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25.01.2013

Finanzgericht München: Urteil vom 10.05.2012 – 14 K 37/11

1. Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen u. a. dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH v. 13.09.2005, X B 65/05, bisher nicht veröffentlicht, und v. 07.07.1999, X R 87/96, BFH/NV 2000, 161).

2. Jedoch kommt auch in diesen Fällen nur ein Teilerlass in Betracht, da Säumniszuschläge auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands dienen.


IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In der Streitsache

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München durch … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2012 für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Streitig ist der Erlass von Säumniszuschlägen.

Der Kläger war seit etwa 1966 als Kfz-Händler im Rahmen eines Einzelunternehmens tätig und stellte sein Gewerbe nach eigenen Angaben Ende des Jahres 1978 ein. Im Rahmen einer im Jahr 1983 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung stellte das Finanzamt (FA) jedoch fest, dass der Kläger seine Tätigkeit, insbesondere den An- und Verkauf von Lastkraftwagen im Nahen Osten, weiter ausgebaut hatte, wobei er sich verschiedener Scheinfirmen, unter anderem auch einer Briefkastenfirma in der Schweiz bedient hat. Die nicht versteuerten Einnahmen wurden auf Bankkonten in Österreich und in der Schweiz angelegt. Außerdem erzielte der Kläger Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Daraufhin wurde der Kläger zu mehreren Freiheitsstrafen unter anderem wegen Urkundenfälschung, versuchter Nötigung, Untreue und Betrugs verurteilt. In den Jahren 1983 und 1984 verbüßte er eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt L. Am 2. August 1984 entzog er sich dem Vollzug durch Flucht und lebte unter einem Decknamen in einer angemieteten Wohnung in H.

Am 13. Juli 1985 erlitt der Kläger als Radfahrer bei einem Verkehrsunfall lebensgefährliche Verletzungen und wurde nach komatösem Zustand in die Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt verlegt. Nach fachärztlichem Gutachten war der Kläger aufgrund des Unfalls haft-, verhandlungs- und geschäftsunfähig und erhielt einen amtlichen Pfleger.

Dieser nahm die eingelegten Rechtsbehelfe gegen die mittlerweile erfolgte Steuerfestsetzung in Sachen Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Vermögensteuer zurück und verwertete das vormals umfangreiche Grundvermögen in Absprache mit dem FA. Mit den anteilmäßig zugeführten Erlösen konnten die Abgabenrückstände nur teilweise beglichen werden.

Nach Feststellungen einer erneuten Steuerfahndungsprüfung im Jahr 1995 erzielten der Kläger und seine damalige Ehefrau auch in den Jahren 1988 bis 1993 erhebliche steuerpflichtige Einkünfte, die sie den Finanzbehörden verschwiegen. Unter anderem wurde festgestellt, dass die Ehefrau des Klägers am 3. September 1985 einen Betrag von circa 5 Mio. DM von einem Bankkonto des Klägers in der Schweiz abgehoben hat, der anschließend zwischen den Ehegatten aufgeteilt wurde. Der Kläger legte seinen Betrag wiederum auf einem Bankkonto in der Schweiz an.

Da sich der Gesundheitszustand des Klägers wieder gebessert hatte, wurde die erteilte Amtspflegschaft mit Beschluss des Amtsgerichts vom 5. November 1987 aufgehoben. Im Jahr 1993 erwarb der Kläger eine Aktiengesellschaft in der Schweiz und trat dieser die Ansprüche gegen seine Ehefrau auf Rückgewähr von übertragenem Vermögen ab.

Aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung erließ das FA weitere Einkommensteuerbescheide, die zu Nachforderungen von insgesamt 884.088,15 DM führten. Beitreibungsmaßnahmen des FA führten nur zur teilweisen Begleichung der Steuerschulden. Am 27. Februar 2002 leistete der Kläger vor dem Amtsgericht die eidesstattliche Versicherung.

Bei einer Wohnungsdurchsuchung am 11. Juli 2002 wurden Einzahlungsbelege vorgefunden, nach denen der Kläger am 18. Juni 2002 bei der L Bank in Liechtenstein einen Betrag von 200.000 EUR und am 5. Juli 2002 bei der S Bank in Zürich Beträge von 5.400 EUR und 8.000 EUR einbezahlt hatte. Nach einem vorgefundenen Kontoauszug der Raiffeisenbank Feldmoching verfügte der Kläger dort über ein Guthaben von circa 9.000 EUR.

