Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

27.02.2013

Landesarbeitsgericht: Urteil vom 05.11.2012 – 5 Sa 77/12


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.01.2012, Az.: 11 Ca 2631/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten um die zutreffende Eingruppierung des Klägers bei der Beklagten.

Im Mittelpunkt steht dabei die Anwendung des zwischen dem Marburger Bund Landesverband Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz e. V., dem der Kläger angehört, und der Beklagten abgeschlossene Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an den Kliniken der DRK-Trägergesellschaft Süd-West (TV-Ärzte DRK Süd-West) vom 05.05.2009.

Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er wurde zum 01.06.1996 mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 18.04.1996 vom Landkreis Z.-Stadt als Oberarzt eingestellt. Im Arbeitsvertrag heißt es unter anderem:

"§ 2

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.

§ 3

Der Angestellte ist in die Vergütungsgruppe I b der Anlage 1 a zum BAT eingruppiert (§ 22 Abs. 3 BAT)."

Hinsichtlich des weiteren Inhalts des schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrages wird auf Bl. 17 f. d. A. Bezug genommen. Das Arbeitsverhältnis ging nachfolgend auf die Krankenhäuser des Kreises Z.-Stadt gGmbH über. Mit Ausscheiden des vorherigen Chefarztes wurde dem Kläger im Oktober 2002 die kommissarische Leitung der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie zugewiesen. Zum Arbeitsvertrag wurde am 02.10.2002 ein "1. Nachtrag [.....]" schriftlich vereinbart, der unter anderem folgenden Wortlaut hat:

"§ 3

Der Angestellte ist in die Vergütungsgruppe I eingruppiert. Der Angestellte erkennt die Eingruppierung und die Regelung seiner Vergütung als richtig an."

Hinsichtlich des weiteren Inhalts dieser vertraglichen Vereinbarung wird auf Bl. 28 d. A. Bezug genommen.

Das Beschäftigungskrankenhaus des Klägers wurde sodann von der Beklagten übernommen und als Teil des Y. Klinikum W.-Stadt geführt, nunmehr als Y. Kreiskrankenhaus V.-Stadt. Dieses wendet auf das Arbeitsverhältnis - außer in Fragen der Vergütung, die weiter (statisch) nach dem BAT/VKA gezahlt wurde - den ab 01.07.2006 geltenden, von ihr mit der Gewerkschaft ver.di geschlossenen Haustarifvertrag an. Nach Abschluss des TV-Ärzte/DRK Süd-West vom 05.05.2009 leitete sie das Arbeitsverhältnis rückwirkend zum 01.02.2009 und nach Maßgabe der Regelungen des zwischen ihr und dem D. Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz e.V. (u.a.) abgeschlossenen Tarifvertrages zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte an den Kliniken der Y.-Trägergesellschaft Süd-West (TVÜ-Ärzte/DRK Süd-West) in den TV-Ärzte Süd-West über. Im Hinblick auf die Vergütung hat sie den Kläger in die Entgeltgruppe III eingruppiert; insoweit wird auf das Schreiben der Beklagten vom 26.09.2009 (Bl. 22 d.A.) Bezug genommen.

Die vorliegend maßgeblichen Vorschriften des TV-Ärzte/DRK Süd-West haben folgenden Wortlaut:

"§ 15 Allgemeine Eingruppierungsregelungen

(1) Die Eingruppierung der Ärzte richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen des § 16. Der Arzt erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in der er eingruppiert ist.

(2) Der Arzt ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. Kann die Erfüllung einer Anforderung in der Regel erst bei der Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden, sind diese Arbeitsvorgänge für die Feststellung, ob diese Anforderung erfüllt ist, insoweit zusammen zu beurteilen. Ist in einem Tätigkeitsmerkmal als Anforderung eine Voraussetzung in der Person des Angestellten bestimmt, muss auch diese Anforderung erfüllt sein.

Protokollerklärungen zu § 15 Abs. 2

Arbeitsvorgänge sind Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der Ärztin/ des Arztes, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (z.B. Erstellung eines EKG). Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.

(3) Die Entgeltgruppe des Arztes ist im Arbeitsvertrag anzugeben.

§ 16 Eingruppierung

Ärzte sind wie folgt eingruppiert:

a) Entgeltgruppe I:

Arzt, soweit nicht fachfremd eingesetzt

b) Entgeltgruppe II:

Facharzt, soweit nicht fachfremd eingesetzt

c) Entgeltgruppe III: Oberarzt

Protokollerklärung zu Buchst. c):

Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für selbstständige Teil- und Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden sind.

d) Entgeltgruppe IV:

Leitender Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die ständige Vertretung des leitenden Arztes (Chefarzt) vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.

