ausreichend, wenn der Anteilsübergang nur teilweise rückgängig gemacht wird. Mit dem vorgenannten Urteil hat der BFH entschieden, dass § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG im Hinblick auf Erwerbsvorgänge i. S. des § 1 Abs. 2a GrEStG nicht den Rückerwerb sämtlicher Anteile voraussetzt, deren Übergang zur Verwirklichung des Steuertatbestands des § 1 Abs. 2a GrEStG beigetragen hat. Es reiche vielmehr aus, einen Gesellschafterwechsel, der zur Tatbestandsverwirklichung des § 1 Abs. 2a GrEStG beigetragen hat, insoweit rückgängig zu machen, als dadurch im Ergebnis ein Übergang von weniger als 95 % erfolge.
Die Grundsätze der BFH-Entscheidung sind nach Auffassung des Senats auch auf Anteilsübertragungen nach § 1 Abs. 3 GrEStG anzuwenden. Da nach § 1 Abs. 3 fingierte Grundstückerwerbe unter bestimmten Voraussetzungen besteuert werden, nicht jedoch gesellschaftsrechtliche Vorgänge, ist es auch bei Erwerbsvorgängen nach § 1 Abs. 3 GrEStG als ausreichend anzusehen sein, wenn innerhalb der Zweijahresfrist des § 16 Abs. 2 GrEStG eine Rückübertragung von Gesellschaftsanteilen erfolgt, so dass die 95 % Schwelle in der Gesamtbetrachtung nicht mehr erreicht ist (vgl. Adolf, Anmerkung zu BFH-Urteil v. 18.4.2012, II R 51/11, GmbHR 2012, 922, 916; Meßbacher-Hönsch, Anmerkung zu BFH-Urteil v. 18.4.2012, II R 51/11, veröffentlich in Juris). Nicht erforderlich ist es hingegen, dass das Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile begründet hat, in vollem Umfang rückgängig gemacht wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Den Streitwert hat das Gericht nach den § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) bestimmt.