Der Insolvenzantrag des FA vom 18. Juli 2002 wurde vom Insolvenzgericht mit Beschluss vom 22. Oktober 2002 mangels Masse abgewiesen. Laut Insolvenzgutachten hatte der Kläger erklärt, dass er seine Vermögensverhältnisse wegen der Folgen des Verkehrsunfalls nicht darstellen und sich insbesondere zu den festgestellten Einzahlungen auf Auslandskonten nicht äußern könne.

Der Kläger ließ dem FA telefonisch am 11. November 2002 mitteilen, dass sich auf einem Bankkonto in der Schweiz ein Guthaben von ungefähr 30.000 bis 70.000 EUR befinde.

Ab 5. März 2004 war ein neuer Betreuer für den Kläger bestellt worden. Dieser teilte dem FA unter anderem mit, dass der Kläger seit dem Verkehrsunfall im Jahr 1985 erwerbs- und geschäftsunfähig gewesen sei. In den Jahren 1986 bis 2004 sei der Kläger obdachlos gewesen. Eine wirksame Zustellung von Steuerbescheiden sei deshalb nicht erfolgt.

Nachdem das FA von einem Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien (Pflegschaftsgericht) Kenntnis erhalten hatte, wonach ein Guthaben des Klägers bei einer österreichischen Sparkasse in Höhe von 2,7 Mio. EUR auf ein Konto des Klägers bei der V-Bank überwiesen werden musste, brachte es am 19. Oktober 2006 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung an.

Mit Drittschuldnererklärung vom 15. November 2006 erkannte die V-Bank die gepfändete Forderung in Höhe der auf den laufenden Konten ausgewiesenen Guthaben von 109.359,10 EUR und 178,80 EUR als begründet an und teilte außerdem unter anderem mit, dass der Kläger zwei Schließfächer gemietet habe. Aufgrund des gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung gerichteten Einspruchs verfügte das FA gegenüber der V-Bank, dass das Guthaben derzeit nicht eingezogen würde.

Mit Entscheidung vom 5. Februar 2007 wies das FA den Einspruch gegen die Pfändung vom 19. Oktober 2006 als unbegründet zurück.

Das dagegen gerichtete finanzgerichtliche Verfahren wurde mit Beschluss vom 6. November 2007 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Abrechnung der als Schuldgrund bezeichneten Forderungen ausgesetzt.

Mit rechtskräftigem Abrechnungsbescheid vom 1. Juli 2009 stellte das FA fest, dass die der Bankpfändung vom 19. Oktober 2006, geändert durch Pfändungsbeschränkung vom 21. März 2007, zugrunde liegenden Abgabenforderungen unter Berücksichtigung sämtlicher Zahlungseingänge seit 10. März 1984 in Höhe von insgesamt 4.194.190,47 EUR bestehen. In der Begründung wurde ausgeführt, dass diese Abgabenansprüche nicht durch Zahlung oder Zahlungsverjährung erloschen seien.

Der Vertreter des Klägers verweigerte am 23. Januar 2007 dem FA gegenüber jegliche Auskunft über dessen Vermögensverhältnisse, insbesondere über den Verbleib des restlichen aus Österreich überwiesenen Betrags von insgesamt 2,7 Mio. EUR. In einer dem Amtsgericht Müncen vorgelegten Vermögensübersicht vom 28. September 2007 über das Vermögen des Klägers zum 1. Januar 2006 gab der Vertreter des Klägers unter anderem ein Bankguthaben über 66.286,57 EUR, ein Wertpapierdepot über 2.454.270,69 EUR, Grundvermögen von 98.000 EUR sowie ausstehende Forderungen von 1.360.000 EUR an, als Verbindlichkeiten Steuerschulden in Höhe von 7,9 Mio. EUR. Beigefügt war eine Vermögensbewertung der P Bank, Luxemburg, wonach der Kläger am 1. Januar 2006 über ein Kontokorrentguthaben von 26.473,75 EUR sowie über Anleihen im Wert von 2.480.744,44 EUR verfügte. Mit Stand 31. Dezember 2006 belief sich das Kontokorrentguthaben auf 103.054,35 EUR, die Anleihen auf 2.178.003,40 EUR und befristete Anleihen auf 145.000 EUR.

Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 beantragte der Betreuer des Klägers den vollen Erlass der Säumniszuschläge in Höhe von 5.153.426,66 EUR laut Stand vom 31. Januar 2007 zu den im Zeitraum 1984 bis 1986 fällig gewordenen Einkommensteuern, Vermögenssteuern und Umsatzsteuern. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2007 lehnte das FA den Antrag ab.

Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren hatte teilweise Erfolg. Mit Entscheidung vom 7. Dezember 2010 wurde dem Einspruch insoweit stattgegeben, als Säumniszuschläge in Höhe von 920.291,95 EUR erlassen wurden. Das FA berücksichtigte insoweit, dass die Krankheit bzw. Geschäftsunfähigkeit des Klägers einen teilweisen Erlass im Zeitraum 1. Januar 1995 bis zur Bestellung des Betreuers am 5. März 2004 rechtfertige. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 21. Januar 2011 teilte das FA dem Kläger mit, dass auf Grund der Einspruchsentscheidung vom 7. Dezember 2010 ein Betrag von 1.840.584,11 EUR aus Billigkeitsgründen erlassen werde. Mit Schreiben vom 10. Juni 2011 erklärte das FA, dass die versehentlich als Verwaltungsakt bzw. als Erlass nach § 227 AO bezeichnete Mitteilung vom 21. Januar 2011 zur Beseitigung des falschen Rechtsscheins zurückgenommen werde. Es sei lediglich beabsichtigt worden, den Kläger über die bloße kassentechnische Umsetzung der Verbuchung des durch die Einspruchsentscheidung gewährten Erlasses zu informieren, dabei seien jedoch unzutreffend die Säumniszuschläge in voller Höhe anstelle der hälftigen Erlassbeträge aufgeführt worden.

Mit seiner Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass die Einspruchsentscheidung an einem schwerwiegenden Begründungsmangel leide, da die Säumniszuschläge für die Zeiträume 10. März 1984 bis 29. Juli 1985 und 5. März 2004 bis 19. Oktober 2006 betragsmäßig nicht benannt und die Berechnung der als „erlassfähig” bezeichneten Säumniszuschläge von 1.840.583,90 EUR aus dem Zeitraum 1. Januar 1995 bis 4. März 2004 bzw. die auf 199.372, – EUR bezifferten Säumniszuschläge für den Zeitraum 19. Oktober 2006 bis 24. Oktober 2007 nicht offengelegt worden seien. Der Verweis auf den Abrechnungsbescheid vom 1. Juli 2009 sei nicht zielführend, da aus diesem die genannten Säumniszuschläge ebenfalls nicht nachvollziehbar seien.

Aus den Akten zum Klageverfahren betreffend die Pfändung vom 19.10.06 (Az. 8 K 4524/06) ergebe sich die fortwährende Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit des Klägers seit seinem Unfall am 13. Juli 1985. Nach dem Unfall sei es sowohl dem damals bestellten Betreuer als auch dem seit 5. März 2004 bestellten Rechtsanwalt nicht möglich gewesen, die Steuer- und Vermögenssituation des Klägers zu analysieren bzw. aufzuklären. Dies sei auf das Verhalten des Finanzamts zurückzuführen, da es nicht in der Lage gewesen sei, dem Rechtsanwalt die zur Überprüfung der erhobenen Steuerforderungen angeforderten Steuerbescheide zu überlassen. Das Finanzamt habe daher die ordnungsgemäße Abrechnung bzw. Darstellung der Steuerforderungen verweigert. Erst auf Beschluss des Finanzgerichts vom 12. November 2007 habe es den Abrechnungsbescheid vom 1. Juli 2009 erlassen, in dem es die Steuerschuld von 7,8 Mio. EUR laut Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 19. Oktober 2006 auf 4,1 Mio. EUR korrigiert habe. Der Abrechnungsbescheid habe ergeben, dass das Finanzamt zahlreiche Zahlungen und Vermögensverwertungen nicht richtig verbucht habe und dass Forderungen verjährt bzw. mangels wirksamer Bekanntgabe rechtswidrig seien.

