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24.11.2010 · IWW-Abrufnummer 103815

Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 18.03.2010 – 12 U 218/09

Der Anwalt muss den Mandanten auf die versicherungsvertraglichen Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Invaliditätsleistungen aus einer Unfallversicherung hinweisen. Dabei muss er dem Mandanten verdeutlichen, dass innerhalb der Frist auch eine ärztliche Feststellung eines unfallbedingten Dauerschadens erfolgen muss.



12 U 218/09

Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgericht Mannheim vom 02. Oktober 2009 - 1 O 164/08 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 1. und 3. wie folgt neu gefasst werden:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.764,36 € sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 552,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.01.2008 zu zahlen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 60 %, die Klägerin trägt 40 %.

II. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die beklagte Rechtsanwaltssozietät Ansprüche wegen fehlerhafter Beratung geltend.

Die Klägerin unterhält bei der WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherung AG (im Folgenden WGV) eine Unfallversicherung, in der ihr Ehemann mit einer Invaliditätssumme von 51.200,00 € versichert ist. Es ist die Geltung der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2001) sowie die Geltung einer progessiven Invaliditätsstaffel (Progression 500 %) vereinbart.

Der Ehemann der Klägerin erlitt am 18.03.2006 bei einem Fußballspiel mit der Altherrenmannschaft der ... K... gegen den FSV O... in der zweiten Halbzeit einen Kreuzbandriss. In der Schadenmeldung vom 02.07.2006 teilte der Ehemann der Klägerin an die WGV mit:

Beim Fußballspiel zwischen den AH-Mannschaften von ... K... und der FSV O... ereignete sich die Verletzung in der 2. Halbzeit. Beim Versuch der Ballannahme in ca. 1 m Höhe habe ich einen starken Schmerz im Knie verspürt. Dabei kam es zu keinem Körperkontakt mit einem Gegenspieler.

Nachdem sich die WGV weigerte, Leistungen zu erbringen, beauftragte der Ehemann der Klägerin Rechtsanwalt xxx aus der beklagten Rechtsanwaltssozietät in dieser Angelegenheit. Dafür verfasste er eine weitere Unfallschilderung, die auszugsweise lautet:

Der Abriss des vorderen Kreuzbandes im rechten Knie ereignete sich am 18.03.2006 in der 2. Halbzeit des Fußballspiels der AH-Mannschaften von ... K... gegen FSV O....

Ein Spieler der O... hat ca. in der 70. Minute des Spieles einen Flugball in Richtung K... Tor getreten. Dabei stand ich in etwa 25 m frontal zur Fluglinie des Balles, wobei ein Gegenspieler erst mit einigen Abstand von mir sich aufhielt. Der Ball war nicht mit großer Geschwindigkeit unterwegs. Beim Versuch den Ball mit den rechten Innenspann des Fußes 90 Grad zum linken Standbein in ca. 1 m Abstand zum Boden anzunehmen, verdrehte sich mein rechtes Knie nach außen (rechts). Bereits hierbei verspürte ich einen großen Schmerz im Knie, der sich noch beim Auftreten des Fußes auf den Boden erhöhte, da sich das Knie nochmals nach rechts verdrehte.

Unter dem 10.08.2006 bestätigte Rechtsanwalt xxx gegenüber dem Ehemann der Klägerin die Annahme des Mandats. Nachdem die WGV mitgeteilt hatte, dass Anspruchsberechtigte aus der Unfallversicherung die Klägerin war, schrieb Rechtsanwalt xxx am 18.08.2006 den Ehemann der Klägerin mit der Bitte an, ein beiliegendes Vollmachtsformular durch die Klägerin unterzeichnen zu lassen und dann zurückzusenden. Diese Vollmacht übersandte Rechtsanwalt xxx am 28.08.2006 an die WGV. Nachdem er die WGV unter Fristsetzung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 4.000,00 € aufgefordert hatte, fertigte er unter dem 21.03.2007 einen Klageentwurf, mit dem er Krankenhaus-Tagegeld und Genesungsgeld geltend machte. Daraufhin verfasste der Ehemann der Klägerin das folgende Schreiben, das am 03.04.2007 bei der Beklagten einging:

Ihren Klageentwurf habe ich zur Kenntnis genommen. Ich möchte aber nochmals darauf hinweisen, im Antrag die Einstandspflicht aus dem Versicherungsvertrag einzuklagen. Hieraus können sich prozentuale Invaliditätsleistungen bei den anstehenden ärztlichen Nachuntersuchungen ergeben.

