25.01.2013
Finanzgericht München: Urteil vom 12.04.2011 – 4 K 3560/09
1. Die Vollstreckung ist im Streitfall nicht unbillig, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Steuerschulden in absehbarer Zeit durch freiwillige Leistungen oder durch andere – weniger belastende – Vollstreckungsmaßnahmen wesentlich zurückgeführt werden können.
2. Denn auch wenn die Kläger ohne Zweifel trotz ihres schlechten Gesundheitszustandes und fortgeschrittenen Alters große Anstrengungen unternehmen, um ihre Steuerrückstände zu begleichen, kann unter Berücksichtigung der Höhe der Raten nicht mit einer zügigen und kurzfristigen Rückführung der Steuerschulden gerechnet werden.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat das Finanzgericht München, 14. Senat, … ohne mündliche Verhandlung am 12. April 2011
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) zu Recht den Antrag der Kläger auf Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs und einer Stundung abgelehnt hat.
Bei den Klägern handelt es sich um Eheleute, die unter einer gemeinsamen Steuernummer beim FA erfasst sind. Der Kläger zu 1 ist als Rechtsbeistand, die Klägerin zu 2 ist in der Schuldnerberatung unternehmerisch tätig. Sie sind seit längerem mit der Zahlung von Steuern im Rückstand, mit Stand vom 7. April 2009 betrugen die Steuerschulden insgesamt 49.252,92 EUR.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2009 benachrichtigten die Kläger das FA, dass sie aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes nur Teilzahlungen leisten könnten. Innerhalb von drei Monaten würden die Steuerrückstände jedoch beglichen werden. Bereits am 9. Dezember 2008 sei ein Betrag von 955 EUR und am 19. Januar 2009 ein Betrag von 1.233,16 EUR gezahlt worden. Am 5. und 16. Februar 2009 würden weitere Teilbeträge von 500 EUR überwiesen.
Mit Schreiben vom 19. März 2009 beantragten die Kläger die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs bis Ende Mai 2009, der vom FA am 7. April 2009 abgelehnt wurde. Das FA führte unter anderem aus, dass es aufgrund der nicht fristgerecht entrichteten Steuern, insbesondere der laufenden Vorauszahlungen, ständig zu einer Erhöhung der Gesamtsteuerrückstände komme und deswegen kein Raum für Billigkeitsmaßnahmen bestehe.
Im dagegen gerichteten Einspruchsverfahren trugen die Kläger vor, dass sie zusätzliche Mandate angenommen hätten, um die Steuerrückstände abtragen zu können. Dies sei jedoch nur möglich, wenn ihnen nicht wegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des FA die Zulassung als Rechtsbeistand und Schuldnerberater entzogen würde. Mit Schreiben vom 24. April 2009 führten sie aus, dass weder ein Erlass noch die Stundung der Steuerrückstände, sondern nur ein kurzfristiges Abwarten in Form eines Vollstreckungsaufschubs bis Ende Mai 2009 beantragt werde. Im Mai 2009 wurden Abschlagszahlungen von 2.500 EUR, 5.838 EUR und 1.560 EUR geleistet.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Mit Entscheidung vom 13. Oktober 2009 verwarf ihn das FA als unzulässig, da kein Rechtsschutzbedürfnis der Kläger bestehe. Der beantragte Vollstreckungsaufschub sei zwischenzeitlich durch Zeitablauf beendet. Vollstreckungsmaßnahmen seien seit April 2009 nicht ergriffen worden.
Mit ihrer Klage wenden sich die Kläger weiterhin gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Vollstreckungsaufschub. Insbesondere sei die Höhe der geforderten Beträge unzutreffend. Das FA verkenne, dass zwischen dem Freistaat Bayern und den Klägern verschiedene Vergleiche, unter anderem am 19. Januar 2005, geschlossen worden seien. Obwohl der Kläger zu 1 seit 1. Juni 2005 Rentner sei, arbeite er trotzdem als Rechtsbeistand weiter, um die in dem Vergleich eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Trotz ihres sehr schlechten Gesundheitszustandes hätten sich die Kläger immer bemüht, Zahlungen an das FA zu leisten. Auch wegen verschiedener Krankheiten und erforderlicher Klinikaufenthalte habe sich der Zeitrahmen für den ursprünglich bis Ende Mai beantragten Vollstreckungsaufschub leider kurzfristig verschoben. Im Übrigen werde der Einwand der Verjährung bezüglich der geltend gemachten Ansprüche erhoben.
Die Kläger beantragen,
festzustellen, dass der Einspruch vom 24. April 2009 zu Unrecht als unzulässig verworfen wurde, dass mit Zahlung der letzten Rate am 12. März 2008 durch den Kläger zu 1 an das FA der Vergleich zwischen dem Freistaat Bayern vom 19. Januar 2005 erledigt sei, dass der Verwaltungsakt vom 7. April 2009 bezüglich der von den Klägern geforderten Beträge in Höhe von 49.252,92 EUR und 37.621,33 EUR unrichtig sei und dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Stundung bzw. eines Vollstreckungsaufschub am 7. April 2009 vorlagen und noch immer vorliegen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verweist auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt es vor, dass bislang kein Vergleich mit dem Freistaat Bayern zustande gekommen sei. Dies habe auch das Bayerische Landesamt für Steuern mit Schreiben vom 30. Juli 2009 im Rahmen seiner Stellungnahme zu einer Fachaufsichtsbeschwerde der Kläger klargestellt. Im Übrigen handle es sich bei der von den Klägern angefochtenen Rückstandsaufstellung nicht um einen Verwaltungsakt, die dagegen gerichtete Feststellungsklage sei deshalb unzulässig. Da die Kläger mit Schreiben vom 24. April 2009 ihren Antrag auf Stundung ausdrücklich zurückgenommen hätten, habe keine Notwendigkeit bestanden, im Rahmen der Einspruchsentscheidung über eine Stundung zu entscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten sowie auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Absatz 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
II.
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Soweit sich die Kläger gegen die Rechtmäßigkeit der Einspruchsentscheidung wenden, ist die Klage unbegründet, weil das FA den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen hat. Im Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung am 13. Oktober 2009 war der Zeitpunkt, bis zu dem der beantragte Vollstreckungsaufschub dauern sollte (Ende Mai 2009), bereits abgelaufen. Zutreffend hat das FA darauf hingewiesen, dass das für die Einspruchseinlegung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung weggefallen ist, § 350 der Abgabenordnung (AO).
2. Soweit die Kläger die Feststellung beantragen, dass mit Zahlung der letzten Rate am 12. März 2008 durch den Kläger zu 1 an das FA der Vergleich zwischen dem Freistaat Bayern vom 19. Januar 2005 erledigt sei, hat ihr Begehren ebenfalls keinen Erfolg. Aus dem Wortlaut dieser Vereinbarung ergibt sich, dass dem Vergleichsantrag des Klägers zu 1 nicht entsprochen werden könne, ein Vergleich kam somit nicht zustande. Vielmehr kamen das FA und der Kläger zu 1 überein, dass bei einer Einhaltung der im Rahmen eines Vollstreckungsaufschubs vereinbarten Zahlungen – die im Übrigen nicht erfolgt sind – ein hälftiger Erlass der bislang verwirkten Säumniszuschläge in Betracht komme.
3. Soweit die Kläger die Feststellung beantragen, dass der Verwaltungsakt vom 7. April 2009 bezüglich der von den Klägern geforderten Beträge in Höhe von 49.252,92 EUR und 37.621,33 EUR unrichtig sei, hat die Klage gleichfalls keinen Erfolg. Nach § 41 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (§ 41 Abs. 1 FGO) nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann.
Im Streitfall kann das Begehren der Kläger nach § 128 AO durch Erlass eines Abrechnungsbescheides geklärt werden. Nach dieser Vorschrift kann der Abgabepflichtige einen Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides stellen, wenn zwischen ihm und dem FA Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist. Gegen diesen Abrechnungsbescheid steht ihm die Anfechtungsklage zu. Da auch für die Frage, ob eine Steuerschuld noch besteht oder schon erloschen ist, nur der Weg der Antragstellung nach § 128 AO gegeben ist, wird die Zulässigkeit der Feststellungsklage ausgeschlossen, Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 21. Januar 1977 III R 125/73, BStBl II 1977, 396.
4. Auch soweit die Kläger die Feststellung beantragen, dass die Voraussetzungen für eine Stundung bzw. einen Vollstreckungsaufschub zum Zeitpunkt 7. April 2009 vorlagen und noch immer vorliegen, hat die Klage keinen Erfolg.
Entgegen der Ansicht des FA ist der Antrag der Kläger auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Stundung und einen Vollstreckungsaufschub zulässig. Nach der Rechtsprechung des BFH genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, um einen Antrag nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO stellen zu können. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, in einem der genannten Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Klägers zu führen (BFH-Urteil vom 10. Februar 2010 XI R 3/09, BFH/NV 2010, 1450, m. w. N.). Insbesondere ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder anders erledigten Verwaltungsaktes hat (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2007 VII R 52/06, BFH/NV 2008, 749). Andernfalls wäre eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahme und eine Beseitigung ihrer Folgen in den Fällen, in denen sich eine hoheitliche Maßnahme, die nicht unwesentlich in den Grundrechtsbereich des Betroffenen eingreift, die sich aber wie hier bei der Gewährung eines kurzfristig beantragten Vollstreckungsschutzes typischerweise erledigt, in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum möglich (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2007 VII R 52/06, BFH/NV 200, 749).
Der Antrag der Kläger auf Feststellung, dass die Voraussetzungen einer Stundung und eines Vollstreckungsaufschubes am 7. April 2009 vorlagen, ist jedoch unbegründet, da die Voraussetzungen der § 222 AO und § 258 AO nicht erfüllt waren.
Nach § 222 AO ist eine Stundung nur zulässig, wenn die Einziehung der Steuer für den Schuldner eine erhebliche Härte bedeutet und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet ist. Dabei darf bei einer Stundung nicht die generelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen gemindert sein, sondern nur die Zahlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Einziehung (BFH-Beschluss vom 27. April 2001 XI S 8/01, BFH/NV 2001, 1362 m.w.N.) Im Übrigen müssen bei einer Stundung nach § 234 AO von Gesetz wegen Stundungszinsen gezahlt werden, dabei kommt es unter Umständen zu einer Verschärfung der schlechten wirtschaftlichen und aussichtslosen Situation eines Steuerpflichtigen. Angesichts der wirtschaftlichen Situation der Kläger kam daher eine Stundung der rückständigen Steuern nicht in Betracht.
Die Gewährung eines Vollstreckungsaufschub im Sinne des § 258 AO ist eine Ermessensentscheidung des Beklagten, die vom Gericht nur in den Grenzen des § 102 FGO überprüft werden kann. Die Klage kann daher nur dann Erfolg haben, wenn die Ablehnung des begehrten Vollstreckungsaufschubs rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Ein solcher Ermessensfehler ist im Streitfall nicht ersichtlich.
Denn die Fortführung der angegriffenen Vollstreckungsmaßnahmen ist nicht unbillig im Sinne des § 258 AO. Dazu müsste die Feststellung möglich sein, dass die Vollstreckung oder einzelne Vollstreckungsmaßnahmen dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (BFH-Urteil vom 31. Mai 2005 VII R 62/04, BFH/NV 2005, 1743, BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2005 VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900, m.w.N.).
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann sich die Vollstreckung beispielsweise im Falle des Anerbietens von Ratenzahlungen durch den Vollstreckungsschuldner als unbillig erweisen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass der Vollstreckungsschuldner seine Zusage einhalten wird, und wenn nach der Höhe der angebotenen Raten mit einer zügigen und kurzfristigen Tilgung der Steuerschuld gerechnet werden kann (BFH-Beschluss vom 24. September 1991 VII B 107/91, BFH/NV 1992, 503, 504).
In jedem Fall müssen jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Steuerschulden in absehbarer Zeit durch freiwillige Leistungen des Schuldners zurückgeführt werden können. Von einem absehbaren Zeitraum kann jedenfalls dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn der dem FA unterbreitete Tilgungsvorschlag eine vollständige Begleichung der Steuerrückstände erst nach mehreren Jahren erwarten lässt (vgl. BFH-Entscheidung vom 5. Oktober 2001 VII B 15/01, BFH/NV 2002, 160).
Ausgehend von diesen Kriterien ist die Vollstreckung im Streitfall nicht unbillig. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Steuerschulden in absehbarer Zeit durch freiwillige Leistungen oder durch andere – weniger belastende – Vollstreckungsmaßnahmen wesentlich zurückgeführt werden können. Denn auch wenn die Kläger ohne Zweifel trotz ihres schlechten Gesundheitszustandes und fortgeschrittenen Alters große Anstrengungen unternehmen, um ihre Steuerrückstände zu begleichen, kann unter Berücksichtigung der Höhe der Raten nicht mit einer zügigen und kurzfristigen Rückführung der Steuerschulden gerechnet werden. Dies zeigt insbesondere der Umstand, dass es den Klägern entgegen ihrer Ankündigung vom 23. Januar 2009 nicht möglich war, alle Steuerrückstände innerhalb von drei Monaten zu begleichen. Vielmehr beantragten sie am 19. März 2009 einen weiteren Vollstreckungsaufschub bis Ende Mai 2009. Darüber hinaus konnten auch die laufend fälligen Vorauszahlungen nicht fristgerecht beglichen werden. Unter Berücksichtigung der Höhe der Steuerrückstände und der angebotenen Raten hat das FA deshalb die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs zu Recht abgelehnt.
Im Übrigen können die Kläger auch nicht erfolgreich einwenden, dass die Steuerrückstände mittlerweile verjährt sind.
Gemäß § 228 AO unterliegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Ablauf von fünf Jahren der Verjährung, sofern die Zahlungsverjährung nicht aufgrund bestimmter in § 231 AO aufgezählter Handlungen des FA unterbrochen wird (vgl. auch BFH-Beschluss vom 21. Juni 2010 VII R 27/08, BFH/NV 2010, 1682). Hierzu zählt insbesondere die schriftliche Geltendmachung des Steueranspruchs. Durch die im Streitfall über die Jahre hinweg erfolgten Vollstreckungsmaßnahmen sind die Voraussetzungen des § 231 AO erfüllt, es liegt eine Unterbrechung der Verjährung vor.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.