Erst seit Eintritt der Bestandskraft des Abrechnungsbescheids am 5. Juli 2010 bestehe Klarheit über die Forderung, da der Rechtsanwalt erst auf Basis dieses Bescheids deren Rechtmäßigkeit habe überprüfen können. Zuvor habe er wegen der dargestellten Verweigerung des Finanzamts und wegen der selbst nachvollzogenen Zahlungen davon ausgehen können, dass keine Steuerschulden mehr bestünden. Somit könnten Säumniszuschläge allenfalls erst ab der Bestandskraft des Abrechnungsbescheids am 5. Juli 2010 angefallen sein.

Der Hauptzweck der Säumniszuschläge, Druck zur Zahlung fälliger Steuern auszuüben, sei seit dem Unfall des Klägers wegen dessen Handlungs- und Geschäftsunfähigkeit und wegen der für die bestellten Betreuer fehlenden Nachvollziehbarkeit der tatsächlichen Steuerforderungen und der Vermögensverhältnisse nicht mehr gegeben gewesen.

Da das Finanzamt die ordnungsmäßige Darlegung der Steuerforderungen verweigert habe und berechtigte Zweifel an den Steuerforderungen bestünden, hätten die Säumniszuschläge auch nicht als Gegenleistung für das Hinausschieben „potentieller” Fälligkeit von Steuern dienen können.

Im Übrigen seien die vor dem Unfall verwirkten Säumniszuschläge aufgrund von Schätzungsbescheiden angefallen, gegen die der Kläger aufgrund des Unfalls keine Einwendungen mehr habe erheben können. Ein Erlassgrund sei für diese Säumniszuschläge auch, dass die zugrunde liegenden Hauptschulden später offensichtlich getilgt worden seien.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Erlassablehnung vom 24. Oktober 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07. Dezember 2010 das Finanzamt zu verpflichten, weitere Säumniszuschläge von 931.401,33 EUR zu erlassen, hilfsweise von 1.851.693,28 EUR zu erlassen.

Hilfsweise regt er an, die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor:

Der Einwand des Rechtsanwalts, die Einspruchsentscheidung leide mangels ausreichender Bezifferung bzw. Nachvollziehbarkeit der als streitgegenständlich bezeichneten Säumniszuschläge an einem schwerwiegenden Begründungsmangel, könne die Klage nicht begründen. Im von der Klage betroffenen Erlassverfahren geht es allein um die Frage der sachlichen oder wirtschaftlichen Unbilligkeit der Erhebung angefallener Säumniszuschläge, dagegen nicht um die Klärung, ob und in welcher Höhe Säumniszuschläge entstanden sind und auch nicht darum, ob die zugrunde liegenden Hauptsteuern wirksam festgesetzt wurden und ob bzw. wann diese getilgt wurden oder durch Verjährung erloschen sind. Die Klärung dieser Fragen sei allein dem Abrechnungsverfahren vorbehalten.

Aufgrund der Feststellungen des bestandskräftigen Abrechnungsbescheid vom 1. Juli 2009 habe in der Einspruchsentscheidung nur noch betragsmäßig die Höhe der insgesamt streitbefangenen Säumniszuschläge (2.771.985,23 EUR) mit dem auf sachliche Billigkeitsgründe zu überprüfenden Säumniszeitraum (10. März 1984 bis 24. Oktober 2007) unter Hinweis auf den Abrechnungsbescheid angegeben werden müssen. Insoweit seien die streitgegenständlichen Säumniszuschläge, der zu prüfende Säumniszeitraum und die zu erlassenden Teilbeträge eindeutig und zutreffend bestimmt worden.

Durch den mit der Einspruchsentscheidung gewährten hälftigen Erlass der nach dem Unfall bis zur Bestellung des Rechtsanwalts als Betreuer angefallenen, nicht verjährten Säumniszuschläge im Zeitraum 1. Januar 1995 bis 5. März 2004 habe das FA im Übrigen die erneut angeführte Geschäftsunfähigkeit des Klägers ermessensfehlerfrei berücksichtigt.