Protokollerklärung zu Buchst. d:

Leitender Oberarzt ist nur derjenige Arzt, der den leitenden Oberarzt in der Gesamtheit seiner Dienstaufgaben vertritt. Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb einer Klinik in der Regel nur von einem Arzt erfüllt werden."

Das Y. Krankenhaus V.-Stadt ist in mehrere Fachabteilungen - "Sektionen" - unterteilt. Zwei davon sind chirurgische, nämlich die Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, sowie die Allgemein- und Gefäßchirugie. Für jede dieser Sektionen ist ein Chefarzt tätig, der die jeweilige medizinische Letztverantwortung trägt; Herr Dr. U. für die Unfall- und Wiederherstellungschirurgie (ab.01.11.2002) und Herr Dr. T. für die Allgemein- und Gefäßchirurgie. Zur Unfall- und Wiederherstellungschirurgie gehören die Stationen C 5 und C 7, zur Allgemein- und Gefäßchirurgie die Stationen C 6 und C 8. Insoweit sind getrennte Operationssäle vorhanden. Auch die Sprechstunden werden separat abgehalten. Der Kläger und der Oberarzt Dr. S. sind jeweils ausschließlich einer Sektion zugeordnet (der Kläger der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Dr. S. der Allgemein- und Gefäßchirurgie). Lediglich der Oberarzt Dr. R. ist sektionsübergreifend tätig. Einheitlich gestaltet ist auch der Bereitschaftsdienst.

Der Kläger vertritt den Chefarzt der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Dr. U., bei jeder Verhinderung, unabhängig von dessen An- oder Abwesenheit in der Gesamtheit seiner Aufgaben, einschließlich der ärztlichen Letztentscheidung und in Angelegenheiten verwaltungstechnischer Art. Ihm obliegen auch Aufgaben großer Komplexität, insbesondere Operationen und Patientenverlegungen. Der Kläger ist gegenüber allen dem Chefarzt unterstellten ärztlichen wie nicht-ärztlichen Mitarbeitern uneingeschränkt weisungsbefugt, insbesondere gegenüber Assistenzärzten, Fachärzten und Oberärzten. Er vertritt den Chefarzt auch in dessen berufsgenossenschaftlichen Durchgangsarzt - § 34 SGB VII - und Privat-liquidationsfällen (§ 4 Abs. 2 GOÄ), wobei liquidationsvertretungsbefugt insoweit auch noch der Oberarzt Dr. R. ist. Zudem nimmt der Kläger an Konferenzen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen teil, führt Korrespondenzen mit niedergelassenen Ärzten und hält allgemeine wie besondere Sprechstunden. In der Internetpräsenz der Beklagten wird er als leitender Oberarzt geführt (vgl. Bl. 19 f. d. A.).

Der Kläger hat vorgetragen,

die Beklagte sei bereits einzelvertraglich zur Zahlung einer leitenden Oberarzt-Vergütung verpflichtet. Die am 02.10.2002 vereinbarte Vergütung sei die eines ständigen Vertreters des Chefarztes. Er, der Kläger, sei seinerzeit zum ständigen Chefarztvertreter bestellt worden. Inhaltliche oder zeitliche Beschränkungen habe es nicht gegeben; die Funktion habe sich seither auch nicht verändert. Selbst wenn die Vergütung seinerzeit als außertariflich anzusehen gewesen sei, müsse sie bei der Überführung in den TV-Ärzte/DRK Süd-West gleichwohl beibehalten werden. Die Vertragsänderung vom 02.10.2002 lasse sich lediglich unter Berücksichtigung der eingruppierungsrelevant veränderten Tätigkeit erklären. Die Vergütungsregelung sei auch zu keinem Zeitpunkt befristet oder rückkorrigiert worden.

Zur weiteren Darstellung des streitigen Vorbringens des Klägers insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 7 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 190 d. A.) Bezug genommen.

Zudem seien auch die Eingruppierungsmerkmale des TV-Ärzte DRK Süd-West mit der Entgeltgruppe IV erfüllt. Entgegen dem Beklagtenvorbringen sei er (der Kläger) zum ständigen Vertreter von Herrn Dr. U. bestellt worden. Die Sektion Unfall- und Wiederherstellungschirurgie wie auch der Allgemein- und Gefäßchirurgie seien medizinalrechtlich und fachlich voneinander getrennt.