Die Beklagte beantragte in der Folge beim Amtsgericht Stuttgart einen Mahnbescheid über 156,00 € (Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld). Die WGV hat nach Zustellung der Klagebegründung diese Leistungen erbracht. Auf Forderungen wegen Invalidität war die Klage nicht erstreckt.

Die Klägerin behauptet, ihr Ehemann habe in Vollmacht für sie gehandelt, so dass zwischen ihr und der Beklagten ein Anwaltsvertrag zustande gekommen sei. In einem Telefonat vom 05.06.2007 habe eine Mitarbeiterin der WGV der Beklagten mitgeteilt, dass die Frist zur Geltendmachung des Invaliditätsschadens am 18.06.2007 auslaufe. Die Beklagte hätte sie falsch beraten, weil sie nicht für die Einhaltung der fünfzehnmonatigen Ausschlussfrist der Nr. 2.1.1.1 AUB 2001 für Ansprüche wegen Invalidität gesorgt hätte.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 12.914,36 € sowie außergerichtliche Anwaltskosten, die nicht auf die Verfahrensgebühren anzurechnen sind, in Höhe von weiteren 552,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit dem 15.01.2008 zu zahlen.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Sie ist der Auffassung, der Anwaltsvertrag sei nur mit dem Ehemann der Klägerin, nicht aber mit dieser zustande gekommen. Die Beklagte behauptet, sie hätte ein Schreiben der WGV vom 8.2.2007 mitsamt eines gesonderten Hinweises der WGV an den Ehemann der Klägerin weiter geleitet, in dem auf den Lauf der Ausschlussfrist hingewiesen wurde. Vor diesem Hintergrund sei es Sache des Ehemanns der Klägerin gewesen, eine ärtzliche Bescheinigung über seine Invalidität zu beschaffen. Die Beklagte hätte von Dauerschäden nichts gewusst. Sie bestreitet, dass es vor dem Kreuzbandriss zu einer Berührung zwischen Ball und Bein des Ehemanns der Klägerin gekommen sei. Der Kreuzbandriss sei für den Knorpelschaden nicht ursächlich, vielmehr sei das Knie vorgeschädigt gewesen. Der Ehemann des Klägers habe sich vor dem Spiel nicht ausreichend aufgewärmt, so dass ihm ein Mitverschulden vorzuwerfen sei. Nach dem Kreuzbandriss habe er sich nicht ausreichend therapieren lassen.

Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Gegen dieses Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Urteil in vollem Umfang angreift. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Die Klägerin hat im Senatstermin klargestellt, dass sich ihre Klage gegen die Anwaltssozietät als solche richtet.

II. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere konnte die im Eingang der Klageschrift aufgeführte Rechtsanwaltssozietät als Gesellschaft bürgerlichen Rechts verklagt werden (BGHZ 172, 169 Tn. 11, 9; Vollkommer in Zöller, ZPO 28. Aufl. § 50 Rn. 18). In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht entschieden, dass die Beklagte der Klägerin Schadenersatz wegen Verletzung der aus dem Anwaltsvertrag resultierenden Pflichten schuldet (§ 280 Abs. 1 S. 1 BGB).

1. Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte gegen die Ausführungen des Landgerichts, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten ein Anwaltsvertrag zustande gekommen ist. Unstreitig hat Rechtsanwalt xxx auf den Hinweis der WGV, dass Anspruchsinhaberin aus der Unfallversicherung die Klägerin, und nicht der verletzte Ehemann war, durch Schriftsatz vom 28.08.2006 eine auf ihn lautende Vollmacht der Klägerin an die WGV gesendet. Auch wenn er in der Korrespondenz weiterhin den Ehemann der Klägerin als Mandanten bezeichnete, ergibt sich aus diesem Schreiben, dass er fortan einen Anspruch der Klägerin geltend machte. Nachdem die Klägerin ihre Ansprüche nicht an ihren Ehemann abgetreten hatte, ist die weitere Tätigkeit der Beklagten als Rechtsanwaltssozietät rechtlich so zu werten, dass die Beklagte auf der Grundlage eines mit der Klägerin konkludent geschlossenen Rechtsanwaltsvertrags deren Anspruch gegenüber der WGV geltend machte.