Der Vertreter des Klägers könne auch nicht mit Erfolg einwenden, er habe bei seiner Bestellung zum Betreuer wegen der Geschäftsunfähigkeit des Klägers überhaupt keine Kenntnis über dessen Steuerschulden gehabt bzw. von diesen erst aufgrund der Zahlungsaufforderung vom 6. September 2005 erfahren, da er spätestens seit dem vom Finanzamt Mitte 2002 beantragten Insolvenzverfahren für den Kläger tätig gewesen sei. Bereits ab diesem Zeitpunkt müsse er sich daher weitreichende Kenntnisse über die Vermögenslage des Klägers sowie die Kenntnis über Steuerforderungen bzw. Beitreibungsversuche des Finanzamts zurechnen lassen. Der Sinn der Säumniszuschläge als Druckmittel und als Gegenleistung für das Hinausschieben der durch den Abrechnungsbescheid im Nachhinein bestätigten Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands sei damit jedenfalls ab der Bestellung des Rechtsanwalts als Betreuer wieder erfüllt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II.

Die Klage hat keinen Erfolg, das FA hat den Erlass weiterer Säumniszuschläge zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Säumniszuschläge gehören (§ 37 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 4 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine solche Unbilligkeit kann dabei in der Sache selbst (sachliche Gründe) oder in den persönlichen, d. h. wirtschaftlichen Verhältnissen (persönliche Gründe) begründet sein.

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme – wie diese – ist eine Ermessensentscheidung, die durch das Gericht nur nach Maßgabe des § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder Ermessensfehlgebrauch geprüft werden kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 17. Juni 2004 IV R 9/02 BFH/NV 2004, 505). Für die Ermessensprüfung kommt es dabei auf die tatsächlichen Verhältnisse an, die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) gegeben bzw. erkennbar waren.

Im Streitfall sind keine Ermessensfehler des FA ersichtlich.

Soweit das FA mit Schreiben vom 21. Januar 2011 weitere Säumniszuschläge von insgesamt 1.840.584,11 EUR erlassen hat, kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei diesem Schreiben um einen Verwaltungsakt nach § 118 AO handelt. Denn auch wenn das Schreiben ausdrücklich als Verwaltungsakt bezeichnet worden ist, ist es nicht als Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung zu sehen, wie es der Begriff des Verwaltungsaktes voraussetzt. Da sich das Schreiben ausdrücklich auf die Regelungen der Einspruchsentscheidung bezieht, ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), dass das FA keinen über den mit der Einspruchsentscheidung gewährten Betrag bzw. einen zusätzlichen Betrag von Säumniszuschlägen erlassen wollte.

Doch auch wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass mit dem Schreiben ein Erlass gewährt werden sollte und insoweit von einem Verwaltungsakt auszugehen ist, wurde dieser jedenfalls durch das Schreiben des FA vom 10. Juni 2011 berichtigt. Nach § 129 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeitig berichtigt werden. Als ähnliche Unrichtigkeiten werden insbesondere solche Fehler angesehen, die in einem sonstigen unbewussten, gedankenlos – gewohnheitsmäßigen, unwillkürlichen Vertun bestehen, das insbesondere auf Unachtsamkeit, Flüchtigkeit und Gedankenlosigkeit beruht, vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO, Rz. 10 zu § 129 AO m.w.N.

Ein solches Versehen liegt im Streitfall vor, da die Verfasserin des Schreibens den gesamten Betrag der im Zeitraum 1. Januar 1995 bis 5. März 2004 angefallenen Säumniszuschläge anhand eines Kontoauszugs, also den Betrag von 1.840.584,11 EUR, mitgeteilt hat, aber es fälschlicherweise unterlassen hat darauf hinzuweisen, dass davon nur der hälftige Betrag erlassen wird. Durch den Bezug auf die Einspruchsentscheidung vom 7. Dezember 2010, die sowohl im Tenor als auch in den Gründen ausdrücklich einen Betrag von 920.291,95 EUR nennt, ergibt sich jedoch eindeutig, welcher Betrag vom FA erlassen werden wollte. Das FA hat insoweit mit Schreiben vom 10. Juni 2011 eine Berichtigung nach § 129 AO vorgenommen und den nach der Einspruchsentscheidung zutreffenden Erlassbetrag nochmals benannt.

Die Einspruchsentscheidung, die somit Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens ist, ist unter den Gesichtspunkten der sachlichen und persönlichen Billigkeit nicht zu beanstanden.

Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen u.a. dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13. September 2005 X B 65/05, bisher nicht veröffentlicht, und vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161). Jedoch kommt auch in diesen Fällen nur ein Teilerlass in Betracht, da Säumniszuschläge auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands dienen. Sie sind nur zur Hälfte zu erlassen, denn ein säumiger Steuerpflichtiger soll grundsätzlich nicht besser stehen als ein Steuerpflichtiger, dem Aussetzung der Vollziehung oder Stundung gewährt wurde. Denn die kraft Gesetz entstehenden Säumniszuschläge stellen ein Druckmittel eigener Art dar, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt die Vorschrift des § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch Verwaltungsaufwendungen, die dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen, abgegolten (BFH-Urteil vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161).

Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (vgl. § 19 Abs. 2 Insolvenzordnung – InsO). Unter Zahlungsunfähigkeit ist aus Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen eines Schuldners zu verstehen, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 6. April 2000 IV R 56/99, BFH/NV 2000, 1191). Dauerndes Unvermögen wird bejaht, wenn feststeht, dass der Schuldner in den nächsten drei bis sechs Monaten seine wesentlichen und fälligen Verbindlichkeiten nicht werde begleichen können (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 8. März 1984 I R 44/80, BStBl II 1984, 415).

Zutreffend hat das FA den Erlass für die ab 10. März 1984 bis zur Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 29. Juli 1985 angefallenen Säumniszuschläge sowie für die Säumniszuschläge ab 5. März 2004 mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger bzw. dessen Betreuer aufgrund der sich nach Aktenlage gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse durchaus in der Lage gewesen wäre, die den Säumniszuschlägen zugrunde liegenden Steuerschulden zumindest anteilig zu begleichen. Nach Aktenlage besaß der Kläger bereits vor seinem Unfall neben umfangreichem Grundvermögen erhebliches Bankvermögen. Auch nach der Bestellung des Betreuers am 5. März 2004 verfügte er noch über erhebliches Vermögen sowie über Rentenansprüche in Österreich. Selbst der Betreuer wies in seinem Erlassantrag vom 13. Februar 2007 darauf hin, dass ein Großteil der Steuerschulden sicher beglichen werden könne. Darüber hinaus hat er im Rahmen von Vergleichsverhandlungen eine Teilzahlung von circa 1,8 Mio. EUR angeboten. Soweit der vollständige Umfang seines Vermögens nicht bekannt ist, muss der Kläger die nicht ausreichend zuverlässige Feststellbarkeit der Erlassvoraussetzungen und der Verhältnisse während des maßgeblichen Zeitraums gegen sich gelten lassen, vgl. BFH-Beschluss vom 31. Januar 1996 III B 75/95, BFH/NV 1996, 565. Von einer Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit bzw. einer Stundungssituation des Klägers ist somit nicht einmal ansatzweise auszugehen.

Zu Recht hat das FA auch darauf hingewiesen, dass die Säumniszuschläge von Gesetz wegen anfallen, vgl. § 240 Abs. 1 Satz 1 AO. Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es deswegen für die Beurteilung eines Erlasses nicht darauf an, dass in einem Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO Feststellungen zur Höhe der verwirkten Säumniszuschläge getroffen worden sind. Denn der Erlass eines Abrechnungsbescheids ist nicht Voraussetzung dafür, dass Säumniszuschläge überhaupt entstehen können.