Zur weiteren Darstellung des streitigen Vorbringens des Klägers im erstinstanz-lichen Rechtszug insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 7, 8 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 190, 191 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seit dem 01. Februar 2009 die Vergütung nach der Entgeltgruppe IV (leitender. Oberarzt) des TV-Ärzte/DRK Süd-West zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

der Nachtrag zum Arbeitsvertrag des Klägers habe dessen geschuldete Tätigkeit als Oberarzt aufgabengemäß unangetastet gelassen. Er sei nur als außertariflicher Höhergruppierung verständlich, wie sie seinerzeit mit allen Oberärzten am Standort V.-Stadt vereinbart worden sei, um diese dort zu halten. Die Abteilung Chirurgie habe seinerzeit - unstreitig - nur über eine Chefarztstelle, zwei Oberarztstellen (die vom Kläger und Herrn Dr. R. besetzt gewesen seien) und 6,7 ärztliche Vollzeitstellen verfügt. Eine Bestellung zum ständigen Vertreter des leitenden Arztes sei für den Kläger weder zum 01.10.2002 noch später erfolgt. Dass die BAT-Vergütung für die Einreihung nach TV-Ärzte/DRK Süd-West unmaßgebend sei, folge unschwer schon aus §§ 16, 19 TV-Ärzte/DRK Süd-West. In § 3 TVÜ-Ärzte/DRK Süd-West sei zudem ausdrücklich geregelt, dass Oberärzte bei Überführung in das neue Tarifgefüge nur als Oberärzte weiterzuführen seien. Das monatliche Gehalt des Klägers sei im Übrigen aufgrund der Überführung in den TV-Ärzte/DRK Süd-West mit der Einreihung in die Entgeltgruppe III faktisch ge-stiegen.

Der Anspruch des Klägers lasse sich auch nicht tarifvertraglich begründen. Die Abwesenheitsvertretung durch den Kläger erfülle das Tarifmerkmal der ständigen Vertretung nicht. Die Tätigkeit des Klägers umfasse keine Vertretung in maßgebenden Teilen der Leitungsfunktion unter Anwesenheit des Chefarztes. Der Kläger führe allenfalls gelegentlich Chefarztvisiten und allgemeine oder besondere Sprechstunden durch, solange Herr Dr. U. noch im Hause sei. Durchgangsarztsachen begründeten daneben ebenso wenig Chefarztkompetenzen wie die Teilnahme an Konferenzen mit dem medizinischen Dienst der Krankenkasse oder Arztbriefabfassungen gegenüber niedergelassenen Ärzten. Das beklagteninterne Anforderungsprofil für leitende Oberärzte (vgl. Bl. 73 ff. d. A.) erfülle der Kläger nicht. Auf Ruf- und Bereitschaftsdienste könne er seinen Anspruch zudem nicht stützen, weil derartige Tätigkeiten für leitende Oberärzte gerade untypisch seien. Die Sektion Unfall- und Wiederherstellungschirurgie genüge auch dem Merkmal "Klinik" i. S. d. § 16 TV-Ärzte/DRK Süd-West nicht.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat daraufhin durch Urteil vom 15.11.2011 - 11 Ca 2631/11 - festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seit dem 01.02.2009 die Vergütung nach der Entgeltgruppe IV (leitender Oberarzt) des TV-Ärzte/DRK Süd-West zu zahlen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 185 bis 207 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 26.01.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 10.02.2012 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 26.03.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, mit dem Arbeitsgericht sei zwar davon auszugehen, dass dem Kläger ein vertraglicher Anspruch auf die geltend gemachte Eingruppierung nicht zustehe. Darüber hinaus sei aber auch entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ein tarifvertraglicher Anspruch nicht gegeben. Denn die tariflichen Voraussetzungen seien insoweit nicht gegeben. Die vom Kläger auszuübende Tätigkeit sei nicht diejenige einer ständigen Vertretung des leitenden Arztes der Abteilung Chirurgie des Y. Krankenhauses V.-Stadt. Der Kläger habe nicht dargelegt, welche Führungs- und Leitungsaufgaben er in Anwesenheit des Chefarztes der Abteilung Chirurgie überhaupt wahrnehme. Streng genommen erfülle er bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nicht einmal die Voraussetzungen der Eingruppierung in die Entgeltgruppe III nach § 16 lit. TV-Ärzte/DRK Süd-West. Denn das setze voraus, dass dem Kläger die medizinische Verantwortung für selbständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden sei. Daran fehle es vorliegend. Auch fehle jeder Tatsachenvortrag des Klägers dazu, in welchem zeitlichen Umfang jedenfalls nach seiner Auffassung von ihm vertretungsweise die Leitungs- und Führungsaufgaben des Chefarztes wahrgenommen würden. Notwendig für die geltend gemachte Eingruppierung sei zudem, dass sich das Aufsichts- und Weisungsrecht des Klägers hinsichtlich des medizinischen Personals auch auf Oberärzte beziehen müsste. Der Kläger sei aber der einzige Oberarzt, der ausschließlich im Bereich der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Abteilung Chirurgie des Y.-Krankenhauses V.-Stadt tätig sei. Auch könne nach der Protokollerklärung zu § 16 lit. TV-Ärzte/DRK Süd-West das Tätigkeitsmerkmal des leitenden Oberarztes innerhalb einer Klinik in der Regel nur von einem Arzt erfüllt werden.

Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 26.03.2012 (Bl. 225 bis 236 d.A.) nebst Anlagen (Bl. 237 d. A.) sowie auf den Schriftsatz vom 07.09.2012 (Bl. 286 bis 302 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 303 bis 322 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.01.2012 (11 Ca 2631/11) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts folge der Klageanspruch bereits unmittelbar aus der vertraglichen Vereinbarung ab dem 01.10.2002. Diese sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass die vom Kläger nach Maßgabe der damaligen tarifvertraglichen Bestimmungen begehrte Eingruppierung unter anderem voraussetzte, dass dem leitenden Arzt mindestens neun Ärzte ständig unterstellt waren und er zudem ständiger Vertreter des leitenden Arztes sein musste; das Tätigkeitsmerkmal konnte ausweislich der Protokollnotizen innerhalb einer Abteilung (Klinik) nur von einem Arzt erfüllt werden. Diese Vertragsänderung sei einher gegangen mit einer Änderung der Tätigkeit des Klägers; seit dem 01.11.2002 sei er als leitender Oberarzt als ständiger Chefarztvertreter des Herrn Dr. U. eingesetzt worden. Hintergrund der Vertragsänderung und der Höhergruppierung des Klägers in die für Ärzte höchstmögliche Tarifgruppe des Chefarztvertreters sei es gewesen, dass der Kläger ab dem 01.10.2002 interimsweise die Abteilung für Unfall- und Gefäßchirurgie wegen eines Chefarztwechsels geleitet habe. Die Beklagte habe dem Kläger angeboten, für einen Monat als leitender Arzt dieser Abteilung zu fungieren und nach Neubesetzung der Chefarztposition als ständiger Chefarztvertreter weiterzuarbeiten. Konkret habe die Beklagte dem Kläger sogar einen außertariflichen Dienstvertrag als leitender Oberarzt, vergütet nach BAT-VKA I angeboten. Zu einer beiderseitigen Unterzeichnung des AT-Vertrages sei es dann allerdings nicht gekommen. Allerdings seien die Inhalte des AT-Vertrages in Bezug auf die Dienstpflichten des Klägers als leitender Oberarzt von den Parteien tatsächlich gelebt worden. Denn der Kläger habe im Oktober 2002 als leitender Arzt und ab November 2002 als leitender Oberarzt der Abteilung für Unfall- und wiederherstellende Chirurgie gearbeitet. In diesem Zusammenhang sei die Vereinbarung vom 02.10.2002 getroffen worden. Der Kläger habe Herrn Dr. U. seit Dienstantritt am 01.11.2002 voll umfänglich, wie mit der Beklagten zuvor vereinbart, vertreten.

Daneben erfülle der Kläger auch die tariflichen Voraussetzungen der §§ 15, 16 lit. TV-Ärzte/DRK Süd-West, insbesondere sei der Kläger als ständiger Vertreter des Herrn Dr. U. in der Abteilung für Unfall- und wiederherstellende Chirurgie anzusehen.

Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Klägers wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 22.05.2012 (Bl. 247 bis 261 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 262 bis 280 d. A.) sowie seinen Schriftsatz vom 20.09.2012 (Bl. 330 bis 334 d. A.) nebst Anlage (Bl. 335 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 24.09.2012.

Entscheidungsgründe

I. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist letztlich zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger die geltend gemachte Eingruppierung und Bezahlung nach der Entgeltgruppe IV (leitender Oberarzt) des TV-Ärzte/DRK Süd-West seit dem 01.02.2009 verlangen kann.

