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29.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130290

Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 04.06.1997 – 2 AZR 526/96


1.

Die Beurteilung aus Anlaß einer Kündigung, ob eine hochgradige Alkoholisierung im Privatbereich Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit eines Berufsfahrzeugführers zuläßt, liegt weitgehend im Beurteilungsspielraum des Tatsachengerichts.
2.

Auch bei Störungen im Vertrauensbereich ist jedenfalls dann vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (insoweit teilweise Aufgabe der Rechtsprechung in den Urteilen vom 4. April 1974 - 2 AZR 452/73 - BAGE 26, 116 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und vom 30. November 1978 - 2 AZR 145/77 - AP Nr. 1 zu § 64 SeemG).


BAG, 04.06.1997

2 AZR 526/96

In dem Rechtsstreit
hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts gemäß § 128 ZPO
in der Sitzung am 4. Juni 1997
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Etzel,
die Richter Bitter und
Dr. Fischermeier sowie
die ehrenamtlichen Richter Röder und
Dr. Bächle
für Recht erkannt:
Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 11. Juni 1996 - 7 Sa 14/96 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand

Der Kläger (geboren am 8. Dezember 1968) war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 18. Juli 1988 zunächst als Betriebsaufsicht, seit Dezember 1988 als Triebfahrzeugfahrer und seit Anfang 1991 als Zugfahrer bei der U-Bahn beschäftigt, und zwar zuletzt gegen eine Vergütung von ca. 3.900,-- DM.

Am 16. Februar 1995 erhielt die Beklagte den Entwurf eines von der Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Tiergarten beantragten, aber noch nicht erlassenen Strafbefehls, aus dem sich ergab, daß der Kläger am 11. Dezember 1994 gegen 16.10 Uhr in Berlin ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hatte, obwohl er infolge Alkoholgenusses bei einer um 17.43 Uhr festgestellten Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,73 Promille dazu nicht in der Lage war; er war wegen alkoholbedingter Unachtsamkeit auf einen vor einer Kreuzung wartenden PKW aufgefahren und hatte dabei einen Fremd-Sachschaden von 800,-- DM verursacht. Nach dem inzwischen rechtskräftig gewordenen Strafbefehl wurde gegen den Kläger eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 70,-- DM verhängt und der Führerschein eingezogen; eine neue Fahrerlaubnis kann danach nicht vor Ablauf von 10 Monaten erteilt werden. Bei seiner Anhörung am 20. Februar 1995 gab der Kläger an, am 10. Dezember 1994 seinen Geburtstag nachgefeiert und am 11. Dezember 1994 an einem Frühschoppen teilgenommen zu haben, nach dessen Beendigung er einen Freund habe nach Hause fahren wollen; den Vorfall habe er dem Arbeitgeber nicht gemeldet, weil er erst die Verurteilung habe abwarten wollen; auf Befragen hat der Kläger ferner erklärt, keine Alkoholprobleme zu haben.

Der zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung angehörte Personalrat verweigerte am 28. Februar seine Zustimmung, die erst in dem gemäß § 80 PersVG Berlin angestrengten Einigungsstellenverfahren durch Beschluß der Einigungsstelle vom 24. April 1995 ersetzt wurde. Mit Schreiben vom 25. April 1995 sprach die Beklagte die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung mit der Begründung aus, aufgrund des Vorfalls mit dem erheblichen Alkoholisierungsgrad bestünden Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers, die notwendig sei, um ihn im öffentlichen Personennahverkehr einsetzen zu können; das Vertrauen in ihn sei unheilbar zerstört, so daß keine Grundlage mehr für eine weitere Zusammenarbeit bestehe.