Der Kläger kann auch nicht zu seinen Gunsten geltend machen, dass er aufgrund seines Unfalls geschäfts- und handlungsunfähig und es seinen Betreuern nicht möglich gewesen sei, seine steuerrechtlichen Angelegenheiten zutreffen aufzuklären. Denn das FA hat dem Umstand, dass die Säumniszuschläge aufgrund der Krankheit und Geschäftsunfähigkeit des Klägers ihren gesetzlichen Sinn als Druckmittel zur Zahlung der rückständigen Steuern nicht erfüllen konnten, Rechnung getragen und die im Zeitraum ab dem 1. Januar 1995 bis zur Bestellung eines Betreuers am 5. März 2004 angefallenen Säumniszuschläge zur Hälfte erlassen. Soweit der Kläger ansonsten von Betreuern vertreten worden ist, muss er deren Handeln gegen sich gelten lassen. Zu berücksichtigen ist auch, dass der jetzige Betreuer des Klägers bereits seit Mitte des Jahres 2002 für diesen tätig gewesen ist und sich daher ebenfalls weitreichende Kenntnisse über die Vermögenslage des Klägers und die Beitreibungsversuche des FA zurechnen lassen muss. Er kann daher nicht einwenden, dass er erst mit Erlass des Abrechnungsbescheids Kenntnis von der tatsächlichen Höhe der Steuerschulden erlangen habe können.

Soweit der Kläger vorträgt, dass die vor dem Unfall verwirkten Säumniszuschläge aufgrund von Schätzungsbescheiden angefallen sind und auch im Übrigen große Zweifel an den Steuerforderungen bestünden, ist ihm entgegenzuhalten, dass Einwendungen gegen die den angefallenen Säumniszuschlägen zugrundeliegenden Bescheide im Vollstreckungsverfahren nach § 256 AO grundsätzlich nicht berücksichtigt werden.

Darüber hinaus bleiben Änderungen der Bemessungsgrundlage grundsätzlich unberücksichtigt (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161). Maßgebend ist allein die Höhe der festgesetzten Steuer, die bei Fälligkeit nicht erfüllt worden ist. Nachträgliche Erhöhungen der Bemessungsgrundlage bleiben deshalb genauso unberücksichtigt (vgl. § 240 Abs. 1 Satz 3 AO) wie deren nachträgliche Ermäßigung (§ 240 Abs. 1 Satz 4 AO). Der Gesetzgeber hat mit der ausdrücklichen Regelung in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bewusst in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auch dann zu entrichten sind, wenn sich die Steuerfestsetzung später als unrechtmäßig erweist.

Soweit der Kläger vorträgt, dass die angefallenen Säumniszuschläge teilweise verjährt sind, muss er sich die Bestandskraft des Abrechnungsbescheids vom 1. Juli 2009 entgegen halten lassen, in dem die streitigen Säumniszuschläge festgestellt worden sind, § 218 Abs. 2 Satz 1 AO. In einer solchen Konstellation kann der Steuerpflichtige das Bestehen der Säumniszuschläge im Rahmen eines Erlassverfahrens gemäß § 227 AO nicht in Frage stellen (BFH-Beschluss vom 20. Juli 2007 VIII B 8/06, BFH/NV 2007, 2069). Im Übrigen hat das FA in der Einspruchsentscheidung vom 7. Dezember 2010 die im Abrechnungsbescheid getroffenen Feststellungen zur teilweisen Verjährung der angefallenen Säumniszuschläge berücksichtigt.

Auch ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen wurde vom FA ermessensfehlerfrei verneint.

Persönliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn die Steuererhebung bzw. die Erhebung der steuerlichen Nebenleistung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Das ist der Fall, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (BFH-Beschluss vom 24. Oktober 1988 X B 54/88, BFH/NV 1989, 285, m.w.N.). Dies setzt jedoch voraus, dass sich der Billigkeitserlass auf die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann. Im Streitfall wurde allerdings weder vorgetragen noch ist dies nach Aktenlage ersichtlich, dass der Kläger die Säumniszuschläge nur unter Gefährdung seiner wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz begleichen kann.

Schließlich wäre der Kläger – selbst bei Vorliegen persönlicher Billigkeitsgründe – nicht erlasswürdig, da er seinen steuerlichen Verpflichtungen, insbesondere der fristgerechten Abgabe wahrheitsgemäßer Steuererklärungen, über Jahre hin nicht nachgekommen ist.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe ersichtlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

VorschriftenAO § 227, AO § 37 Abs. 1, AO § 3 Abs. 4, AO § 129

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