2. Zu Recht hat das Landgericht entschieden, dass die Beklagte die Pflichten aus dem Anwaltsvertrag verletzt hat, die ihr gegenüber der Klägerin oblagen. Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren (BGH NJW-RR 2008, 1235 Rn. 14 [BGH 13.03.2008 - IX ZR 136/07]). Er hat die Aufgabe, sich die für das Prozessziel notwendige Information vom Auftraggeber zu beschaffen. Ohne Kenntnis und Klärung des Sachverhalts sowie der damit zusammenhängenden tatsächlichen Einzelheiten ist eine den Anforderungen der Verfahrensvorschriften genügende Prozessführung und damit auch eine gewissenhafte Wahrnehmung der Interessen des Auftraggebers nicht möglich. Bei lückenhaften oder oberflächlichen Informationen muss der Rechtsanwalt daher auf ihre Vervollständigung dringen (BGH NJW 1982, 437 [BGH 08.10.1981 - III ZR 190/79]). In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziele zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verdichten sich die genannten Pflichten des Rechtsanwalts, wenn Ansprüche zu verjähren drohen. In solch einer Situation muss der Anwalt den Mandanten vor Gefahren warnen, die sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich dieser Gefahr nicht bewusst ist. Gerade in Zusammenhang mit Verjährungsfragen muss der Anwalt das "Gebot des sichersten Weges" befolgen (BGH NJW-RR 2008, 1235 Rn. 14 [BGH 13.03.2008 - IX ZR 136/07], 16 f.). Für die hier maßgebliche Ausschlussfrist des 2.1.1.1 AUB 2001 gilt Gleiches (OLG Karlsruhe; Urt. v. 18.12.2008 - 9 U 141/08, RuS 2009, 396; OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.11.2004 - 5 U 143-02-14).

In Anwendung dieser Grundsätze hätte Rechtsanwalt xxx den Ehemann der Klägerin bei Mandatsübernahme zu den Details des zugrunde liegenden Sachverhalts befragen müssen. Denn aus dem Text der Schadenmeldung an die WGV und der Unfallschilderung, die der Ehemann der Klägerin gegenüber der Beklagten abgab, wurde nicht deutlich, ob der Ball, den der Ehemann der Kläger anzunehmen versuchte, mit seinem Fuß zusammengeprallt war, oder nicht. Unter Ballannahme wird der Vorgang verstanden, bei dem ein Fußballspieler einen auf ihn zukommenden Ball unter Kontrolle bringt. Wird von einem Versuch berichtet, so wird mitgeteilt, dass es nicht gelungen ist, den Ball unter Kontrolle zu bringen. Das kann darauf beruhen, dass der Spieler den Ball verfehlt, aber auch darauf, dass trotz Ballkontakt die Kontrolle über den Ball nicht erlangt wird. Ohne - unschwer durch Nachfrage zu beschaffende - Aufklärung dieses Punktes konnte nicht sicher festgestellt werden, ob ein Unfall im Sinne der Ziffern 1.3 und 1.4 AUB 2001 vorlag. Hätte der Ehemann der Klägerin - wie der Beklagtenvertreter im Termin ausführen wollte - einen Sachverhalt geschildert, der zweifelsfrei keinen bedingungsgemäßen Unfall hätte erkennen lassen, so hätte sich die Beratung der Beklagten auf die Information beschränken können, dass kein Unfall und damit keine Grundlage für die Geltendmachung von Ansprüchen aus der Unfallversicherung vorlag.

Tatsächlich war der geschilderte Sachverhalt jedoch erkennbar unvollständig und hätte durch Nachfrage geklärt werden müssen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liegt es auf der Hand, dass der Ehemann der Klägerin bei sachgerechter Befragung durch Rechtsanwalt xxx schon bei der Mandatsübernahme zu diesem zentralen Punkt angegeben hätte, dass der Ball bei dem Versuch der Annahme mit erheblicher Wucht gegen seinen rechten Fuß geprallt war.

Das Landgericht hat im angegriffenen Urteil zu diesem Punkt festgestellt, dass der Ball beim Versuch der Ballannahme mit voller Wucht auf den rechten Innenrist des Fußes des Ehemanns der Klägerin geprallt ist. Auch unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit dieser landgerichtlichen Feststellung (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Entgegen der Ausführungen der Beklagten sind dabei die Unfallschilderungen des Ehemanns der Klägerin nicht in sich widersprüchlich. Zunächst gab er in der Schadenmeldung an, dass er beim Versuch der Ballannahme in ca. 1 m Höhe einen starken Schmerz im Knie verspürte (Anlage K 2 im beigezogenen Verfahren 4 C 3707/07 des AG Stuttgart). In der Unfallschilderung, die er für die Beklagte fertigte (B 1), schilderte er, dass sich sein Knie beim Versuch, den Ball mit dem rechten Innenspann des Fußes - der 90 Grad zum linken Standbein gedreht war - in ca. 1 m Abstand zum Boden anzunehmen, nach außen verdrehte. Dabei drängt sich schon bei dieser Schilderung auf, dass das Knie durch den Aufprall des anzunehmenden Balls verdreht wurde. Denn eine andere Ursache für ein Verdrehen des in der Luft befindlichen Knies ist nicht erkennbar. Nach der weiteren Schilderung des Ehemanns der Klägerin habe er einen großen Schmerz im Knie verspürt, der sich noch beim Auftreten des Fußes auf den Boden erhöhte, da sich das Knie nochmals nach rechts verdrehte. Bei der landgerichtlichen Vernehmung sagte er am 13.02.2009 aus, dass er sofort einen Schmerz im rechten Knie verspürt habe, als der Ball seinen rechten Innenrist erreicht habe. Aus dieser zunehmenden Präzisierung der Unfallschilderung - wie sie gerichtsbekannter Weise bei der Schilderung von Unfallereignissen immer wieder vorkommt - ergeben sich keine Bedenken gegen die vom Landgericht vorgenommene Würdigung dieser Aussage als glaubhaft. Soweit die WGV aus der Schadenmeldung herleitet, es sei zu keiner Berührung mit dem Ball gekommen, und der Fußball sei nicht mit großer Geschwindigkeit unterwegs gewesen, so findet diese Interpretation im Text der Schadenmeldung keine Stütze.

Nachdem davon auszugehen ist, dass der Ehemann der Klägerin diese wahrheitsgemäße Schilderung bei pflichtgemäßer Aufklärung durch die Beklagte bereits bei Mandatsübernahme vorgenommen hätte, hätte Rechtsanwalt xxx spätestens auf das Schreiben des Klägers vom 31.03.2007 reagieren und die notwendigen Schritte unternehmen müssen, um Ansprüche wegen Invalidität aus der Unfallversicherung geltend zu machen. Dabei kann offen bleiben, ob die Klägerin und ihr Ehemann das Schreiben der WGV vom 8.2.2007 und den diesem Schreiben angeblich beigefügten Hinweis der WGV auf die Ausschlussfristen des 2.1.1.1 AUB 2001 erhalten haben. Aus dem Schreiben des Ehemanns der Klägerin vom 31.03.2007 ergibt sich nämlich, dass dieser die Beklagte beauftragte, Invaliditätsleistungen aus dem Versicherungsvertrag einzuklagen. Lagen der Beklagten in diesem Zeitpunkt noch keine ärztlichen Bescheinigungen über eine Invalidität vor, so hätte es ihr in Anwendung der oben dargestellten Grundsätze oblegen, die Klägerin und deren Ehemann darauf aufmerksam zu machen, dass bisher eine Invalidität in Form eines Dauerschadens noch nicht ärztlich festgestellt war, und dass die Invalidität innerhalb der Frist des 2.1.1.1 AUB 2001, also innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall geltend gemacht werden musste. Dabei folgt schon aus dem Wortlaut der Klausel, dass lediglich die Invalidität innerhalb von zwölf Monaten eingetreten sein muss. Ihre ärztliche Feststellung kann noch bis zum Ablauf des 15. Monats erfolgen. Zweifelte die Beklagte daran, ob der Auftrag durch den Ehemann wirksam erteilt werden konnte, so hätte sie bei der Klägerin rückfragen müssen. Ein Mitverschulden kann die Beklagte der Klägerin insofern nicht vorwerfen, nachdem ihr Ehemann den Auftrag zur Durchsetzung von Invaliditätsansprüchen lange vor Ablauf der Ausschlussfrist erteilt hatte und es der Beklagten als Spezialistin für Rechtsberatung oblag, sich ihrerseits über die rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs und etwaige Ausschlussfristen zu informieren.

Die ärztliche Feststellung einer unfallbedingten Invalidität und eine Geltendmachung gegenüber dem Versicherer wären auch nach der Überzeugung des Senats fristgerecht zu bewirken gewesen. Dabei gilt hier neben dem Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO der Anscheinsbeweis, dass der Mandant bei pflichtgemäßer Beratung des Anwalts dessen Hinweisen gefolgt wäre, sofern für ihn bei vernünftiger Betrachtungsweise aus damaliger Sicht nur eine Entscheidung nahe gelegen hätte (BGH NJW 2000, 2814 [BGH 30.03.2000 - IX ZR 53/99]; NJW-RR 2008, 1235 [BGH 13.03.2008 - IX ZR 136/07] Tn. 19).

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist für eine Geltendmachung dieser Ansprüche schon ausweislich des von § 12 Abs. 3 VVG a.F. abweichenden Wortlauts des 2.1.1.1 AUB 2001 nicht die Erhebung einer Klage erforderlich; nach der Vorschrift reicht es, dass der Anspruch geltend gemacht wird. Für diese Geltendmachung genügt es, dass der Unfall ordnungsgemäß gemeldet, die Invalidität ärztlich festgestellt und fristgerecht gegenüber dem Versicherer behauptet wird, es sei Invalidität eingetreten (BGH VersR 1987, 1235 [BGH 04.11.1987 - IVa ZR 141/86]; 1990, 732). Dies kann durch einfachen Anwaltsschriftsatz oder auch durch Schreiben des Versicherungsnehmers erfolgen.

3. Auf der Grundlage der weiteren Feststellungen des Landgerichts, an deren Richtigkeit ebenfalls keine Zweifel bestehen, steht auch fest, dass der Klägerin gegen die WGV durchsetzbare Ansprüche aus der Unfallversicherung in der eingeklagten Höhe zustanden, und dass sie diese wegen der falschen Beratung durch die Beklagte und den hierauf beruhenden Fristablauf nicht mehr mit Erfolg einfordern kann. Über die hypothetische Betrachtung, ob die Klägerin bei sachgemäßer anwaltlicher Vertretung den Anspruch auf Leistungen wegen Invalidität außergerichtlich oder im Rahmen eines Rechtsstreits durchgesetzt hätte, ist insgesamt nach den Verfahrensgrundsätzen des § 287 ZPO zu befinden. Denn sie betrifft die haftungsausfüllende Kausalität (BGHZ 133, 110; 163, 223).

a. Der Ehemann der Klägerin hat am 18.03.2006 einen Unfall i.S.d. Ziff. 1.3 AUB 2001 erlitten. Danach liegt ein Unfall vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Als Unfall ist damit jedes vom Versicherten nicht beherrschbare und in Bezug auf die dadurch verursachte Gesundheitsschädigung unfreiwillige Geschehen anzusehen. Diese Voraussetzungen sind auch dann gegeben, wenn eine vom Willen des Versicherten getragene und gesteuerte Eigenbewegung zu einer plötzlichen Einwirkung von außen führt (BGH VersR 2009, 492 [BGH 28.01.2009 - IV ZR 6/08] Tn. 11).

Die versuchte Ballannahme ist auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen als Unfall i.S.d. Definition der Nr. 2.1.1.1 AUB 01 zu werten. Der Aufprall des Balles auf den Fuß des Ehemanns der Klägerin fand plötzlich statt, wobei die dadurch bewirkte Gesundheitsbeschädigung unfreiwillig erfolgte. Auch derjenige, der sich bewusst einer Gefahr aussetzt, erleidet die Gesundheitsbeschädigung unfreiwillig, auch wenn er sich diese als möglich vorstellt, aber darauf vertraut, sie werde nicht eintreten (Knappmann, in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 1 AUB 94 Rn. 18). Der Aufprall des Balls stellt ein von außen auf den Körper des Ehemanns der Klägerin einwirkendes Ereignis dar (Knappmann, aaO. Rn. 6 zitiert als Musterbeispiel einen Zusammenstoß). Anders als das Geschehen im Fall BGH VersR 1989, 73 [BGH 23.11.1988 - IVa ZR 38/88] war hier die Bewegung des Balls durch den Ehemann des Klägers nicht voll beherrschbar. Vielmehr entwickelte der Ball angesichts seiner Flugstrecke von 25 m eine erhebliche Eigendynamik. Im übrigen ist für die Annahme eines über 25 Meter fliegenden Balls in der Luft auch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen, nämlich des Beines und des Fußes notwendig, so dass hier auch ein Unfall i.S.d. erweiterten Unfalldefinition der Nr. 1.4 AUB 2001 vorliegt (OLGR Frankfurt 1998, 239).

b. Dass der Kläger in dieser Spielsituation einen Kreuzbandriss und damit einen Primärschaden erlitt, ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Sachverständige hat auch ausgeführt, dass es bei einer Kreuzbandplastik praktisch nie gelingt, die anatomischen Verhältnisse so herzustellen, dass sie dem Zustand vor der Verletzung entsprechen, so dass es nach der Operation - dauerhaft - zu einer verstärkten Reibung und Abnutzung des Knorpels im Kniegelenk kommt.

c. Die Beklagte hat erstmals in der Berufungsinstanz in Zweifel gezogen, dass sich aus diesem Primärschaden eine Invalidität i.S.e. Dauerschadens entwickelt hat. Gründe dafür, dass dieses neue Vorbringen noch zu berücksichtigen wäre, sind nicht ersichtlich (§ 531 Abs. 2 S. 1 ZPO). Im übrigen ist der Senat aufgrund der schlüssigen schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen davon überzeugt, dass ein solcher Dauerschaden vorliegt. So hat dieser ausgeführt, dass seit dem MRT aus dem März 2007 ein Knorpelschaden 2. Grades sichtbar ist und dass ein Muskelschwund, den er bei der Untersuchung des Ehemanns der Klägerin festgestellt hat, darauf hindeutet, dass dieser schmerzbedingt dauerhaft sein rechtes Bein schont.

d. Der Senat ist unter Anlegung des Beweismaßes des § 287 ZPO davon überzeugt, dass die Invalidität, die aus dem dauerhaften Knorpelschaden resultiert, durch den Unfall verursacht wurde. Hier hat der Sachverständige ausgeführt, dass erst auf der MRT vom 19.03.2007 eine neu aufgetretene Chondropathie (Knorpelschädigung) zweiten Grades am medialen Kompartiment sichtbar wurde, die bei der unfallnahen MRT vom 09.05.2006 noch nicht zu erkennen war (S. 9, 17 f. des schriftl. Gutachtens). Auch hat Dr. R... im Operationsbericht vom 17.07.2006 festgehalten, dass der Knorpel im Zeitpunkt der Operation praktisch unbeschädigt war. Damit kann der Unfall vom zeitlichen Ablauf her den Knorpelschaden verursacht haben. Des weiteren kommt ein Kreuzbandriss nach den Erläuterungen des Sachverständigen als Ursache für den Knorpelschaden gut in Betracht (S. 2 des Protokolls v. 28.08.2009). Drittens hat Herr Dr. S... im ärztlichen Attest vom 09.10.2008 (Anlage A 16) ausgeführt, dass ein weiterer, von der Beklagten angeführter Unfall vom Februar 2007 eher als Folge des ersten Unfalls anzusehen ist. Damit ist kein weiteres Ereignis erkennbar, das unabhängig vom streitgegenständlichen Unfall den Knorpelschaden verursacht haben kann. Unter Anlegung des Beweismaßes des § 287 Abs. 1 ZPO geht der Senat daher davon aus, dass die Ursächlichkeit zwischen dem Kreuzbandriss und der aus dem Knorpelschaden resultierenden Invalidität gegeben ist.

e. Auch den Grad der Invalidität hat das Landgericht fehlerfrei festgestellt. Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, die sich mit den Feststellungen des Privatgutachters Dr. S... decken (A 11).

f. Nachdem sich weder aus dem Operationsbericht noch aus der MRT vom 09.05.2006 nennenswerte Vorschäden am rechten Knie des Ehemanns der Klägerin ergeben, wäre der Anspruch auf Invaliditätsentschädigung auch nicht wegen Vorschäden zu kürzen gewesen (Nr. 2.1.2.2.3, Nr. 3 AUB 2001).

g. Eine Kürzung des Anspruchs auf Versicherungsleistung wegen Mitverschuldens gemäß § 254 BGB ist dem Versicherungsrecht fremd. Eine Obliegenheitsverletzung, die zum Ausschluss der Leistungspflicht des Versicherers hätte führen können, hat die Beklagte nicht dargetan.

h. Gegen die Höhe der Invaliditätsleistung, die die Klägerin bei richtiger Beratung durch die Beklagte erhalten hätte, hat diese keine Einwendungen erhoben. Sie wurde durch das Landgericht zutreffend ermittelt.

i. Soweit die Beklagte meint, es sei hier kein Schaden entstanden, weil der Versicherer eine Zahlung verweigert hätte, übersieht sie, dass sie beauftragt war, die Leistungsansprüche durchzusetzen, und es nur darauf ankommt, wie der Rechtsstreit mit dem Versicherer ohne ihre fehlerhafte Sachwaltung zutreffend zu entscheiden gewesen wäre.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO) liegen nicht vor.

RechtsgebietBGBVorschriften§ 254 BGB § 280 Abs. 1 BGB § 675 BGB

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