Hinsichtlich der Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Zulässigkeit der Klage wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 10 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 193 d. A.) Bezug genommen; die Ausführungen zur hinreichenden Bestimmtheit und zum nötigen Rechtsschutzinteresse des Klägers werden von beiden Parteien im Berufungsverfahren ersichtlich zu Recht nicht in Frage gestellt.

Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die Klage auch in der Sache begründet ist. Der Kläger hat Anspruch auf die begehrte Vergütung nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG in Verbindung mit §§ 15, 16 TV-Ärzte/DRK Süd-West.

Die Kammer folgt dem Arbeitsgericht zunächst auch insoweit, als sie davon ausgegangen ist, dass entgegen der Auffassung des Klägers der Anspruch noch nicht aus dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 18.04.1996 in Verbindung mit dem ersten Nachtrag vom 02.10.2002 folgt. Denn dieser lässt zumindest nicht den Rückschluss zu, dass die Parteien für alle Fälle und für alle Zeiten auch unter völlig geändertem Eingruppierungsgefüge weiterhin eine bestimmte Eingruppierung als zutreffend festlegen wollten. Insoweit wird deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 11 bis Seite 15 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 194 bis 198 d. A.) Bezug genommen.

Auch eine tarifliche Überführung der Eingruppierung nach dem BAT-VKA in das Gefüge des TV-Ärzte/DRK Süd-West kommt vorliegend nicht in Betracht. Entgegen der Auffassung des Klägers ist sie auch nicht in § 3 TVÜ-Ärzte/DRK Süd-West angelegt. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 15 bis Seite 18 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 198 bis 201 d. A.) Bezug genommen.

Allerdings geht die Kammer vorliegend davon aus, dass aufgrund der Besonderheiten des hier maßgeblichen Einzelfalles der schriftlichen Vereinbarung im ersten Nachtrag 2002 durchaus eine streitrelevante Bedeutung zukommt. Die Parteien haben diese Vereinbarung im Hinblick auf ein konkret bestehendes Tarifgefüge und eine dort vorgesehene Eingruppierungsregelung getroffen mit dem Ziel, die Eingruppierung des Klägers in die Vergütungsgruppe I sicher zu stellen. Streitrelevant waren zum maßgeblichen Zeitpunkt dabei zwei Tarifmerkmale: Zum einen die Zahl der unterstellten Ärzte, die mindestens neun betragen musste und zusätzlich die Qualifizierung der Tätigkeit als ständigen Vertreter des leitenden Arztes, die die Gesamtheit von dessen Dienstaufgaben betreffen muss, wobei das Tätigkeitsmerkmal innerhalb einer Abteilung (Klinik) folglich nur von einem Arzt erfüllt werden kann. Eine vertragliche Regelung im Hinblick auf diese eingruppierungsrelevanten Merkmale ist deshalb nachvollziehbar, weil der Kläger de facto keine nennenswerte Möglichkeit hat, durch seine Arbeitstätigkeit das Vorliegen dieser Voraussetzungen in seinem Sinne zu beeinflussen. Weder bestimmt er über die Zahl der Beschäftigten und ständig ihm unterstellten Ärzte, noch kann er Einfluss darauf nehmen, inwieweit ein ihm vorgesetzter leitender Arzt die ständige Vertretung zulässt. Damit wäre es nicht ausgeschlossen, dass die zutreffende tarifliche Eingruppierung z. B. je nach Personalpolitik und Stellenbesetzung der Beklagten und z. B. auch dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und dem ihm vorgesetzten leitenden Arzt je nach den tatsächlichen Verhältnissen zu einer unterschiedlichen Eingruppierung führen könnte. Um insoweit klare Verhältnisse zu schaffen und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auf eine sichere Grundlage zu stellen, bei der die tarifgerechte Vergütung nicht von Zufälligkeiten abhängig ist und sich noch dazu ständig verändern kann, geht die Kammer davon aus, dass die Parteien mit dem ersten Nachtrag eine Vereinbarung dahin getroffen haben, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Kläger diese beiden tariflichen Voraussetzungen in seiner Person erfüllt. Das lässt die Qualifizierung als eine Tatsachenvereinbarung nahe liegend erscheinen, die auszulegen ist (§§ 133, 157 BGB). Insoweit ist zwar nicht allein am Wortlaut der Erklärung zu haften. Vielmehr sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie sie vom Empfänger zu verstehen war (vgl. BAG, 07.11.2007, NZA 2008, 355 zur Ausgleichsquittung; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 10. Auflage 2012, Kap. 3, Rn. 4799 f.).

