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15.05.2012

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 16.01.2012 – 6 K 4588/09

1. Sind die Wohnverhältnisse eines Kindes, das in der Türkei studiert, ungefähr mit den deutschen Wohnverhältnissen im Haushalt der Eltern vergleichbar und dient der Aufenthalt in der Türkei vornehmlich dem Zweck, dort ein Studium durchzuführen und nicht dazu, sich längerfristig in die türkischen Lebensverhältnisse einzuleben, behält das Kind seinen inländischen Wohnsitz im Elternhaus auch dann inne, wenn es sich nur relativ kurz in den Semesterferien (ca. 10 Wochen im Jahr) in der elterlichen Wohnung aufhält.

2. Die ursprüngliche Rückkehrabsicht für sich allein wäre nicht ausreicht gewesen, um einen weiteren Lebensmittelpunkt in Deutschland annehmen zu können.


Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Finanzrechtsstreit

hat der 6. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2012 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Ehrenamtliche Richter …

für Recht erkannt:

1. Der Kindergeldbescheid vom 13. Mai 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2009 wird insoweit aufgehoben, als darin gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine Festsetzung von Kindergeld ab September 2008 über den Betrag von monatlich 5,11 EUR hinaus abgelehnt wurde, und die Beklagte wird verpflichtet, gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter Kindergeld für sie selbst für den Zeitraum von September 2008 bis Oktober 2009 in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch einfache Erklärung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit leistet.

Tatbestand

Streitig ist, ob die inzwischen verstorbene Mutter der als deren Rechtsnachfolgerin klagenden Tochter für die Zeit des Auslandsstudiums der Tochter Anspruch auf Kindergeld ab September 2008 hat.

Die Klägerin ist am 13. September 1985 geboren und deutsche Staatsangehörige. Nachdem ihre Mutter, die frühere Klägerin X, am 2. November 2011 gestorben war, schlug der einziger Bruder der Klägerin, Y, geb. am 13. September 1985, am 16. Dezember 2011 gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft aus. Nach dem gegenständlich beschränkten Erbschein des Nachlassgerichts vom 6. Dezember 2011 ist die Klägerin mit dem Tod ihrer Mutter deren Alleinerbin geworden. Zu ihrem Vater hat die Klägerin seit der Scheidung von ihrer Mutter in 1983 keinerlei Kontakt mehr.

Nach der mittleren Reife im Jahr 2003 besuchte die Klägerin zunächst bis Sommer 2006 die C-Schule (Fachgymnasium) und daran anschließend bis Sommer 2007 das einjährige Berufskolleg, das sie mit der Fachhochschulreife (Note 3,0) abschloss. Danach suchte sie zunächst ohne Erfolg einen Ausbildungsplatz.

Für das Wintersemester 2007/2008 bewarb sie sich – jeweils erfolglos – um einen Studienplatz in dem Studiengang „Tourismusbetriebswirtschaft” an der Hochschule V, dem Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation” an der Fachhochschule O, dem Studiengang „Soziales” an den Fachhochschulen O, S, F, D und G, dem Studiengang „BW/International/Business” an der Hochschule J und dem Studiengang „Soziale Arbeit” an der Fachhochschule K.

Ab September 2007 arbeitete sie zunächst bei Firma Z in H.

Für das Wintersemester 2008/2009 bewarb sie sich – jeweils erfolglos – um einen Studienplatz in den Studiengängen „Soziale Arbeit” und „Wissenschaftsjournalismus” an der Hochschule L und der Fachhochschule K, dem Studiengang „Soziale Arbeit” an der Hochschule M, der Hochschule N, der Katholischen Fachhochschule P und der Hochschule Q, dem Studiengang „Mediamanagement” an der Fachhochschule R sowie dem Studiengang „Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Interkulturelle Beziehungen” an der Hochschule Q.

Zum Wintersemester 2008/2009 nahm die Klägerin im Fach Germanistik an der Ü Universität in A, Türkei, ein Studium auf. Nach der Bescheinigung der zuständigen türkischen Behörde vom 21. April 2009 (Bl. 418 der Kindergeldakte) begann dieses Studium am 1. September 2008 und nimmt die Arbeitskraft der Klägerin überwiegend in Anspruch. Laut Semesterplan der Ü Universität waren die folgenden Zeiten vorlesungsfrei (sog. Semesterferien): 31. Januar 2009 bis 19. Februar 2009, 27. Juni 2009 bis 23. September 2009, 1. Februar 2010 bis 15. Februar 2010 und 19. Juni 2010 bis 20. September 2010. Während des Studiums wohnte die Klägerin kostenlos im Haushalt ihrer Tante B in A.

Die Klägerin verbrachte die folgenden Zeiträume in der Wohnung ihrer Mutter: 29. September 2008 bis 6. Oktober 2008, 28. Januar 2009 bis 23. Februar 2009, 20. Juli 2009 bis 30. August 2009, 1. Februar 2010 bis 13. Februar 2010, 2. Juli 2010 bis Ende August 2010. In der Zeit vom 21. Juli 2009 bis 30. August 2009 sowie während der Sommersemesterferien 2010 arbeitete sie als Aushilfskraft (Verkäuferin) in H und erzielte hierbei in 2009 einen Bruttolohn von 1.749,33 EUR.

Auch während des Studiums war die Klägerin in der Zeit von September 2008 bis Januar 2011 in der Ä-Straße 1 in H polizeilich gemeldet.

Die Mutter der Klägerin erhielt Kindergeld für die Klägerin bis einschließlich August 2008. Nachdem am 27. September 2008 die Mutter der Klägerin Kindergeld für ihre im Ausland studierende Tochter beantragte, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Mai 2009, der der Mutter der Klägerin per einfachem Brief übermittelt wurde, Kindergeld ab September 2008 in Höhe von 5,11 EUR fest unter Anwendung des deutsch-türkischen Abkommens über soziale Sicherheit.

Gegen die in diesem Bescheid enthaltene Ablehnung von Kindergeld über die 5,11 EUR monatlich hinaus erhob die Mutter der Klägerin am 15. Juni 2009 Einspruch mit der Begründung, mangels Wohnsitzaufgabe habe sie auch während des Studiums ihrer Tochter in der Türkei einen Anspruch auf Kindergeld in gesetzlicher Höhe. Die Tochter habe nach ihrem Schulabschluss mehrere Monate vergeblich nach einem Studienplatz bzw. einem Ausbildungsplatz gesucht. Nachdem alle Bemühungen erfolglos verlaufen seien, habe sie in Absprache mit der Familienkasse den Entschluss gefasst, ein Studium in der Türkei anzugehen. Die Tochter habe in der Wohnung der Mutter ein eigenes Zimmer und habe ihren eigenen Wohnungsschlüssel. Sie suche die Wohnung im Inland bei jeder Gelegenheit und somit mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf, nämlich in den Winterferien, den Ramadan-Feiertagen und demnächst auch in den Sommersemesterferien. Dies erfolge jedoch nicht lediglich zu Besuchszwecken oder Erholungszwecken. Das aufgenommene Auslandstudium allein bedinge noch keine Wohnsitzaufgabe. Die Tochter sei allein aus dem Grund in die Türkei gegangen, um dort studieren zu können. Ein Studienplatz im Inland habe sie trotz erheblicher Anstrengungen nicht bekommen können. Es sei ihr daher nur die Möglichkeit verblieben, in der Türkei ein Studium aufzunehmen. Die Studienzeit betrage insgesamt vier Jahre, nach deren Ablauf eine Arbeitsaufnahme im Inland angestrebt werde. Der Aufenthalt der Tochter in der Türkei sei damit lediglich vorübergehend.

Laut einem Aktenvermerk der Beklagten vom 24. August 2009 (Bl. 422 der Kindergeldakte) hatte die Klägerin seit ihrem Studium in der Türkei „keine Einnahmen” außer dem Unterhalt ihrer Mutter.

Mit Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2009 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit ihrer am 15. November 2009 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin zunächst die Festsetzung von Kindergeld in gesetzlicher Höhe begehrt für den Zeitraum ab September 2008. Zur Begründung der Klage trägt sie vor, die Tochter habe aufgrund der vergeblichen Bemühungen um einen Studienplatz nicht darauf vertrauen können, in Deutschland einen Studienplatz zu finden. Sie habe daher das Studium in A im Vertrauen darauf angetreten, dass ihre Mutter zur Finanzierung des Studiums Kindergeld in Deutschland erhalte. Erst nach Aufnahme des Studiums sei der Kindergeldantrag am 13. Mai 2009 negativ beschieden worden.

Die Tochter habe von September 2008 bis einschließlich Januar 2011 in der ca. 75 qm großen Wohnung ihrer Mutter in H, Ä-Straße 1 gewohnt. Diese Wohnung habe über drei Zimmer, eine Küche und ein Bad/WC verfügt. Die Tochter habe ein ca. 20 qm großes eigenes Zimmer bewohnt, das mit einem Hochbett, einem Kleiderschrank, einem Bücherregal, einem Schubladenschrank, einem Schreibtisch, einem Wandspiegel und einer Couch ausgestattet gewesen sei.

Von Februar 2011 bis April 2011 habe die Mutter der Klägerin in der I-Straße 2 in H in einer Einzimmerwohnung gewohnt. Die Klägerin habe dort kein eigenes Zimmer zur Verfügung gehabt, sondern während ihres Aufenthaltes in Deutschland ein Zimmer mit ihrer Mutter geteilt.

Von Mai 2011 bis zu ihrem Tod sei die Mutter der Klägerin in einer ca. 65 qm großen Zweizimmerwohnung in der W-Straße 3 in H wohnhaft gewesen. Dort habe die Klägerin ebenfalls ein ca. 20 qm großes eigenes Zimmer zur Verfügung gehabt. Die Mutter der Klägerin habe sich in der Ö-Straße 4 in H eine Wohnung gekauft, in die sie aufgrund ihrer Erkrankung jedoch nicht habe einziehen können.

Die Klägerin pflege weiterhin den Kontakt zu ihrem Freundeskreis in H und kehre in jeden Semesterferien und sonstigen studienfreien Zeiten, die eine Abwesenheit von mindestens einer Woche erlauben, nach H zurück. Im Sommer 2009 habe die Klägerin in dem Bekleidungsgeschäft „E” in AH als Aushilfe gearbeitet. Nur aufgrund ihres Auslandstudiums halte sie sich überwiegend außerhalb Deutschlands auf. Der Aufenthalt im Inland beschränke sich aber nicht nur auf kurze und unregelmäßige Besuche, die dem Wiedersehen der Familienangehörigen oder sonstigen Besuchszwecken dienten. Vielmehr sei der Auslandsaufenthalt von vornherein zeitlich beschränkt auf die Dauer des Studiums, da die Klägerin von Anfang an beabsichtigt habe, nach Abschluss des Studiums wieder in H zu leben. Es sei geplant, das Auslandstudium bis Juni 2012 abzuschließen (Regelstudienzeit 8 Semester).

Die Klägerin habe sich zunächst an mehreren Fakultäten beworben: Für Psychologie, Germanistik und Betriebswirtschaft an der AA Universität in A und für Kommunikation und Publizistik sowie Anglistik an der Ü Universität in A, und für Germanistik an der A Universität. Sie habe letztlich ein Studium im Fach Germanistik an der Ü Universität gewählt, weil diese Fakultät mit anderen europäischen Fakultäten zusammen arbeite und der Abschluss auch im europäischen Ausland und somit auch in Deutschland gut angesehen sei. Der Studienabschluss werde zwar nicht voll anerkannt, gelte jedoch als Vordiplom für ein Studium in Deutschland. Daher ermögliche das Studium an der Ü Universität die Annahme einer Lehrstelle an einer Privatschule in Deutschland, aber auch den direkten Einstieg in das Hauptstudium Deutsch auf Lehramt in Deutschland.

Bis auf die Sommerferien 2009 habe die Klägerin sämtliche studienfreien Zeiten bei ihrer Mutter verbracht.

Die Klägerin wohne während des Studiums nur deshalb im Haushalt ihrer Tante, weil ihre Mutter finanziell nicht in der Lage gewesen sei, für die zusätzlichen anfallenden Unterkunftskosten in einem Studentenwohnheim oder einer Wohngemeinschaft aufzukommen. Dort verfüge sie über ein ca. 16 qm großes eigenes Zimmer, das mit einem Bett, einem Schreibtisch und einem Schrank ausgestattet sei. In den Semesterferien fänden zwar weder Prüfungen noch Arbeitsgemeinschaften oder Veranstaltungen statt, die Klägerin müsse jedoch in den Semesterferien immer ca. eine Woche vorher da sein, um die Einschreibung zu erledigen, da die Einschreibung immer eine Woche vor Ende der Semesterferien stattfänden.

Die Klägerin beantragt,

den Kindergeldbescheid vom 13. Mai 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2009 insoweit aufzuheben, als damit gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine Festsetzung von Kindergeld ab September 2008 über den Betrag von monatlich 5,11 EUR hinaus abgelehnt wurde, und die Beklagte zu verpflichten, gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter Kindergeld für sie selbst für den Zeitraum von September 2008 bis Oktober 2009 in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird ausgeführt, die Klägerin habe ab September 2008 keinen Wohnsitz mehr im Inland gehabt. Von den 89 Tage andauernden Semesterferien im Sommer 2009 habe die Klägerin nur die Zeit vom 20. Juli 2009 bis 30. August 2009, als nur 42 Tage bei ihrer Mutter verbracht. Dies genüge nicht, um von einer Beibehaltung des dortigen Wohnsitzes auszugehen. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass die Klägerin am Studienort nicht in einem Studentenwohnheim oder einer Wohngemeinschaft, sondern bei ihrer Tante gewohnt habe. Diese verwandtschaftlichen Beziehungen sprächen dafür, dass der Aufenthalt in der Türkei sich nicht in Studienzwecken erschöpfe. Da die Klägerin weniger als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit im Sommer bei der Mutter verbracht habe, ist nicht von der Beibehaltung des Wohnsitzes auszugehen. Ein Aufenthalt in Deutschland zum Zwecke einer Ferienbeschäftigung sei auch nicht geeignet, einen Wohnsitz zu begründen oder aufrecht zu erhalten. Der Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Gründe für den kurzen Aufenthalt in Deutschland während der Semesterferien 2009 sei nicht immer stringent gewesen, sondern sei geändert und berichtigt worden. Der Abschluss an der Ü Universität in A werde in Deutschland nicht für eine Beschäftigung im Lehramt anerkannt, sondern setze ein weiteres, ca. vier Semester umfassendes Studium in Deutschland voraus. Aus den Äußerungen zu einer weiteren Berufsplanung gehe nicht eindeutig hervor, welchen Weg die Tochter der Klägerin einschlagen wolle.

Am 5. März 2010 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Akteneinsicht in den Räumen des Amtsgericht H genommen.

Am 2. Mai 2011 ist die Sach- und Rechtslage vor der Berichterstatterin des Senats ausführlich erörtert worden.

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2011, das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 19. Oktober 2011 per Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, hat die Berichterstatterin des Senats unter Setzung einer Ausschlussfrist gemäß § 79b Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) die Prozessbevollmächtigte aufgefordert, alle Umstände anzugeben und vorzutragen, die auf einen Wohnsitz der Klägerin im Zeitraum ab September 2008 schließen lassen.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schreiben vom 5. Dezember 2011 mitgeteilt, dass die Klägerin alleinige Rechtsnachfolgerin ihrer verstorbenen Mutter geworden ist. Zugleich hat sie namens der Klägerin die Aufnahme des Rechtstreits erklärt.

Mit Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2011 ist die Vernehmung der Klägerin als Beteiligte angeordnet worden.

Auf die gewechselten Schriftsätze, die vorgelegten Akten der Familienkasse sowie die Protokolle über den Erörterungstermin und der mündlichen Verhandlung mit der Parteivernehmung wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig.

Die Klägerin ist nach Ausschlagung der Erbschaft durch ihren Zwillingsbruder Alleinerbin und damit Rechtsnachfolgerin ihrer verstorbenen Mutter, der ursprünglichen Klägerin, geworden. Dies hat sie durch Vorlage des gegenständlich beschränkten Erbscheins in der mündlichen Verhandlung ausreichend nachgewiesen. Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 hat die Klägerin gem. § 155 FGO i. V. m. § 239 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) den Rechtsstreit wirksam aufgenommen.

II. Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin ihrer verstorbenen Mutter für den Zeitraum von September 2008 bis einschließlich Oktober 2009 einen Anspruch auf Kindergeld in gesetzlicher Höhe. Nachdem die Rechtsvorgängerin der Klägerin ursprünglich die Festsetzung von Kindergeld ab September 2008 begehrt hatte, konkretisierte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihr Begehren auf den Zeitraum von September 2008 bis einschließlich Oktober 2009. Das entspricht dem Zeitraum bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.

Soweit die Beklagte Kindergeld für diesen Zeitraum über den Betrag von 5,11 EUR monatlich hinaus abgelehnt hat, ist der angefochtene Kindergeldbescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihrer verstorbenen Mutter in ihren Rechten. Da die Klage insoweit spruchreif ist, wird die Beklagte verpflichtet, für diesen Zeitraum Kindergeld für die Klägerin in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben. Die Türkei zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.

Die Klägerin hat im Streitzeitraum ihren inländischen Wohnsitz in der mütterlichen Wohnung in der Ä-Straße 1 in H beibehalten.

a) Bis einschließlich 5. Oktober 2008 hatte die Klägerin in dieser Wohnung ihren ausschließlichen Wohnsitz.

Im Rahmen der Parteivernehmung hat die Klägerin glaubhaft vorgetragen, dass sie erst am 6. Oktober 2008 ihr Studium in der Türkei aufgenommen hat. Sie hat sich zwar schon im August 2008 in der Türkei aufgehalten, aber nur, um die Einschreibeformalitäten zu erledigen. Anschließend ist sie wieder nach Deutschland zurück gekehrt, um mit ihrer Ausreise am 6. Oktober 2008 ihr Studium in der Türkei aufzunehmen. Das Studium und damit die Ausbildung der Klägerin beginnt daher frühestens am 6. Oktober 2008. Erst ab diesem Zeitpunkt begründet sie einen weiteren Lebensmittelpunkt in der Wohnung ihrer Tante. Die Aufenthalte der Klägerin in der Türkei vor diesem Zeitpunkt dienen lediglich der Vorbereitung der Ausbildung und des damit zusammenhängenden späteren Aufenthalts ab 6. Oktober 2008 und haben daher nach Auffassung des Senats reinen Besuchscharakter.

b) Für den Zeitraum ab 6. Oktober 2008 gilt Folgendes:

Der Wohnsitzbegriff i.S. von § 8 Abgabenordnung (AO) setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus (Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 243; und vom 22. April 1994 III R 22/91, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887).

Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff zunächst Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteile vom 26. Februar 1986 II R 200/82, BFH/NV 1987, 301, sowie vom 22. April 1994 III R 22/91, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887).

Das Innehaben der Wohnung muss unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Die gesetzliche Regelung geht dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen. Es handelt sich deshalb um eine Prognoseentscheidung (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BFHE 178, 294, BStBl II 1996, 2).

Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen (vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 2 AO), wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind. Eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort steht der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Allein die mit einer Unterbringung in einer studentischen Wohngemeinschaft verbundene räumliche Trennung von den Eltern bedingt keine Auflösung der familiären Bindungen und bringt keine Verlagerung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse an den Ort des Studiums mit sich. Am Studienort oder in der Nähe des Studienortes in einem möblierten Zimmer oder Studentenheim wohnende Studenten behalten ihren Wohnsitz bei den Eltern, soweit durch die auswärtige Unterbringung ihre Bindung zum Elternhaus bestehen bleibt. Dabei sind von der Rechtsprechung Zeiträume von drei und auch von fünf Jahren als unbedenklich angesehen worden. Dient ein Auslandsaufenthalt ausschließlich der Durchführung einer bestimmten Maßnahme (wie z.B. der Schuloder Berufsausbildung), ist er deshalb von vornherein zeitlich beschränkt, und hat der Betroffene die Absicht, nach dem Abschluss der Maßnahme wieder an den bisherigen Wohnort oder gar in die elterliche Wohnung zurückzukehren, reicht dies allein jedoch nicht dafür aus, um vom Fortbestand des bisherigen Wohnsitzes während des Auslandsaufenthalts auszugehen. Die Feststellung der Rückkehrabsicht besagt grundsätzlich nichts darüber, ob der Inlandswohnsitz während des vorübergehenden Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nach der Rückkehr neu begründet wird. Der Inlandswohnsitz wird in solchen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Betroffene entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort hat (keine Wohnsitzbegründung am Orte des Auslandsaufenthalts) oder er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, er aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt, von denen einer am bisherigen Wohnort liegt (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001 m.w.N.).

Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten reichen kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht „zwischenzeitliches Wohnen” in der bisherigen Wohnung bedeuten, nicht dazu aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen. Zum einen müssen die objektiven Wohnverhältnisse so geartet sein, dass sie die Möglichkeit eines längeren Wohnens des Kindes in der Wohnung der Eltern bieten. Zum anderen darf die Anwesenheit des Kindes in der elterlichen Wohnung nicht nur Besuchscharakter haben, wie das bei Aufenthalten von jeweils zwei bis drei Wochen pro Jahr der Fall ist (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001 m.w.N.).

c) Im Streitfall ist das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und den Gesamtumständen davon überzeugt, dass die Klägerin auch während ihres Studiums in A – jedenfalls bis einschließlich Oktober 2009 – ihren Wohnsitz in Deutschland beibehalten hat. Nach Überzeugung des Senats hatte die Klägerin in diesem Zeitraum zwei Wohnsitze inne: einen in Deutschland in der Ä-Straße 1 in H und einen in A im Haushalt ihrer Tante. Diese Überzeugung hat sich der Senat aufgrund der folgenden Umstände gebildet:

aa) Nach dem Sachvortrag stand der Klägerin sowohl vor als auch während ihres Studiums in A in der Dreizimmerwohnung ihrer Mutter in der Ä-Straße 1 in H ein eigenes Zimmer zur Verfügung, das mit ihren persönlichen Gegenständen ausgestattet war. Wohnzimmer, Küche und Bad wurden von der Klägerin zusammen mit ihrer Mutter und zeitweise auch ihrem Bruder mitbenutzt. Das Zimmer der Klägerin verfügte sowohl nach dem unbestrittenen klägerischen Vortrag, als auch nach den glaubhaften Angaben in der Parteivernehmung über eine Fläche von ca. 20 qm in der ca. 75 qm großen Wohnung und war mit einem Hochbett, einem Kleiderschrank, einem Bücherregel, einem Schubladenschrank, einem Schreibtisch, einem Wandspiegel und einer Couch eingerichtet.

Hierzu vergleichbar wohnte die Klägerin während ihres Studienaufenthaltes in der Türkei im Haushalt ihrer Tante (der Schwester ihrer Mutter), wo sie auch Familienanschluss – vor allem zu ihrer fast gleichaltrigen Cousine – genoss. Innerhalb der ca. 110 qm großen Wohnung hatte die Klägerin ein 10 bis 16 qm großes Zimmer zur Verfügung. Dieses Zimmer war auch mit einem Bett, einem Schrank, einem Schreibtisch und einer kleinen Kommode ausgestattet.

Damit sind die Wohnverhältnisse im Haushalt der Tante in A ungefähr mit den deutschen Wohnverhältnissen im Haushalt ihrer Mutter vergleichbar, mit Ausnahme der Tatsache, dass die Klägerin ihre persönlichen Gegenstände in der deutschen Wohnung aufbewahrte. Da die Klägerin in der Türkei ebenfalls Familienanschluss genoss und folglich auch in die dortigen Lebensverhältnisse integriert war, ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin in der Wohnung ihrer Tante ab Oktober 2008 einen Wohnsitz begründet hat.

bb) Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin neben diesem ab Oktober 2008 in der Wohnung ihrer Tante neu begründeten Wohnsitz ihren bisherigen inländischen Wohnsitz in der mütterlichen Wohnung in H beibehalten hat.

Für das Beibehalten des Wohnsitzes in der Wohnung ihrer Mutter unter Berücksichtigung der geschilderten Wohnverhältnisse der Klägerin in A spricht nach Auffassung des Senats vor allem die Tatsache, dass die Klägerin nur deshalb in der Türkei ein Studium aufgenommen hat, weil sie in Deutschland trotz mannigfaltiger Bewerbungen um einen Studienplatz in den verschiedensten Studiengängen – und nicht nur, wie die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck brachte, im sozialen Bereich – nur Absagen erhielt. Die Klägerin schilderte im Rahmen der Parteivernehmung glaubhaft und eindrücklich ihren Herzenswunsch, unbedingt zu studieren. Da sie die deutsche Fachhochschulreife lediglich mit der Note 3,0 ablegte, konnte sie in den von ihr gewünschten Studiengängen keinen Studienplatz an einer Hoch- oder Fachhochschule erlangen. Ein Universitätsstudium, wie sie es nun in der Türkei durchführt, wäre der Klägerin mit diesem Schulabschluss in Deutschland verwehrt geblieben. Nur aufgrund des Tipps einer Cousine sei sie auf die Idee gekommen, in der Türkei zu studieren. Somit scheidet der unter jungen Erwachsenen häufig anzutreffende Beweggrund für ein Studium fern der Heimat, damit der elterlichen Aufsicht entfliehen zu können, im Streitfall aus.

cc) Die Klägerin schilderte in der Parteivernehmung ihr enges Verhältnis zu ihrer Mutter, das sich vor allem an den täglichen Telefongesprächen im Streitzeitraum zeigt. Die Klägerin wählte einen Telefontarif (sog. Flatrate), der es ihr erlaubte, von der Türkei aus täglich kostenfrei mit ihrer Mutter zu telefonieren. Darin spiegelt sich die überaus enge persönliche Bindung der Klägerin zu ihrer Mutter, die jedenfalls bis Oktober 2009 erkennbar ist.

dd) Auch während ihres Studiums in A behielt die Klägerin ihren Freundes- und Bekanntenkreis aus Schulzeiten im Wesentlichen bei. Sie schilderte in der mündlichen Verhandlung glaubhaft, dass sie sowohl in Deutschland, als auch in der Türkei Freunde hat. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, in H geboren ist und seit ihrer Geburt dort gelebt hat. Sie hat ihre ganze Schulzeit dort verbracht und ist daher in H verwurzelt. Das Gericht konnte die Überzeugung gewinnen, dass die Klägerin nicht nur sehr gut, sondern darüber hinaus auch akzentfrei deutsch spricht. Nach ihrer glaubhaften Aussage in der mündlichen Verhandlung hat sie den Kontakt zu Ihren deutschen Freunden und Bekannten vor allem über das Internet, ihr Mobiltelefon und die persönlichen Kontakte während ihrer Deutschlandaufenthalte aufrechterhalten. Sie hatte vor Beginn des Studiums in der Türkei einen Freund in Deutschland. Diese Beziehung ist zwar Ende des Jahres 2008 zerbrochen und sie ist später eine Beziehung zu einem Mann in der Türkei eingegangen. Aber auch diese Beziehung ist inzwischen beendet. Daher ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin – jedenfalls im Streitzeitraum – weiterhin umfangreiche persönliche Beziehungen zu Freunden und Bekannten in Deutschland gepflegt hat.

ee) Die Klägerin hat im Rahmen der Parteivernehmung glaubhaft versichert, in der Türkei noch nie einen Arzt aufgesucht zu haben. Vielmehr nahm sie ausschließlich in Deutschland sämtliche Arztbesuche (Zahn- und Frauenarzt) war. Sie war auch nur in Deutschland krankenversichert.

ff) Die Klägerin hat ausführlich und glaubhaft dargestellt, dass sie zu Beginn ihres Studiums die Absicht gehabt habe, nach Abschluss des Studiums wieder nach Deutschland zurück zu kehren, da das türkische Studium auf ein deutsches Vordiplom angerechnet werden kann. Sie hatte zwar keinen konkreten Pläne hierfür, habe aber die große Chance nutzen wollen, überhaupt studieren zu können. Ursprünglich habe sie sogar geplant, sich evtl. noch in Deutschland für einen Studienplatz zu bewerben. Sie schilderte ihren persönlichen Eindruck, wonach das tägliche Leben in A schwieriger sei als in Deutschland. In A sei alles teuer und es sei schwieriger, dort Geld zu verdienen. d) Aufgrund dieser objektiven und subjektiven Gesichtspunkte ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin im Streitzeitraum die Wohnung in H (Ä-Straße 1) nicht nur zu Besuchszwecken oder – wie die Beklagte meint zur Ausübung einer Ferienbeschäftigung – aufgesucht, sondern dort auch während ihres Studiums in der Türkei einen Lebensmittelpunkt hatte. Der Aufenthalt der Klägerin in der Türkei im Haushalt ihrer Tante diente vornehmlich dem Zweck, dort ein Studium durchzuführen, und nicht etwa, die frühere Heimat der Mutter kennenzulernen und sich längerfristig in die türkischen Lebensverhältnisse einzuleben. Der Senat gewann die Überzeugung, dass die Klägerin nur aus Kostengründen im Haushalt ihrer Tante gewohnt hat und nicht etwa, um sich dort längerfristig in den türkischen Kulturkreis einzuleben. Das damit verbundene zwangsweise Entstehen neuer Beziehungen führte nach Auffassung des Senats nicht zu einer Lockerung der bisher bestehenden Bindungen zu den deutschen Freunden und Bekannten. Somit hat die Klägerin ihr Zimmer in der mütterlichen Wohnung unter Umständen inne gehabt hat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen will.

e) Demgegenüber reichen nach Auffassung des Senats die relativ kurzen Aufenthalte der Klägerin in der mütterlichen Wohnung in den Semesterferien von ca. 10 Wochen innerhalb des Zeitraums vom 6. Oktober 2008 bis 31. Oktober 2009 (ca. ein Jahr) aus, um den inländischen Wohnsitz aufrechtzuerhalten. Der Senat verkennt nicht, dass sich die Klägerin während dieses Streitzeitraums lediglich vom 28. Januar 2009 bis 23. Februar 2009 und von 20. Juli 2009 bis 30. August 2009 und somit lediglich 10 Wochen (69 Tage) in dieser Wohnung aufgehalten hat. Da die Klägerin – wie oben ausgeführt – erst ab 6. Oktober 2008 in A einen weiteren Wohnsitz innegehabt hat, sind die Aufenthaltszeiten der Klägerin in Deutschland vor dem 6. Oktober 2008 nicht zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des BFH sind nur die Dauer und die Häufigkeit der Inlandsaufenthalte während der Zeiträume maßgebend, in denen das Kind im Ausland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte (siehe BFH-Urteil vom 28. April 2010 III R 52/09, BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013).

Damit hat die Klägerin nur die Semesterferien im Februar 2009 vollständig in der Wohnung ihrer Mutter in Deutschland verbracht. Von den 89 Tagen (ca. drei Monate) umfassenden Semesterferien im Sommer 2009 verbrachte die Klägerin 42 Tage in Deutschland. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Klägerin verpflichtet war, ca. eine Woche vor Ende der Semesterferien in A persönlich vor Ort zu sein, um sich zurückmelden zu können. Hierzu hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Vorfeld zwar widersprüchlich vorgetragen, indem sie zunächst mitteilte, die Klägerin habe in den Semesterferien auch Prüfungen ablegen müssen. Dieser Vortrag wurde nach Rücksprache mit der jetzigen Klägerin bereits vor der mündlichen Verhandlung dahingehend korrigiert, in den Semesterferien hätten weder Prüfungen oder Prüfungsanmeldungen stattgefunden, jedoch habe die Klägerin ca. einen Woche vor Ende der Semesterferien persönlich vor Ort sein müssen, um sich einschreiben zu können. Diesen Vortrag hat die Klägerin glaubhaft im Rahmen der Parteivernehmung bestätigt, so dass sich der Senat von der Richtigkeit dieses Vortrags überzeugen konnte.

Eine Zeitspanne von ca. zwei Wochen nutzte die Klägerin, um einen preiswerten Flug in die Türkei zu bekommen. Aus diesem Grund ist sie schon ca. drei Wochen vor Ablauf der Semesterferien in die Türkei zurück gekehrt. Angesichts dieser Gesamtumstände führt der Aufenthalt von (nur) 42 Tagen im Rahmen der Semesterferien nicht zur Aufgabe des inländischen Wohnsitzes. Im Gegensatz zum Urteil des BFH vom 23. November 2000 VI R 165/99 (BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279), in dem nach Auffassung der BFH-Richter bei einem minderjähriges Kind Aufenthalte des Kindes in der elterlichen Wohnung von „insgesamt nicht einmal drei Monaten im Jahr” bei einem auf annähernd neun Jahren angelegten Schulbesuch in der Türkei nicht ausreichend sind für ein Beibehalten des inländischen Wohnsitzes, ist die Klägerin im Streitfall volljährig. Sie hatte zu Beginn des Studiums am 13. September 2008 ihr 23. Lebensjahr vollendet, die gesamte Schulzeit in Deutschland verbracht und war entsprechend in Deutschland verwurzelt.

Der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass die Klägerin während der Sommersemesterferien einen dreiwöchigen Urlaub (von 27. Juni bis ca. 19 Juli 2009) nicht etwa im Haushalt ihrer Tante in A, sondern in VV, einem Badeort der Türkei nahe BB, verbracht hat. Dieser zusammen mit ihrer Cousine verbrachte Sommerurlaub, wie ihn viele andere deutsche Staatsbürger auch verbringen, hat weder dazu geführt, dass die Klägerin tiefergehende Bindungen in den türkischen Kulturkreis erfahren hat, noch dazu, dass die bisher bestehenden Beziehungen zu Freunden oder Bekannten oder gar ihrer Mutter in Deutschland gelockert worden wären.

f) In Abwägung der dargestellten Gesamtumstände ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin trotz der relativ kurzen Aufenthaltszeiten von ca. zehn Wochen innerhalb des Streitzeitraums ihren Wohnsitz in Deutschland beibehalten hat. Dabei verkennt der Senat auch nicht, dass die ursprüngliche Rückkehrabsicht für sich allein nicht ausreicht, um einen weiteren Lebensmittelpunkt in Deutschland annehmen zu können. In Abwägung all der geschilderten Umstände ist der Senat aber zu der Auffassung gelangt, dass ein solcher Lebensmittelpunkt jedenfalls bis Oktober 2009 bestanden hat. Bis dahin war die Klägerin so stark in den deutschen Lebens- und Kulturkreis in Deutschland integriert, dass sie in der mütterlichen Wohnung in H ihren dortigen Lebensmittelpunkt beibehalten hat.

2. Für den Monat September 2008 wurde die Klägerin zwar noch nicht für einen Beruf ausgebildet i. S. d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Die Klägerin hat aber den Tatbestand des § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG erfüllt. Sie hatte sich schon im Frühjahr 2008 für den Studienplatz in A beworben und in O eine entsprechende Vorprüfung abgelegt. Im September 2008 konnte sie diese Berufsausbildung (noch) nicht beginnen oder fortsetzen, weil sie den Semesterbeginn abwarten musste.

Ab Oktober 2008 erfüllte die Klägerin den Tatbestand der Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG).

3. Der Senat hat keinen Zweifel, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge der Klägerin im Zeitraum von Oktober 2008 bis Oktober 2009 unter dem Grenzbetrag von jährlich 7.680 EUR lagen. Nach den vorgelegten Verdienstbescheinigungen erzielte die Klägerin aus ihrer Ferienbeschäftigung als Verkäuferin während ihres Deutschlandaufenthalts in den Sommersemesterferien 2009 einen Bruttolohn von 1.749,33 EUR.

Die Klägerin schilderte im Rahmen der Parteivernehmung, dass sie in der Türkei „ab und zu” Nachhilfe gegen Entgelt gegeben habe. Diese Einnahmen hätten aber einen nur geringen Umfang angenommen. Daneben habe sie außer dem Unterhalt ihrer Mutter keine weiteren Einnahmen erzielt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Sinn und Zweck der Vollstreckbarkeit von Kostenentscheidungen ist es, den siegreichen Beteiligten vor kostenmäßiger Benachteiligung für die Dauer des Revisionsverfahrens zu schützen (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1970 VI R 248/69, BFHE 101, 478, BStBl II 1971, 426). Davon ausgehend ist § 708 Nr. 10 ZPO „sinngemäß” auf Urteile des Finanzgerichts anwendbar, da auch gegen Urteile des Finanzgerichts nur die Revision statthaft ist (§ 115 FGO). Insoweit sind die Urteile der Finanzgerichte den Berufungsurteilen der Land- und Oberlandesgerichte vergleichbar (siehe auch FG Nürnberg, Urteil vom 1. April 2008 IV 278/2005, EFG 2009, 611; FG München, Urteil vom 20. Januar 2005 3 K 4519/01, EFG 2005, 969; FG Hamburg, Urteil vom 29. November 2004 III 493/01, EFG 2005, 1434). Das Interesse der Beklagten ist unabhängig von der Anwendung der alten oder neuen Version des § 708 Nr. 10 ZPO dadurch gewahrt, dass sie aufgrund der sinngemäßen Anwendung des § 711 Satz 1 ZPO durch einfache Erklärung die Vollstreckung abwenden darf. Einer Sicherheitsleistung oder Hinterlegung bedarf es nicht, wenn nicht der Kostengläubiger (Klägerin) vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Insoweit folgt der Senat der Auffassung des Finanzgerichts Baden-Württemberg im Urteil vom 26. Februar 1991 4 K 23/90 (EFG 1991, 338), auf das wegen der Begründung im Einzelnen Bezug genommen wird.

VorschriftenAO § 8, AO § 19 Abs. 1 S. 2, EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, EStG § 63 Abs. 1 S. 3

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