Der Kläger hat geltend gemacht, ein Rückschluß auf seine angebliche Unzuverlässigkeit sei aufgrund des einmaligen Vorfalls nicht gerechtfertigt. Für seine Tätigkeit als U-Bahn-Zugführer benötige er keinen Führerschein. Jedenfalls könne er als Zugabfertiger eingesetzt werden, wobei für diese Tätigkeit keine Fahrerlaubnis vorausgesetzt werde. Die Beklagte habe auch andere Beschäftigungsmöglichkeiten nicht geprüft. Er bestreite, am 12. Dezember 1994 gegen 10.00 Uhr seine Arbeit unter Restalkohol angetreten zu haben.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose noch durch die fristgemäße Kündigung vom 25. April 1995 aufgelöst worden sei.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungantrag vorgetragen,

sie habe den Kläger sofort nach Bekanntwerden des Vorfalls nicht mehr zum Dienst zugelassen, weil er sich aufgrund der Alkoholfahrt als unzuverlässig zum Führen von Fahrzeugen im öffentlichen Nahverkehr erwiesen habe. Die hohe BAK belege ein mangelndes Verantwortungsbewußtsein des Klägers, so daß ihm die charakterliche Eignung fehle, weiterhin als Zugführer tätig zu werden. Ein Einsatz außerhalb des Fahrdienstes sei ebenfalls nicht möglich, weil derartige Stellen aufgrund der Umstrukturierungsmaßnahmen sofort wiederbesetzt würden.

In der Berufungsinstanz hat die Beklagte die Behauptung nachgeschoben, der Kläger habe am 12. Dezember 1994 gegen 10.00 Uhr den Dienst als Reserve aufgenommen, obwohl er bei einem Blutalkoholabbau von 0,1 Promille pro Stunde bei Dienstantritt noch eine BAK von 1,08 Promille gehabt habe. Auch dies belege die charakterliche Unzuverlässigkeit und Nichteignung des Klägers. Unter diesen Umständen habe es einer Abmahnung nicht bedurft.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte nach wie vor Klageabweisung.
Gründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die fristlose noch durch die fristgemäße Kündigung wirksam aufgelöst worden, § 626 BGB, § 1 Abs. 2 KSchG.

I.

Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Zwar habe der Kläger gegen einschlägige verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen, er sei aber als U-Bahn-Zugführer, der einmalig bei einer alkoholbedingten PKW-Privatfahrt aufgefallen sei, noch nicht als derart unzuverlässig zu beurteilen, daß er kein Vertrauen mehr verdiene. Davon könne erst bei einer nochmaligen Verfehlung die Rede sein. Die Möglichkeit seines Einsatzes sei auch nicht von der Gültigkeit eines PKW-Führerscheins abhängig. Wenn der Kläger nach diesem Vorfall am nächsten Tag die Arbeit wieder angetreten habe, so könne aufgrund eines eingeholten Gutachtens allenfalls noch von einer BAK von 0,1 Promille bei Dienstantritt ausgegangen werden. Sowohl die außerordentliche wie auch die ordentliche Kündigung verstieße gegen das Übermaßverbot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Beklagte habe es bei einer Abmahnung bewenden lassen können, so daß der Kläger seine Eignung und Zuverlässigkeit für den Dienst dauerhaft habe unter Beweis stellen können.

II.

Dem folgt der Senat im Ergebnis wie auch in wesentlichen Teilen der Begründung. Die Revision rügt zu Unrecht eine Verkennung der Rechtsbegriffe in § 626 BGB, § 1 Abs. 2 KSchG. Auch die Rüge der unzureichenden Auswertung des Sachverständigengutachtens greift nicht durch.

1.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung, ob ein bestimmter Sachverhalt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes erfüllt, ist vorrangig Sache des Tatsachengerichts. Es handelt sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Diese kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat (ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. Urteile vom 6. August 1987 - 2 AZR 226/87 - AP Nr. 97 zu § 626 BGB und vom 9. März 1995 - 2 AZR 497/94 - AP Nr. 123, aaO).

a)

Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist kein Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts zu erkennen. Das Landesarbeitsgericht ist unter teilweiser Inbezugnahme des arbeitsgerichtlichen Urteils (§ 543 ZPO) zu der Würdigung gekommen, die alkoholbedingte Verursachung des Verkehrsunfalls am 11. Dezember 1994 schließe auch angesichts der hohen BAK des Klägers (2,73 Promille) seine Weiterbeschäftigung als Zugführer im U-Bahn-Verkehr nicht aus. Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf abgestellt, daß ein Fahrbediensteter nur tätig sein darf, wenn er nicht durch Tatsachen belastet ist, die ihn für die Tätigkeit als unzuverlässig erscheinen lassen, § 10 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen vom 11. Dezember 1987 (BOStrab) i.V.m. § 1 Abs. 6 Nr. 1 BOStrab. Das Landesarbeitsgericht hat alsdann entscheidend darauf abgestellt, ein U-Bahn-Zugführer, der einmalig im Straßenverkehr bei einer Privatfahrt alkoholisiert ein Kraftfahrzeug geführt habe, sei durch diesen Umstand noch nicht so belastet, daß er für seine dienstliche Tätigkeit deshalb als unzuverlässig erscheine. Dieses Abstellen auf die Einmaligkeit des Vorfalles und auf die Tatsache, daß derselbe sich bei einer Privatfahrt außerhalb des Dienstes zugetragen hat, hält sich im Beurteilungsspielraum des Tatsachenrichters. Das Landesarbeitsgericht hat nicht verkannt, daß die hochgradige Alkoholisierung des Klägers bei einer Privatfahrt in den dienstlichen Bereich aufgrund der Tätigkeit des Klägers als U-Bahn-Zugführer hineinwirkt, es hat indessen die Weiterbeschäftigung des Klägers in dieser Eigenschaft trotz der Trunkenheitsfahrt als der Beklagten zumutbar angesehen. Gerade die Bewertung der für und gegen die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sprechenden Umstände liegt weitgehend im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz.

Dazu hat das Landesarbeitsgericht zusätzlich darauf abgestellt, im Gegensatz zu dem früher vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall (Urteil vom 22. August 1963 - 2 AZR 114/63 - AP Nr. 51 zu § 626 BGB) sei vorliegend wesentlich, daß der Entzug des Führerscheins nicht wie seinerzeit bei dem Omnibusfahrer den weiteren Einsatz des Klägers unmöglich mache. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76 - AP Nr. 70, aaO), nach der sogar der Verlust der Fahrerlaubnis bei einem Kraftfahrer unter dem Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkt (ultima-ratio) nicht ohne weiteres die außerordentliche Kündigung bedingt, solange noch andere Einsatzmöglichkeiten gegeben sind. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob unter diesem Gesichtspunkt die vorliegende Kündigung nicht schon deshalb unwirksam ist, weil die Beklagte kaum ernsthaft die Möglichkeit geprüft hat, den Kläger jedenfalls als Zugabfertiger - wie auch zu Beginn seines Arbeitsverhältnisses - einzusetzen. Die Einlassung der Beklagten, ein Einsatz des Klägers außerhalb des Fahrdienstes sei nicht möglich gewesen, weil derartige Stellen aufgrund der Umstrukturierungsmaßnahmen sofort wieder besetzt würden, läßt nicht erkennen, ob eine solche Möglichkeit nicht auch für den Kläger trotz der Umstrukturierungsmaßnahmen bestand.

Darauf braucht aber letztlich nicht abgestellt zu werden, denn das Landesarbeitsgericht hat weiter im Rahmen der allseitigen Interessenabwägung berücksichtigt, daß - wiederum im Gegensatz zu dem erwähnten Omnibusfahrer - der Kläger in der Vergangenheit nicht den Anschein erweckt hat, als habe er die Pflicht zur Enthaltsamkeit in und kurz vor dem Dienst (vgl. dazu auch noch zu II 1b), was den Alkohol angeht, nicht immer gewahrt. Insbesondere hat sich die Beklagte zu der schon anläßlich der Anhörung des Klägers am 20. Februar 1995 von ihm gemachten Erklärung, er habe keine Alkoholprobleme, im Prozeß nicht weiter geäußert. Auch die vom Landesarbeitsgericht für den Senat gemäß § 561 ZPO verbindliche Feststellung, daß es sich um eine einmalige alkoholbedingte Entgleisung handele, hat die Beklagte nicht angegriffen. Im Grunde genommen erschöpft sich die Revision darin, ihre Wertung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts zu setzen und trotz der vom Landesarbeitsgericht herausgearbeiteten Unterschiede zwischen dem vorliegenden und dem Omnibusfahrerfall darauf zu bestehen, das seinerzeit gefundene Ergebnis sei auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Insofern äußert sich die Revision auch nicht zu dem weiter vom Landesarbeitsgericht herausgestellten Gesichtspunkt, der Postomnibusfahrer habe im Jahre 1963 alsbald wieder eine Stelle gefunden, während die Arbeitsmarktlage im Jahre 1995 für den Kläger wesentlich schlechter zu beurteilen sei. Soweit die Revision schließlich argumentiert, die Beklagte könne ihren Fahrgästen nicht zumuten, darauf zu vertrauen, daß sich die beim Kläger vorliegende Alkohollabilität auf den außerdienstlichen Bereich beschränke und dienstlich nicht auswirken werde, kann sie damit, soweit darin ein neuer Sachvortrag zu sehen sein sollte, nicht gehört werden, § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Denn von einer Alkohollabilität oder Alkoholanfälligkeit beim Kläger war in den Tatsacheninstanzen nie die Rede. Bereits das Arbeitsgericht, auf dessen Entscheidungsgründe das Landesarbeitsgericht sich gemäß § 543 ZPO gestützt hat, hat herausgestellt, in dem fast 7 Jahre bestehenden Arbeitsverhältnis habe es keinerlei einschlägige Vorfälle mit dem Kläger gegeben. Beide Gerichte haben bei ihrer Würdigung nicht beschönigt, daß ein gravierendes Fehlverhalten des Klägers vorliegt, das auch angesichts der Privatfahrt wegen der hohen Alkoholkonzentration in das Arbeitsverhältnis hineinwirke. Das Arbeitsgericht hat noch angemerkt, daß die generelle Annahme nicht gerechtfertig sei, derjenige, der privat unter Alkoholeinfluß Auto fahre, tue dies auch im Fahrdienst. Auch diese Überlegungen halten sich im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanzen, wobei vertretbar gewürdigt worden ist, ohne Hinzutreten weiterer Umstände sei eine Weiterbeschäftigung nicht unzumutbar. Eben auf das Hinzutreten solcher weiterer Umstände hat auch das Bundesarbeitsgericht in dem erwähnten Omnibusfahrerfall abgestellt.

b)

Soweit die Kündigung von der Beklagten in der Berufungsinstanz weiter damit begründet worden ist, der Kläger habe am 12. Dezember 1994 noch unter Alkoholeinwirkung stehend den Reservedienst angetreten, ist schon fraglich, ob die Beklagte sich auf diesen nachgetragenen Umstand angesichts der Tatsache, daß hierzu der Personalrat nicht angehört worden ist, überhaupt berufen kann (vgl. dazu die einschlägige Senatsrechtsprechung u. a. Urteile vom 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG und vom 29. März 1990 - 2 AZR 369/89 - AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 4 der Gründe, m.w.N.).

Auch dies braucht indessen nicht weiter vertieft zu werden, denn nach der wiederum für den Senat nach § 561 ZPO verbindlich getroffenen Feststellung des Landesarbeitsgerichts lag beim Kläger bei Dienstantritt am 12. Dezember 1994 allenfalls eine BAK von 0,1 Promille vor. Dies hat das Landesarbeitsgericht mit Hilfe eines Sachverständigen geklärt, der von typischen Abbauwerten ausgehend zu diesem Ergebnis gekommen ist. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B... ist im übrigen nicht ausgeschlossen, daß die Abbaurate noch erheblich höher war, so daß überhaupt kein Restalkohol beim Kläger vorgelegen haben könnte. Wenn das Landesarbeitsgericht einen Restalkoholgehalt von 0,1 Promille als geringen und erstmaligen Pflichtverstoß - wenn man von einem solchen bei dieser geringen Restmenge überhaupt ausgehen will - angesehen hat, bei dem es jedenfalls einer Abmahnung bedurft hätte, so liegt darin keine Verletzung von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen. Im Hinblick auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Abmahnungserfordernis vor verhaltensbedingten Pflichtverstößen (u. a. bei Alkoholmißbrauch Senatsurteil vom 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu B III 4 der Gründe, mit zustimmender Anm. von Fleck) ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Ergebnis des Gutachtens wird im übrigen mit der Revision nicht in Zweifel gezogen.

c)

Soweit die Revision dem Landesarbeitsgericht eine unvollständige Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vorhält, geschieht dies zu Unrecht. Richtig ist, daß im Gutachten davon die Rede ist, der gemessene Wert von 2,73 Promille deute auf Alkoholgewöhnung hin und lasse eine noch höhere Abbaurate erwarten; daraus kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, der Sachverständige habe beim Kläger eine tatsächlich vorliegende Alkoholgewöhnung festgestellt. Dagegen spricht bereits, daß der Sachverständige den Kläger gar nicht untersucht hat, sondern lediglich von allgemeinen, wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Abbauwerten ausgegangen ist. Die Argumentation der Revision, aus der Alkoholgewöhnung des Klägers sei auf seine charakterliche Ungeeignetheit zu schließen, enthält daher wiederum nur neues Tatsachenvorbringen zu einer angeblich vorliegenden Alkoholgewöhnung, das der Senat gemäß § 561 Abs. 1 ZPO nicht berücksichtigen kann.

d)

Wenn das Landesarbeitsgericht schließlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich sowohl unter verhaltens- wie auch personenbedingten Gesichtspunkten eine Abmahnung nicht als entbehrlich angesehen hat, so ist auch diese Annahme revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist nach der Ausgangsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei Störungen im Vertrauensbereich eine vorherige Abmahnung grundsätzlich entbehrlich (vgl. z. B. Urteil vom 4. April 1974 - 2 AZR 452/73 - BAGE 26, 116 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; Urteil vom 30. November 1978 - 2 AZR 145/77 - AP Nr. 1 zu § 64 SeemG). Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht aber später dahin modifiziert, daß bei Störungen im Vertrauensbereich eine Abmahnung jedenfalls dann nicht entbehrlich ist, wenn der Arbeitnehmer annehmen durfte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig bzw. der Arbeitgeber werde es zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten ansehen (vgl. Urteil vom 30. Juni 1983 - 2 AZR 524/81 - AP Nr. 15 zu Art. 140 GG; Urteil vom 5. November 1992 - 2 AZR 147/92 - AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit; Urteil vom 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Damit hat der Senat aber vorausgesetzt, daß das Abmahnungserfordernis auch bei Störungen im Vertrauensbereich jedenfalls zu prüfen ist. Zum anderen wird aus diesen Ausnahmen deutlich, daß die Differenzierung nach verschiedenen Störbereichen nur von eingeschränktem Wert ist (vgl. KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB Rz 99b ff.). Zu prüfen ist deshalb das Abmahnungserfordernis bei jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Verhaltens des Arbeitnehmers oder aus einem Grund in seiner Person ausgesprochen wurde, den er durch sein steuerbares Verhalten beseitigen, wenn also eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden konnte (vgl. ähnlich KR-Hillebrecht, aaO, und Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rz 684 ff., jeweils m.w.N.). Mit dieser Klarstellung hält der Senat an der Ausgangsrechtsprechung nicht mehr fest.

Wenn das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang davon ausgegangen ist, eine Abmahnung werde beim Kläger den gewünschten Erfolg haben, nämlich sowohl eine Änderung des Verhaltens als auch eine Wiederherstellung der erforderlichen Eignung und Zuverlässigkeit für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung herbeiführen, der Kläger werde seine Zuverlässigkeit dauerhaft unter Beweis stellen, so hält sich dies im Beurteilungsspielraum des Tatsachenrichters, der zu Recht - wenn auch unausgesprochen - davon ausgegangen ist, hierbei gehe es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers.

2.

Soweit die Vorinstanzen unter dem Gesichtspunkt des § 1 Abs. 2 KSchG auch die ordentliche Kündigung nicht haben gelten lassen, gelten ähnliche Überlegungen.

a)

Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz ebenfalls nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. u. a. Senatsurteil vom 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu B III 1 der Gründe, m.w.N.). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angegriffene Urteil ebenfalls stand.

b)

Wie der Senat in dem eben erwähnten Urteil herausgearbeitet hat, ist ein nicht auf Alkoholabhängigkeit beruhender Alkoholmißbrauch im Betrieb an sich geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen. Ob diese Rechtsprechung ohne weiteres auf einen Alkoholmißbrauch im privaten Bereich, wenn dies in den dienstlichen Bereich hineinwirkt, übertragen werden kann, erscheint schon sehr fraglich. Das Landesarbeitsgericht hat sich auch insoweit die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts zueigen gemacht, das seinerseits darauf hingewiesen hat, bei einer Fallkonstellation wie der vorliegenden gehe es in erster Linie um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis überhaupt fortbestehe oder nicht, wobei eine fehlende charakterliche Eignung des Klägers für den Fahrdienst durch die einmalige private Trunkenheitsfahrt nicht indiziert werde. Auch diese Wertung hält sich im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanzen. Ergänzend hat das Landesarbeitsgericht angemerkt, auch wenn hier personenbedingte und verhaltensbedingte Gründe ineinander übergingen, so könne eine Abmahnung durchaus den gewünschten Erfolg haben, nämlich sowohl eine Änderung des Verhaltens als auch eine Wiederherstellung der erforderlichen Eignung und Zuverlässigkeit für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung herbeiführen. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb die Annahme als gerechtfertigt angesehen, daß der Kläger aufgrund einer Abmahnung im Zusammenhang mit der Trunkenheitsfahrt am 11. Dezember 1994 (und dem Dienstantritt am 12. Dezember 1994) sein Verhalten ändern und seine Eignung und Zuverlässigkeit für den Dienst als U-Bahn-Zugführer dauerhaft unter Beweis stellen würde, so daß sich deshalb auch die ordentliche Kündigung als sozial nicht gerechtfertigt erweise. Dem ist nach dem oben zu II 1c Gesagten zuzustimmen.

Auch der Senat hat im Urteil vom 26. Januar 1995 (AP, aaO) entschieden, bei Alkoholmißbrauch sei regelmäßig eine Abmahnung erforderlich (zu B III 4a der Gründe). Der Senat hat dabei darauf hingewiesen, der Kündigungszweck sei zukunftsbezogen ausgerichtet; entscheidend sei, ob eine Wiederholungsgefahr bestehe und ob sich das vergangene Ereignis auch zukünftig belastend auswirke; deshalb werde erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, daß sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragsgetreu verhalten werde; demnach sei eine Abmahnung nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen hätten, aufgrund derer sie als nicht erfolgversprechend angesehen werden könnte. Solche besonderen Umstände hat der Senat angenommen, wenn der Arbeitnehmer eindeutig nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten; dies sei der Fall, wenn er seine Vertragsverletzungen hartnäckig und uneinsichtig fortsetze, obwohl er die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens kenne. Eben solche Umstände hat das Landesarbeitsgericht vorliegend nicht festgestellt, im Gegenteil: Das Landesarbeitsgericht ist unter Würdigung der Gesamtumstände zu dem Ergebnis gekommen, ohne eine derartige Abmahnung sei vorliegend nicht davon auszugehen, daß der Kläger sein Verhalten nicht ändern und seine Eignung und Zuverlässigkeit nicht unter Beweis stellen werde. Wenn die Revision meint, eine bloße Abmahnung wäre keine ausreichende Sanktion, um das Gefahrbewußtsein und die Disziplin in dieser Hinsicht aufrechtzuerhalten, setzt sie wiederum nur ihre Wertung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts.

Selbst wenn das Berufungsgericht nicht noch gesondert auf das Problem der Alkoholdisziplin im Betrieb der Beklagten eingegangen ist, so ist dies vorliegend schon deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, weil es nicht um einen Alkoholmißbrauch im Betrieb geht. Außerdem stellt die Kündigung kein Disziplinierungsmittel gegenüber der Belegschaft dar (vgl. Senatsurteil vom 21. November 1996 - 2 AZR 357/95 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 4a der Gründe), wenn auch im Einzelfall Gesichtspunkte der Betriebsdisziplin bei der Interessenabwägung je nach den Umständen eine. Rolle spielen können (vgl. die Rechtsprechungnachweise bei Bitter/Kiel, RdA 1995, 26, 33; KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 397). Vorliegend ist jedenfalls nicht ersichtlich, daß es sich hier um die Außerachtlassung eines wesentlichen Umstandes handelt, so daß deshalb das Landesarbeitsgericht den Kündigungssachverhalt etwa nicht vollständig gewürdigt hätte.

RechtsgebieteBGB, KSchG, BOStrabVorschriften§ 626 BGB § 1 Abs. 2 KSchG § 1 Abs. 6 BOStrab § 10 Abs. 1 BOStrab

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