Auch wenn man mit dem Arbeitsgericht einen konstitutiven vertraglichen Anspruch des Klägers, wie dargelegt, verneint, bedeutet das keineswegs, dass die Beklagte sich von der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung ohne jeden Grund lösen kann. Die insoweit notwendige Auslegung führt vielmehr nach Auffassung der Kammer dazu, dass es der Beklagten verwehrt ist, ohne Vorliegen besonderer Gründe das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen der betroffenen Einzelmerkmale, die vergütungsrelevant sind, in Abrede zu stellen. Der erste Nachtrag zwischen den Parteien enthält keinerlei Vorbehalt; ein Recht der Beklagten, von dieser Vereinbarung Abstand zu nehmen, wird weder für den Fall einer anderweitigen tariflichen Regelung, noch sonst vorgesehen. Unabhängig davon, wie deshalb ein entsprechendes Recht der Beklagten, das nicht generell in Abrede gestellt werden kann, zu präzisieren wäre, ist es aber jedenfalls ausgeschlossen, dass die Beklagte das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkmal "ständiger Vertreter" nunmehr in Abrede stellt, obwohl sich an den Gegebenheiten der tatsächlichen Beschäftigung des Klägers - unstreitig - trotz Tarifsukzession nichts geändert hat. Dass zum anderen die Voraussetzungen für einen (auch partiellen) Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) gegeben wären, hat die Beklagte selbst nicht behauptet. Vor diesem Hintergrund kann es nicht genügen, dass sich die Beklagte vorliegend mittelbar allein auf wirtschaftliche Überlegungen beruft und den Tarifwechsel zum Anlass nimmt, ein zuvor aufgrund der vertrag-lichen Vereinbarung angenommenes Tarifmerkmal nunmehr ohne Hinzutreten weiterer Umstände in Abrede zu stellen. Das gilt umso mehr, wenn berücksichtigt wird, dass nach den nunmehr einschlägigen Tarifmerkmalen das erste zuvor dargestellte kritische Eingruppierungskriterium des Unterstelltseins von neun Ärzten ersatzlos entfallen ist, so dass sich die eingruppierungsrechtliche Situation des Klägers im kritischen Bereich verbessert hat. Das Merkmal der Notwendigkeit des ständigen Vertreters ist sowohl nach der alten, als auch nach der neuen nunmehr einschlägigen tariflichen Regelung unverändert geblieben. Da sich auch die Tätigkeit des Klägers und seine Einordnung in das betriebliche Gefüge der Beklagten nicht verändert hat, bleibt die Beklagte mit der Maßgabe an die vertragliche Vereinbarung vom 02.10.2002 gebunden, dass jedenfalls der Tarifwechsel nicht zum Anlass genommen werden kann, davon abzurücken. Mit dieser Maßgabe ist der Kläger folglich in das neue Tarifgefüge einzugruppieren, so dass die Klage begründet ist.

Sollte man dem nicht folgen, so geht die Kammer jedenfalls vorsorglich und hilfsweise davon aus, dass der geltend gemachte Anspruch auch unabhängig von der Vereinbarung vom 02.10.2002 gegeben wäre. Das Arbeitsgericht hat mit ausführlicher und zutreffender Begründung dies angenommen; deshalb wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 18 bis 24 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 201 bis 207 d. A.) Bezug genommen.

Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts, denn es macht zusammengefasst lediglich deutlich, dass die Beklagte - aus ihrer Sicht verständlich - die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts, denen die Kammer, wie dargelegt - folgt, nicht teilt. Es enthält aber keine neuen, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierten Tatsachenbehauptungen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Nichts anderes gilt für etwaige Rechtsbehauptungen. Es beschränkt sich im Wesentlichen darauf, insbesondere das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen für eine "ständige Vertretung" in Abrede zu stellen, woran die Beklagte aufgrund der Besonderheiten des vorliegend zu entscheidenden Einzelfalles, wie dargelegt, aber auch unabhängig von den Ausführungen des Arbeitsgerichts aufgrund der Bindungswirkung der Vereinbarung vom 02.10.2002 gehindert ist. Weitere Ausführungen sind folglich nicht veranlasst.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

VorschriftenTV-Ärzte/DRKSüd-West Entgeltgr. 4

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr